Filmreif
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In der kleinen Bankfiliale war, wie freitags oft, nicht viel los. Die Kassiererin Helga Winter schlug verärgert und diesmal erfolgreich nach einer Fliege, die sich dreist über den Sommer und den Herbst gerettet hatte. Nun stand der Kassiererin auch die zweite Hand wieder zum Geld zählen zur Verfügung.
Am Schreibpult schräg gegenüber stand Oma Lamm, sie hob jeden Freitag fünfzig Euro von ihrer Rente ab. Das Formular hatte sie, die Zungenspitze zwischen den Lippen, ausgefüllt. Mit der Plastik-Karte für den Geldautomaten kam sie nicht zurecht, die Geheimnummer blieb für immer geheim. Gleich würde sie ihr wöchentliches Budget bekommen.
Doch plötzlich glitten die Flügel der Glastür mit einem Surren auseinander, ein junger, hoch aufgeschossener Mann in langem Mantel, wehender Mähne und hochgezwirbeltem Bart betrat den Kassenraum. Oma Lamm wurde es etwas mulmig beim Anblick seiner Augen. Sie machte einen beherzten Schritt mit ihrer Gehhilfe auf den Langen zu, weil sie es nicht leiden konnte, wenn sich jemand vordrängelte. Der Kundin und der Kassiererin schlug ein Geruch von frischen Halsbonbons entgegen, obwohl der Mann noch nichts gesagt hatte. Unverwandt geradeaus blickend, schob er einen abgerissenen gelblichen Zettel über den Tresen. KEIN ALARM! SCHIESSE SOFORT! ALLES GELD IN DIESE TASCHE!
Helga Winter glaubte ihren Augen nicht zu trauen, sofort verlor sie ihre Gelassenheit.
Die Stille im Schalterraum hatte – ohne Fliegensummen – etwas Bedrohliches. Routinemäßig, aber etwas fahrig, suchte sie den Alarmknopf. Doch sie zuckte gleich zurück, als ihr Blick auf eine runde Pistolenmündung fiel. Niemals hätte sie geglaubt, dass ihr ein so kleines schwarzes Loch eine so große grelle Angst einjagen könnte. Zitternd begann sie, die Geldbündel in die braune Aktentasche zu werfen.
Das Herz von Frau Winter klopfte so laut, dass sie meinte, der Bankräuber müsste es hören. Ebenso wie Oma Lamm. Aber die hörte schon lange nicht mehr so gut.
Dem Treiben mit den Geldbündeln sah sie verständnislos zu. Wozu brauchte der so viel Geld? Konnte er es nicht in kleineren Beträgen abholen – wie sie es tat?
Seinen bellenden Befehl, sich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden zu legen, hatte sie geflissentlich überhört.
Das Behältnis drohte aus den Nähten zu platzen, ständig fielen ein paar Scheine daneben, Oma Lamm bückte sich und legte sie sorgsam in die Tasche zurück.
Das irritierte den Bärtigen so sehr, dass er die Tasche mit einer hastigen Bewegung und einem zischenden „keine Dummheiten!“ an sich zog.
Beute in der linken, Pistole in der rechten Hand, taumelte er rückwärts zur Tür.
Aber Oma Lamm war schneller und hakte die Krücke in seine Kniekehlen, so dass der lange Mensch lang hinschlug, wobei er die Pistole verlor. Das sah so komisch aus, dass Frau Winter sich ein Lachen nicht verkeifen konnte und ihre Hand problemlos den Alarmknopf fand. Der Gedanke, dass gleich die Polizei eintreffen werde, brachte sogleich ihre gewohnte Gelassenheit zurück.
Unterdessen hatte Oma Lamm die Pistole aufgehoben und bedrohte nun ihrerseits den Bankräuber. Als ihr Blick auf die Kamera über ihren Köpfen fiel, ging ihr ein Licht auf: Hier wurde ein Film gedreht, ein Krimi.
Ganz stolz ließ sie beim Anblick der eintreffenden Polizisten die Pistole fallen und stupste sie mit dem gesunden Fuß in deren Richtung. Wie im Fernsehen, wie ein Profi.
So müsste mich mein Enkel Lars einmal sehen, dachte sie triumphierend.
Alles Weitere war Klackssache. Als die Handschellen klickten, hatte ein Polizist plötzlich Perücke und Bart des Unholds in der Hand.
Jetzt wusste Oma Lamm, wo sie diese Augen schon einmal gesehen hatte. Sie ging hin zu dem Bankräuber, strich ihm über seine widerborstigen Haare, was nun wiederum die Polizisten heftig irritierte.
„Warst ganz gut in deiner Rolle, aber ich auch, nicht wahr, Lars?“
Den Polisten fiel auf, wie rot der Bankräuber plötzlich wurde, als die alte Dame mit hocherhobenem Kopf und klackendem Stock durch die surrende Glastür schritt. Das Geräusch schien zu sagen: „Danke für Ihren Besuch, beehren Sie uns bald wieder!“