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Flucht

Seniors
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22.02.2005
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Flucht

Der Nachtbus ist bis auf die drei Jungs und mich leer. Meine Freundin habe ich in der Bar gelassen und sie dem hübschen Typen mit der Brille zurückgelassen. Eigentlich hatte sie mich zu einem netten gemeinsamen Abend eingeladen, weil wir lange schon nichts mehr unternommen hatten. Ich solle mich wieder einmal unter Menschen wagen, hatte sie mir halb im Scherz gesagt, ich würde mich zu sehr für meine Arbeit aufopfern. Wir hatten Spaghetti Bolognese gekocht, wobei sie mir das Zwiebelschneiden überlassen hatte. Wir kochen immer Spaghetti Bolognese, ich kann mich nicht erinnern, etwas anderes zusammen gekocht zu haben, und ich muss die Zwiebeln schneiden. Wie früher musste ich lachen vor lauter Tränen, so heftig, dass wir beide lachend am Boden lagen. Dann sind wir ausgegangen und durch die Stadt gezogen, bis wir diesen Typen angetroffen haben. Aus dem netten Abend ist dann nichts geworden, als gute Freundin habe ich mich diskret zurückgezogen. Sie war auf den ersten Blick verknallt, und er wahrscheinlich auch. Mir passiert nie so etwas. Nur den anderen. Das letzte Mal als... ach was. Ich wüsste nicht, ob ich es ertragen könnte, ob ich glücklich sein könnte, ohne ständig an ihn denken zu müssen. Nein, wahrscheinlich könnte ich es nicht, ich will es auch nicht.

Einer der drei Jungs, der mit dem bescheuerten Baseballcap, hockt breitbeinig da, grinst zu mir herüber und macht eine obszöne Geste. Seine Freunde lachen blöde. Ich versuche selbstsicher zu bleiben und ignoriere sie. Halbstarke, pubertierende Jungs, rede ich mir ein. Ganz überzeugt bin ich nicht, sie scheinen es zu merken und lachen. An der nächsten Haltestelle steige ich aus. Sie fahren weiter.
Erleichtert spanne ich den Schirm auf, der mich jedoch nicht gänzlich vor dem feinen Nieselregen schützt. Es ist nicht sehr weit, ich biege in die nächste Nebenstrasse ein. Jedes Mal, wenn ich mich einem dunklen Hauseingang nähere, den das fahle Licht der Strassenlaternen nicht zu erhellen vermag, beschleunige ich meinen Schritt. Endlich vor der Haustüre angelangt, schüttle ich das Wasser vom Schirm, trete ein, steige die Treppe in den ersten Stock hinauf, öffne die Wohnungstür und schliesse diese zuletzt erleichtert ab. Den Schlüssel lasse ich stecken.
Ich habe zwar keinen richtigen Hunger, aber trotzdem Lust auf etwas Süsses. Schokolade. Schokolade macht glücklich. Ich schaue nach, finde aber nur noch ein letztes kleines Stück, den Rest der Tafel muss ich in einer Fressattacke gegessen haben. Also gehe ich zum Kühlschrank, der, wie ich feststellen muss, nur noch ein angeschimmeltes Sandwich, eine Karotte und ein wenig Käse enthält.
Trotzdem versuche ich, es hinauszuzögern und schalte den Fernseher ein, aber wie erwartet laufen jetzt nur noch nicht ganz jugendfreie Programme. Ich drücke den roten Knopf und schaue auf die Uhr. Halb drei. Gut, ich trotte widerwillig ins Bad und putze die Zähne, lasse mir dabei aber Zeit. Meine Augen brennen bereits vor Müdigkeit, aber ich will nicht schlafen. Nur ungern erinnere ich mich daran. Die Träume. Jede Nacht.

Vor mir eine zugemauerte Wand. Der Mörtel ist noch frisch. Ich entferne die Ziegelsteine und erschrecke, kann aber nicht schreien. Ein lebloser Körper hängt vor mir, in blutige Leintücher gewickelt. Baumelt mit einem Strick um den Hals vor meinen Augen. Es ist ein Kind. Ich kann mich nicht bewegen, will fliehen, davon rennen, bleibe jedoch wie angewurzelt stehen. Dahinter quellen jetzt noch mehr solcher Körper hervor, allesamt Tote, verdeckt durch weisse Tücher, ohne Identität. Endlich kann ich laufen. Ich renne weg, versuche mich vor meinen Verfolgern zu verstecken. Vielleicht finden sie mich nicht, wenn ich durch den Fluss schwimme...

