Flauschige Sommerwolken, eine Stripperin und ein Bierglas
Der Bus fuhr mir davon. Eine scharfe Blondine, in einem kurzen Kleid, stand auch bei der Haltestelle. Sie sah nach wann der Nächste kommen sollte. Danach drehte sie sich um und ging an mir vorbei, über den Zebrastreifen.
Ich wartete kurz, doch ich hielt es nicht lange aus und folgte ihr. Während sie vor mir ging, starrte ich auf ihre langen Beine und ihren knackigen Arsch. Sie war einfach perfekt geformt. Hin und wieder gab es Frauen, bei denen einem tatsächlich der Atem stehen blieb. Egal wie sehr man sich auch bemühte nicht zu ihr zu Blicken und sie nicht zu auffällig anzustarren, es gelang einfach nicht. So eine Frau konnte man nur anstarren und bewundern. So eine Frau zog die Blicke aller Männer auf sich. Und genau so eine Frau war das, die hier vor mir über den Zebrastreifen ging und deren süßen Hintern ich folgte wie ein hirnloser Lemming. Alle Sicherheitsmaßregelen des Straßenverkehrs missachtend.
Sie schien mich zu bemerken, denn als sie die Straße überquert hatte, blieb sie auf einmal stehen und sah mich amüsiert an. Sie wartete auf mich, und als ich neben ihr war, hakte sie sich bei meinem Arm ein.
Wir gingen eng umschlungen den Weg weiter entlang. Unsere Körper berührten sich und während dem gehen, rieben sie aneinander wie zu enge Jeanhosen.
Wir redeten miteinander und verstanden uns großartig und ich hatte sofort das Gefühl, dass sie mich sehr mochte. Auf eine aufrichtige und überaus einfache Art und Weise. Und ich empfand genau so. Ich mochte sie ebenfalls. Es war nicht einfach nur Geilheit die ich in mir spürte, es war vielmehr das Gefühl tiefen Vertrauens und einer echten Verbundenheit. Als würde ich sie bereits mein Leben lang kennen, aber als wäre dennoch alles nach wie vor neu und aufregend.
Wir gingen weiter und sie schmiegte ihren perfekt geformten Körper an mich, mit all seinen Rundungen. Ihr ganzer Körper prägte sich mir ein. Er prägte sich meinen Augen ein. Aber auch mein Körper prägte sich den ihren ein.
Auf einmal fing ich unvermittelt an sie zu begrapschen. Ich berührte ihre Beine, ihren Arsch und sogar ihre Möpse. Auf offener Straße. Sie hatte zunächst nichts dagegen und es gefiel ihr sogar. Sie stöhnte und flüstere mir ins Ohr und küsste mich. Es machte sie immer schärfer. Und mich auch!
Aber plötzlich, bei der nächsten Kreuzung, änderte sich alles.
Sie stieß meine Hände von sich und löste unsere Umarmung. Langsam fing sie an ihren Schritt zu beschleunigen, aber ich konnte noch problemlos mithalten. Ich fragte sie, wann wir uns wiedersehen könnten. Doch sie lachte mich nur aus und ging noch schneller. Ich ging ihr nach und versuchte zu verstehen, was mit ihr los war, warum sie sich so verhielt? Doch sie beschleunigte ihre Schritte und lachte mich weiter aus. Ich hatte Schwierigkeiten ihr zu folgen. Sie war schneller als ich.
Doch irgendwie schaffte ich es, sie noch einmal einzuholen und festzuhalten. Für einen kurzen Augenblick.
Sie meinte, sie würde sich nie mit einem wie mir abgeben. Danach löste sie sich endgültig von mir und ging davon. Ich blieb wie versteinert stehen und blickte ihr nach, bis sie außer Sichtweite war.
Mit einem wie mir würde sie sich nie abgeben! Mit einem wie mir?!
Plötzlich erwachte ich. Ich lag auf einer überaus unbequemen Holzbank und blickte auf den verdreckten Fußboden eines Lokals. Bierdeckel, Essensreste, zerknüllte Servietten, Kaugummis und die unterschiedlichsten, verschütteten alkoholischen Getränke waren am Boden verstreut. Ich blickte auf die Unterseite eines ebenso verdreckten Tisches. Kaugummis klebten hier und da. Spritzer verschiedener Flüssigkeiten. Einige davon sogar die Spritzer bestimmter Körperflüssigkeiten.
