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  • Challenge: Der Ort, der aus dem Rahmen fällt
    Lest, kommentiert und stimmt in Kürze für eure Lieblingsgeschichten aus der Challenge Der Ort, der aus dem Rahmen fällt ab.

Für Katinka wär' das hier nix

Seniors
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08.01.2002
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Anmerkungen zum Text

Die ukrainische Sprache ist reich an Diminutiv-Endungen, also Verniedlichungsformen und sie verwenden ebenso gern Kosenamen.
Katinka wird also zu Katrúsja
Und die Mama zu Mamotschka und Matusja.

Für Katinka wär' das hier nix

Liebes Tantchen Galina,
jetzt hast du dich ganz allein um Mamotschkas Beerdigung kümmern müssen. Glaub‘ mir, ich hab alles versucht, um freizubekommen. Wenigstens für einen Tag, auch wenn der von hier bis nach Kyjiw nicht gereicht hätte. Aber da waren sie gnadenlos, keine Ausnahme, auch nicht für Mama.

Und weißt du was, Tantchen? Erst war ich so wütend deswegen. Ich hab gedacht, jetzt türm‘ ich einfach. Ist mir egal. Dann bin ich eben wegen Fahnenflucht dran. So können sie nicht mit uns umgehen. Schließlich halten wir den Kopf hin. Als ich so wütend alles in meinen Rucksack geworfen habe und grad loswollte, traf mich Dmytros Blick, ein kurzer Funke Enttäuschung, der mich festhielt wie eine Hand am Kragen. Du erinnerst dich bestimmt, Dmytro, unser Teufelsfahrer, der den Panzer beherrscht, als wäre er nur für ihn gebaut.
Wenn ich abhaue und sie bei einem Angriff umkommen, weil ich nicht auf meinem Posten bin, weil an meiner Stelle so ein unerfahrenes Jüngelchen schießt und womöglich nix trifft, dann hab ich gleich drei auf dem Gewissen. Wegen Matusjas Beerdigung.
Kannst du verstehen, Tantchen, wie hin- und hergerissen ich mich fühlte? Ich muss ausrücken, bis später. Dein Andriy

Liebes Tantchen Galina,
du weißt ja, ich kann nur kurz zwischendrin schreiben. Ist zu unruhig hier. Ich hab jetzt grad Empfang und weißt du was? Unser Kommandeur hat es endlich eingesehen, dass wir alle jede Minute nutzen, um nach Hause zu schreiben. Auch er. Und mal ehrlich: Es ist doch egal, ob sie uns via Drohne aufspüren oder Handyortung. Übrigens schreib ich dir lieber per Mail. Wenn ich bei WhatsApp irgendeinen Satz anfange und ihn nicht zu Ende bringe, machst du dir unnötige Sorgen.

Danke, dass du hart geblieben bist, damit Matusja eine Erdbestattung bekommt. Das geht doch nicht: Verbrennen. Nur weil die Grabstellen knapp sind. Mama in einer Urne. Da schüttelt es mich.
Wenn es mich trifft, wär es mir egal. Wenn dann kein Platz ist, dann sollen sie mich verbrennen. Aber weißt du was, Tantchen? So schnell wie das hier gehen kann, wird auf dem neuen Militär-Gedenkfriedhof, du weißt, den in Hatne, noch genug Platz für mich sein. Ist ja erst seit Ende August geöffnet. Wir reden hier oft über den Tod, Tantchen, ganz normal für uns. Und wir machen wüste Scherze drüber. Letztens haben wir uns alle ausgeschüttet vor Lachen. Meinte einer der Kameraden so lakonisch: „Wenn uns die Russen treffen, bleibt grad mal so viel von uns übrig, dass wir lässig zu dritt in eine Urne passen.“