Das Bild habe ich noch vor mir, ich muss dazu nur die Augen schliessen. Dankbar, aufgewacht zu sein, habe ich mir heute Morgen, nach der täglichen eiskalten Dusche, einen Kaffee gemacht und Radio gehört. Radio bringt mich wieder in diese Welt. Doch das schreckliche Bild ist geblieben, so wie das ständige Gefühl, verfolgt zu werden.
Ich bin Frühaufsteher. Manchmal bin ich schon um vier Uhr Morgens wach, danach schlafe ich nicht wieder ein, weil ich Angst davor habe. Aber man kann es drehen wie man will, Abends bin ich erschöpft und falle nach einem langen Tag ins Bett. Vor zwei Tagen, nach der Rückfahrt von der Büchermesse, bin ich sofort eingeschlafen, ohne die Kleider gewechselt zu haben.

In meiner Hand spüre ich das kalte Eisen, es verleiht mir ein gewisses Gefühl von Sicherheit. Es ist noch still, ich sitze in einer Ecke und warte. Der fensterlose Raum ist kahl. Sie werden kommen. Unten höre ich schon das rhythmische Stampfen. Sie rennen gegen die Burg an. Verzweifelt blicke ich zur Bodenluke. Man kann sie nicht schliessen. Ein gewaltiges Krachen, sie haben das Tor gesprengt. Jetzt höre ich, wie sie sich nähern. Ich versuche mit allen Mitteln, die Luke zu versperren, aber das Holz ist zu schwach. Von unten stürmen sie herauf, kalter Schweiss rinnt an meinem Körper herab. Die Wände rücken näher zusammen, verziehen sich, wie wenn ich Fieber hätte und sich alles um mich dreht. Meine Kehle schnürt sich zu.

Meine Hände fahren über die vernarbte Stelle. Die Naht ist verheilt, doch ich habe das Gefühl, immer noch zu bluten. Ich kann immer noch nicht begreifen, wie ein einziger Moment ein Leben auslöschen kann. Nein, zwei Leben. Das Kind.
Sie verfolgen mich, diese grellen Scheinwerfer des Lasters, der auf uns zurast. Ich weiss nicht, wieso ich es überlebt habe, ich wünschte, ich wäre auch gestorben mit denen, die ich liebe, wünschte, jetzt mit ihnen im Paradies zu sein. Aber wenn es kein Paradies gibt?
Die verrauchten Kleider werfe ich in den Wäschekorb und ziehe meinen Pyjama an. Da fällt mir ein, dass im Vorratsschrank doch noch eine Packung Kekse sein muss... Mist. Habe die Zähne schon geputzt.

Zähne, grosse, weisse, scharfe Zähne schnappen nach mir. Die Nazis in ihren braunen Uniformen haben Hunde auf mich gehetzt. Ich versuche, über den Maschendrahtzaun zu klettern, aber ich schaffe es nicht. Die anderen sind drüben. Noch einmal sammle ich alle Kraft, aber ich komme nicht los. Wieder schnappen die Zähne nach meinen Beinen, erwischen nur Luft. Aber es wird knapp, meine Füsse finden keinen Halt. In der Ferne noch mehr bellende Hunde, alle hinter mir her. Der dünne Draht schneidet immer tiefer in meine blutigen Hände, die sich nicht länger halten können. Ich falle.

Es gibt Momente, da öffnet sich vor uns der Abgrund unserer Seele. Plötzlich stehen wir davor und blicken hinab, erstaunt und erschrocken zugleich. Eigentlich ist der Abgrund schon immer da gewesen, er wird auch immer da bleiben, aber uns ist es nicht bewusst, wir übersehen ihn, da er so dunkel ist. Keiner schaut gerne da hinunter, es ist, als öffne sich vor uns die Unterwelt. So hatten sich die alten Griechen vielleicht den Hades vorgestellt. Genau weiss ich es nicht.

In eben diesen Momenten fällt ein Lichtstrahl in den Abgrund und erleuchtet ihn, doch man wünscht sich lieber die Finsternis herbei. Denn das, was sich unseren Augen darbietet, erschüttert uns zutiefst. Menschen, die keinen festen Stand haben, schwanken, versuchen das Gleichgewicht zu halten. Vergebens. Sie stürzen hinunter, können sich vielleicht noch an einem Ast halten – nicht lange, denn diese dünnen Äste vermögen das schwere Gewicht nicht zu halten, sie brechen unter der Last. Und während dem Fall entfernt sich der Lichtstrahl immer mehr bis er verschwindet. Darauf schliesst sich der Abgrund.

