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„Das Gerede von der sexuellen Revolution erwies sich als sehr wertvoll für die Männer, wenn es auch keine Verbesserung für die Frauen brachte....Dadurch wurde ein neues Reservoir verfügbarer Frauen geschaffen und der magere Nachschub für die sexuelle Ausbeutung vergrößert, weil die Frauen sogar des geringen Schutzes, den sie sich so mühsam erworben hatten, beraubt wurden. "
Shulamit Firestone - “Frauenbefreiung und sexuelle Revolution”Zu Nachfolgendem hat mich „Yalla Feminismus" von Reyhan Sahin (Lady Bitch Ray) inspiriert.
Yalla heißt auf türkisch übrigens „Steh auf".
Femina Berlin
Ein Bild von unser Haustür geht durch alle Gazetten. Ernste Männer tragen einen schwarz eingewickelten Gegenstand. Eine Prostituierte wurde getötet. Ich kenne sie vom Sehen. Einmal kam sie im Hausflur auf mich zu, und mir fiel ihr verlebtes, geschminktes Gesicht auf. Im Hof sprach sie oft in ihr Handy mit einer so rauhen Stimme, wie man sie wohl bekommt, wenn man jahrelang diesen Job macht. “Wer nie sein Brot mit Tränen aß”, denke ich, und dann noch, warum eigentlich ich so privilegiert bin, und dort nicht arbeiten muss.
Oft, wenn ich nachts an dem Puff vorbeiging, und Licht sah, versuchte ich mir auszumalen, was drinnen vor sich ging, und mich befiel ein Angstgefühl. Deshalb wunderte ich mich auch nicht wirklich, als es eines Tages klingelte, und eine Kriminalkommissarin vor mir stand. “Wir befragen die Leute im Haus zu den Vorfällen. Haben sie etwas gehört?” Ich erwiderte: “Um welche Vorfälle handelt es ich? Sie darauf: “Darüber darf ich nichts sagen.” Ich verneinte ihre Frage, ob ich etwas gehört habe. Später wurde mir klar, dass ich doch etwas gehört hatte. Vor ein paar Tagen waren mir nachts schwache Schreie aufgefallen. Ich gab nichts darauf, denn das kommt hier im Haus ständig vor, und wir Nachbarn kennen uns untereinander nicht, und mit den Frauen vom Puff besteht gar kein Kontakt. Der Mörder ist übrigens gefasst worden. Es soll um 20 € Beute gegangen sein.
Wir schreiben das Jahr 1921. Ein Mann geht ein Stück vor mir. Als er die Schillingbrücke erreicht hat, bleibt er stehen und wirft den schweren Gegenstand, den er auf der Schulter getragen hat, über das Brückengeländer in die nächtliche Spree. Am nächsten Tag melden die Zeitungen einen Leichenfund im Luisenstädtischen Kanal. Wieder mal hatte eine Frau, die allein aus der Provinz auf dem Schlesischen Bahnhof angekommen ist und hier in Berlin neu anfangen wollte, dem falschen Mann vertraut und ist ausgerechnet dem Serienmörder Carl Grossmann in die Arme gelaufen.
Das hätte meiner Großmutter auch passieren können, die aber erst ein paar Jahre später, mit Liebeskummer aber hoffnungsfroh aus Rostock kommend, auf dem Nordbahnhof (Stettiner Bahnhof) in der Invalidenstraße eingetroffen ist, um hier in Berlin bei einer Anwaltsfamilie aus Biesdorf als Dienstmädchen zu arbeiten, und wahrscheinlich auch zu versuchen einen Mann zu finden, was aber nicht gelungen ist. Scheinbar wollte kein Anwalt und auch kein Bauarbeiter, mit dem sie in Klärchens Ballhaus und im Saalbau Friedrichshain das Tanzbein geschwungen hat, das tatkräftige norddeutsche Mädchen heiraten und mit ihr in einem der Berliner Vorder- oder Hinterhäuser und schon gar nicht in einer Vorortvilla wie in Biesdorf einen Hausstand gründen.
Den frechen Berlinern ist das Bauernmädchen von der Ostsee wohl nicht gewachsen gewesen. Der schlagfertige Hans mit der glänzenden Tolle hatte sie am nächsten Tag gar nicht mehr angekuckt, auch nachdem er, als pragmatischer Berliner, mitgekriegt hatte, dass sie nur ein armes Dienstmädchen ohne große Ersparnisse war, sondern zog jetzt mit der kleinen Mizzy aus Stralau durch die Gegend. Bevor sie sitzenblieb, kehrte sie notgedrungen in ihre mecklenburgische Heimat zurück und heiratete noch auf den letzten Drücker, durch Vermittlung, einen mürrischen Fischkopp, meinen Großvater.
