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Fleshdance, oder: Hau mir ab mit Tanzkurs!
Im Januar 1983 war musikalisch ordentlich was los am Firmament. Bei Supertramp regnete es mal wieder, Peter Schilling jagte einen offensichtlich bis zum Scheitel zugekifften Major Tom völlig losgelöst und schwerelos durch die Galaxis, Hans Hartz´ Weiße Tauben litten weiterhin an akutem Schlafmangel und Hubert Kah, der wohl zu Weihnachten ein Teleskop bekommen hatte, frohlockte ein ums andere Mal, er könne den Sternenhimmel sehen – vielleicht hatte er aber auch nur mit Schilling zusammen während einer Studiopause auf dem Klo einen Bong gebaut und sich die Hütte zugedröhnt.
Auf der guten alten Erde ging es nicht weniger turbulent zu. Ich war knuffige fünfzehn Jahre alt, und mein Leben hätte durchaus noch in gewohnt ruhigen Bahnen verlaufen können, wenn mir nicht die Hormone einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht und mich zu einem Abenteuer mit unkalkulierbarem Risiko verleitet hätten.
Schuld an allem trug – wie sollte es auch anders sein – eine Frau. Gut, damals war sie natürlich noch ein Mädchen. Dorothee hieß sie, liebevoll „die Doro mit zwei e“ genannt. Ihre zwei „e“ interessierten mich allerdings nicht die Bohne, ganz im Gegensatz zu ihren zwei "B".
Ich war nicht etwa verliebt in sie, doch übte sie einen nicht zu verleugnenden Reiz auf mich aus. Nach jahrelangen Fachgesprächen mit meinen Kumpels und dem intensiven Studium der Dr.-Sommer-Bumsanleitungen war ich theoretisch echt auf Zack, allein, es mangelte an der praktischen Umsetzung des Wissens. Und irgendwie war ich der festen Überzeugung, daß es langsam an der Zeit dafür wäre.
Die böse Sache kam ins Rollen, weil mein Jugendfreund Antonio zu jener Zeit hemmungslos mit Dorothees bester Freundin Martina turtelte. Die beiden Mädels waren Nachbarinnen, und da ich immer mit der Nase dabeihing, wenn mein Kumpel mal wieder wie ein Saugfrosch vor Martinas Haustür klebte und seiner Angebeteten die Ohren vollschmalzte, kamen Dorothee und ich alsbald ins Gespräch. Wir beide wurden aber nicht so richtig warm miteinander, und so wäre ich der Guten wohl nie näher als auf Bonbontütenreichweite gekommen, wenn nicht Antonio eines Tages mit einer famosen Idee aufgewartet hätte.
„Soll´n wir nich ma inne Tanzschule? Is doch bestimmt echt cool!“
Logi, Antonio, was ´ne coole Idee. Können wir uns ja gleich im Schachclub anmelden.
Ehe ich mich versah, war in Martina schon das Feuer des Hüftschwungs entfacht. Dies wiederum schien Dorothee nun ihrerseits gewaltig anzustacheln, und da ich gerade vor ihr herumlümmelte, erkor sie mich zu ihrem aknegeplagten Fred Astaire.
Zwei Wochen später schlugen wir dann zu viert in den Tanzschulräumen auf und mischten uns unter gut und gerne fünfzig weitere Leidensgenossen beiderlei Geschlechts. Wir setzten uns an einen Tisch, und während die Tanzlehrerin uns begrüßte und von gesellschaftlichen Umgangsformen schwadronierte, nuckelte ich nervös an meiner Coke. Von einem Mädchen zu träumen oder ihr zwanglos gegenüberzustehen, war die eine Sache; die sich jeden Moment ergebende Notwendigkeit, dieses Mädchen auch anzufassen und halb zu umarmen, war eine völlig andere.
