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Fleischer

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23.10.2006
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Fleischer

Es war jetzt drei Tage her, dass das letzte Stückchen Nahrung seinen Gaumen verwöhnt hatte und Magenzugang fand aber auch das war irrelevant. Eigentlich gab es auch keine wirklichen Gründe sich zu beschweren.
Sein Körper wurde von Mauern umschlossen, darin waren eine Tür, zwei Fenster und obendrauf hatte ein kluger Mann eine Betonplatte installiert. Es konnte also schlechter für ihn aussehen.
Sicher, er war nicht eine der Rollen, die Charles Bronson zu verkörpern pflegte aber auch kein Woody Allen, die Funktionstüchtigkeit seines Penis befand sich ebenfalls im grünen Bereich, er hatte festen Stuhlgang und Schweißfüße der Größe Zweiundvierzig.
Insgesamt also durchaus zufrieden, einzweiundsiebzig groß, kahler Schädel, ansonsten starke Körperbehaarung und Falten am Gesäß.
Wer verglich sich auch schon ernsthaft mit diesen Sperma spuckenden Muskelpaketen, angefüllt mit dem großartigsten männlichen Gelee, dass eine Leinwand jemals zu Gesicht bekommen hatte, die jeden Tag in der Wunderwelt des Pornounterhaltungsbranche zu sehen waren und bei ihm, dank Pay-TV, rauf und runter liefen. Nun, er tat das jedenfalls nicht…

Das er eigentlich schon tot war interessierte ihn wenig, wie sollte es auch, er war ja tot, nicht mehr zum Denken und Reflektieren befähigt, innerlich ausgebrannt wie der Plenarsaal des Reichstags Neunzehnhundertdreiunddreißig und fühlte sich ausgesprochen Wohl in seiner Rolle.
Dose rauf, zum Mund führen, diesen öffnen, Dose schwenken, schlucken, absetzten, zurückschwenken, Dose wieder runter und den Arm auf der Sessellehne platzieren.
Wie ein Kranfahrer, tagein, tagaus, zum Tag und zur Nacht, ob im Winter oder Sommer.
Dazu gab es meistens Kartoffelsalat, der in ähnlichem Ablauf konsumiert wurde.
Penis rein, einmal rühren und wieder raus, ein schöner Anblick, wie er fand.
Doch eines Tages wurde sein verdienter Frieden jäh gestört: ein Mensch hatte sich zu seiner Türklingel in der Tarostraße verirrt und diese dazu auch noch betätigt!
Eigentlich würde er darauf gar nicht erst reagieren, doch dieses Subjekt schrillerte unermüdlich und mit der Ausdauer eines Zugvogels.
Penis rein, Penis raus, Dose rauf, Dose runter.
„Gurkenscheibe. Lecker. Gurkenscheibe lecker.“ Die elektrischen Teilchen schossen nur so durch seinen Verstand und der Riese begann sich zu rühren.
Staub rieselte von seinem spiegelnden Schädel, Zigarettenfilter mit abgebrannten Ende fielen auf die Fliesen seiner schmierigen, garstig riechenden Behausung und ein Salve von Knackern fuhr durch seine 137 Kilogramm.
Linkes Bein, rechtes Bein, Penis rein, Penis raus, Dose rauf, Dose runter.
Schon hatte er die Hälfte des Weges hinter sich gebracht, trippelnd und schwankend wie eine fette Maus mit einem Wehrturm auf ihrem Rücken, als morsche Knochen zu brechen begannen.
Bumms.
Er, Herr Fleischer aus dem Fünften, hatte einen Schritt zu viel in seinem Leben gewagt und fand sich in seinem eigenen Saft, mit der Wange an der Wand klebend, wieder und wirkte, wie eine gestrandete Meeresschildkröte.
„Gurken. Dose anheben, schwenken.“
Doch es reichte nicht, all sein Mühen war umsonst, er war schließlich tot…

 
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Hallo Subart,

die Geschichte steht zwar unter Seltsam, hätte aber "leider" auch die Berechtigung, unter "Alltag" oder "Gesellschaft" platziert werden zu können.

Es ist die deprimierende Beschreibung der totalen Vereinsamung, des körperlichen und geistigen Rückzugs aus der realen Welt in die heimische "Fress- und Fernsehidylle". Das eigene Leben wird aufgegeben und statt dessen schaut man nur noch anderen beim Pseudoleben im TV zu. Das wahre Second Life!

