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- 17.08.2005
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Fernweh
Es ist niemals einfach. Aber die Tatsache, dass man ohne Heimat ist, vereinfacht die Situation nicht im geringsten. Was aber ist Heimat? Sie ist eine Idee, sie ist ein Gefühl.
Geboren in Budapest, Ungarn. Ausgewandert nach München, Deutschland. Das ist jetzt schon einige Jahre her. Der Deutsche erkennt am Aussehen, an der Aussprache, dass man nicht dazugehört. Manche sind nett, aus Mitleid, auch wenn sie das niemals zugeben würden. Manche wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen und sagen lieber gar nichts. Und wiederum andere werden grob, aber das ist eher selten. Der Ungar weiß, dass man nicht dazugehört. Er sieht, dass man anders gekleidet ist, er sieht ein protziges Auto. Er weiß, dass man auf Besuch ist, aus dem Westen. Er ist immer nett zu einem, zumindest oberflächlich. Vielleicht hat man ja ein Geschenk mitgebracht, wenn nicht, dann hat man sicher ein paar Euro übrig.
Für die einen ist man der Ausländer aus dem Osten, für die anderen der Ausländer aus dem Westen. Gefangen zwischen zwei Welten. Heimatlos.
Die Vorstellung von einer gesicherten Zukunft und einem besseren Leben war ausschlaggebend, die alte Heimat zu verlassen. Man ist nun finanziell im reinen. Zweimal im Jahr fährt man in Urlaub, das hätte man sich früher nicht leisten können. In der eigenen Wohnung, die viel geräumiger ist als die alte, ist häuslich eingerichtet. Die neuesten technischen Spielereien kann man sich gönnen, das ist kein Problem. Am Wochenende ausgehen und die Freizeit genießen, manchmal auch exklusiver, gehört fast schon dazu. Eigentlich kann man sich nicht beklagen, keineswegs. Bei all dem Luxus sollte man meinen, dass man glücklich ist, sollte man. Aber das Gefühl nicht dazuzugehören, nicht gleich und eins zu sein mit den anderen, ist immer im Hinterkopf. Es ist eine lauernde, hinterhältige und innerlich zerfressende Angst, die einen beschleicht. Es gibt sie also doch, die Menschen, die gleicher sind als man selbst. Das wird nicht offen gezeigt, zumindest nicht immer. Es sind kleine Gesten, unmerkliche Aussagen, winzige Andeutungen. Man gehört einfach nicht dazu. Man bekommt Heimweh. Da hilft einem nur eines. Flüchten! Flüchten in die alte Heimat. Sie sind froh, die Verwandten, dass man gekommen ist. Endlich müssen sie nicht tatenlos zuhause herumsitzen. Sie werden ausgeführt, zum Essen, ins Kino. Man zahlt natürlich alle Rechnungen. Schließlich geht es ihnen, den Verwandten, nicht so gut, wie einem selbst. Man merkt, dass alle froh sind, dem tristen Alltag zu entkommen, mal wieder was neues, spannendes zu unternehmen. Man muss die Situation mit sehr viel Selbstbeherrschung betrachten. Manchmal kommt es einem vor, als ob die lieben Verwandten nur das Geld sehen. Eigentlich nicht nur manchmal, eher ständig. Man bekommt Heimweh. Da hilft einem nur eines. Flüchten! Flüchten in die neue Heimat.
Gefangen zwischen zwei Welten. Heimatlos.
Was ist also Heimat? Sie ist eine Idee, sie ist eine Illusion.
Da hilft einem vielleicht nur eines. Flüchten! Flüchten in die Ferne. Weit weg von der Heimat.