Naja, wenigstens ist meine Großmutter nicht in der Spree gelandet und hat eine Familie gegründet. Statt ihrer ist ihre Enkelin 50 Jahre nach ihr in Spreeathen eingetroffen.
Marie oder Auguste oder wie die vielen ermordeten Frauen damals geheißen haben, haben natürlich keine andere Frau um Hilfe und Obdach gebeten. Das haben sie nicht gemacht, weil sie gewusst haben, dass sie von anderen Frauen nicht viel zu erwarten haben.
Die Frauenbewegung, die ja Solidarität von Frauen untereinander bedeutet, ist wie ein Silberstreif am Horizont des von Krankheit Geplagten.
Mit der frischen Brise, die nach der Wende von Westberlin nach Ostberlin rüber wehte, flatterten auch unbekannte Bücher zu uns. Gleich Anfang 1990, noch Monate vor der Währungsunion, hatte hier in der Sonntagsstraße am Ostkreuz ein freundlicher junger Mann aus Westdeutschland einen Büchersecondhandladen aufgemacht. Noch für Ostgeld erwarb ich einige schmale rote Bändchen, die er mir ans Herz gelegt hatte und kam erstmals in Berührung mit feministischem Gedankengut. Ich fand es erfreulich zu hören, dass es Frauen gab, deren ganzes Sinnen und Trachten sich nicht nur um Mann und Familie dreht.
Unter den Bluesfreaks und Hippies in Ostberlin, zu denen ich mich zählte, war der Mann der König. Erst später ist mir klargeworden, dass viele davon bloß frustrierte Kleinbürger mit Machoattitüde waren. Die Frauen dagegen standen auf wackeligen Grund. Von der übrigen Umgebung wurden sie oft scheel angesehen, und in ihrer Clique bekamen sie auch wenig Rückhalt, waren oft nur Sexobjekt. Die Mädchen, die sich eingebildet haben, hier ohne Restriktionen, sie selber sein zu können, und das die Zwänge der restlichen Gesellschaft hier nicht gelten, wurden bald unsanft aus ihren Freiheitsträumen aufgeweckt. Alles was bei Frauen über ein gemäßigtes Ausflipping im frühesten Jugendalter hinausging, machte den Männern Angst. Ausgerechnet diejenigen, die sich selbst widerständig gaben, suchten in ihren eigenen Reihen Widerständigkeit zu unterdrücken, was ein Widerspruch an sich ist. Den Frauen war eine Doppelrolle zugedacht. Die Woche über sollte man die brave Sekretärin sein und am Wochenende die flippige Hippiebraut geben, was natürlich nicht geht. Diejenigen, die sich nicht an die Verhaltensregeln hielten oder halten konnten, wurden innerhalb der Cliquen gerne als Nutten, Schlampen oder Alkoholikerinnen tituliert.
Mein Kumpel aus der Neuen Bahnhofsstraße hatte zu Wendezeiten eine Freundin aus Brandenburg kennengelernt. Sie brachte ihre ganze Frauenclique mit, von denen merkwürdigerweise alle lesbisch oder bisexuell waren. So lernte ich auch die freimütige, hochintelligente Dana kennen. Ich hatte noch nie etwas mit Lesben zu tun gehabt, sondern wusste bloß, dass es sowas gibt. In Dana stritten sich eine kleinkarierte, geizige Frau und ein großzügiger, neugieriger, lebenshungriger Mann. Das verursachte ihr innere Turbulenzen. Ihre Beziehungen waren genauso strukturiert, wie ich es von vielen Paaren im Kumpelkreis kannte: er (Dana) aufgeschlossen, musikverrückt und voller Ideen; ihre Freundin Grit, die ihn (sie) bewunderte und ihm (ihr) folgte. Grit, die sich selber nichts traute, liebte in ihrer Gefährtin den Rebellen, der stellvertretend für sie aufbegehrte. So ist es in vielen Heterobeziehungen auch. Verblüfft nahm ich war, dass Dana die Heteromänner nachahmte.