Beim Lesen deiner Geschichte musste ich an Berichte über den dicksten Mann der Welt denken, die es kürzlich (natürlich im Fernsehen) zu sehen gab. Der liegt irgendwo in Mexiko nahezu bewegungsunfähig mit 600 Kg (glaube ich) im Bett und lässt sich von seiner Mutter zu Tode mästen. O Gott, habe ich immer nur gedacht. Wie kann sowas nur angehen?!

Deine KG ist spröde, fast distanziert geschrieben. Du schilderst ein Schicksal, was dir zweifellos zuwider ist. Das ist vielleicht das Problem der KG. Deine Distanz zum Prot habe ich als Leser natürlich auch. Ich ergänze dieses jämmerliche Dasein lediglich mit meinen eigenen mehr oder weniger emotinal besetzten Eindrücken. Und das war's dann. Gelesen. Drüber nachgedacht. Furchtbares Leben! Abgehakt.

Insofern weiß ich nicht genau, wohin du mit deinem Text willst. Wenn dir das als Leserreaktion ausreicht, dann ist die KG in Ordnung.

Hättest du aber mehr für deinen Prot und dessen Situation gewollt, dass man bestürzt reagiert, fassunglos, angewidert, entsetzt, mitleidig oder sonstwas, das hat dein Text bei mir nicht bewirkt. Dann hast du mich nicht dicht genug an die Situation und den Prot herangelassen. Und 137 Kilogramm sind ja heutzutage nur knapp über dem Gewichtsdurchschnitt, oder? Ein bisschen mehr dürfte es schon sein.

Interessantes Thema gut, aber nicht in dem zuvor beschriebenen Sinne "packend und ergreifend oder aufrüttelnd" geschrieben.

Das Klingeln an der Tür hatte eine geradezu poetische Tiefe. Der letzte Moment der Hoffnung und eines vielleicht möglichen Ausweg aus der Misere führt letztendlich zum tatsächlichen Tod.

Grüße von Rick

 
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Hallo Rick,

danke für deine Kritik.

Gelesen. Drüber nachgedacht. Furchtbares Leben! Abgehakt.

Genau darauf wollte ich hinaus.

Seien wir doch ehrlich, das Schicksal eines Einzelnen interessiert die meisten Menschen höchstens einen Mäusefurz, nicht angenehm aber spätestens nach 5 min wieder verflogen. Geht mir zumindest oft so.

Ich habe mal ein Jahr in einem Altersheim gearbeitet und noch nie so gefühlskalte Menschen wie dort getroffen. Am Anfang war ich entsetzt, konnte diese Abstumpfung jedoch bald nachvollziehen, ja sogar für nötig erachten.

Deshalb auch der distanzierte Sprachgebrauch. Ich wollte eigentlich nur zwei Dinge ausdrücken bzw. darauf hinweisen:

- Die Irrevelanz des Prots für die Allgemeinheit, eben keine ergreifende Szenerie darstellen, sondern eben so, wie es ist: er sitzt im Plattenbau, verschimmelt und keiner scheert sich.

- Die Auflösung eines Individuums in einer vollkommen automatisierten Gesellschaft (unsere), das trotz seines gesellschaftlichen Ausstiegs weiterhin vollkommen automatisiert lebt und daran zugrunde geht.

Und 137 Kilogramm sind ja heutzutage nur knapp über dem Gewichtsdurchschnitt, oder?

Naja, bei 1,70m schon ne Menge. Ich wollte den Prot aber auch gar nicht als übertriebenen "Fettsack" darstellen, sondern dem Leser weitere Assoziationsmöglichkeiten der Ursache seiner Isolation bieten.
Das einzig feste ist hierbei nur dies: das Leben draussen bietet ihm nichts mehr.

Das Klingeln an der Tür hatte eine geradezu poetische Tiefe. Der letzte Moment der Hoffnung und eines vielleicht möglichen Ausweg aus der Misere führt letztendlich zum tatsächlichen Tod.
Das hört man gern :)

Das die Umstände seines Lebens nicht genannt werden, ist mir bewusst, halte ich allerdings auch nicht für nötig, sehe es eher als kleinen Ausschnitt einer riesigen Palette, einen anonymen Schnipsel, der weitere Hintergründe nicht mehr bedarf.
Vielleicht beleuchte ich diese mal in einer anderen KG und entsprechend anderen Sprache.

Bezüglich der Rubrik gebe ich dir "leider" vollkommen Recht.

Herzlichst,

Subart

 

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