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Fünf Minuten

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02.03.2021
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Fünf Minuten

Freitag. Der Wind schmeißt ein paar Regentropfen gegen die Scheiben. Die untergehende Sonne hat mein Büro in ein halbdunkles Zwielicht getaucht. Ab und zu verrirt sich eine Meise auf das Fensterbrett neben meinem Schreibtisch. Sie schaut mir ein paar Augenblicke beim Tippen zu, verfolgt den Cursor auf meinem Bildschirm und fliegt dann wieder davon.


Mein müder Blick fällt auf die Uhr in der Taskleiste. 18 Uhr und 23 Minuten. Ich habe Durst. Theatralisch erhebe ich mich, als wollte ich den anderen Kollegen im Büro eine wichtige Ankündigung machen, doch scheinbar haben sie sich in der Deckung der versammelten Monitor bereits davon geschlichen. Ich muss eingeschlafen sein. Das ständige Summen der Lüfter und Festplatten: Ermüdend.


Ich lasse mich zurück in meinen Stuhl fallen und schaue aus dem Fenster. Der Wind hat nachgelassen und ein paar Regentropfen schlängeln sich die Scheibe hinab. Der kleine Meisenmann hat sich wieder auf dem Fensterbrett niedergelassen und schaut mich an. Mir ist, als würde er weinen. “Sei nicht traurig, kleiner Meisenmann”, kommt es mir in den Sinn.


Ich öffne YouTube, suche nach Helge Schneider und spiele das Lied vom Meisenmann. Melancholie überkommt mich. Zuviel für den Meisenmann, er fliegt von dannen. Ich höre das Lied zu Ende und lasse mich von der YouTube-Playlist überraschen. Allein.


So kann es nicht weitergehen, stelle ich fest. Es ist 18 Uhr und 51 Minuten. Warum hat die Uhr in der Taskleiste keine Sekundenanzeige? Ich stehe wieder auf, so bestimmt, wie mein schläfriger Zustand es zulässt, und klappe mein Laptop zu. Als ich die Tür öffne schaue ich in die erschrockenen Augen meines Chefs. Wie lange steht er schon hinter der Tür? Hat er mich belauscht? Habe ich geschnarcht?


“Wohin des Weges so eiligen Schrittes?” blökt er mir entgegen. “Ich-ich-” stolpert es mir von der Zunge. “Auf Toilette!”


“Na, wenn dem so ist! Danach aber schön die Fingerchen waschen. Sie wissen, die Tastatur ist der größte Keimträger im Büro.”


"Natürlich", antworte ich pflichtbewusst. Auf der Toilette öffne ich das Fenster und zünde mir eine Zigarette an. Der Meisenmann ist mir gefolgt, sitzt auf dem Fensterbrett und schaut mich mit seinen schwarzen Knopfaugen mitleidig an.


“Komm mit!” flüstert er mir zu.


Ich starre ungläubig auf die kleine Meise auf dem Fensterbrett. Dann richte ich mein Blick auf die dampfende Zigarette in meiner Hand. Hat man mir Marihuana in den Tabak gemischt? Träume ich noch?


"Na los, komm schon. Sei nicht ängstlich, kleiner Meisenmann!" flüstert er mir wieder zu. Ich stelle ein Bein auf das Fensterbrett, greife mit einer Hand nach dem Holzrahmen und stecke den Kopf nach draußen, in die kalte, nasse Herbstluft und atme tief und langsam ein. Die Welt um mich herum verschwimmt.


Ich bin geschrumpft, nur noch etwas größer als die Meise. “Los, steig auf!” lacht er mir entgegen. Irritiert steige ich auf den Rücken meines kleinen gefiederten Freundes und wir fliegen los. Es ist 18 Uhr und 55 Minuten. 5 Minuten vor Feierabend.

 

Hallo @fantastokrat !

ja dann herzlich willkommen ! Ein schöner Einstieg. Gern gelesen. Hübsch geschmunzelt.

vielleicht noch ausführen, welcher Arbeit der Prot. nachgeht und warum sie ihn so langweilt?
Oder das Ende ausweiten und ab ins Meisenland ?