Ein kaltes Bett erwartet mich. Ich wünschte, er wäre hier, wünschte, seine Wärme zu spüren, um nicht in die endlose Schwärze zu fallen. Wenn ich alleine im Bett liege, muss ich unwillkürlich ans Krankenhaus denken, an das einsame Zimmer. Danach habe ich alle weisse Bettwäsche entsorgt und mir bunte Sachen gekauft. Ein bisschen geholfen hat es.
Vielleicht hilft es mir jetzt, im Buch weiter zu lesen. Terry Pratchett heitert mich sonst immer auf, aber ich kann meine Augen kaum mehr offen halten, die Buchstaben vor mir verschwimmen und fangen an zu flimmern. Ich lösche das Licht, aber gleichzeitig versuche ich, es wieder zu finden. Langsam taste ich mich weiter, doch die scharfen Felskanten zerkratzen meine Hände. Ich sehne mich nach dem Lichtstrahl, der mir eines Tages den Weg nach oben zeigt.

 

Hallo sirwen,

Deine Geschichte hat mir gut gefallen. Das Verschmelzen der Träume mit der Erzählung finde ich gut, allerdings überlege noch, ob Du vielleicht die Träume irgendwie kenntlich machen solltest, vielleicht durch Kursivschreibung.

Gerne gewusst hätte ich, was es mit den Alpträumen auf sich hat. Ich denke, da hättest Du noch das Eine oder Andere zu schreiben können.

Ansonsten eine flüssig geschriebene Geschichte, die sich angenehm liest. Hat mir gefallen.

Da ich davon ausgehe, dass Du Schweizerin bist, werde ich Dir die „ss“- Sachen nicht auflisten, allerdings hat sich gegen Ende ein Tippfehler eingeschlichen:

Ich sehen mich nach dem Lichtstrahl,

Schätze, es soll Ich sehne mich... heißen

Liebe Grüße,
gori

 

Hallo gori!

Vielen Dank für deinen Kommentar, da hat sich doch jemand meiner Geschichte erbarmt! :D

Zu den Albträumen wollte ich eigentlich noch mehr schreiben, aber ich wusste nicht was und wie, es ist mir nichts Schlaues eingefallen (werde mir aber Gedanken dazu machen!). Jetzt habe ich das einfach so offen gelassen und gehofft, dass der Leser sie auf seine eigene Art interpretiert. Vielleicht hast du gemerkt, dass sie alle etwas Gemeinsames haben (siehe Titel) und mit den Gedanken der Prot am Schluss zu tun haben...

Auf alle Fälle habe ich jetzt die Träume kursiv gesetzt (Danke für den Tipp!).

Liebe Grüsse
sirwen

 

Hallo sirwen!

Deine Geschichte gefällt mir soweit gut und ich kann mich goris Meinung anschließen. Es gelang mir, mich in deine Protagonistin mit ihren Empfindungen hineinzuversetzen.

Sprachlich hast du die Kurzgeschichte anschaulich ausformuliert; sie ist flüssig zu lesen. Die Textpassagen der Albträume kommen durch die Kursivsetzung gut zur Geltung. Dass der Text ohne Wörtliche Rede auskommt, fällt nicht negativ auf.

Inhaltlich tue ich mir etwas schwer mit der Interpretation.

Jetzt habe ich das einfach so offen gelassen und gehofft, dass der Leser sie [die Albträume] auf seine eigene Art interpretiert. Vielleicht hast du gemerkt, dass sie alle etwas Gemeinsames haben (siehe Titel) und mit den Gedanken der Prot am Schluss zu tun haben...
Es geht in den Albträumen um eine Flucht – der Titel sagt es, klar. Allerdings sehe ich keinen Zusammenhang zwischen den einzelnen Albtraumsequenzen und ich frage mich, vor was deine Protagonistin flüchtet. Vor ihrem eigenen Leben vielleicht?
Am Ende liegt sie im Bett und sie zerkratzt ihre Hände an einem Felsen – ein Fels im Schlafzimmer? Ich nehme also an, der nächste Albtraum beginnt?

Ein paar Fragen bleiben für mich noch offen. Daher würde ich es gut finden, wenn du den Text etwas mit (ansatzweisen) Erklärungen erweitern würdest.
Vielleicht kannst du mir mal einen Hinweis geben, um das inhaltliche Verständnis klarer erscheinen zu lassen?

Also gehe ich zum Kühlschrank, der, wie ich feststellen muss, nur noch ein angeschimmeltes Stück Brot, eine Karotte und ein wenig Käse enthält
Brot, das im Kühlschrank gelagert wird? :confused:

Manchmal bin ich schon vier Uhr Morgens wach
... bin ich schon um vier Uhr ...

Von Unten stürmen sie herauf
unten

Viele Grüße,

Michael :)

 

Hallo Michael!

Danke fürs Lesen und für die Kritik!

Brot, das im Kühlschrank gelagert wird?
Tja, es ist ein wenig peinlich, aber wir zu Hause lagern das Brot tatsächlich im Kühlschrank. :D Ich weiss, andere Leute machen das nicht.