Ich habe mir eigentlich unter der Frauenbewegung in Westberlin mehr vorgestellt ala „Ich bin nicht deine Fickmaschine..."( Nina Hagen mit Lokomotive Kreuzberg). Es ist ein akademischer Feminismus, der sich selbst genügt, für Oberlehrerinnen und Soziologinnen, aber nicht für solche Leute wie mich. Erstmal versuchen sie andere ja schon mit ihrem gestelzten Vokabular mattzusetzen.
Am Neujahrstag 1990, anderthalb Monate nach der Wende, als Ost und West sich noch einfach so auf der Straße ansprachen, kam ich am Schlesischen Tor mit einem jungen Mann freundschaftlich ins Gespräch. Er lud mich netterweise auf ein Bier in das Cafe mit dem Aquarium in der Wrangelstraße ein, da wir DDR Bürger immer noch kein Westgeld hatten. Er rief auch noch seine gute Freundin Sia an. Sie war mir gleich sympathisch. So wie sie hatte ich mir immer eine alternative Frau vorgestellt. Sia kam aus Westdeutschland und war schon lange in der Kreuzberger Szene unterwegs und hatte sogar Ton Steine Scherben gesehen.
Als er mal kurz telefonieren ging, und wir beide uns alleine gegenübersaßen, fühlte ich mich mit einmal wie auf dem „Heißen Stuhl", so sehr spürte ich körperlich, wie sehr sie mich hasst. Das war wohl nichts mit Frauenpower. Sia war eine Mogelpackung. Hatte ich es hier mit der Alternativversion der bundesdeutschen Hausfrau zu tun? Schade, das aus dem interessanten, widerspenstigen Mädchen, dass sie bestimmt mal gewesen ist, bloß wieder eine dieser Szenefrauen, die keine andere Frau leiden können, geworden ist.
Berlin ist ja eine multikulturelle Stadt, aber man weiß gar nicht so recht, was unter den Schleiern unserer türkischen Geschlechtsgenossinnen so vor sich geht. Mir geht der traurige und irgendwie hilfesuchende Blick nicht aus dem Kopf, den mir im Görlitzer Park in Kreuzberg mal ein ungefähr neunjähriges Mädchen zugeworfen hat.
Man hatte die arme Kleine bei strahlendem Sonnenschein von oben bis unten in lange schwarze Tücher eingewickelt. Und was kommt erst auf sie zu, wenn sie von ihrer strenggläubigen Familie verheiratet wird.
Manchmal denke ich, gerade Frauen aus den Einwanderercommunitys wie in Kreuzberg, Moabit und Neukölln sind die Zukunft für den Kampf der Frauen, weil viele von ihnen ja besonders stark unterdrückt werden, so dass einigen gar nichts anderes übrigbleibt als aufzubegehren. RIP Hatun Sürücü 1982 - 2005
Meine Freundin aus Moabit, übrigens eine bosnische Muslimin aus Sarajewo, hat mir erzählt, dass eine Weile mal Madonna ihr Idol gewesen ist.
Madonna habe ich immer für sehr kommerzorientiert gehalten und ihr ihre angebliche Rebellion nie abgenommen. Muslimische Mädchen sehen das wohl völlig anders, wie auch die kurdische Rapperin Lady Ray Bitch in ihrem neuesten Buch berichtet.
Merkwürdigerweise kenne ich die Verfasserin. Ich habe sie mal in der Schmidt und Pochershow gesehen, wo sie einen sehr eigenartigen Auftritt hingelegt hat.
Sie war in einen freizügigen Catsuit gekleidet, verwendete ständig das F – Wort und schenkte Oliver Pocher zum Schluß ein Döschen mit Vaginalsekret. Der Bildungsbürger Harald Schmidt war geschockt, dass eine Türkin so freche Reden führt und so dermaßen auf Provokation gebürstet ist.
Ich dagegen sah darin den verzweifelten Versuch, auf die Unterdrückung der Frau in bestimmten Communitys aufmerksam zu machen und gegen die dort herrschende Sexualmoral zu rebellieren.
Mein Vater, den ich zwar nicht hasse, ich kenne ihn ja gar nicht, aber vor dem ich nicht die allergeringste menschliche Achtung habe, wurde noch vor Woodstock, als eigentlich total konservativer Typ, unfreiwillig zu einem Vorkämpfer der sexuellen Revolution, indem er seine Geliebte samt Kind völlig im Stich ließ.