Dass Mamotschka nicht mehr ist, das ist noch nicht in meinem Kopf angekommen, Tantchen. Keine Ahnung, wieso. Ich versuch es die ganze Zeit, aber ich vermisse sie nicht. Für mich lebt sie noch. Ich werde es erst begreifen, wenn ich vor dem zerbombten Haus stehe. Und sie mich nicht umarmt.
Weißt du, wen ich vermisse, Tantchen? Lach‘ nicht! Meine Katinka. Die hab ich schon in der ersten Nacht vermisst. Was für ein Glück, dass sie heil da rausgekommen ist. Ich bin dir dankbar, dass du dich um sie kümmerst. Frisst sie gut? Sag es nur frei heraus, Tantchen, wenn du mehr Geld für ihr Futter brauchst.
Nachts denke ich kurz vor dem Einschlafen, dass es die reinste Freude wär‘: Katinka hier dicht an meinem Ohr schnurrend. So ein warmes Fellchen in meinen Armen, himmlisch. Aber hier ist das nichts für sie. Wenn der Wind zur falschen Seite stürmt, drückt sich eine harte Kälte in unser Bettlager und da reichen dann die Decken kaum aus. Da würde selbst meine dick bepelzte Katrúsja frieren. Ich muss los. Dein Andriy


Hallo Tantchen,
weißt du noch, wie Mamotschka mit mir wegen des Namens geschimpft hat? Was mir undankbarer Bengel einfiele, einen russischen Namen für die Katze zu wählen. Warum ich sie nicht ukrainisch Mypka nenne? Mama wollt‘ mir nicht glauben, dass Katinka gar nicht russisch ist. Sie behauptete stur weiter, der Name stammt von Ekaterina ab.
Es hat Artem erwischt und sie haben mich zum Panzerkommandanten gemacht. Er war der beste Kommandant und ist mein Vorbild. So schnell kann es gehen, wenn die Leute fehlen. Stell dir nur vor Tante Galina, ich sitze nun jetzt rechts im Turm neben dem Richtschützen. Es gibt mehr Sold. Mach dir also keinen Kopf wegen der Beerdigungskosten. Ich krieg das hin. Obwohl es eine Riesenschweinerei von diesen korrupten Arschlöchern ist, die Grabstellen gegen Höchstgebot zu verkaufen. Verzeih meine wüsten Ausdrücke, Tantchen, aber je mehr sterben, desto praller werden die Taschen der Beerdigungsräuber. Wie geht es meiner Süßen? Hat sie sich bei dir eingewöhnt? Dein Andriy


Hallo Tantchen Galina,
wie viele Fragen du stellst. Da muss ich ja Romane schreiben, um sie alle zu beantworten.

Wann der Krieg aufhört, ist schnell beantwortet. Das weiß keiner. Er hört auf, wenn eine Seite nicht mehr kann. Weißt du Tantchen, sie kommen nicht voran, wir kommen nicht voran. Es ist überflüssig, dir die Frontabschnitte zu benennen, die wir zurückgeholt haben. Wir sind stolz darauf, aber das kann morgen alles wieder anders sein.

Ich freue mich, das Neueste über meine Katrúsja zu lesen. Tantchen, sie hat dich doch schon längst um ihre Pfote gewickelt. Ich musste lachen, weil du nicht merkst, dass du tust, was sie will und nicht umgekehrt.
Immer, wenn mich das alles hier betrübt, taucht meine Schöne auf und blickt mich mit wachsamen Augen an. Als wollte sie sagen:
„Komm schon Andriy, halt durch, du hast den Tag bald geschafft.“
Weißt du, was mir am meisten fehlt, Tantchen? Dass ich nicht meine Fingerkuppen in ihrem dichten Fell vergraben kann. Und ihr Schnurren fehlt mir. Der schönste Klang der Welt.

Wir haben heute unseren Panzer verloren, aber wir drei sind da lebend raus. Jetzt warten wir auf Ersatz und ich nutze die Wartezeit zum Mailschreiben und zum Schlafen. Das macht hier jeder so. Es gibt keinen, der sich nicht sofort hinpackt, um auf Vorrat zu schlafen oder Schlaf nachzuholen. Gute Nacht Tantchen! Dein Andriy