Mit der Interpretation hast du nicht ganz Unrecht. Ich habe es mir so vorgestellt, dass meine Prot einerseits vor dem Leben flüchtet und andererseits eben aus diesem Tief (Abgrund), in dem sie ist, flüchten will. Eine Art doppelte Flucht. Die Traumsequenzen sind wirr, weil sie im richtigen Leben ebenfalls unklar sind. (Kafka darf das auch! :Pfeif: ). Ich muss eingestehen, dass das in einer Geschichte noch einen tieferen Sinn haben sollte. Naja, hoffentlich fällt mir was ein!
Das Ende ist sowohl als Albtraum als auch figürlich zu verstehen.

So, vielleicht kannst du mir jetzt ja helfen, wie ich das im Text andeuten soll :shy: .

Liebe Grüsse
sirwen

 
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Hallo noch mal!


Tja, es ist ein wenig peinlich, aber wir zu Hause lagern das Brot tatsächlich im Kühlschrank. :D Ich weiss, andere Leute machen das nicht.

Jedem das seine. Solange ihr die Wurst nicht im Brotkasten lagert ... ;)


Die Traumsequenzen sind wirr, weil sie im richtigen Leben ebenfalls unklar sind. (Kafka darf das auch! :Pfeif: ).
Solange man einen Sinn aus den Traumsequenzen interpretieren kann, macht es meines Erachtens nichts, wenn sie etwas wirr sind.

Ich hab bei kg.de schon wirreres Zeug gelesen, das überhaupt keinen Sinn ergab. Die Pointe war, dass es sich dabei bestenfalls um einen Traum handelte. Schlimmer hätte der Plot nicht sein können. Das ist bei deiner Geschichte allerdings nicht der Fall.


Ich habe es mir so vorgestellt, dass meine Prot einerseits vor dem Leben flüchtet und andererseits eben aus diesem Tief (Abgrund), in dem sie ist, flüchten will. Eine Art doppelte Flucht.
Jetzt wird's schwierig. :D Deine Protagonistin (du hast ihr leider keinen Namen gegeben) hat Probleme im Leben, vor denen sie flüchten will. So weit so gut. Das kam bei mir beim Lesen deutlich an. Gleichzeitig hat sie Albträume, aus denen sie ebenfalls flüchten will. Allerdings kann man Träume nicht beeinflussen.

Realistischer würde es mir erscheinen, wenn deine Protagonistin sich in eine Traumwelt zurückziehen würde. Der bräuchte sie dann allerdings nicht entfliehen, da sie die ja nach ihren eigenen Vorstellungen erschaffen kann.

Also zurück zu den Albträumen. Da Träume auf real Erlebtes basieren und man sie nicht beeinflussen kann, muss deine Protagonistin also erst im realen Leben mit ihren Problemen zurechtkommen, damit die Albträume aufhören.

Willst du in der Geschichten auch einen Lösungsansatz für die Probleme, vor denen deine Protagonistin flüchtet, andeuten, oder soll sich die Geschichte darauf beschränken, dass sie dem Leser einfach nur veranschaulichen soll, dass deine Protagonistin tagsüber mit ihren realen Problemen und nachts über mit ihren irrealen Problemen, den Albträumen, zu kämpfen hat?

Bei Letzterem könntest du ja noch Sätze einbauen wie z. B. "Ich kann ihnen [den Albträumen] nicht entfliehen, ich komme nicht heraus aus diesem Abgrund."


Eine andere Frage: Was für Probleme hat deine Protagonistin eigentlich im Leben?
Durch

Ich wünschte, er wäre hier, wünschte, seine Wärme zu spüren, um nicht in die endlose Schwärze zu fallen
nehme ich an, dass ihr Freund sie verlassen hat und sie sich nun nach seiner Nähe sehnt? Da das passé ist, flüchtet sie nun vor ihrem weiteren Leben. Würde logisch klingen, oder? :)


Zwei orthografische Dinge:

Und während dem Fall entfernt sich der Lichtstrahl
des Falls
Langsam taste ich mich weiter doch die scharfen Felskanten zerkratzen meine Hände.
Komma nach "weiter".

Die Felskanten (im Schlafzimmer) finde ich am Ende etwas verwirrend. Ich verstehe nicht ganz, wie sie figürlich sein können. Ist das Haus in einen Felsen hineingebaut worden, um eine Hauswand zu sparen? :confused: :D


Den Titel würde ich umbenennen; klingt zu gewöhnlich. Es gibt allein bei kg.de ca. 20 Geschichten mit diesem Titel.
Evtl. "Doppelflucht"?

Falls du vorhast, die Geschichte noch mal nachzubearbeiten, würde ich an deiner Stelle mit der Titelvergabe allerdings bis zur Fertigstellung der Nachbearbeitung warten.


Ich hoffe, meine Gedanken und Anmerkungen helfen dir weiter.

Viele Grüße,

Michael :)

 

Hallo Michael!