Und meine kleinbürgerliche Mutter, die Sissifilme verehrt hat, musste zu der emanzipierten Frau werden, die sie gar nicht war.
Die Situation von vielen Frauen, die neu in Berlin sind, erinnert an den doppelt freien Lohnarbeiter von Marx, der von feudalistischen und ständischen Fesseln und von Eigentum befreit ist und bürgerliche Rechte und Freiheiten hinzugewonnen hat, aber darauf angewiesen ist, sich in Lohnsklaverei zu begeben. Damit will ich ausdrücken, dass sie oft, um in Berlin Fuß zu fassen, darauf angewiesen sind, sich in Abhängigkeit von einem Mann zu begeben.
Berlin ist ein Anlaufpunkt für Leute mit Liebeskummer, die woanders mit ihren Beziehungen gescheitert sind und hier neu anfangen möchten. Genau dasselbe war es übrigens vor 90 Jahren auch bei meiner Großmutter. Viele Frauen treffen hier auf sich allein angewiesen, befreit von Kohle, Family und Connections aus der Provinz ein.
Bei so viel Freiheit kriegen sie Muffensausen und versuchen ein Bündnis mit einem Mann zu schließen, um in der neuen Heimat Anker zu werfen, Ausnahmen bestätigen die Regel. Dabei laufen sie oft dem moralisch befreiten Mann in die Arme, der schon auf jemand wie sie gewartet hat.
In der Beziehung wird von ihnen verlangt, den mütterlichen Part einzunehmen und Sicherheit und Beständigkeit zu verkörpern, eine Aufgabe bei der sie sich natürlich völlig verheben, besonders wenn sie Neuberlinerinnen sind. Viele Kumpels von mir haben die Idee, von einer Frau „gerettet" zu werden.
Man verliebt sich leicht, wenn man Hilfe braucht. Viele Beziehungen würden ja gar nicht zustande kommen, wenn einer der beiden nicht nach Halt und Unterstützung suchen würde.
Das wissen viele ganz genau, weshalb Berlin ein Tummelplatz für Männer auf Beutezug ist. Berlin ist ja auch ein anderes Wort für Sex. Viele Männer ziehen sich ein progressives Mäntelchen an und spielen den Rebellen, der sie gar nicht sind, was aber extrem anziehend auf bestimmte Frauen wirkt, aber nicht auf alle. Haben wir Frauen denn ernsthaft geglaubt, dass so ein paar Möchtegernrevoluzzer für uns die Kartoffeln aus dem Feuer holen werden.
Sie geben sich so, als wären sie total anders als die männlichen Figuren aus unserer Vergangenheit, die da wären: übergriffige Mitschüler, Väter, die ein Phantom blieben, Lehrmeister, die einen schikaniert haben usw.
Es ist ein Schock, wenn sich jemand, den man für die Freiheit selber gehalten hat, als kleinbürgerlich, konservativer Bursche entpuppt, der sehr gut auf den Dorftanz in meiner Heimat gepasst hätte, wo es eine strenge Einteilung in die guten Mädchen, die aus einer ordentlichen Familie stammten und die geheiratet wurden und die Schlampen, die benutzt wurden, gegeben hat. Man ist in diesem Falle von ihm wohl eher als das letztere gesehen worden.
Diese Kategorisierung von Frauen habe ich übrigens schon immer für ein Merkmal des Spießers gehalten.
Immer wenn ich in der Kynaststraße an den Bordsteinschwalben vorbeigeradelt bin, fühlte ich eine geheime Verwandtschaft.
Sie erhalten für ihre Dienste wenigstens noch einen Obolus. Das soll aber nicht heißen, dass ich Prostitution befürworte. Immer wenn ich gesehen habe, wie sie ein Auto stiegen, musste ich an die dunklen Wasser der Spree denken.
Den Feminismus haben übrigens die Männer gemacht. Gerade wenn man im Stich gelassen wird, knickt man entweder ein oder wird aufmüpfig und verliert den Respekt vor dem anderen Geschlecht.
Vielen Frauen, die auf der Suche nach dem kleinen Glück scheitern, gerne mit Kind, bleibt wohl nichts anderes übrig, als die bestehenden gesellschaftlichen Normen anzuzweifeln und dagegen zu rebellieren, regelrecht deshalb, um nicht von der Elsenbrücke zu springen oder mit einer abgesägten Schrottflinte durch das Ringcenter in der Frankfurter zu rennen. (Scherz oder)