Liebes Tantchen Galina,
ich bin doch kein Drückeberger, nur weil ich dir nicht all deine Fragen aus der letzten Mail beantwortet habe. Wo fange ich an? Was ich den Tag über mache? Das ist natürlich unterschiedlich. Mal müssen wir raus, mal nicht. Hat sich viel verändert. Früher sind wir, wie in den alten Filmen, in großen dichten Panzerformationen auf den Feind zugerollt. Diese Großverbände gibt es praktisch nicht mehr, sondern wir haben kleine aus drei Panzern bestehende Züge. Wir führen aus der Deckung Angriffe aus, feuern und ziehen uns wieder zurück. Hängt alles irgendwie mit den Drohnen zusammen. Ich weiß Tantchen, der Scherz, dass wir zu dritt in eine Urne passen, ist schon sehr derbe, aber was gibt es daran nicht zu verstehen?
Wie geht es meiner Katinka? Vermisst sie mich? Ich glaube, das Vermissen ist eher etwas rein Menschliches. Wie denkst du darüber Tantchen? Ich stelle mir oft vor, sie hier bei mir zu haben. Meine kleine Fellfreundin. Das wäre das reinste Glück.
Ich muss, Tantchen, bekomme grad die Meldung, dass unser Ersatzpanzer bald da ist. Bitte streichele Katrúsja von mir. Lieben Gruß dein Andriy


Liebes Tantchen,
der gelieferte Panzer hat seine Mucken und Macken. So hab ich Zeit. Mach dir keinen Kopf. Das kommt ab und zu vor, dass Katzen alles wieder auskotzen. Hast ihr vermutlich eine neue Futtersorte gegeben? Oder es war zu kalt? Oder sie muss bald Fell rauswürgen, denn sie nimmt ja jede Menge Haare durch das Putzen auf. Und das kommt bei ihr nicht hinten, sondern oben wieder raus. Es gibt jede Menge harmlose Gründe. Bitte halte mich auf dem Laufenden.
Ich habe all deine Fragen nicht vergessen, Tantchen, es ist nur so, dass ich meist kaum Zeit habe und für manche Antworten muss ich eine Weile in Ruhe überlegen. Deine Sprache ist längst nicht so wüst und rau, wie wir hier sprechen. Z.B. die Sache mit der Urne für drei. Ich versuch, es dir zu erklären: Wenn so ein Panzer getroffen wird, dann bleibt von der Besatzung meist nichts mehr übrig. Die Munition, die wir nicht verschossen haben, befindet sich ja noch im Panzer. Die besorgt den Rest.
Ach ja, die Angst. Nach der hattest du ja auch gefragt.
Ich hab‘ keine. Beantwortet?
Haha, ich kenne dich, Tantchen. Jetzt willst du wissen, wieso ich keine habe. Ich glaube, das lag an Kommandant Artem. „Wir drei sind unbesiegbar“ hat er vor jedem Einsatz gesagt, „ihr werdet sehen, wir kommen heil zurück.“
Und weißt du was, Tantchen Galina? Wir kamen immer unversehrt zurück. Bei all den Einsätzen hat es uns kein einziges Mal erwischt. Das war so ungewöhnlich, dass die anderen Panzerbesatzungen ihre flachen Hände auf unseren Panzer gelegt haben. Vorher sind die nicht los.
Artem fehlt mir.
Ich glaube, Tantchen, der Mensch kann nicht 24/7 in Angst sein. Wenn ich Glück habe, dann hört meine Angst urplötzlich auf, als sei der Akku leer.
Es gibt nicht nur die eine Angst, es gibt viele. Wenn ich eine Drohne sehe, dann ist die Angst eine andere, als meine Angst, Katrúsja könnte etwas passieren. Die Angst um einen Freund ist anders, als die vor dem eigenen Tod. Und die Angst, zu versagen, ist eine andere. Die Angst, die Beine zu verlieren, ist wieder anders. Die Angst, einem Kameraden nicht in der Not helfen zu können. Und die ewige Angst vor der Angst, die unermüdlich zu Zeiten aufblitzt, in denen man keinen Grund hat. Verzeih, ich bin grad so müde, Tantchen, bitte gib Katrúsja einen dicken Kuss von mir, gute Nacht, dein Andriy


Liebes Tantchen Galina,
das siehst du schon ganz richtig, dass Artems Tod mich sehr getroffen hat, uns alle. Er war einer der Besten. Wie geht es meiner Katrúsja, kotzt sie immer noch? Du wirst es nicht glauben, gestern lag da mitten im Schnee ein funkelnagelneues Halsband. Rot und mit Strasssteinen verziert und grad so groß, dass es ihr passen könnte. Ich hab mich gewundert, wer verliert denn an der Front so was?