Allerdings kann man Träume nicht beeinflussen.
Das ist möglich! Hast du noch nie einen luziden Traum gehabt, wo du die "Handlung" bis zu einem gewissen Mass beeinflussen konntest? Träume sind ein Spiegelbild unseres Unterbewusstseins, soweit ich informiert bin, deshalb geht es meiner Prot in ihren Träumen auch mies. Im richtigen Leben zieht sie sich zurück, aber ihre Seele will wieder fröhlich sein und kämpft gegen die depressive Seite, das hast du richtig gesehen. Die Träume ermahnen sie sozusagen, endlich aus dem Abgrund zu fliehen. Eine schöne Traumwelt als Rückzugsmöglichkeit ist die falsche Lösung. (Ich steh einfach nicht auf Prots, die geisteskrank werden und sich in irgendetwas hineinsteigern, da hab ich kein Mitgefühl!) Wenn sie nun im richtigen Leben endlich aufhört zu flüchten, hören ihre Albträume auch auf.

Wie hast du nur erraten, dass beim Bauen des Hauses eine Wand eingespart wurde? :D
Nee, ich dachte, ein realer Abgrund sei mit schönen Felswänden beschmückt, weshalb die Prot, welche sich ganz unten befindet, hinaufklettern will. Das ist während der Phase, wo man nicht zwischen Schlaf und Wachsein unterscheiden kann, wo sich das vermischt.

Auf alle Fälle nochmals Danke! Deine Anregungen werde ich beim Überarbeiten berücksichtigen, damit die Aussage ein wenig klarer wird.

Liebe Grüsse
sirwen

 
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Hallo sirwen,

ich kann mich im Großen und Ganzen Michael anschließen. Deine Geschichte ist flüssig und gut geschrieben. Einige Dinge bleiben aber zu sehr im Unklaren, als dass die Geschichte beim Leser hängenbleiben würde.

Ich habe anfangs gedacht, es handele sich um einen Mann. Wahrscheinlich wegen des Satzes, dass er (sie) seine Freundin zurückgelassen hat. Da dachte ich, die flirtet mit einem anderen Typen und der Mann flüchtet quasi vor dieser Situation. Beim Heimweg allerdings dachte ich: "Hm, so verhält sich eigentlich eher eine Frau." Von wegen schneller gehen an dunklen Ecken, etc. Kam mir wie ein Bruch vor. Erst als sie sich nach der Nähe und Wärme ihres (Ex-)Freundes sehnte, habe ich auch kapiert, dass es ja tatsächlich um eine Frau geht. :shy:

Mein Interpretationsansatz war eher, dass die Frau leichte paranoide Züge aufweist. Die Alpträume, das Gefühl, verfolgt oder bedroht zu werden (in der Bahn, auf dem Fußweg nach Hause), das alles deutete für mich darauf hin. Dass also gar nicht unbedingt reale Probleme existieren, sondern es sich vielmehr um psychische Probleme handelt. Nun hast du auf Michaels Kritik hin geschrieben, dass du genau so etwas nicht schreiben wolltest / willst. Beim Lesen kam es für mich aber so rüber. Wenn du das vermeiden möchtest, solltest du noch mehr Rahmenhandlung einbauen. Die Probleme deiner Prot konkreter zeigen. Denn so scheint sie eigentlich keine zu haben. Zu dem Freund: Er kann sie verlassen haben, vielleicht wohnen die beiden aber auch nicht zusammen und sie hatte einen Abend mit ihrer Freundin geplant. Dann wäre es auch logisch, dass er nicht bei ihr ist. Verstehst du, was ich meine? Es ist alles zu unklar. Daher musste ich von eher psychischen Problemen ausgehen.

Vier Kleinigkeiten sind mir noch aufgefallen. Zwei hat Michael schon angemerkt ("des Falls" und das Komma). Hier die anderen beiden:

Der Nachtbus ist bis auf die drei Jungs und mir leer.
und mich

und ziehe mein Pyjama an.
meinen Pyjama

Viele Grüße
Kerstin


Edit: Du hast ja doch von einer depressiven Seite in deiner Antwort geschrieben. Okay, lag ich also mit den psychischen Problemen doch nicht falsch. Ich hatte beim Schreiben meiner Antwort nur die Passage "Ich stehe nicht drauf, wenn die Prots geisteskrank werden" (sinngemäß) im Kopf.

