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Fischsalat
Wir haben uns ein kleines Haus gebaut. Unten am Fluss, wo die Fische singen. Du glaubst mir nicht, wenn ich Dir sage, dass ich dich liebe. Trotzdem bist du mit mir gekommen, weil du ja auch nicht bei deinen Eltern bleiben kannst, schwanger wie du bist.
Nachts kannst Du nicht einschlafen. In Deinem Bauch strampelt es. Du liegst wach und hörst den Fischen beim Singen zu. Einige singen schnulzige Liebeslieder. Es geht Dir nicht aus dem Kopf, was sie mit Dir gemacht haben. Jetzt kannst Du nicht einschlafen, wenn sie singen. Wenn ich ein Fisch wäre, würde auch ich Dir ein Liebeslied singen. Schwanger, wie du bist.
Ich habe Dir einen Fisch gefangen. Einen, der ganz besonders schön gesungen hat. Ich habe meine Hand nach ihm ausgestreckt und Herr Fisch kam angeschwommen. Neugierig. Suchend. Mit der Leidenschaft eines Perfektionisten, der das eigene Gewässer schon zu häufig abgeschwommen ist. Könnte es sein, dass sich mit der Hand eine neue Welt der Musik eröffnet?
Einen solchen Fisch habe ich Dir gefangen. Keinen herkömmlichen. Ich habe ihn tot gehauen und schenke ihn Dir. Ist das nicht Beweis genug meiner Liebe?
Offensichtlich nicht. Du mummst dich in deine Decke ein und isst den Fisch alleine. Nur mit dem Kopf schaust du aus der Decke hervor und der Kopf isst den Fisch. Du trägst die Decke häufig in letzter Zeit, wie einen zweiten Mutterleib. Du trägst das Kind meines besten Freundes in deinem Mutterleib und die Decke trägt dich in sich. Wie ein zweiter Mutterleib. Du isst den Fisch und beschwerst dich über eine Gräte. Ich habe den Fisch gekocht mit Sahnesoße und Gemüse und Kartoffeln. Habe ich ihn Dir gekocht. So, wie Du es magst. Und als ich Dich dann beobachte, wie du den am besten singenden Fisch in der Gegend in deinen Mund steckst und kaust, glaube ich an deinen Gesichtszügen zu erkennen, dass du mir endlich glaubst, dass ich Dich liebe. Dann schluckst du runter und beschwerst Dich über eine Gräte, die dich wohl erstickt hätte, hätte sie nicht den richtigen Weg gefunden. Ich verstehe die Welt nicht mehr.
Du könntest es Dir sicher denken, wenn du überhaupt an mich oder über mich denken würdest: Ich hätte auch gerne ein Stückchen von dem Fisch gegessen. Schließlich war er mein bester Freund. Der einsame Künstler, der Virtuos, den ich gefangen und getötet habe. Ich hege eine seltsame Sympathie für außergewöhnliche Persönlichkeiten. Ist es nicht Beweis genug meiner Liebe, dass ich Dich nicht einmal frage, ob ich ein kleines Stückchen abhaben kann? Dabei hungere ich seit Tagen. Und ich hungere gern, das kannst du mir glauben. Aber ich hungere nur für Dich und wenn du nicht merkst, dass ich für Dich hungere, bin ich nichts wert.
Manchmal kommt mich dein Körper besuchen. Dann kommt er aus der Decke hervor und gesellt sich zu deinem Kopf und beide kommen zu meinem Kopf und meinem Körper. Dann küssen sich die Köpfe und die Körper stecken ineinander fest und ich glaube, Du glaubst mir, dass ich dich liebe. Und dann bin ich glücklich, weil sich alles so toll anfühlt.
So stecken wir manchmal zusammen, aber wir hängen auch noch auf eine andere Art zusammen. Wir sitzen sozusagen im selben Boot. Denn ich habe einen der größten Sänger unter den Fischen getötet und du hast ihn gegessen. Ich tat es zwar aus Liebe, aber das ist den Fischen egal. Fische verstehen nichts von Liebe. Plötzlich sind sie im Haus. Fische können manchmal wie Ratten sein. Warum müssen Fische auch immer mit dem Strom schwimmen? Wir stecken grade zusammen und du bist mir etwas böse, dass „meine“ Fische jetzt kommen und uns stören.