Bei diesem Anblick wurde mir schnell schlecht und ich brauchte dringend was zu trinken. Mühsam richtete ich mich in eine aufrechte Position auf. Mein Kopf fühlte sich an als wäre er voller Ziegelsteine. Es vergingen einige Sekunden, in denen ich auf den Tisch vor mir starrte. Leere Gläser und Bierflaschen standen herum. Zerrissene Bierdeckel und ein paar zerknitterte, verklebte Zettel waren auf dem Tisch verteilt. Aus Essensresten und verschüttetem Bier entstand auf der Tischoberfläche stellenweise eine dünne, klebrige Schicht. Ein Haufen umgeworfener Schnapsgläser, zu einem Turm aufgestapelt. Ich musste erst langsam begreifen, wo ich überhaupt war.
Der schwarze Damenschuh, mit dem darin befindlichen, zarten Damenfuß, war das Einzige, was hier irgendwie nicht ins Bild passte. Langsam wanderte mein Blick eine weibliche Wade entlang, die Innenseite ihres Schenkels hinauf, bis ich ihr schwarzes Höschen zwischen ihren gespreizten Beinen sah. „Jenny“ stand von oben nach unten in weißer Schrift auf dem Höschen. Dann blickte ich an Jenny hinauf. Ein schlanker Bauch. Große, pralle Titten. Ein hübsches Gesicht. Eine herrliche, blonde Stripperin, die vor mir auf dem Tisch saß und mir einen privaten Tanz vorführte und dabei nur mehr ihr schwarzes Höschen trug.
Jetzt erkannte ich sie. Es war die Frau aus meinem Traum. Unverkennbar. Diese Beine, dieser Arsch, diese Brüste und vor allem dieses Gesicht würde ich jederzeit wieder erkennen. Sie war es, die Frau meiner Träume!
Scheinbar hatte sie mit dem tanzen aufgehört, denn sie wandte sich einer ihrer Kolleginnen zu. Einer großbrüstigen, leicht molligen Kellnerin. Sie sprachen miteinander, doch die Musik und vor allem das Dröhnen in meinem Schädel, waren viel zu laut, damit ich etwas verstehen konnte. Ich wusste woher dieses Dröhnen kam. Ich lief Gefahr nüchtern zu werden. Daher brauchte ich dringend etwas zu trinken.
Die Schnapsflasche war leer und die Bierflasche ebenso. Aber dann konnte ich noch ein volles Bierglas entdecken. Schnell griff ich danach und trank das Glas in einem Zug leer. Das half ein wenig und ich konnte wieder die Stripperin anstarren. Sie schien gar nicht zu merken, dass ich wieder aufgewacht war und unterhielt sich weiterhin mit ihrer Kollegin.
Ich starrte sie an. Ihren ganzen Körper prägte ich mir ein. Und auch ihr Gesicht.
Ehe ich mich versah, fing ich an mir einen runter zu holen. In der rechten Hand hielt ich das leere Bierglas und mit der Linken wedelte ich mir einen von der Palme.
Als es so weit war, wusste ich nicht wohin mit dem Zeug. Doch ich hatte keine Zeit zum überlegen, also spritzte ich alles kurzerhand in das leere Bierglas.
Scheiße, ich hatte echt einen sitzen! Aber als ich das volle Schnapsglas am Kopfende des Tisches sah, schnappte ich dennoch danach und trank es auf einen Zug aus.
Dadurch bemerkte Jenny auf einmal, dass ich wieder munter war.
„Hey Schätzchen, da bist du ja wieder.“, sagte sie und spielte die Erfreute.
Ich sagte gar nichts, sondern versuchte heimlich meine Hose wieder zu schließen, ohne mir den Inhalt des Bierglases drauf zu schütten. Ich jonglierte unterm Tisch mit dem Bierglas, meinem Lümmel und meiner Hose herum, um alles wieder an seinen Platz zu bringen. Im volltrunkenen Zustand war das gar keine so leichte Aufgabe.
Mit Mühe und Not schaffte ich es irgendwie dennoch. Obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass sie es bemerkte und nur aus Höflichkeit so tat, als würde sie nicht sehen, was ich unter dem Tisch aufführte.
Plötzlich schlug der Schnaps ein wie eine Bombe. Mein Kopf knüppelte auf den Tisch, genau zwischen Jennys gespreizte Beine. Durch den schmerzhaften Aufprall war ich sofort wieder etwas nüchterner und richtete mich erneut auf.
„Na, is wohl besser du lässts für heute gut sein.“, meinte sie.
Ich blickte ihr ins Gesicht, und gerade als ich etwas antworten wollte, packte mich jemand an der Schulter und zerrte mich von der Holzbank. Und somit auch weg von meiner Stripperin.
„Geh scheißen herst, greif mich net an!“, rief ich, noch bevor ich überhaupt wusste, wer das war, der mich da packte.
„Los komm schon Harry, lass uns gehen. Du hast genug für heute.“
Da erkannte ich seine Stimme. Es war mein Kumpel Albert. Er schien wieder ziemlich nüchtern zu sein ... oder vielleicht hatte ich ihm auch alles weggesoffen!