Dann war es auch schon soweit. Herrenwahl. Ein Glück, daß ich eine Tanzpartnerin hatte. So mußte ich keinen Konkurrenten im Kampf um die Parkettprinzessinnen mit einem Leberhaken außer Gefecht setzen und entging überdies dem traurigen Schicksal, das einige Jungs der sportiven Gemeinschaft des A-Kurses ereilte – es waren nämlich nicht genug Mädels anwesend, und mit einem erstaunlichen Pragmatismus wurden die Bedauernswerten von der Vortänzerin zu Pärchen zusammengewürfelt. Freundlicherweise blieb ihnen die Entscheidung vorbehalten, wer von ihnen die Rolle der Frau übernahm. Nachdem sich das hämische Raunen gelegt hatte, ging es los.
Die Tanzlehrerin wackelte uns kurz die ersten Schritte vor, dann mußten wir auch schon ran an die Geräte. Wie gerne wäre ich in diesem Moment bei Major Tom gewesen – weit, weit weg, losgelöst und schwerelos.
Hatte sich aber was mit schwerelos. Ich schnappte mir meine Tanzmaus und stakste in ihren Armen dahin wie ein in letzter Sekunde dem Killerkommando der Mafia entkommener Kronzeuge mit Betonklotz am Bein. Die mangelnde Geschmeidigkeit in Hüfte und Kniegelenk lag zum einen an den vermaledeiten Schritten, die ich noch nicht verinnerlicht hatte (eins, zwei, drei, STEP! – eins, zwei, drei, STEP!), zum anderen an dem Umstand, daß es nur eines kleinen Rucks bedurft hätte, um den erwachenden Frauenkörper meiner Hobbyballerina an mich zu pressen. Soweit ist es zwar nie gekommen, aber die Vorstellung allein genügte, einen in den hormonellen Wahnsinn zu treiben.
Daran änderte sich auch in den nächsten Wochen nichts, und so war es nur natürlich, daß ich Rumba, Cha Cha, Walzer und all die anderen Verrenkungen mit schweißnassen Händen und einem Dauerständer einstudierte.
Der einzige erektionslose Tanz, den man uns unter der Bezeichnung Disco-Fox unterjubelte, war ein skurril anmutendes Solo-Gehopse, bei dem man zu einem hämmernden Beat die Beine mechanisch bewegte und die Füße wie ein nach panisch umherirrenden Japanern tretender Godzilla auf den Boden stampfte. Ich kann mir nicht helfen – entweder war das damals die Geburtsstunde des Breakdance, oder aber unsere Tanzlehrerin war eine außergewöhnliche Visionärin und veranstaltete mehr als zeitig das Casting zum Angriff der Klonkrieger.
So hätten die Dinge ihren aufwühlenden, aber vergleichsweise harmlosen Lauf nehmen können, wenn nicht eines Tages Dorothee mit dem Ansinnen an mich herangetreten wäre, auf dem bevorstehenden Abschlußball am Preistanzen teilzunehmen. Ich muß unter Drogen gestanden haben, anders kann ich mir nicht mehr erklären, warum ich damals zustimmte. Dorothee jedenfalls war ganz versessen auf die öffentliche Zurschaustellung unserer rhythmischen Begabung, nicht zuletzt auch deshalb, weil ihre Freundin Martina und mein Kumpel Antonio sich schon in die Exekutionsliste eingetragen hatten.
Also steckte auch ich meinen Kopf in die Schlinge, und wie nicht anders zu erwarten, wurde ich gehenkt.
Die feierliche Zeremonie fand in der Aula eines Gymnasiums statt. Meine Familie war vollständig anwesend, und außer ihnen noch Millionen anderer Menschen. Der Ort des Abschlußballs schien das Endziel einer Völkerwanderung geworden zu sein. Rammelvoll, die Bude.