Während es mit Artem passierte, saß ich den ganzen Vormittag in der Fahrzeughalle, einen neuen Richtschützen ausbilden: Turm drehen, Ziel erfassen, Entfernung messen, Munitionsarten unterscheiden. Mykhailo heißt der Neue, noch so jung und wirklich sehr bemüht, aber bis man wirklich fühlt, wie ein Panzer atmet und denkt, vergehen Monate.
Wäre Kommandant Bohdan nicht durch einen Schrapnelltreffer am Bein verletzt und operiert worden, hätte er weiterhin das Zugkommando gehabt. Unsere Aufklärer hatten gemeldet, dass der Feind in einem Waldstück neue Stellungen ausgebaut hatten. Tief gestaffelte Panzerabwehr und vermutlich ein paar von diesen modernen Lenkflugkörper-Teams, die so gern warten, bis man ihnen genau in die Optik fährt.
Für solch eine Aufgabe schickt man keinen Frischling an die Spitze. Und so kam der unvermeidliche Satz:
„Artem, wir brauchen dich auf Panzer Zwei. Nur heute. Danach kannst du wieder mit deiner Crew fahren.“
Während Mykhailo und ich weiterübten, er mit dem Simulationsgerät, ich mit dem Ohr am Funk, rollten unsere Panzer raus. Ich hörte die Stimmen der Kommandanten, die Bereitmeldungen, die letzten Scherze zur Auflockerung. Auch Artem, ruhig wie immer, gab seine Meldung.

Unsere Jungs näherten sich der Waldkante in Keilformation. Die Drohnen hatten zwei mögliche Abschusspositionen identifiziert. Offenbar saß aber noch ein drittes Team gut getarnt irgendwo weiter rechts. Und die verfügten über diese Dinger, die genug Durchschlag haben, um selbst die dickste Frontpanzerung wie Papier zu perforieren.
Artems Panzer war in der Mitte der Formation. Beim Einfahren ins Waldstück mussten sie kurz die Geschwindigkeit drosseln, um eine Senke korrekt anzufahren. Ein falscher Winkel, Tantchen, und selbst ein starker Panzer setzt auf. In diesem einen verdammten Moment griffen die Russen an.

Der Lenkflugkörper kam seitlich aus einer Senke geschossen. Der Treffer schlug in die Stelle ein, wo der Turm auf dem Panzer sitzt.
Ich hörte zuerst nur das Knacken im Funk. Dann dieses dumpfe „Ausfall! Ausfall!“, das durch Mark und Bein geht. Die anderen Panzer versuchten sofort, Sperrfeuer zu legen, aber gegen eine gute Stellung im Wald hilft das oft nur wenig.
Und dann… Stille. Nur Stille.
Ich stand daneben, während Mykhailo in diesen schnellen, flachen Zügen atmete, die man bei Neuen hört, wenn sie begreifen, was Krieg bedeutet.
Ich werde Artem nie ersetzen können, Tantchen, aber ich werde jeden Befehl so geben, wie er es getan hätte: klar, ruhig und nie mit mehr Härte als nötig.

Ach, Tantchen, ich wär gern in deiner heimeligen Wohnstube, mit meiner schnurrenden Katinka auf dem Schoß. Knuddel sie bitte von mir. Gruß, dein Andriy


An die raubrüchige Stimme der alten Frau hatte sie sich schnell gewöhnt. Auch an die seltsam anders riechende, neue Umgebung. Sie hatte herausgefunden, wie sie die Frau dazu bestimmen konnte, ihr den Futternapf zu füllen und Wasser hinzustellen. Etwas fehlte, dessen war sie sich sicher. Doch im Laufe der Jahre verloren die dünnen Erinnerungsfäden ihre Farben.