„Wart noch.“, sagte ich und versuchte mich, mit den für Besoffene typisch unkoordinierten Bewegungen, aus seinem Griff zu befreien.
Was mir letztlich sogar gelang.
Ich griff nach einem zerknitterten und eingerissenen Stück Papier. Es klebte ein wenig am Tisch fest, doch ich schaffte es den Papierfetzen sorgsam zu entfernen, ohne ihn gänzlich zu zerreißen. Jenny und Albert sahen mir dabei aufmerksam zu, als wäre ich ein kleines Kind und würde ihnen gerade einen Zaubertrick zeigen.
Ich hielt ihr den Papierfetzen hin. Sie nahm ihn und las was ich darauf geschrieben hatte. Es dauerte nicht lange und sie blickte mich wieder an.
„Vergiss es Schätzchen.“, sagte sie und ließ den Zettel zu Boden fallen.
„Warum!“, sagte ich etwas zu laut. Sie lehnte sich zurück, als ihr meine Alkoholfahne ins Gesicht schlug. Es war verständlich, dass ihr vor meinem Atem ekelte, nach allem was ich heute schon gesoffen hatte.
Albert hob den Zettel vom Boden auf und las ihn nun ebenfalls.
„Warum gibst du mir keine Chance?“, fragte ich.
„Komm lass uns gehen.“, sagte Albert, nachdem er den Zettel gelesen und weggeworfen hatte.
„Halt die Schnauze!“, fuhr ich ihn an, ohne dabei wirklich laut zu werden oder mich zu ihm umzudrehen. Mein Blick blieb auf Jenny haften. Es war unmöglich für mich, von ihr wegzusehen.
„Glaubst wirklich die springt auf so einen beschissenen Anmachspruch an, hm?“
„GEH SCHEISSEN!“, schrie ich ihn an und stieß ihn weg, als er erneut versuchte mich zu packen und von Jenny wegzuzerren. Er stolperte über einen Sessel und krachte mit dem Rücken an die Wand.
Durch diese Aktion zog ich die Aufmerksamkeit des Rausschmeißers auf mich. Vorerst blickte er nur zu uns rüber und machte nichts. Ich sah ihm in die Augen und blickte eingeschüchtert weg. Ich war heute bereits zu betrunken um mich mit irgendwem zu prügeln. Ganz zu schweigen mit einem Rausschmeißer.
Albert blieb bei der Wand stehen und sagte nichts mehr.
Jenny setzte sich an den Rand des Tisches. Sie beugte sich etwas zu mir nach vorne, dabei kamen auch ihre Brüste nach vorne, näher zu mir. Ich hätte am liebsten nach ihnen gegriffen.
„Du solltest auf deinen Kumpel hören.“, meinte sie.
„Warum hab ich bei dir keine Chance?“, wiederholte ich und hätte danach beinahe aus meinem angewichsten Bierglas getrunken. Doch meinem Kumpel sei dank, konnte er mich davon abhalten.
„Du hast sie gehört Harry. Lass uns gehn.“, meinte Albert, der noch immer bei der Wand stand.
Ich sagte gar nichts, sondern schleuderte mit voller Wucht mein Bierglas nach ihm. Er konnte sich im letzten Augenblick ducken. Das Glas zersprang an der Wand. Die Scherben fielen auf Alberts Rücken und die Flüssigkeit spritzte auf seine Jacke.
„JA LECK MICH DOCH AM ARSCH!“, schrie er, als er sich wieder aufrichtete. „ICH VERPISS MICH VON HIER!“
Er verließ das Lokal. Und ich zog damit nun endgültig das Interesse des Rausschmeißers auf mich. Doch ich beachtete ihn nicht weiter. Ich hatte nur Augen für Jenny.
„Also, warum hab ich keine Chance bei dir?“, fragte ich sie erneut und wartete auf ihre Antwort.
„Vergiss es Schätzchen. Da musst du dir was besseres einfallen lassen, als so einen blöden Spruch.“, meinte sie.
Ich spürte die Anwesenheit des Türstehers hinter mir. Obwohl er sich noch zurück hielt und nichts tat, spürte ich dennoch seinen bohrenden Blick in meinem Genick. Er ließ mich nicht eine Sekunde aus den Augen. Und ich wusste genau, eine falsche Bewegung von mir, ein zu lautes Wort, ein Zeichen von Jenny, und er würde mich sofort, ohne zu zögern, fertig machen.
Sie hatte jetzt definitiv das sagen.
„Was hätte ich denn sonst sagen sollen?“, fragte ich und klang dabei wie ein trotziger, besoffener Lausbub, der tatsächlich nicht mehr weiter wusste.