Vollmeisigst
N.

 

Hi @fantastokrat,
was für ein schöner Einstieg! Ich habe mich vor Lachen gar nicht mehr eingekriegt ... :lol:

Ich habe Durst. Theatralisch erhebe ich mich, als wollte ich den anderen Kollegen im Büro eine wichtige Ankündigung machen, doch scheinbar haben sie sich in der Deckung der versammelten Monitor bereits davon geschlichen.
“Sei nicht traurig, kleiner Meisenmann”
Hier fing's an und das Lachen hat tatsächlich bis zum Ende gehalten.
zuende
zu Ende
Alleine.
allein
Ab und zu verrirt sich eine Meise auf das Fensterbrett neben meinem Schreibtisch.
verirrt.
Klingt, als wäre die Meise im Raum. Vielleicht auch zu kleinkariert von mir.
Na wenn dem so ist!
Komma nach "Na"
Der Meisenmann sitzt auf dem Fensterbrett und schaut mich mit seinen schwarzen Knopfaugen mitleidig an.
Sag kurz, dass der Meisenmann zum Klofenster gefolgt ist.
Dann bricht die Welt über mir zusammen.
Ggf. "Dann bin ich in einer anderen Welt" oder "Dann verschwimmt die Welt um mich herum"?

Bisschen viele Absätze in deiner Geschichte. Eigentlich: Textumbruch bei Sprecherwechsel, Absatz bei Szenenwechsel.

Gut gemacht! Freue mich auf weitere Texte von dir. :)

Liebe Grüße,
Waldläufer

 

Hej und herzlich willkommen @fantastokrat ,

und es erstaunt mich mal wieder selbst, wie unterschiedlich man Texte lesen kann, denn ich habe kein einziges Mal lachen müssen. Gelächelt habe ich, als die Meise das erste Mal am Fenster saß und ihm beim Tippen zusah. Im Verlauf baut sich ja eine Art von Zusammenschluss auf zwischen Vogel und Tipper. Ich sitze mit ihm im Zwielicht, vergesse wie er Zeit und Raum. Bis Helge Schneider ins Spiel kommt bin ich dabei. Aber dann höre ich das angekündigte Lied nicht und ich kenne es nicht und auch bei Helge gibt es Melancholie und Überdruss. Und der Tipper scheint sich seines Seins überdrüssig zu sein, und als dann der „Fluchtversuch“ missglückt, weil der Chef ihn daran hindert, flieht er endgültig mit der Meise in die Freiheit. Und es ist kurz vor Feierabend.

Komisch, oder?

Viel Spaß hier und freundlicher Gruß. Kanji

 

Danke für euer Feedback!

@Vollmeisigst
Gute Idee. Tatsächlich erweitere ich meine Geschichten mitunter und füge Sachen hinzu. Vielleicht passiert das hier auch.

@Waldläufer
Danke für die konstruktive, fachliche Kritik - sehr hilfreich

@Kanji
Danke für das inhaltliche Feedback - "Aber dann höre ich das angekündigte Lied nicht und ich kenne es nicht" - wie meinst du das? Du kennst das Lied nicht, und hörst es deswegen nicht? Oder kommst du nicht in diese "Stimmung"? Ist es die fehlende Kenntnis des Liedes, die dir den "Einstieg" erschwert? Insofern: Guter Punkt! Ich liebe dieses Lied, vermutlich hab ich das vom Leser erwartet und übersehen, dass man ohne das Lied zu kennen mir vielleicht nicht folgen kann? Hmmm...

 

Genau @fantastokrat ! Ich habe keine Vorstellung von diesem Lied und kippe heraus, weil es mir offenbar an Informationen fehlt. Dass es um eine Meise geht wusste ich ja schon.
Zudem finde ich die Ziffer im Titel nicht so schön. Es gibt keine weitere Aufzählung und da sähe eine Fünf besser aus, denke ich.

freundlicher Gruß. Kanji

 

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