Angesichts der Tatsache, daß ich braunbärfarbene Cordhosen und Hemden mit tellergroßen Kreisen in psychodelischem Kolorit seit einiger Zeit gegen T-Shirt, verwaschene Jeans und Turnschuhe – diese geilen weißen Adidas-Teile, knöchelhoch und mit drei schwarzen Streifen versehen – eingetauscht hatte, kam ich mir in dunkelblauem Jacket, weißem Hemd und schwarzer Stoffhose outfittechnisch ziemlich desorientiert vor. Noch schlimmer waren die dunkelblauen, über und über mit weißen Kreuznähten versehenen Treter, die ich eigens für diesen Abend verpaßt bekommen hatte – da mein Taschengeld nicht mal eben für neue Latschen reichte und sich in meinem privaten Fußbekleidungsfundus nur Turnschuhe befanden, war ich notgedrungen mit dem modebewußten Beraterstab Mutti & Omi losgezogen und hatte mich dem Diktat ihrer Geldbörsen beugen müssen: Jung, die Schuhe hier, guck mal, die sind doch mal sowas von schön!
Jo, die schönen Schuhe hatte ich jetzt am Hals. Gut, eigentlich an den Füßen. An meinem Hals baumelte stattdessen die hellblaue Lederkrawatte wie eine Kuhglocke. Sie läutete zwar nicht, war in meinen Augen aber nicht minder auffällig.
Der eigentliche Abend begann dann mit dem Aufgalopp der Tanzwütigen. Ich mischte mich mit Dorothee in den Pulk und versuchte verzweifelt, nicht an das bevorstehende Preistanzen zu denken. Eingestimmt von dem dubiosen Anheizer am Mischpult – und jetzt, liebe Tanzfreunde, ist es Zeit für einen Rrrruuuummmbaaaa – übten wir die Tänze ein, die wir schon sehr bald unter Wettbewerbsbedingungen und deutlich verkleinerter Mannschaft aufzuführen gedachten.
Und dann war es auch schon soweit. Mucke aus, Licht auf volle Pulle, die Tanzfläche wurde geräumt. Das kleine Häufchen Aufrechter, die nun vor den Augen des interessierten Publikums und der Jury ihr grandioses Können demonstrieren mußten, wurden in einen Nebenraum gelotst, um sich dort mental vorzubereiten und die Rückennummern für den Wettbewerb abzuholen.
Die mentale Vorbereitung konnte ich mir schenken, mein Gefühlsleben war völlig im Eimer. Alles, was ich mir in diesem schlechtbeleuchteten Vorhof zur Hölle noch wünschte, war, wenigstens nicht als Erster die elitäre Truppe von zehn Paaren in die Arena führen zu müssen.
Ich hatte schweinemäßiges Glück. Dorothee und ich bekamen die Startnummer Sieben – meine Glückszahl. Wir stellten uns also ziemlich am Ende der kurzen Reihe auf und befestigten die Schilder auf unseren Rücken. Hier war es eindeutig kuscheliger als in vorderster Front, fast schon schnieke.
Der Zug sollte sich gerade in Richtung Saal in Bewegung setzen, als das Schicksal mit erbarmungsloser Härte zuschlug. Die Paare „Eins“ und „Sieben“ wurden gebeten, noch einmal an den Tapeziertisch der Nummernausgabe zu treten.
Mir war klar, was jetzt kam. Wir tapperten zu den Schicksalsengeln des Tanzsports. Die Pappköppe hatten die Startnummern falsch zugeordnet. Doch statt nun alles so zu belassen, wie es war, achteten sie in ihrem Übereifer auf korrekte Marschordnung.
Innerhalb weniger Augenblicke fand ich mich am Anfang der Reihe wieder und wollte sterben.
Für große Gefühle war aber keine Zeit.
Fanfare! Tusch! Einmarsch der Gladiatoren.
