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Fallen Angel
FALLEN ANGEL
Die tiefschwarzen, schweren Wolken zogen sich langsam zusammen und es begann zu regnen.
Dicke Tropfen schlugen am Boden auf und immer heftiger ergoss es sich.
Mary lief so schnell sie konnte von der Schule nach Hause.
Durchnässt und leicht zitternd kam sie an, öffnete die Tür mit eigenem Schlüssel und trat hinein.
Sie wollte grade ihre Schuhe ausziehen, da trat ihr Stiefvater vor sie.
Er musterte sie misstrauisch, rülpste einmal und taumelte wieder in die Küche zurück.
Mary wusste wie immer, wenn Brad sturzbesoffen war, nichts anderes tun, als den Kopf zu schütteln.
Ohne ihren Stiefvater weiter zu beachten ging sie die Treppe hinauf in ihr eigenes Zimmer.
Dort ließ sie sich aufs Bett fallen und starrte 5 Minuten lang die Decke an.
Einfach so schloss sie die Augen und begann nachzudenken.
Wahrscheinlich hatte Brad ihre Mutter wiedereinmal wegen sinnlosen Streitigkeiten verprügelt, worauf sie bestimmt aus dem Haus gelaufen, in ihr Auto gestiegen und zu ihrer Mutter gefahren war.
Nachdem Brad gemerkt hatte, dass er falsch gehandelt hatte, holte er sich den Wodka aus dem Schrank und besoff sich.
Tja, so ging es ziemlich oft, das war halt Marys Alltag.
Nach 10 Minuten, in denen sie über ihre Zukunft und ihr neues Leben in baldiger Zeit nachdachte, stand sie auf und ging zum Fenster.
Sie öffnete es, nahm sich einen Aschenbecher, stellte ihn auf das Fensterbrett und zog eine Zigarette aus der Lucky-Strike Schachtel heraus.
Sie zündete sie mit ihrem Feuerzeug an, inhalierte einen tiefen Zug und blies den grau-blauen Rauch hinaus in die Luft.
Dann ließ Mary den Blick über die weiten Felder und Wiesen schweifen, die in ihrer Umgebung, Irland, so üblich waren.
Langsam kam die Sonne wieder zum Vorschein, wenn auch ein leichter Nebelschleier noch über ihr hing.
„Ach, ja.. was für ein toller Tag, nicht? Bis auf, dass meine Mutter schon wieder mal abgehauen ist und mein Stiefvater sich sinnlos betrunken hat, schön, schön!“, sie seufzte, nahm einen Zug und seufzte wieder.
Als sie nach ein paar Minuten aufgeraucht hatte, zerdrückte sie die Kippe in den Aschenbecher und schloss das Fenster wieder.
„Hm, soll ich mal nach Brad sehn? Vielleicht liegt er wieder bewusstlos in irgendeiner Ecke des Hauses und hat sich vollgekotzt… na, lecker.“
Sie stieg die alte, rustikale Wendeltreppe hinab und suchte nach ein paar leeren Bierflaschen als Hinweis seines Aufenthaltsortes, doch das Haus sah gerade jetzt gepflegt und sauber aus.
„Hej? Brad? Wo bist du?“, rief Mary.
„Brad??“
Noch immer nichts.
„BRAD???
Vielleicht war er ja im Keller.
Das konnte sein, also machte sie sich auf und stieg die schmale graue Treppe hinunter.
Ihr Haus hier in Dungloe war schon ziemlich alt, aber trotzdem war es sehr schön anzusehen und seine Lage sehr günstig.
Sie hatten es nur wenige Minuten zum Sandstrand der Carrickfinn-Halbinsel und dort war es wirklich traumhaft.
Mary suchte diesen und noch viele andere Orte immer auf, wenn sie allein sein wollte und einfach nur Zeit zum Nachdenken benötigte.
Im Keller fand sie auch nichts, weder Brad, noch irgendwelche alkoholische Getränke.
Langsam hörte sie mit der Suche auf und gab sich damit zufrieden, dass er wohl in die nächste Kneipe gelaufen sei, weil der Alkohol im Hause ausgegangen war.
Und überhaupt, warum sollte sie sich Sorgen um diesen gottverdammten Trottel machen, der ihre Mutter innerlich zerstörte?
Es war so ähnlich wie in einigen Lieder, die Mary kannte.
Ihre Mutter war anscheinend auf der Suche nach einem Ersatz-Papi für sie und jemandem, der die Familie weiterhin mit Geld versorgen konnte.
Doch warum hatte sie sich bloß diesen arbeitslosen Alkoholiker ausgesucht?
Ja, ihre Mutter glaubte anscheinend noch immer an die wahre Liebe von ihr und Brad, aber Mary war sich bereits sicher, dass Brad der größte Fehler ihres ganzen Lebens war.
Bis vor 3 Jahren, da war Mary noch 13, hatten sie ein anständiges, soziales Leben geführt, und alles, wirklich alles, war gut und schön verlaufen, bis zu dem Tag als ihr Vater und sie zusammen mit dem kleinen Boot rausfuhren, dass sie von ihren Großeltern geerbt hatten.
Marys Vater liebte die See, er kannte sich dort sehr gut aus, und war oftmals im Meer am glücklichsten. Sie waren immer zu zweit oder dritt ausgefahren, aber an diesem Tag musste Amelie, Marys Mutter, zur Arbeit in einem kleinem Cafe fahren.
Die See war ruhig und eine sanfte Brise von Salz hing in der Luft, doch keiner von den beiden hätte ahnen können, dass nur nach einer halben Stunde, ein heftiger Sturm die See aufbrausen würde und einer von ihnen im Sturm sein Leben lassen müsste.
„Bähhh, wie eklig!“, Mary hatte so eben einen Kasten voll mit Pornos entdeckt.
„Okay, ich glaube das war’s!“, nun hatte sie die Nase voll vom Suchen und ging hoch ins Bad.
Der Spiegel dort war ziemlich angestaubt und Mary musste mit einem Lappen drüber fahren, um ihr Gesicht genau erkennen zu können.
Sie hatte langes, tiefschwarz gelocktes Haar, das sie meist offen über ihre Schulter fallen ließ.
Ihre türkisblauen Augen schienen stets einen Schimmer von Melancholie in sich zu haben und insgesamt wirkte Mary eher wie eine traurige, verschlossene Person.
Sie nahm einen Kamm zur Hand und fuhr sich damit öfters durchs Haar, dabei seufzte sie immer wieder.
Was waren das noch für Zeiten, als ihre Mutter ihre Haare immer gekämmt hatte.
Sie saß dann ganz still auf ihrem Schoss und wartete darauf, dass ihr ein Zopf geflochten wurde.
Ihr Vater hatte dann meist begeistert zugeschaut und öfters erwähnt was für ein hübsches Mädchen seine Tochter doch war.
Aber diese Zeiten waren schon längst vorüber, einfach vergangen.
Ihr heller und sorgloser Schein war nicht geblieben, er hatte dem Trüben und Düsteren Platz gemacht, aber Mary war stark, ja sie wollte es nicht nur sein, sie war es auch.
Ganz alleine ging sie durch die Welt, doch ihre Kraft war schier unendlich.
Sie fühlte sich, als ob sie ein verstoßener, gefallener Engel wäre, der von niemandem akzeptiert wurde und sich durchschlagen musste.
Doch egal was noch kommen würde, Mary würde nie aufgeben, egal was noch kommen würde.