Falling
Falling
Was mache ich hier eigentlich? Der Wind weht um meine Knöchel, fährt meine Waden hinauf, bauscht mein Kleid auf, jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken. Schaudernd blicke ich in den Mond. Wieder tauchte diese Frage in meinem Kopf auf: Was tue ich hier? Wieso stehe ich hier? Doch da kommen sie wieder, diese Erinnerungen.
„Hässlich!“ schreien sie. „Fett!“ schreien sie. Von allen Seiten kommen sie auf mich zu. Eine unüberwindbare Mauer aus Abscheu. Ihre Gesichter sind vor Verachtung gezeichnet. Den Finger auf mich gerichtet. Höhnisch lachend. Ihre Gesichter werden zu Fratzen, begleiten mich in meine Träume. Jeden Tag eine andere Ausrede. „Mein Bauch tut mir weh.“ „Kopfschmerzen.“ Wie lange wird sie das noch mitmachen? Wie lange wird man mir das glauben? Ich denke, man glaubt mir gar nicht. Man hat die Hoffnung, dass aus mir etwas Gescheites wird, schon lange aufgegeben. Sogar meine Mutter glaubt nicht mehr an mich. Sie zeigt es nicht offen, wie meine Mitschüler, aber ich sehe es in ihren Augen. Ich sehe, dass ihre Erwartungen in mich sich nach und nach in Nichts auflösen. Feuer wird zu Rauch, der langsam in der Luft verblasst. Die Schule, eine Qual, das Leben die Hölle. Die Träume werden schlimmer. Oh, der süße Schmerz. Wie einfach es ist, sich eine Scherbe in den Arm zu stoßen. So zart, so zerbrechlich. Das menschliche Fleisch, zart, weich. „FETT! HÄSSLICH!“ Sie werden immer lauter. Das Blut tropft, den Abgrund hinab. War ich so fett gewesen? Oder hässlich? Nun, jetzt bin ich es nicht mehr. Ich bin sogar relativ hübsch. Soweit ich das beurteilen kann. Doch was heißt das schon? Ich habe früh gelernt, dass ich nicht gut genug bin, um mein eigenes Urteil zu haben. Die Erinnerungen schneiden mir ins Herz. Sie verletzen meinen Geist, zerreißen mein Seele, verstümmeln meinen Willen. Mein Herz. Oder besser, die Überreste meines Herzens. Ein tiefer Schnitt lässt meinen Körper zusammenzucken, doch er berührt mich nicht. Die Schmerzen, die ich erleiden musste, waren schlimmer, als alles, was jetzt kommen kann. Die Scherbe gleitet mir aus den Händen. Die gehörte zu einem Spiegel. Ich hatte mit 7 Jahren angefangen, Spiegel zu zerbrechen. Meine Mutter schrie mich an, sagte, nun würde ich sieben Jahre Pech haben. Und ich hatte Pech. Meine Mutter hat bestimmt auch einen Spiegel zerbrochen, als sie mit mir schwanger war. Ansonsten hätte sie nicht das Pech gehabt, so etwas wie mich zu bekommen. Ich höre keinen splitternden Knall, als die Scherbe, am Boden zerbrach. Ich sehe, wie sich der Mond in dem Splitter spiegelt und zu mir aufblickt, als wollte er sagen: „Komm. Es ist nur ein kleiner Schritt! Hier wartet alles was du willst“ Alles was ich will. Das Seufzen schleicht sich aus meiner Kehle. Alles was mein Herz je begehrte. Alles was ich je wollte. Alles was je mein war. Alles, das ich liebte. Er gab mir das Gefühl, schön zu sein, Er ließ mich leben. Lieben. Ich habe ihn geliebt, wie keinen anderen. Und er mich. „Ich liebe dich!“ schreie ich. Schreien hat schon immer gut getan. Das habe ich in den 19 Jahren meines Lebens gelernt. Wieso sehe ich mein Leben vor mir? Wer zwingt mich, das alles noch mal zu durchleben? Mit 13 Jahren hatte ich sehr abgenommen. Ich wurde sogar anerkannt. Ich hatte Freunde. Lernte ihn kennen. Heiße Tränen laufen mir über die Wangen. Die Augen halte ich geschlossen. Ich möchte nicht sehen, wie die Welt über mir zusammenbricht. Es war Liebe auf den ersten Blick, wie man so schön sagt. Alles war perfekt. Er war mein Freund. Wir haben so perfekt zusammengepasst. Wir waren zusammen, bis zu meinem 18 Geburtstag. Dieser verhängnisvolle Tag, als er starb. Kurz und schmerzlos, wie man so schön sagt. Er war verschwunden. Die Polizei ging von seinem Tod aus. Keiner weiß das so genau. Nur ich weiß eines: Ich liebe ihn immer noch so sehr, wie an dem Tag, an dem wir uns das erste Mal gesehen haben. Sogar mehr noch. Ich will ihn wieder.
Ein kleiner Schritt. Nun mache ich doch die Augen auf. Noch ein Schritt. Und ich falle. Leblos, wie eine Stoffpuppe, die man vom Schrank wirft. Das Kleid weht um mich herum, die braunen Locken wirbeln wild um mich herum. Ich blicke unter größter Anstrengung nach oben, zum Mond. Ich komme, denke ich. Kurz vor der Wasseroberfläche kneife ich die Augen fest zusammen. Ich werde sie erst wieder aufmachen, wenn ich seine Stimmer höre. Doch e bleibt still. Mir bleibt nichts anderes übrig: Was ist passiert? Ich öffne die Augen. Und bin allein. Und ich begreife: Man muss sein Leben selbst in den Griff kriegen. Und ich mache mich allein auf den Weg zum Licht am Ende des Tunnels.
Das ist meine erste Geschichte, ich würde mich über jede Kritik freuen...Bitte!!