 

Hallo sirwen,

so flott deine Geschichte auch geschrieben ist, so scheint es mir an Informationen zu fehlen. Dein/e Prot hat Albträume. Die sind so mächtig, dass sie er/sie Angst vor dem Einschlafen hat.
Oft ist es so, dass sich der Träumer selbst keinen Reim auf die Herkunft der Träume machen kann. Schwierig wird es, wenn der Leser keinen Hintergrund dafür hat. Die Träume verfolgenm bis ins reale Leben. Unter den Halbstarken im Bus wird ein Verfolger vermutet, sie kann kaum die spärlich beleuchteten Hauseingange passieren, schließt ihre Wohnungstür von innen ab. Da finde ich es höchst bedauerlich, dass mir kein Hinweis darauf gegeben wird, welches Trauma sie so verunsichert. Stilistisch ist die Geschichte ok, inhaltlich ist sie mir zu dürftig. Denn selbst, wenn es Prot nicht klar ist, dem Leser muss einsichtig bleiben, wovor Prot flieht.

Zwei Details noch:

wenn ich über den Fluss schwimme...
Über den Fluss gehst du wie weiland Jesus, schwimmen tust du durch den Fluss.
Die Wände rücken näher zusammen, verziehen sich, wie wenn ich Fieber hätte und alles um mich dreht.
Da fehlt irgendwo ein "sich"

ach ja: Brot schimmelt im Kühlschrank schneller als im Brotkasten. Es sollte nicht kühl gelagert werden. ;)

Lieben Gruß, sim

 

So, jetzt hab ich einige Sachen geändert. Nur noch einen besseren Titel muss ich mir einfallen lassen. :dozey:

@katzano: Mit "geisteskrank" meinte ich die Typen, die wirklich total durchdrehen und völlig irrational handeln. Kleine psychische Probleme sind ok.

@sim: Ich glaube, dass Frauen im allgemeinen verunsicherter sind als Männer. Gerade wenn es ihnen psychisch nicht so gut geht, haben sie vielleicht Angst vor dunklen Hauseingängen. Meine Prot ist allein, da fürchtet frau sich noch mehr.

Eigentlich wollte ich keine konkreten Probleme beschreiben, weil das für mich keine Rolle bei der Geschichte gespielt hat. Ich wollte dem Leser sehr viel Freiraum lassen, doch offensichtlich klappt das nicht. Jetzt sehe ich, dass dann der Plot gar keinen grossen Sinn macht ohne Begründung der Probleme. Doch diese Autounfall-Idee finde ich lasch, hat jemand eine bessere Idee?

Grüsse
sirwen

 

Die neue, ergänzte Version hat einiges hinzugewonnen. Man erfährt etwas über die Hintergründe und man kann sich somit besser mit der Protagonistin und ihrem Leben identifizieren. Der Inhalt macht eher einen Sinn.

Den Absatz mit den Spaghetti Bolognese halte ich für einen sinnvolle Ergänzung, der Verkehrsunfall erklärt das abgeschottete Leben der Protagonistin.

An sich finde ich die Verkehrsunfall-Idee in Ordnung.
Alternativen:

  • Der Freund deiner Protagonistin hat mit ihr Schluss gemacht
  • Ihre liebsten Menschen sind weggezogen

Das verschimmelte Sandwich gefällt mir auch besser als das Brot im Kühlschrank. :)


Dass die Träume keinen Sinn ergeben, stört mich inzwischen nicht mehr. Träume sind verworren – wie soll es in einer Geschichte anders sein?

Zur Beeinflussung von Träumen:
Da sie auf real Erlebtes basieren, werden sie so gesehen sicherlich vom eigenen Leben beeinflusst.
Aber kann man sie auch nachts, wenn man träumt, mit dem Unterbewusstsein beeinflussen und ihren Verlauf bestimmen? Ich glaube, das geht eher nicht. Sonst könnte man ja Albträumen entfliehen, oder?

Zum Titel: "Flucht" ist etwas einfallslos, und gleichzeitig passt er und trifft den Kern des Inhalts. Leider ist mir keine bessere Idee eingefallen. Vielleicht hat ein anderer Leser einen Vorschlag?

Viele Grüße,

Michael :)

 

Hallo Michael!

Dass der Freund der Prot mit ihr Schluss gemacht hat, habe ich mir zuerst auch als Möglichkeit überlegt, aber ich dachte, so extrem würde sie sich nicht aus der Gesellschaft zurückziehen.


Ich glaube, das geht eher nicht. Sonst könnte man ja Albträumen entfliehen, oder?
Ist mir schon passiert, dass ich während einem Albtraum gedacht habe, so etwas Absurdes kann ja nur ein Traum sein, worauf der Albtraum meinem Traum-Ich so lächerlich erschienen ist, dass ich gar keine Angst mehr hatte. Eventuell ist das nicht bei allen Menschen möglich, da müsste man einen Psychologen fragen.

Vielleicht fällt mir in nächster Zeit ein besserer Titel ein...

