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Fernsehzeit
Fernsehzeit
Es war einmal ein Junge, es war ein kluger Junge und er hatte alles an Talenten, die die meisten Menschen sich wünschten. Er hatte die Gabe, Großes zu vollbringen und er stellte sich immer vor wie er als Erwachsener diese Taten vollbrachte. Eines Tages entdeckte er das Fernsehen und er sah zu wie Schauspieler zu Helden wurden, Dinge vollbrachten, von denen er immer träumte und noch heute träumt.
Doch anstatt sich selbst ans Werk zu machen, sah er immer mehr den Träumen anderer auf dem Bildschirm zu, er versetzte sich in sie herein und übernahm ihre Rollen für kurze Zeit. Nie wurde es ihm langweilig, er konnte noch so oft den gleichen Film oder die gleiche Folge einer Serie sehen, nie war es ihm genug. Immer längere Zeiten verbrachte er nun vor dem Fernseher und vernachlässigte jeden, der ihn liebte, er verlor das Interesse an der realen Welt und den Menschen. Er dachte, alles, was er je lernen könne käme aus dem Fernsehen. Es war wie eine Droge, derer man nicht habhaft wurde, deren Dosen immer weiter stiegen und stiegen, bis er sogar zum Einschlafen den eingeschalteten Fernseher brauchte, das flackernde Licht in der Dunkelheit des Zimmers.
Er verlor seine Freundin, weil er dem Fernsehen mehr Zeit und Aufmerksamkeit schenkte als ihr und ihren Sorgen. Doch noch immer war ihm nicht klar, dass es daran lag, jetzt litt er aber an ihrer Abwesenheit und schaute nun umso länger fernsehen, bis er alles Gute und auch Schlechte kannte. Ihm wurde klar, dass es sinnlos war, doch er konnte nicht aufhören, er wusste, dass er sich nur selbst zerstören würde. Immer weniger hatte er Interesse an der Realität, er schaute keine Nachrichten mehr, die Schicksale anderer berührten ihn nur noch oberflächlich, ohne dass es ihm wirklich etwas ausmachte. Er verlor sich immer mehr in dieser Welt. Er verzweifelte und die Tränen kamen ihm, er versank in Selbstmitleid und Agonie. Er hatte Angst nun für immer in diesem teuflischen Spiel gefangen zu sein und wusste keine Antwort um ihm zu entfliehen.
Manche Tage versuchte er ihn auszuschalten und für einige Stunden ging es auch gut bis er nichts mehr mit sich anzufangen wusste und wieder da ansetzte, wo er aufgehört hatte. Dann erinnerte er sich an seinen Vater, der jeden Abend vor dem Fernseher einschlief und auf der Couch übernachtete. Ihm wurde klar, dass die Gefahr des Fernsehens schon seine ganze Familie in Beschlag nahm. Er erinnerte sich an die Zeit, als er seine Großmutter besuchte und wie schlimm er es fand, dass sie immer bestimmte Zeiten den Fernseher einschalten musste um Serien zu sehen, die nicht besser waren als seine eigenen. Er dachte an die vielen Menschen, die allein in ihren kleinen Wohnungen und von morgens bis abends wie er vor dem Fernseher saßen, anstatt das Leben zu führen, das sie tagtäglich sahen und in ihren Träumen wieder fanden. Wann war dies alles geschehen? Wann hatte er der wahren Welt entsagt um in dieser Neonröhrenwelt zu leben?
Der Junge versuchte sich zu ändern. Immer öfter ließ er es ein paar Stunden ausgeschaltet und hing seinen Gedanken nach, hörte Musik, las und schrieb selbst. Doch immer wieder wurde er zurückgeworfen, immer gab es einen Punkt, wo ihm seine Gedanken zu viel wurden, sie bereiteten ihm Schmerzen, weil er es nicht mehr gewohnt war solange selbstständig zu denken. Er zwang sich durchzuhalten, doch schaffte es nicht.
