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Flucht und Vertreibung
Flucht/Vertreibung
Weiß nicht mehr, wann ich geboren wurde. Muss schnell gegangen sein. War zusammen mit meinen Geschwistern. Dann haben sie mich angeschaut, mich und meine Geschwister, aber nur mich mitgenommen. Erst Trauer, wochenlang. Danach war es nicht mehr schlimm. Glaube, ich war sogar glücklich. Sie haben sich um mich gekümmert. Mit mir gespielt, im großen Garten, mit dem Apfelbaum in der Mitte. Die zwei Kleineren. Sie gaben mir viel zu essen und ihre Liebe. Ich ging mit ihnen, wo auch immer sie hingingen. Ich fühlte mich behütet, war wieder Kind.
Doch dann sind sie einmal mit mir in die Stadt gegangen. „Zur Apotheke“, jaja, „Apotheke“ haben sie gesagt. Ich verstand nicht. „Du musst hier warten“, „warten“, „warten“, das haben sie gesagt. Ich bin draußen geblieben. Dann sind auf einmal diese Männer gekommen und haben mich weggezerrt. Hab versucht mich zu wehren, hab gebissen. Und geschrieen. Doch sie hörten mich nicht hinter der Glastür, sie wussten es nicht, war nicht ihre Schuld. Pech, Zufall, ich ausgeliefert des Teufels Generälen. Dann kam ich in diesen Käfig. Sah Andere in Käfigen, sie heulten, vielleicht wussten sie was kommt. Spritzen durch die Käfiggitter. Ewiger Schlaf. Sie gaben mir zu essen, ich wusste ich sollte es nicht tun, doch ich aß. Ich aß.
Blaues Licht und Dunkelheit durchtränkten meine Augen. Wusste nicht mehr, ob Tag oder Nacht. Wusste nicht mehr. Meine Beine wurden lahm, das Essen… Sie haben mich an Geräte angeschlossen, mir noch mehr Futter gegeben. Sie haben „getestet“, furchtbarer Schmerz, Tage, Wochen, habe versucht meinen Kopf an den Gitterstäben zu zerschmettern. Nicht geklappt, aufgeben. Dunkelheit, unfassbarer Schmerz, Erinnerungen an Zuhause. Monate, Jahre? Eingeschlafen. Stille.
Doch dann sind sie gekommen. Haben Masken aufgehabt. Brachten das Licht zurück. Ja, haben mit irgendwas geleuchtet. Haben von mir und meinen Kameraden alle Käfige geöffnet. Wir, raus! Nur noch gerannt. Egal wohin. Nur noch raus, raus, raus! Draußen war es dunkel. Bin gerannt durch Wälder, über Straßen, durch die Städte, hab nicht angehalten, bis es Tag wurde. Kam zum Nachdenken. Ich wusste, ich musste zurück zu meiner Familie. Hatte eine Karte im Kopf, hab das Zuhause gerochen. Bin wieder losgerannt. Durch die Wälder, über die Straßen, durch Gärten und Siedlungen. Es wurde Nacht und es wurde wieder Tag. Dann bin ich angekommen.
Das Haus war verfallen, sah leer aus, kein Licht, keine Geräusche. Bin zur Tür. Verschlossen. Dann in den Garten. Das Gras war nicht geschnitten. Der Baum schien verdorrt, hatte keine Äpfel mehr. Dann hab ich das Bewusstsein verloren, bin im Gras eingeschlafen. Habe von meiner Familie geträumt, von den beiden Kleineren. Habe sie gemocht. Träumte von den Spritzen, den Käfigen, der Dunkelheit. Dann bin ich erwacht. Sie standen um mich herum, die langen dunklen Männer, irgendetwas in der Hand. Dann haben sie es auf mich gerichtet, ein lauter Knall. Dann bin ich wieder erwacht, und ich sah meine Familie, die zwei Kleineren, den Garten, das Gras war geschnitten und das Haus nicht verfallen. Ich war glücklich. Nur der Baum im Garten, der war nicht mehr da.