Nochmals Danke für's Lesen und liebe Grüsse
sirwen :)

 

Hallo sirwen,

eine gut lesbare Geschichte. Anschaulich beschrieben, so dass die Gefühle deiner Prot nachvollziehbar sind. Was stört ist der erste Teil des Textes. Er scheint mir ein wenig losgelöst vom Rest der Geschichte. Z.B. die Jungen im Bus hätte man weglassen können, da sie für deine story keine Rolle spielen. Zwar benutzt man solche Stellen, um einer kg mehr Dynamik zu verliehen, aber das ist am Falle dieser hier eigentlich nötig. Du beschreibst sehr schön den Verlust, als eine Lücke, die nicht mehr zu schließen ist und die immer gegenwärtig ist. Gern gelesen, wenn auch das gewisse Etwas, dass deine Geschichte zu einer wirklich guten Geschichte machen würde, fehlt. Was genau das ist, kann ich aber leider nicht sagen...so wie meistens bei den gewissen Etwas´... ;)

Meine Freundin habe ich in der Bar gelassen und sie dem hübschen Typen mit der Brille zurückgelassen
- meinst du überlassen? Auf jeden Fall zweimal lassen, das klingt nicht gut


Einen lieben Gruß...
morti

 

Hallo sirwen!

Schön, wie Du hier die Träume mit der Wirklichkeit verstrickst. Zwar finde ich auch, daß es Dir noch nicht so ganz gelungen ist, aber es fehlt nicht mehr viel. So könnte die Protagonistin vor den Jungs im Bus ja zum Beispiel aus irgendeinem Grund Angst haben, sei es durch eine Handlung oder z.B. das Gesicht eines der Typen (das könnte im Traum wieder auftauchen…).
Apropos Angst: Versuche vielleicht weniger, die Verbindungen zwischen Traum und Realität über Handlung offensichtlicher zu machen, sondern über ihre Gefühle. Eine weitere Möglichkeit wäre, gleiche Gedanken einzubauen, also daß sich Gedanken (oder auch Details in der Handlung, wie das oben erwähnte Gesicht) aus der Realität an der entsprechenden Stelle im Traum wiederholen.
Vielleicht willst Du dich ja auch noch mehr mit dem luziden Träumen beschäftigen? Da gibt es eine Seite mit Informationen und weiterführenden Links. :)

Die Nazis in ihren braunen Uniformen haben Hunde auf mich gehetzt.
Die Nazis würde ich rausnehmen, denn die Protagonistin ist wohl noch nicht so alt, daß sie das erlebt hätte, und einfach nur, um eine Situation furchterregender darzustellen, sollte man den Begriff nicht verwenden – Du schilderst die Flucht schon grausam genug, sodaß Du solche Mittel auch gar nicht nötig hast. Außerdem gehört der Satz wohl auch in Gegenwart: (Männer in rosaroten Uniformen) hetzen ihre Hunde auf mich. ;)

Die Sache mit dem Unfall hat aber eigentlich nichts mit Flucht zu tun. Ich dachte erst, einen Zusammenhang darin zu sehen, daß sie im Traum nicht über den Zaun kommt, während die anderen schon drüben sind. Aber dann würde sie sich ja gewünscht haben, daß sie ebenfalls stirbt. – Wie gesagt, würde ich die Zusammenhänge der Traumstellen mit der Realität konkreter und passender herausarbeiten. :)

Ein paar Kleinigkeiten noch:

»Der Nachtbus ist bis auf die drei Jungs und mich leer.«
– also ist er ja gar nicht leer. ;) Würde hier eher schreiben: Im Nachtbus sind/sitzen nur die drei Jungs und ich.

»Meine Freundin habe ich in der Bar gelassen und sie dem hübschen Typen mit der Brille zurückgelassen.«
– zweimal »gelassen«, Vorschlag: Meine Freundin habe ich in der Bar, bei dem hübschen Typen mit Brille, zurückgelassen.

»ich kann mich nicht erinnern, etwas anderes zusammen gekocht zu haben,«
– vor »etwas« würde ich noch »jemals« einfügen und evtl. statt »zusammen« »mit ihr« schreiben.

»und ich muss die Zwiebeln schneiden.«
– das klingt, finde ich, nicht sehr gut, würde evtl. zwischen »muss« und »die« noch »wie jedes Mal« oder »wie immer« einfügen

»Wie früher musste ich lachen vor lauter Tränen, so heftig, dass wir beide lachend am Boden lagen.«
– zweimal »lachen(d)«, würde statt dem zweiten einen stärkeren Ausdruck verwenden

»Dann sind wir ausgegangen und durch die Stadt gezogen, bis wir diesen Typen angetroffen haben.«
– würde nur »getroffen« (ohne »an-«) schreiben, da sie ihn ja nicht dort erwartet, sondern zufällig getroffen haben.