Es ist ohnehin schon sehr großzügig von Dir, dass du unseren Körpern erlaubst zusammen zu stecken, obwohl dein Körper zurzeit wahrlich andere Sachen zu tun hat. Und auch dein Kopf muss im Moment viel nachdenken, sagst du. Und dann kommen „meine“ Fische noch und stören dich. Ich erkläre den Fischen all das und bitte sie zu gehen, bevor dein Kopf wieder zu schreien anfängt. Ich bitte die Fische höflich die Wohnung zu verlassen. Die Fische antworten, sie seien nicht geneigt zu gehen, ehe sie ihre Vergeltung nicht geübt hätten.
Wie lange das mit der Vergeltung dauern wird, frage ich die Fische. Aber die Fische wissen nicht, was Zeit ist, schließlich tragen sie keine Uhren.
Stattdessen fordern uns die Fische auf, uns gegenseitig zu töten, um ihrer Rache genüge zu tragen. Ich soll Dich töten und du sollst mich töten und zwar gleichzeitig. Damit sei der Zorn der Fische besänftigt und sie würden zurück in ihren Fluss gehen, wie ich es schließlich wünsche.
Wieso wir uns gegenseitig erdolchen sollten, frage ich. „Um unserer Rache gerecht zu werden!“, sagt ein besonders weiser Fisch und zuckt unbewusst mit der Flosse.
Ich entschuldigte mich und präzisierte meine Frage: „Mit welcher Motivation sollten wir uns gegenseitig erdolchen?“
Die Fische wissen nicht, was ich mit „Motivation“ meine und jegliche Versuche es ihnen zu erklären, scheitern kläglich. Fische wissen einfach nicht, was „Motivation“ ist.
Ich beschließe die Fische einfach zu ignorieren und will wieder zu Dir ins Bett. Aber du gibst deinen Körper nicht mehr her. „Spiel’ doch mit deinen neuen Freunden.“, sagst du. Ich versuche Dir zu erklären, dass die Fische nicht meine Freunde sind, im Gegenteil sogar ganz und gar nicht gut auf mich zu sprechen sind, aber du hörst mir gar nicht zu. Du mummst dich in deine Decke, gehst in die Küche und machst Dir einen Salat.
Manchmal fühle ich mich unwohl in meiner eigenen Haut. Ich möchte sie ausziehen und hoffe, dass sich dann irgendetwas verändert. Schon als Kind ging es mir oft schlecht und ich wollte immer gegen die nächste Wand rennen. Das habe ich einige Male gemacht und als sich nichts verändert hat und ich dachte, ich müsse sterben, weil mir der Kopf so wehtat, bin ich davon abgekommen. Manchmal habe ich das Gefühl bei Dir renne ich auch gegen eine Wand.
Jetzt wimmelt es von Fischen in unserem kleinen Wohnzimmer und ich habe ein ungutes Gefühl. Genauer gesagt möchte ich meine eigene Haut ausziehen, denn einige Fische haben sich vor dem Fernsehen aufgebaut und verwehren mir die Sicht auf meine Lieblingsserie. Sie sagen, ich habe noch viel Schlimmeres zu erwarten, wenn ich mich nicht kooperativ zeige.
„Willst du auch etwas Fischsalat?“, fragst du und kommst ins Wohnzimmer. „Fischsalat?“. „Ja.“, sagst du. „Zwei Fische haben einen Sitzstreik auf meinem Schneidbrett gemacht. Sie wollten, dass ich dich erdolche. Ich habe einen Moment nachgedacht, mich aber dann doch entschlossen ihren Sitzstreik zu zerschlagen und sie in meinen Salat einzuarbeiten. Willst du etwas?“
„Ja, gerne.“, sage ich. Wir machen den Fernseher aus und essen zusammen Fischsalat. Dann hören wir uns den Gesang der Fische an. Jetzt schleicht er nicht mehr vage vom Fluss herüber, sondern wir haben die singenden Fische live in unserem Wohnzimmer. Ein herausragender Künstler ist zwar nicht dabei, aber wir sind gut unterhalten. Als die Fische ihre Darbietung abgeschlossen haben, holst du eine Flasche guten Wein aus dem Keller. Wir trinken viel Wein an diesem Abend. Auch den Fischen gibst du ein bisschen Wein ab. „Morgen koche ich Fisch“, sagst du und wir kriegen uns beide nicht mehr ein vor Lachen. Betrunken wie wir sind. Wir beide in unserer kleinen Hütte unten, am fischleeren Fluss.