 

Hey @lakita

Wie beendet man so einen Briefwechsel? Ich war gespannt, du hast eine originelle Variante gewählt, diese indirekte Information ist eine top Lösung, dieser Perspektivwechsel (man verläßt gewissermaßen die menschliche Welt und Sichtweise der Dinge).
Danke. Ich bin froh, dass es bei einigen Lesern so funktioniert. Aber nicht bei allen, wie z.B. @Salatze . Ihr habe ich zu erklären versucht, weshalb ich diesen Perspektivwechsel vorgenommen habe. Dir muss ich es nicht erklären. Schön!

Hier muss ich fast noch mal einhaken. Aus der Autorenperspektive heraus, habe ich schon verstanden, wieso du diesen Perspektivenwechsel vorgenommen hast. Und ehrlich gesagt wüsste ich jetzt selbst, für das, was du erzählen/ausdrücken willst, auch keine eleganterer Lösung. Aber die braucht es ja auch gar nicht. Das ist ja nur ein Leser-Eindruck (bei dem ich Erklärung hin oder her) bleibe, weil ich den Wechsel als unrund empfinde. Darum hab ich ja geschrieben, dass mir da der Rahmen fehlt. Aber andere mögen den Wechsel und das ist gut so, zeigt dir, dass es funktioniert.

Ich bin da generell so. Ich hasse ja auch Epiloge, wenn sie aus einer anderen Perspektive geschrieben sind oder auf das Geschehene zurückblicken. Da hab ich halt immer das Gefühl, dass mir jetzt noch vom Autor irgendetwas mitgeteilt werden will/ich in eine bestimmte Richtung denken soll. Da bin ich einfach nicht das richtige Publikum für. Allerdings finde ich den Text – ob ich das Ende jetzt mag oder nicht, insgesamt sehr gut gelungen. Und nur zur Klarstellung, wobei ich glaube, dass eh auch schon geschrieben zu haben: Ich finde auch das Ende für sich genommen gelungen, also gut geschrieben. Mir fehlt nur der Rahmen, mir kommt es zu plötzlich, zu losgelöst vom restlichen Text, ein bisschen wie ein Fremdkörper. Aber das ist Geschmackssache.

LG Salatze

 

Hallo @erdbeerschorsch und @kiroly,

auch euch danke ich herzlich für euer so positives Feedback und die intensive Beschäftigung mit meinem Text.