Meine erstaunlich gelassene Partnerin im rechten Arm untergehakt, marschierte ich an der Spitze der mir zugeteilten Tanzdivision in die Schlacht. Keine Ahnung, was Dorothees Eltern gedacht haben, als das seitengescheitelte und farbenfroh gekleidete Pickelgesicht ihr Püppchen ins Rampenlicht geleitete. Meine Anverwandten waren jedenfalls ganz angetan von der Maus an meiner Seite – insbesondere ihr wadenlanger Glockenrock weckte ihre Begeisterung.
Nun, diesen Rock brachte ich gleich darauf so richtig in Schwingung. Was in all den Tanzstunden zuvor nie so richtig hatte funktionieren wollen, jetzt plötzlich lief es wie geschmiert, oder, um es treffender auszudrücken: es fluppte!
Wir walzerten so geil einen auf´s Parkett, daß ich schon unsere gemeinsame Zukunft vor Augen sah: ich würde Dorothee ehelichen, und sie würde mir einen ganzen Stall voller Kinder schenken.
Mucke aus, Applaus!
Dann kam ein Cha Cha. Himmel, waren wir gut. An diesem Abend hätte ich jeden Latino in der Pfeife geraucht.
Wer weiß, auf welchem Platz wir schlußendlich gelandet wären, wenn uns nicht plötzlich mitten in der kunstvollen Darbietung so ein blöder Esel mit seiner Liebsten in die Parade gerauscht wäre.
„Oh, Entschuldigung!“ meinte der Kerl nur und jöckelte weiter.
Macht ja nix, du verschissener Eintänzer!
Dorothee und ich wippten in den Knien, um wieder in den Rhythmus zu kommen.
Eins, zwei, cha cha cha... eins, zwei, cha cha cha...
Und ab ging die Post.
Wieviele Tänze wir insgesamt aufführten, weiß ich nicht mehr. Irgendwann war dann Schicht, die Jury beriet sich und verkündete ihr Urteil.
Dorothee und ich hatten den vierten Platz belegt. Gar nicht übel, wie ich fand. Vor allem deshalb, weil uns aufgrund des Zusammenstoßes eine Menge Punkte abgezogen worden waren, auch wenn wir für die Orientierungslosigkeit des Döspaddels nichts konnten.
Ohne den Zwischenfall mit der Blindschleiche wären wir wohl in die Ränge gekommen. Aber was ich als Erfolg verbuchte, war für Dorothee eine nicht wiedergutzumachende Niederlage. Martina und Antonio waren nämlich die strahlenden Sieger des Abends.
Gold! Fanfare! Tusch!
Das paßte meiner Tanzschnecke überhaupt nicht. Sie rauschte wütend ab und ließ sich nicht mehr beruhigen.
„Den F-Kurs kannst du dir in die Haare schmieren!“ ließ sie mich noch mit lobenswerter Deutlichkeit wissen.
Den Fortgeschrittenenkurs habe ich dennoch besucht. Meine neue Tanzpartnerin war eine pummelige Grobmotorikerin, die sich einfach nicht führen ließ. Entsprechende Kraftakte meinerseits erinnerten mich häufig an ein Judotraining – statt eleganter Links- und Rechtsöffnung beim Rumba hatte ich oftmals das Gefühl, zu einem Hüftwurf anzusetzen.
Der Oberhammer war dann, daß sie mich um die Teilnahme am Preistanzen bat.
Na logi, Puppe, sonst noch´n Wunsch?
Mit Ach und Krach gelang es mir, ihr diese abstruse Idee wieder abzuschwatzen. Danach hing der Tanzsegen natürlich schief, und so verbrachte ich den Rest des F-Kurses mit einer ständig grimmigen Fresse vor Augen. Hallelujah, in so einem Kurs lernt man wirklich nette Mädels kennen.
Ich habe mich dann später noch insofern an meinem Tanzelefanten gerächt, als daß ich sie beim Abschlußball hab sitzen lassen.
Vertanztes Kind scheut schließlich das Feuer.
Für alle Zeit.