Das Fernsehen ließ seine Gefühle und Gedanken verschwimmen, sie konnten ihn nicht mehr beherrschen, das, was er selbst war, wurde ersetzt durch das Einschalten des Fernsehers. Er wurde zu dem, von dem er wusste, dass es ihn zerstörte. Er wurde zu den Charakteren der Filme und Serien, die er sah und all das war er. Er wusste, dass das, was er sah nicht echt war, doch sein Herz hatte es vergessen, sein Herz war verschlossen.
Immer wenn er aufsah, erinnerte er sich derer, die er vernachlässigt hatte und die nun ihn vergaßen. Sein Herz, das aus dem Schlaf gerissen wurde, verkrampfte sich aufgrund all der aufgestauten Gefühle, die plötzlich an die Oberfläche wollten. Es führte einen Kampf gegen das Schauspiel was den Jungen vereinnahmte, doch konnte es diesen Kampf je gewinnen? Reichte das Herz aus, damit der Junge die Wahrheit sah und auch danach handeln würde? War der Junge noch stark genug um all das Vernachlässigte Hervorquellende in Bahnen lenken zu können und das andere Leben zu besiegen? Ihm wurde klar, dass er Angst davor hatte es zu besiegen. Er hatte Angst seine Träume zu verwirklichen, immer wenn er es anfing, musste er daran denken, was wäre wenn er es nicht schaffen würde. Was wäre, wenn seine Träume nicht Realität werden könnten? Was wäre, wenn er nicht gut genug wäre um zu schreiben? Was wäre, wenn er es tun und versagen würde, und seine Träume in diesem Meer des Versagens versinken würden um nie wieder gesehen zu werden. Ist es dann nicht besser von den Träumen zu leben anstatt zu Versagen und in ein leeres Sein geworfen zu werden? Der Junge wusste es nicht, er wusste nicht, ob er bereit war den Preis zu zahlen, ob es das Risiko wert wäre. Er kannte all die großen Gedanken und Worte von vielen weisen Menschen, die geschrieben hatten doch war er auch stark genug, diese anzuwenden. Er wusste, dass er sein Leben nicht so verschwenden durfte, dass sein Leben, ein jedes Leben es wert wäre, gelebt zu werden und sich den Ängsten zu stellen und auch leiden zu müssen, Leiden zu können, aber nicht dieses Leiden zu werden.
Mit jedem Wort, das er schrieb, musste er mehr an die andere Welt denken, die direkt vor ihm lag, er brauchte nur eine Taste zu drücken und schon war sie wieder da und all seine Sorgen vergessen. Es war so leicht wieder dorthin zurückzukehren, aber so schwer es sein zu lassen. Er dachte, dass er ja auch morgen erst was tun könne, dass er heute noch in die andere Welt eintauchen konnte und morgen wäre alles anders. Doch gleichzeitig mit diesem Gedanken wurde ihm auch die Gefahr umso deutlicher, die es in sich barg. Er kannte die Gefahr von Drogen und nichts anderes war es, eine Droge die man sich jederzeit einführen konnte ohne Gewissensbisse, denn es tat ja jeder oder? Jeder setzte sich mal vor den Fernseher um sich zu entspannen, sich auszuruhen mal nicht denken zu müssen, sich mal weder körperlich noch geistig anstrengen zu müssen.
So dachte er weiter darüber nach, verwarf es wieder, dachte wieder daran und vergaß es wieder. Die Jahre verstrichen schnell, der Junge war nun schon alt und ein Mann geworden. Doch noch immer verleugnete er seine Träume und Wünsche. Er beachtete sie nicht, voll darauf konzentriert sich nicht konzentrieren zu müssen, war er in dieser Welt gefangen. Er sah zu wie seine Großeltern und seine Eltern starben und wie Leben, die er einmal kannte und liebte, verloren gingen, ohne dass sie etwas vollbracht hätten, dem es sich zu erinnern galt. Er versuchte zu kämpfen, aber die langen Jahre des Ruhens haben ihn schwach werden lassen und so starb auch er. Seine Geschichte und all die Möglichkeiten, die er hatte, gingen mit ihm verloren und sein Leben wurde vergessen, von einer Welt, die von Tag zu Tag lebt, missbraucht und weggeworfen.