Ich beginne mit dir @erdbeerschorsch

Dein Text ist für qualitativ hier ganz oben mit dabei. Das ist schon so.
Wow, was für ein Lob. Lieben Dank!
Was steckt in der Botschaft drin, das du nicht in einem beliebigen, örtlich/zeitlich unklareren Kriegssetting auch hättest ausdrücken können?
Dass es sich um einen Text gegen den Krieg handelt, brauche ich gewiss nicht weiter zu erklären. Wozu sollte ich ihn nicht so intensiv wie nur möglich gestalten und statt dessen verwässern, indem ich ein beliebiges, unklares Setting wähle?
-- dass das "Tantchen" auf Deutsch nicht muttersprachlich klingt. Das wird dadurch noch deutlicher, dass "Mamotschka/Matusja" und "Katinka/Katjusa" damit kontrastieren. Ich würde sagen, entweder liebe Tante (oder etwas ähnliches) oder halt auch Tetuschka/...*such, such*...Tanyunya. Das würde man schon verstehen, denke ich.
Da sprichst du für mich ein sehr grundsätzliches Problem an, das ich für mich auch noch nicht endgültig entschieden habe. Nämlich die Frage, was man mit all den Namen und Bezeichnungen macht, die sich automatisch aufdrängen, wenn der Ort der Handlung im Ausland liegt. Soll und darf man da sich der fremdklingenden Namen und Bezeichnungen bedienen, was ja durchaus geeignet ist, das Fremdländische zu unterstreichen oder sollte man stur bei der deutschen Spache verharren und immer nur dann, wenn es absolut unerlässlich ist und sonst völlig unverständlich würde, zum ausländischen Begriff bzw. Bezeichnung greifen? Ich bin, wie schon gesagt, da selbst noch nicht entschieden, was am meisten Sinn macht.
-- würde ich "kurzen" streichen, ein langer Blick blitzt ja nicht ... Für mich war übrigens nicht ganz klar, ob der Blick real aufblitzt oder in der Vorstellung - ich weiß gar nicht mal warum, aber irgendwie bin ich schnell bei der Assoziation mit in der Erinnerung aufblitzen. Muss dich nicht stören, denke ich.
Den Abschnitt habe ich tatsächlich schon verändert, insoweit haben sich, was sich ja kaum vermeiden lässt, deine Anmerkungen ein wenig mit denen von anderen Kritikern überschnitten gehabt. Aber ich finde, es geht und ginge hier, speziell bei einer Challenge, viel zu weit, wollte man verlangen, dass jeder sich erstmal durch die ganzen Vorkritiken arbeitet. Das geht zeitlich gar nicht. Wir alle haben schließlich auch noch ein Leben ausserhalb der Wortkrieger.
-- wäre für mich eine Überlegung wert, zu streichen. Denn, ja, sie weiß es, würde er sich da die Zeit nicht sparen, das noch mal zu sagen? (Muss nicht sein, deswegen nur eine Überlegung.)
Ich gebe zu, dass man der Ansicht sein könnte, dass es sich hier um eine kleine Ecke Infodumping handelt und es eigentlich nur für den Leser da steht. Um des besseren Verständnisses willen, möchte ich es drin lassen. Sehe aber auch hier das Problem.
Warum nicht einfacher: Und wir machen wüste Scherze drüber. Wenn uns die Russen treffen, bleibt grad mal so viel von uns übrig, dass wir lässig zu dritt in eine Urne passen. lol. Muss der Witz von einem anderen sein? Es ginge dann immer auch: Und wir machen wüste Scherze drüber. Meinte [Name] letztens so lakonisch: „Wenn uns die Russen treffen, bleibt grad mal so viel von uns übrig, dass wir lässig zu dritt in eine Urne passen.“
Stimmt schon, das Lachen macht für die Tante erst richtig deutlich, wie witzig das für den Protagonisten ist. Aber ist dafür dieser Satz wirklich originell genug? Reißen die solche Witze nicht am laufenden Band?
Ich verstehe, dass es dir etwas zu umständlich wirkt, du es direkter besser fändest. Normalerweise würde ich dir auch sofort zustimmen. Aber es geht mir hier um die Distanz. Wenn Andriy dasjenige wiedergibt, was ein Kamerad gesagt hat, liegt zwischen der im Kern ja menschenvernichtenden Aussage noch ein Quentchen Abstand. Es ist wie eine dünne Haut, die ihn noch etwas schützt. Ein lächerlich schwacher Schutz, aber an der Front dürfte selbst das kleinste Gramm noch Gewicht haben.
Und zuletzt: Mir klingt das überhaupt ein bisschen zu sehr danach, als wäre Russisch mit einem Bann belegt.
Bann im Sinne von verbannt.
-- Korruption ist sicherlich ein Problem. Aber es gibt eben auch die Rechtfertigungsstrategie, die man man immer wieder hört, sinngemäß: In der Ukraine grassiert Korruption, die haben es nicht besser verdient. Da frage ich mich dann immer, warum die Bundewehr noch nicht in Luxemburg einmarschiert ist. (Ich weiß nicht, ob in Luxemburg mehr Korruption herrscht als in Deutschland, spielt aber keine Rolle, in Russland herrscht ja nun ganz sicher auch mehr Korruption als in der Ukraine ...)
Gut, also: Klar darf man das ansprechen, wenn es doch auch Tatsache ist. Aber die Frage bleibt, welches Licht man dabei von außen auf die Situation wirft. Immer mit der Frage: wäre das Wesentliche (sinngemäß: es gibt in jeder ernsten Situation immer noch die, die zuert an ihren eigenen Vorteil denken) hier nicht besser sichtbar, wenn der Schauplatz namenlos bliebe?
Ich befürchte, dass ich hier für dich die falschen Signale gesetzt habe und du deswegen an einer Stelle mit deiner Interpretation falsch abgebogen bist.
Ich wollte schlicht die alltägliche Realität darstellen. Bei meinen Recherchen habe ich erfahren, dass man in der Ukraine ganz überwiegend die Erdbestattung bevorzugt. Dass die vorhandenen Grabstellen von Tag zu Tag immer weniger werden, ist leider eine logische Folge dieses Krieges.
