Was ist neu

Für Eva

Mitglied
Beitritt
20.03.2005
Beiträge
29
Zuletzt bearbeitet:

Für Eva

Für Eva (Genesis 3,1 - 3,24)

3,1 Und die Schlange war listiger als alle Tiere des Feldes, die Gott, der HERR, gemacht hatte; und sie sprach zu der Frau: Hat Gott wirklich gesagt: Von allen Bäumen des Gartens dürft ihr nicht essen? 3,2 Da sagte die Frau zur Schlange: Von den Früchten der Bäume des Gartens essen wir; 3,3 aber von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens [steht], hat Gott gesagt: Ihr sollt nicht davon essen und sollt sie nicht berühren, damit ihr nicht sterbt! 3,4 Da sagte die Schlange zur Frau: Keineswegs werdet ihr sterben!

* Vertreibung:serpentis *

Sein Schweigen war auch eine Antwort. "Bist Du eigentlich glücklich?" hatte Eva gefragt. Ihre Fingerspitzen berührten seine. Zurückziehen konnte er seine Finger, die den Stiel des Glases betasteten, nicht. Ein eigenartiges, knisterndes Magnetfeld aus Rotwein, sich berührenden Fingerspitzen, ihrem Blick, den Geräuschen der Umgebung und seinem Ehering. In Teilchenbeschleunigern baut man ein unbezwingbares Feld aus Kräften auf, das Elementarteilchen zwingt, sich auf einer bestimmten Bahn zu bewegen. Sie versuchen zu fliehen und werden doch durch unsichtbare Gewalt gelenkt um immer schneller auf ihr Ziel zuzurasen, wo sie ihr zerstörerisches Werk vollenden und das Unteilbare teilen.

Er wußte in diesem Augenblick, dass er alles, was er in den nächsten Wochen tun würde, nicht tun darf. Und in dieser Berührung ihrer Fingerspitzen war doch alles vorweggenommen. Sie nahm seine Hand, verschränkte seine Finger mit den ihren, betrachtete die beiden Hände. Fast stimmlos sagte sie: "Ich werde Dir nicht weh tun".


3,5 Sondern Gott weiß, daß an dem Tag, da ihr davon eßt, eure Augen aufgetan werden und ihr sein werdet wie Gott, erkennend Gutes und Böses. 3,6 Und die Frau sah, daß der Baum gut zur Speise und daß er eine Lust für die Augen und daß der Baum begehrenswert war, Einsicht zu geben; und sie nahm von seiner Frucht und aß, und sie gab auch ihrem Mann bei ihr, und er aß.

* Vertreibung:dulcitudo *

Die gemeinsamen Jahre hatten die Liebe mit seiner Frau zu einem vertrauten Pfad gemacht. Jeder wußte, was der andere genoß. Was der andere nicht genoß, versuchte man nicht mehr. Er wußte, dass sie es nicht mochte, wenn er ihr Bein in einer bestimmten Weise anwinkelte. Sie wußte, dass er es mochte, wenn sie sich streichelte, während er in sie eindrang. Immer noch konnte ihre Lust an guten Tagen etwas besonderes sein. So wie das Aufstellen der Krippenfiguren unter dem Weihnachtsbaum etwas besonderes ist.

Als er das erste Mal mit Eva schlief, wurde er von einer Monsterwelle weggespült. Ein Seebeben hatte das Meer aufgewühlt und alles, was an der Küste nicht aus Beton war, wurde weggespült. Ihre Hand war warm und hielt sich an der Grube in seinem Nacken fest. Sie zitterte ein wenig, als er seine Hand unter ihren Po schob und sie fester an sich presste. Ihr Atem an seinem Ohr war flach. Glücklich verzweifelt. Er spürte die Knochen in Ihrem Hintern nicht. Seine Frau hatte dort kleine Ecken, die heftig in seine Oberschenkel drückten, wenn sie so auf ihm saß. Eva war weich. Frau. Weiche weibliche Lust. Eine nasse, überbordende Verhaftung seines Gliedes. Unvertraut anders. Fremder Duft, eine andere Haut, fremde Brüste mit fremden, rosafarbenen Höfen. Zart wie feuchtes Pergamentpapier. Die letzte Welle spülte ihn und diese Gedanken weg.