„Lass dir was besseres einfallen, wenn du mich wirklich kennen lernen willst.“
Plötzlich meinte ich, in ihren Augen so etwas wie Sympathie für mich zu sehen. Mochte sie mich vielleicht sogar ein wenig?
Es war dieser Augenblick, den ich nie vergessen würde. Ihre Augen und ihr Gesicht. Wie sie mich ansah. Es war jener Augenblick des Schweigens, der mich für immer mit ihr verband, auch wenn sie das mit Sicherheit nicht so empfand.
Jede Frau hätte doch gerne einen Mann, der für sie da ist und der für sie stark ist, sich um sie kümmert und sorgt, und auf sie aufpasst, so wie der Türsteher jetzt auf Jenny aufpasste. Jede Frau fühlt sich gerne bei ihrem Mann wohl. Für Jenny wäre ich gerne dieser Mann gewesen. Aber ich war zu dumm und im Moment vor allem zu besoffen, um dieser Mann zu sein.
„Was könnt ich denn sagen, damit du mir ne Chance gibst?“, fragte ich. Gut gemacht Harry, jede Frau war auf der Suche nach einem hilflosen Kerl, der nicht wusste, wie er eine Frau zu kriegen und wie er eine Frau zu behandeln hatte.
Sie gab die einzige Antwort, die eine Frau darauf geben konnte. Gar keine.
Sie schwieg und gab dem Rausschmeißer hinter mir ein Zeichen. Bevor ich wusste, wie mir geschah, packte mich der Typ von hinten und verdrehte meinen Arm in eine überaus ungute und besonders unnatürliche Position. Ich war auf der Stelle wehrlos.
„Komm wieder, wenn dir ein besserer Spruch eingfallen ist.“, sagte Jenny und nickte dem Türsteher zu. Daraufhin zögerte er nicht lange und zerrte mich zum Ausgang.
Aufgrund meines verdrehten Armes, konnte ich nicht viel ausrichten. Er konnte mit mir machen was er wollte. Aber er konnte mir nicht den Mund verbieten.
„Aber ich bin doch’n Schriftsteller!“, rief ich ihr zurück und glaubte mir selbst nicht. Wie sollte es dann sie tun!?
Ein erbärmlicher, letzter Versuch sie zu beeindrucken. Dabei hätte ich es besser wissen müssen, denn das hatte bisher keine Frau beeindruckt.
Bei der Eingangstüre schenkte mir der Rausschmeißer meine Bewegungsfreiheit wieder. Er ließ mich los und die ältere Frau bei der Garderobe gab mir meine Jacke. Als ich sie angezogen hatte, drehte ich mich noch mal um, doch der Türsteher versperrte mir den Weg.
Er fixierte mich mit seinem Blick. Es gab für mich kein Vorbeikommen.
Hinten im Lokal konnte ich Jenny nicht mehr sehen. Sie war weg.
Ich sah den Türsteher nun zum ersten Mal an, er war gut einen Kopf größer als ich und wog ungefähr das Doppelte von mir. Selbst im nüchternen Zustand hätte ich meine Schwierigkeiten gegen ihn gehabt.
Ich versuchte noch mal an ihm vorbei zu blicken, um noch einen letzten, flüchtigen Blick auf meine Jenny werfen zu können. Es war zwecklos. Sie war nirgends zu sehen. Verschwunden. Für immer verschwunden.
Der Rausschmeißer deutete auf die Türe. Es war Zeit für mich zu gehen.
Die kühle Nachtluft reinigte ein wenig meinen Verstand. Der Alkoholpegel sank und ich konnte wieder etwas klarer denken. Die frische Luft machte mich wieder munter.
Doch nun stand ich wieder einer kalten Welt gegenüber, der alles gleichgültig war. Einer Welt, der alles scheiß egal war. In der selbst die tiefsten und schlimmsten menschlichen Verbrechen unbemerkt und ungestraft vorüber zogen, wie schöne flauschige Sommerwolken, die kein Mensch beachtet.
Als ich nun wieder vor dem Lokal stand, sah ich in die dunklen Augen dieser gleichgültigen Welt und plötzlich fiel mir Jennys Blick wieder ein. Es war keine Sympathie die ich in ihren Augen sah. Sie empfand nicht mal Mitleid für mich. Es war viel schlimmer. Sie empfand gar nichts für mich. Ich war ihr egal.
Sie war nicht meine Traumfrau. Sie war bloß eine weitere Frau der ich nie etwas bedeuten würde. Bloß eine weitere Frau, die mich nie lieben würde. Nie lieben könnte. Zumindest nicht so wie ich war.
Scheiß drauf!
Wo war die nächste Bar!