family life
Heute habe ich in dem Verein, in dem ich Mitglied bin, Thekendienst. Zu meinen Aufgaben gehört es, die hereinkommenden Gäste zu begrüßen, nach ihren Getränkewünschen zu fragen, diese nach Möglichkeit zu erfüllen, die Getränke zu reichen und zu kassieren.
Ich stelle Flaschen und Gläser zurecht, als eine geschäftig wirkende Dame mittleren Alters den Raum betritt, die Haare blond, auch ihr Gesicht wirkt leicht gesträhnt. Ohne mich zu beachten, macht sie sich am Geschirrschrank zu schaffen, räumt laut klappernd Bestecke hin und her, verlangt nach einem Messer und schimpft vor sich hin: „Bestimmt hat er den Hund nicht gefüttert. Ich habe nichts gesagt, und er hat bestimmt nicht von alleine daran gedacht.“
Wenige Augenblicke später kommt ein Herr in Begleitung eines wohlgepflegten kleinen weißen Hundes herein und legt ein Brot auf die Theke. Die Frau hat ein Messer gefunden und beginnt, das Brot zu schneiden. „Hast du den Hund gefüttert, Schatzi?“ fragt sie beiläufig. „Nein.“ - „Das ist jetzt ein Scherz, oder?“ - „Woran soll ich denn noch alles denken?“ - „Du hast ihn wirklich nicht gefüttert?“ - Die Stimme schraubt sich nach oben - „Ich dachte, sogar Du als Mann...“
Wohlmeinende Vereinsmitglieder schalten sich begütigend ein: Es sei ein Einkaufsmarkt um die Ecke, dort könne man doch einfach eine Dose Hundefutter... „Mein Hund bekommt nur allerbestes Futter“ stellt die Dame energisch klar, während sie den Hund mit Brotstücken füttert. „Soso, Dein Hund.“ Der Mann mischt sich unter die anderen Gäste.
Ein junges Paar kommt dazu, sieht den Hund, die junge Frau findet ihn erwartungsgemäß „süüüüß“ und bückt sich, um ihn zu streicheln. „Beißt er?“ fragt ihr Begleiter mehr spöttisch als besorgt. Die Antwort der Hundebesitzerin kommt sofort: „Ja. Er hat unserem Sohn schon mal die Nase abgebissen, als der dreizehn oder vierzehn war. Zum Glück war zufällig ein Schönheitschirurg in der Klinik, der hat die Nase soweit wieder hingekriegt. Man sieht es kaum noch.“ Das junge Paar schaut sich an, überlegt offenbar, ob es sich um einen etwas missglückten Scherz handeln könne, versucht ein Lachen. „Nein, es ist wahr“, sagt die Hundebesitzerin, „nachher kommt mein Sohn, dann können Sie sich die Narben ansehen.“
Ihr Mann kommt zurück. „Du darfst die Fotos machen, Schatzi“, begrüßt sie ihn. „Aber das ist Deine Kamera...“ - „Ja, und ich habe gesagt, Du machst heute Abend die Fotos.“ Der Mann legt die Kamera auf einen Stuhl, will dem Hund zu trinken geben. „Die Hundeschale ist weiter oben, Schatzi. Nein, also wirklich, Männer, schau doch mal nach o-ben.“
Ein Halbwüchsiger, der seinen Anzug mit sichtlichem Unbehagen trägt, kommt zur Tür herein. Sofort greift der Mann nach der Kamera: „Du darfst heute die Fotos machen.“ - „Ich wollte noch mal...“ - „Nein, Du bleibst hier und machst die Fotos.“ - „Dann muss ich telefonieren. Gibst Du mir Dein Handy, Mama?“ - „Hast Du denn kein eigenes? Also die Jungs, wirklich. Ein Mädchen....“ Sie schaut sich Bestätigung erwartend nach mir um.
Später, beim gemeinsamen Essen, sitzt das junge Paar neben mir, still und etwas eingeschüchtert. Gott steh mir bei, augenblicklich tue ich das, was weder meinem Alter noch meiner Stellung entspricht: ich beginne zu lästern. Sekunden später hocken wir zusammen, als ob wir uns schon ewig kennten, lachen und überbieten uns im Zitieren. „Ich hab mir die Narben angesehen“, sagt die junge Frau, als wir wieder Luft bekommen, „sie sind wirklich kaum zu sehen.“
Als ich zur Theke zurückgehe, kommt der Sohn der Hundebesitzerin zu mir, sieht mich nicht an und verlangt in hochmütigem Ton „eine eiskalte Cola, aber wirklich eiskalt, zeigen Sie mal, ist die auch wirklich...“ Also von mir aus hätte der Hund....nein, das sagt man nicht.