Sie schwiegen lange, als sie kleine Kringel in den Schweiß auf seinem Bauch malte. Ob sie die Kohlen für den Kachelofen im Winter selbst hochtrug? "Das war kein Spaß" sagte sie, als er den Rauch durch die würzige Luft blies, die im Raum stand.


3,7 Da wurden ihrer beider Augen aufgetan, und sie erkannten, daß sie nackt waren; und sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze. 3,8 Und sie hörten die Stimme Gottes, des HERRN, der im Garten wandelte bei der Kühle des Tages. Da versteckten sich der Mensch und seine Frau vor dem Angesicht Gottes, des HERRN, mitten zwischen den Bäumen des Gartens. 3,9 Und Gott, der HERR, rief den Menschen und sprach zu ihm: Wo bist du? 3,10 Da sagte er: Ich hörte deine Stimme im Garten, und ich fürchtete mich, weil ich nackt bin, und ich versteckte mich. 3,11 Und er sprach: Wer hat dir erzählt, daß du nackt bist? Hast du etwa von dem Baum gegessen, von dem ich dir geboten habe, du solltest nicht davon essen? 3,12 Da sagte der Mensch: Die Frau, die du mir zur Seite gegeben hast, sie gab mir von dem Baum, und ich aß.

* Vertreibung:abyssus *

Er erinnerte sich kaum, wann er das letzte mal schlecht geträumt hatte. Als Kind, ja. Träume in denen er wahnsinnig schnell eine Bergstraße mit dem Fahrrad herunterfuhr. Jede Kurve die Gewißheit, dass er herausfliegen müßte. Aber Alpträume hätte er die nicht genannt, denn da war ein festes Bewußtsein, dass es nur ein Traum ist und er jederzeit aufwachen könnte, wenn er nur wollte. Dies hier war anders. Seine Frau hatte die Hand auf seine Schulter gelegt: "Was ist los, Liebling". Er hatte geduscht und auf dem weißen Lack der Duschtasse ein rotes Haar gefunden. Als er an sich herabsah, stellte er fest, dass überall an ihm Evas Haare waren. Er versuchte, sie wegzuwischen, wie man Ameisen wegwischt, die bei einem Waldspaziergang auf die Schuhe verirren. Aber immer neue, immer mehr Haare sammelten sich und bildeten eine rote seidige Suppe in der Dusche. "Es ist alles gut. Entschuldige. Ich habe geträumt."


3,13 Und Gott, der HERR, sprach zur Frau: Was hast du da getan! Und die Frau sagte: Die Schlange hat mich getäuscht, da aß ich. 3,14 Und Gott, der HERR, sprach zur Schlange: Weil du das getan hast, sollst du verflucht sein unter allem Vieh und unter allen Tieren des Feldes! Auf deinem Bauch sollst du kriechen, und Staub sollst du fressen alle Tage deines Lebens! 3,15 Und ich werde Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zermalmen, und du, du wirst ihm die Ferse zermalmen. 3,16 Zu der Frau sprach er: Ich werde sehr vermehren die Mühsal deiner Schwangerschaft, mit Schmerzen sollst du Kinder gebären! Nach deinem Mann wird dein Verlangen sein, er aber wird über dich herrschen! 3,17 Und zu Adam sprach er: Weil du auf die Stimme deiner Frau gehört und gegessen hast von dem Baum, von dem ich dir geboten habe: Du sollst davon nicht essen! - so sei der Erdboden verflucht um deinetwillen: mit Mühsal sollst du davon essen alle Tage deines Lebens; 3,18 und Dornen und Disteln wird er dir sprossen lassen, und du wirst das Kraut des Feldes essen! 3,19 Im Schweiße deines Angesichts wirst du [dein] Brot essen, bis du zurückkehrst zum Erdboden, denn von ihm bist du genommen. Denn Staub bist du, und zum Staub wirst du zurückkehren!

* Vertreibung:dissaeptio *

"Ich möchte, das es aufhört, Eva". Diesmal war ihre Antwort Schweigen. Sie saßen in seinem Auto und rauchten. Eigentlich wollte er laufen um zu reden, aber es regnete. Autos kamen an und fuhren weg. Ein Opel, eine alte Limousine und ein Kleinwagen mit Spoilern und lauter Musik, deren Bässe gleichmäßig dröhnten. Durch den Spalt, den das Fenster geöffnet war, um den Rauch herauszulassen, drangen Regentropfen und Geräusche von Pfützen und Kieselsteinen. "Aber ich will nicht, dass es aufhört." Das erste Mal, seit sie sich begegnet waren, sah er sie weinen. Er verwarf die Worte, die er sich zurechtgelegt hatte. Warum machst Du es mir schwer? Hattest Du nicht versprochen ... ?

