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Fühlt!

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23.06.2003
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Fühlt!

Ich beschloss, das schöne Wetter zu nutzen und in der wärmenden Sonne einen Spaziergang durch die Stadt zu machen. Wahrscheinlich hatte sich die gesamte Bevölkerung das Selbe gedacht, denn die Straßen waren so voll, dass ich nur schleppend voran kam. Schon nach wenigen Minuten hatte ich die Nase voll und bog in eine weniger besuchte Gasse ab. Doch auch hier war es kaum auszuhalten; ich wurde von der Masse erfasst und hilflos mitgerissen. Es gelang mir dann aber doch, mich in eine kleinere Straße zu retten. Hier war es auszuhalten und meine Laune besserte sich. Ich bog in eine enge Nebenstraße ein, die auf einen großen, menschenleeren Platz führte. Es war etwas seltsam das mir dieser Stadtteil unbekannt war, weil ich schon seit mehreren Jahren hier lebte. Dennoch zögerte ich nicht lange und steuerte auf eine unscheinbare Straße zu, die sich endlos weit in die Ferne verlief.
Es vegingen vielleicht 5 Minuten, als ich eher zufällig zum Himmel blickte. Der Schrecken packte mich, als ich die dunkle Wolkenwand sah, die sich vor die Sonne schob. Langsam, ganz langsam bewegte sich ein Schatten auf mich zu, unaufhaltsam, alles in Dunkelheit tauchend. Angst stieg in mir empor. Ich wich einige Schritte zurück, doch natürlich holte mich der Schatten ein, zog mich hinab in seine Finsternis. Ein kalter Schauer lief mir den Nacken hinunter. Das Echo eines kläglichen Versuches zu lachen ließ mich zusammen zucken. Unheimliche Stille umgab mich, keine Menschenseele war zu sehen. Es war, als hätte sich ein schwerer Schleier über alles gelegt, der jedes Geräusch verschluckte. Ich ging ein paar Schritte, musste mich aber so sehr überwinden, dass ich bald wieder stehen blieb. Es wurde immer dunkler. Auch wenn kein Geräusch zu hören war, fühlte ich, wie es langsam noch stiller zu werden schien. Inzwischen war es so dunkel, dass ich höchstens 5 Meter weit sehen konnte. Ich hatte ein so stark brennendes Gefühl im Unterbauch, dass ich mich setzen musste, um mich auszuruhen. Irgendwann stand ich auf und stellte mich mitten auf die Straße. Sie war auf beiden Seiten gesäumt von alten, braun-grauen Reihenhäusern. Hier und da brach der Asphalt auf und die Umrisse von großen Löchern waren zu erkennen. Irgendeine Lichtquelle tauchte alles in ein schwaches, dunkelgelbes Licht. Eine schrecklich bedrückende Atmosphäre ließ die Umgebung unwirklich und dumpf erscheinen. Ich beschloss, diese Gegend sofort zu verlassen, drehte mich um und wanderte schnellen Schrittes in die Richtung meines Hauses. Der Gedanke an meine Familie und an mein warmes, gemütliches Bett machte die Situation erträglicher. Doch irgendetwas in mir hinderte mich daran, diese Gedanken länger aufrecht zu erhalten. Je mehr ich versuchte, mich an das Gesicht meiner Frau zu erinnern, desto undeutlicher wurde es. Meine Erinnerung verwischte mehr und mehr und ließ mein bisheriges Leben wie einen Traum erscheinen. Dann begann ich zu rennen, um diesen Platz so schnell wie möglich zu verlassen. Meine Umgebung änderte sich nicht im geringsten, immer hatte ich das gleiche Bild vor Augen und kam nicht von der Stelle. Mein Zeitgefühl hatte mich völlig verlassen; manchmal war ich davon überzeugt, dass mein Spaziergang erst vor wenigen Minuten begonnen hatte. Aber oft wurde mir auch klar, dass ich schon seit einigen Wochen, Monaten, ja vielleicht sogar Jahren in dieser Straße umher stolperte. Dieser Gedanke machte mich Wahnsinnig.
Nach vielen Minuten - oder Jahren - kam ich an ein Haus, das sich von den anderen in einem Schriftzug über der Tür unterschied. Erst brach ich vor Freude in Tränen aus, dann glaubte ich, schon an jedem Haus diesen Schriftzug bemerkt zu haben. Ich machte mich daran, ihn zu entziffern: "Nur wer das Labyrinth verläßt, kann frei sein, doch nur der Freie vermag ihm zu entrinnen." Ich verstand es nicht, denn der Anfang war vergessen, sobald ich das Ende gelesen hatte. So ging ich weiter. Die Sekunden unterschieden sich nicht mehr von den Jahren, die Vergangenheit war gleich der Zukunft, ich wurde zur Straße.

 
Zuletzt bearbeitet:

Am Besten ganz in Ruhe lesen und sich fallen lassen. Der Titel des Threats ist nicht der Titel der Geschichte... Und bitte keine strengen Interpretationen. Das Interpretieren ist nicht unbedingt der eigentliche Sinn der Geschichte. In erster Linie geht es mir um das Gefühl das ich versucht habe beim Leser aufzubauen. Ich kann gerade nicht wirklich erklären was ich meine. Vielleicht schreibe ich später noch etwas dazu.

:cool:

 

Hallo Parabel!
Ich dachte zuerst an ein Gewitter was aufziehen würde, als er die dunklen Wolken sah, doch auf Irrgarten wäre ich nie gekommen.
Auch wenn sie seltsam ist, diese Geschichte, ist sie super aufgebaut. Wie Du die Straßen und sein Empfinden beschrieben hast ist "erste Sahne" finde ich.

LG Joker

 

Danke, Joker, für deine positive Kritik! Wie es aussieht, habe ich bei dir erreicht, was ich mit der Geschichte erreichen wollte: nämlich den Leser langsam in ein unheimliches Gefühl wickeln, das auch nach der Geschichte noch einige Zeit anhält. Somit versuche ich den Leser zu bewegen, nicht über die Geschichte nachzudenken, sondern über das Gefühl, das bei ihm ausgelöst wurde. So können im besten Fall die Grenzen einer rationalen Interpretation überschritten werden und der Leser denkt über sein Leben nach... Ist mir das gelungen, oder muss ich noch dran arbeiten?

bis dann... :bla:

 

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