Für's Vaterland
Ein Schuss
Ein Schuss
Die Versetzung an die Front hatte mich mehr als tief getroffen. Dieser Ort kam mir gespenstisch, ja unwirklich vor. Herausgerissen aus meinem Leben. Der Schützengraben in dem ich seit Tagen saß wurde enger. Schloss sich um mich. Drohte mich zu ersticken. Dem Wahnsinn war ich gewiss noch nie zuvor so nahe gewesen. Für Deutschland hatten sie gesagt. Wir sehen uns in Paris. Ein Spiel. Artilleriefeuer. Ich nahm es nicht mehr wahr. Auf grässliche Art und Weise hatte ich mich daran gewöhnt, war abgestumpft. Wie aus weiter Ferne drang der Befehl zum Angriff an mein Ohr. Mechanisch, fast so als hätte nicht mehr ich, sondern jemand fremdes die Kontrolle, kletterte ich aus dem Erdloch, welches ich so sehr zu hassen gelernt hatte. Das Kampfesgebrüll meiner Kameraden brachte mich schier um den Verstand. Wie von Sinnen liefen wir über das Schlachtfeld. Der Geruch von Tod, Blut und Schießpulver brannte in meiner Nase. Nur noch wenige Meter bis zum feindlichen Graben. Links und Rechts von mir sah ich Soldaten fallen. Niedergestreckt vom Blei der Maschinengewehre. Panisch umklammerte ich mein Gewehr. Die Knie wollten mir ihren Dienst versagen, doch waren es nur noch ein paar Meter, die es zu überbrücken galt. Die Angst trieb mich weiter, immer weiter. Da sah ich es. Das Gesicht das ich bis zu meinem Tod nie vergessen sollte. Ich visierte es an. Es war das Gesicht eines einfachen französischen Soldaten. Wie von selbst legte sich mein Zeigefinger auf den Abzug. Nur ein bisschen mehr Druck. Nur ein bisschen mehr Druck und ich würde diesen Mann töten. Würde einen Mann töten den ich nicht kannte. Würde einen Mann töten dessen einziges Verbrechen es war der Feind zu sein. Der Feind. Wer war dieser Feind, den wir so hassen sollten? Ein Feind, dazu erklärt von einer Regierung , die ich nicht erwählt hatte. Dazu erklärt weil diese im Konflikt ist mit dem Führer der Franzosen , mit dem dieser Soldat zweifellos nie ein Wort gewechselt hatte. Und doch... standen wir uns nun gegenüber. Mein Herz verkrampfte sich. Die Unmenschlichkeit, die Sinnlosigkeit der Situation übermannte mich, riss mich zu Boden. Als könnte ich mich der Realität erwehren, ja ihr vielleicht sogar entfliehen, krallte ich mich in den nassen Matsch. Das war nicht das Leben, das ich weiter leben wollte, leben konnte. War unfähig meinen Blick abzuwenden von diesem Menschen. Ein Schuss fiel. Wer sollte mir befehlen das Blutvergießen zu beenden? Mit gewaltiger Kraft schob sich die Kugel aus dem Lauf. Nicht dieses mal. Meine war Seele erfüllt von Verzweiflung. Überrascht von dem unbeschreiblichen Schmerz wollte ich aufschreien, doch brachte ich keinen Ton heraus. Sie drang in mich ein. Ein tiefe und so intensive Trauer befiel mich, dass von ihr zu berichten unmöglich wäre. Dunkelheit. Die Kugel zerfetzte mein Herz, ließ mich zu einer Zahl in den Geschichtsbüchern werden. Tränen erfüllten meine Augen, die Furcht vor dem ungewissen durchströmte meinen Körper und ließ ihn erstarren. Meine Angst wurde an Vollendung nur übertroffen von der Stille der Ewigkeit, die folgte.
Und wenn ich nun doch, wenn ich nun zuerst geschossen hätte?