Aber dass es darüberhinaus auch noch Leute gibt, die das perfide ausnutzen und nur gegen Sonderzahlungen oder gar an den Höchstbietenden die wenigen noch freien Grabstellen hergeben, ist etwas, was Andriy furchtbar wütend macht, denn er ist ja hilflos, weil er nicht vor Ort sich um die Beerdigung seiner Mutter kümmern kann.
Ich habe versucht, mich in seine Gedanken- und Gefühlswelt zu versetzen und das dann geschildert.
Wie würde es jemandem mental gehen, wenn er quasi gefesselt an der Front miterleben muss, wie sein Tantchen eine hohe Summe extra bezahlen muss, um überhaupt ein Erdgrab für ihre Schwester zu bekommen? Das ist hier der einzige Hintergrund.
-- ist ein guter Griff, fidne ich, die Katze da mit einzubeziehen, gerade auch, weil die Herkunft des Namens ein Thema war.
Danke, ich freue mich, dass du es so siehst. Ich befürchte immer ein wenig, dass mir meine Liebe zu den Katzen manchmal auch den Blick dafür verstellt, dass ich es vielleicht ab und an zu weit getrieben habe.
-- Das hat schon war für sich, wie er da nicht locker lässt. Und formal betrachtet gibt es dem Textgefüge Struktur.
Auch hier freue ich mich über dein Feedback, denn auch hier war meine Befürchtung, dass man das Wiederaufgreifen der Sache mit der Urne für unnötig halten könnte.
-- finde ich als Gedanke realistisch, aber im Kontext vielleicht weniger passend. Er hängt ja schon sehr an diesem Katzentier, da würde ich schon eher erwarten, dass er nicht infrage stellt, ob er im Gegenzug auch vermisst wird.
Es gibt natürlich immer, so unterschiedlich wie wir Menschen sind, auch entsprechend so viele unterschiedliche Gedanken, die man zu seinem Haustier hat.
Aber der Gedanke, speziell seinen Katzen und Hunden so etwas wie den menschlichen Zug des Vermissens anzuheften, liegt sehr nahe.
Ich hatte einen Kater, dem ich ansehen konnte, wie unglücklich es ihn machte, wenn ich das Haus ohne ihn verließ. Da drängt sich der Gedanke, des Vermissens geradezu auf.
Oder denke an all die Hunde, die in dem Moment, wo das Herrchen mal für drei Minuten nur zum Briefkasten geht, bereits ängstlich befürchten, sie werden jetzt für den Rest ihres Daseins verlassen und bellen und jaulen, was das Zeug hält.
-- im Detail betrachtet finde ich "wüst und rau" für die gepflegte Sprache nicht so richtig passend. Die Rauheit liegt bei diesem Witz ja nicht in erster Linie in der Sprache. Und seine Sprache, die wir hier zu sehen bekommen, ist ja gerade nicht wüst und rau. (Was mich übrigens gar nicht stört, im Gegenteil, für mich viel besser als das Klischee von raubeinigen Krieger.)
Ja, ich werde auf jeden Fall hier noch an den Formulierungen etwas schrauben. Danke für den Hinweis, das ist noch nicht ideal.
Ganz glaubwürdig finde ich das hier:
Ich glaube, Tantchen, der Mensch kann nicht 24/7 in Angst sein. Wenn ich Glück habe, dann hört meine Angst urplötzlich auf, als sei der Akku leer.
-- und die daran anschließenden Ausführungen:
Danke.
-- Den "Kommandant" würde ich eher streichen. Er sagt dann ja schon, dass er das "Zugkommando" führt. Oder so: Wenn es der Vorname sein soll, dann nur der (Tantchen kennt ihn aus den Berichten), wenn "Kommandant" dann unser Kommandant, ohne Namen (Tantchen kennt ihn nicht aus den Berichten).
Könnte sein, dass du es vielleicht missverstehst? Nach meinen Recherchen fahren, wenn sie denn die Idealvoraussetzungen vor Ort haben, drei Panzer gleichzeitig raus, in jedem befindet sich ein Kommandant, einer von den Dreien hat dann das Zugkommando. Über diesen drei Panzern ist rangmäßig als Befehlshaber der Kommandeur. Ich spreche also in meiner Geschichte hier davon, dass einer der Panzerkommandanten ausfällt.
Etwas zu technisch für die Kommunikation mit Tantchen ist mir das hier:
Ja und nein. Ja, es ist etwas zu technisch und nein, es geht nicht anders, weil Andriy sich hier hinter dieser Schilderung versteckt. Es geht ja gar nicht um das, was da vor Ort im Detail passiert ist. Es geht um die Tatsache, dass Artem, den er bewundert und der sein Freund war, umgekommen ist.
Der Leser soll hier an dieser Stelle genau dieses Gefühl bekommen, das du benennst, nämlich, dass er sich fragt, warum hier so technisch, so sachlich geschildert wird.
Um die Haltung zu bewahren, flüchtet Andriy in diese völlig distanzierte Darstellung, anstatt letztendlich in Tränen auszubrechen und einfach nur still irgendwo zu versuchen, mit dem Schmerz des Verlustes klarzukommen.
Ich weiß nicht, ob du schon mal erleben musstest, wie jemand, der dir sehr nahe steht, gestorben ist. Ist dir dann aufgefallen, dass die Hinterbliebenen in einer seltsam abgeklärten Weise über die Umstände des Todes berichten? Fast wie in einer Reportage, fast ohne Emotionen? Das ist dieser Schutzmechanismus, der davor bewahren soll, einfach nur haltlos in tiefer Trauer zusammenzubrechen, man geht mit seinen Worten in die Distanz. Und so ist es auch hier.
Schließlich das Ende:
An die raubrüchige Stimme der alten Frau hatte sie sich schnell gewöhnt. Auch an die seltsam anders riechende, neue Umgebung. Sie hatte herausgefunden, wie sie die Frau dazu bestimmen konnte, ihr den Futternapf zu füllen und Wasser hinzustellen. Etwas fehlte, dessen war sie sich sicher. Doch im Laufe der Jahre verloren die dünnen Erinnerungsfäden ihre Farben.
-- ist aus meiner Sicht sehr gelungen. Da bist du der Melodramaatik gekonnt ausgewichen, finde ich :)
Das beruhigt mich sehr, dass auch du dieses Ende in Ordnung findest. Für mich die heikelste Stelle im Text, eben weil ich ja aus dem Mailverkehr aussteige.

Hallo @kiroly,

ch finde deinen Text sehr, sehr gut geschrieben, er vermittelt einen emotionalen Eindruck über das Kriegsgeschehen in der Ukraine. Insbesondere der Rhythmusbruch am Ende deines Textes vermittelt die Gewalt, mit der Leben endet und beendet wird.
Lieben Dank für dein Lob und auch dir antworte ich, so wie oben bereits gegenüber erdbeerschorsch getan, dass mich sehr freut, dass du auch mit dem Ende d'accord gehen kannst. Beruhigend, weil ich gerade diese Stelle mit einer gewissen Sorge betrachte.
Du erzählst keine Geschichte. Sie lebt ja von dem, was real ist
Ich glaube, das ist etwas zu kurz gedacht, denn durch die Korrespondenz mit der Tante entsteht ja eine Geschichte, nämlich die von Andriy, der an der Front festhängt, nicht zur Beerdigung seiner Mutter fahren kann, seinen Kommandanten, den er über alles schätzt, verliert und der sich in seinen Gedanken und Gefühlen in all seinen emotionalen Momenten an seine Katze Katinka klammert. Ich finde, das ist viel erzählte Geschichte.
Dass dir die Art, wie ich es verpackt habe, misshagt, spreche ich dir natürlich nicht ab.


Euch beiden @erdbeerschorsch und @kiroly nochmals lieben Dank für die viele Zeit, die ihr mir geschenkt habt und all die Gedankenanregungen, die ihr unter meiner Geschichte dagelassen habt.


Liebe Grüße

lakita

 

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