»Das letzte Mal als... ach was.«
– Leertaste auch vor den drei Punkten

»Seine Freunde lachen blöde. Ich versuche selbstsicher zu bleiben und ignoriere sie. Halbstarke, pubertierende Jungs, rede ich mir ein. Ganz überzeugt bin ich nicht, sie scheinen es zu merken und lachen.«
– wieder zweimal »lachen«, evtl. statt dem zweiten »grinsen«?

»Trotzdem versuche ich, es hinauszuzögern und schalte den Fernseher ein, aber wie erwartet laufen jetzt nur noch nicht ganz jugendfreie Programme.«
– einerseits finde ich die Formulierung »jetzt nur noch nicht ganz« nicht schön, andererseits dürfte die Protagonistin auch nicht mehr so jugendlich sein, daß sie diese Filme nicht sehen dürfte, Du gibst damit keine Erklärung, warum sie ausschaltet.

»putze die Zähne, lasse mir dabei aber Zeit. Meine Augen brennen bereits vor Müdigkeit, aber ich will nicht schlafen.«
– zweimal »aber«, würde das erste streichen.

»Dankbar, aufgewacht zu sein, habe ich mir heute Morgen, nach der täglichen eiskalten Dusche, einen Kaffee gemacht und Radio gehört. Radio bringt mich wieder in diese Welt.«
– nach »Morgen« und »Dusche« mußt Du keine Beistriche setzen
– Wiederholung von »Radio«, würde einfach schreiben: Das bringt mich wieder in diese Welt.

»Die Wände rücken näher zusammen, verziehen sich, wie wenn ich Fieber hätte und sich alles um mich dreht.«
– »wie wenn« ist auch nicht so optimal, aber mir fällt auch grad keine vernünftige Formulierung ein.

»Meine Kehle schnürt sich zu.

Meine Hände fahren über die vernarbte Stelle.«
– zweimal derselbe Satzanfang

»Da fällt mir ein, dass im Vorratsschrank doch noch eine Packung Kekse sein muss...«
– »doch« würde ich streichen
– Leertaste vor die drei Punkte

»aber ich schaffe es nicht. Die anderen sind drüben. Noch einmal sammle ich alle Kraft, aber ich komme nicht los. Wieder schnappen die Zähne nach meinen Beinen, erwischen nur Luft. Aber es wird knapp,«
– dreimal »aber«, würde das erste und das dritte streichen.

»In eben diesen Momenten fällt ein Lichtstrahl in den Abgrund und erleuchtet ihn, doch man wünscht sich lieber die Finsternis herbei.«
– hätte der Lichtstrahl, der in den Abgrund fällt, diesen auch nicht erleuchten können? Würde »und erleuchtet ihn« streichen, oder z.B. »erleuchtet ein Lichtstrahl den Abgrund« schreiben.
– »man«-Aussagen sollte man in Geschichten möglichst vermeiden – wer wünscht sich die Finsternis herbei?

»aber ich kann meine Augen kaum mehr offen halten, die Buchstaben vor mir verschwimmen und fangen an zu flimmern. Ich lösche das Licht, aber gleichzeitig versuche ich, es wieder zu finden.«
– zweimal »aber«

»Langsam taste ich mich weiter, doch die scharfen Felskanten zerkratzen meine Hände.«
– würde das »doch« streichen

Ach ja, und darauf bin ich auch noch gestoßen:

Tja, es ist ein wenig peinlich, aber wir zu Hause lagern das Brot tatsächlich im Kühlschrank.
Peinlich muß Dir das nicht sein, aber für die Gesundheit ist das nicht gut, da sich dabei irgendwelche krebserregenden Stoffe bilden (welche, hab ich mir natürlich nicht gemerkt, weiß das aber von einer Ernährungsberaterin).


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Susi!

Zum Bearbeiten habe ich noch keine Zeit gehabt, aber vielen Dank für die vielen Hinweise!

Mit dieser Geschichte habe ich Mühe gehabt, weil ich sie sehr intuitiv und ohne grosse Überlegungen geschrieben habe. Das mit den Träumen hat dann nicht so geklappt.
Du schreibst, der Unfall habe eigentlich nichts mit Flucht zu tun. Stimmt auf eine Art, aber was ich versucht habe zu zeigen, ist, wie sie sich von der Welt abschottet und von und in ihren Träumen verfolgt wird. Deinen Vorschlag finde ich aber gut, vielleicht schaffe ich es, Realität und Traum besser zu verweben. Und die Nazis werde ich rausnehmen, war wohl eher Effekthascherei...
Das mit dem Zaun: Sie wäre tatsächlich lieber mit den anderen zusammen gestorben (steht im Text). Ich glaube, das ist nicht so unrealistisch, wenn sie sich wünscht, bei den anderen, also im Jenseits zu sein?

Danke auf alle Fälle für das Ausgraben der Geschichte, ich verschiebe so gerne Sachen auf später und vergesse es dann. :Pfeif:

Liebe Grüsse
sirwen

 

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