"Eva, meine Frau ist schwanger."


3,20 Und der Mensch gab seiner Frau den Namen Eva, denn sie wurde die Mutter aller Lebenden. 3,21 Und Gott, der HERR, machte Adam und seiner Frau Leibröcke aus Fell und bekleidete sie. 3,22 Und Gott, der HERR, sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie einer von uns, zu erkennen Gutes und Böses. Und nun, daß er nicht etwa seine Hand ausstrecke und auch [noch] von dem Baum des Lebens nehme und esse und ewig lebe! 3,23 Und Gott, der HERR, schickte ihn aus dem Garten Eden hinaus, den Erdboden zu bebauen, von dem er genommen war. 3,24 Und er trieb den Menschen aus und ließ östlich vom Garten Eden die Cherubim sich lagern und die Flamme des zuckenden Schwertes, den Weg zum Baum des Lebens zu bewachen.


* Vertreibung:deceptio *

Eva rief ihn noch ein paar Mal an. Mal bot sie ein Leben im Verborgenen an. Mal fragte sie, ob das denn nichts bedeutet hätte. Er müsse mit seiner Frau sprechen. Sie werde es verstehen. Er erfand Lügen. Für Eva und für seine Frau. Sie hätte ihn verlassen, wenn er alles erzählt hätte. Dessen war er sich sicher. Sie konnte ihm bis heute nicht verzeihen, dass er vor ihr für eine andere ein Bild gemalt hatte und er sie im Glauben gelassen hatte, ihres sei einmalig.

Es gab keine laute Szene mit Eva. Sie rief nie seine Frau an. Aber jedesmal, wenn das Telefon klingelte, durchfuhr ihn ein Schreck. Jedesmal, wenn der Computer zu Hause eine neue E-Mail verkündete, fürchtete er, sie sei von Eva. Einmal waren sie auf einer Vernissage und begegneten Eva. Er hatte das Gefühl, jeder im Raum müsse den Angstschweiß riechen. Eva nickte nur einmal, als seine Frau wegsah. Dafür war er dankbar. Dafür, dass er sie nicht begrüßte, fühlte er sich wie ein Verräter.

"Du riechst nach Rauch" sagte seine Frau zu ihm und kraulte scheinbar geistesabwesend seinen Nacken. Sein Kopf lag auf ihrem dicken Bauch. Manchmal konnte er das kleine Herz hören wie fernes Galopp. Nächste oder übernächste Woche mußte das Kind kommen. Früher hatte der Geruch sie nie gestört, aber jetzt war sie überempfindlich für alle Gerüche. "Ich hoffe", dachte sie "er kriegt keine blauen Augen oder blonde Locken. Er würde mir nie verzeihen, dass es nicht sein Sohn ist."

 

Hinweis: Diesen Text habe ich vor der Flutkatastrophe vergangenen Dezember geschrieben. Heute würde ich das Bild mit der Monsterwelle weglassen. Mir fällt aber kein besseres ein. Ihnen?

 

"könnte z.B. 3,15 völlig streichen, weil der Vers nichts mit Adam und Eva zu tun hat."

> Interessant. Über den Punkt hatte ich nachgedacht. Es wäre dann aber der einzige Vers, der entfallen wäre. Da habe ich der Vollständigkeit den Vorzug gegeben.


"Die Vertreibung aus Eden, die Vertreibung aus dem Ewigen Leben, ist in deinem Text die Vertreibung aus dem Kurzweiligen in das Ewiggleiche, sprich das Paradies."

> Das kann man so sehen ...


"Lillith"

> Es gibt schon ein Fragment einer Geschichte über Lilith ;-)


"=Nun ja, der Schluss kommt etwas aus dem Nichts, auch wenn es das Nichts zwischen den Eheleuten ist und der Frau natürlich dasselbe widerfährt wie dem Mann an Gewöhnung, Langeweile und dröger Sexualität, da kann man ihr es nicht verdenken, wenn auch sie ausbricht, aber der Effekt wirkt mir zu sehr effektgehascht, aber gut."

> Och komm, lass mir die Freude (Dankeschön!)

Danke auch für die stilistischen Hinweise. Werde in mich gehen.

Gruß,
Labude

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom