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Formular 65b
oder
„Na toll! Also kann ich die Scheiße immer wieder wegräumen oder was?“
Die Erde ist schon ein dolles Ding. Rund und bunt und voller Leben. Leben, das sich jeden Morgen zur Arbeit quält. Im Stau steht. In übervolle Züge quetscht. Sex hat. Den Müll raus bringt. Oder dem Nachbarn auf den Rasen kackt.
„Oh nein! Haust du ab, du vermaledeites …!“
Das mit dem Rasen tat Benny jeden Morgen.
„Jeden verdammten Morgen tut er das!“
Benny war ein guter Hund. Benny war ein Golden Retriever wie er im Buche steht. Nur eben sehr unerzogen. Jedenfalls aus Sicht von Sven, dem er jeden Morgen auf das satte Grün seines Vorgartens schiss.
„Ich mach das nicht mehr lange mit. Irgendwann ist Schluss, Bernd, das sage ich dir!“
Nachbar Bernd beeindruckten Svens halbgare Drohungen nicht einen Zentimeter. Er fand ja, dass auch Hunde ein freies und selbstbestimmtes Leben führen sollten. In jeglicher Hinsicht.
„Tut mir wirklich Leid, Sven. Aber ich hab ihm tausendmal gesagt, dass er nicht auf deinen Rasen machen soll. Sorry, echt jetzt!“
Bernd stand im offenen Morgenmantel, Boxershorts, Tennissocken und Birkenstocklatschen in der Eingangstür seines kleinen Einfamilienhauses. Die Sonntagszeitung klemmte unter seinem Arm.
„Vielleicht solltest du ’ne Hecke oder ’nen Zaun oder wasweißich errichten. Das hält ihn dann bestimmt ab.“ Sagte es und ging grinsend ins Haus.
Sven murmelte ein ’Leck mich’ in sich hinein, stülpte sich eine Plastiktüte über die Hand und griff beherzt in den stinkenden, warmen Haufen.
Die Erde, das dolle Ding, dreht sich überhaupt nicht von alleine um die Sonne. Sie hat auch gar keinen flüssigen Kern und diesen ganzen unnötigen Firlefanz. Die Erde ist in erster Linie ein künstliches Gebilde für ein weltweites … Verzeihung galaktisches Experiment zur ’Genese eines zufriedenen Geistes’. Betrieben wird jenes Forschungsprojekt nicht von Gott oder so, sondern von den Deutschen. Die sind nämlich die einzigen, die das nötige Know-How besitzen. Deutsch ist intergalaktische Amtssprache, Golden Retriever sind eigentlich keine Hunde, sondern eine intelligente Spezies von hinterm Pferdekopfnebel und die Menschheit wurde für die Forschung gezüchtet. Was die ganze Sache mit Adam und Eva zumindest in den Grundzügen plausibel erscheinen lässt.
Sven arbeitet übrigens für die Deutschen in der Buchhaltung.
„Du bist zu spät, Sven!“
„Du merkst aber auch alles, hm?“
„Ich muss das notieren.“
„Notier’s halt! Typisch Deutsch!“
„Jetzt gib mir die Schuld dafür, dass ich Deutsch bin oder was? Du bist schließlich auch ’n Deutscher.“
„Aber kein echter.“
„Pff! Nur weil du in Wanne-Eickel geboren worden bist.“ Karl stocherte mit seinem Bleistift auf der Anwesenheitsliste herum und verdrehte nachdenklich die Augen Richtung Deckenlampe. „Ansonsten ist doch alles wie bei uns. Außer deine Unpünktlichkeit.“ Karl richtete die Augen wieder auf Sven.
„Gib mir nicht die Schuld“, erwiderte er.
„Wem dann?“
„Dem verkackten Hund!“
„Ach!“
Sven trug sich derweil in die Anwesenheitsliste ein.
„Na ja, der Hund kann ja nichts dafür. Eigentlich ist mein Nachbar Schuld.“
„Ach, kackt der dir jetzt auf den Rasen?“
Sven verschrieb sich.
„Nein, du Idiot. Aber er erzieht den Kö… Was erzähl ich dir das eigentlich? Du bist noch nicht mal von dieser Welt.“
Das stimmte. Karl kam irgendwo aus dem hintersten Winkel der Milchstraße. Universummäßig gesehen also gleich um die Ecke.
„Deswegen muss ich mich aber nicht gleich von dir diskriminieren lassen, hörst du! Los, an die Arbeit!“
„Scheiß Sklaventreiberalien!“
Das Institutsgebäude. Hm, Gebäude ist eine gänzlich unpassende Bezeichnung. So groß wie ein … Tja, wie lässt sich das in irdischen Maßen vergleichend ausdrücken …?
Das Institut für ’Galaktische Feldforschung und angewandte Forschungsfelder’ war halb so groß wie das Saarland. Das Büro des Dekanats war so groß, wie ein üblicherweise großes Büro. Nicht zu groß, um auf die Studenten nicht abschreckend zu wirken aber auch nicht zu klein, um den Studenten den gehörigen Respekt abzuverlangen. Dekan Sperling saß in seinem Sessel und inspizierte das von seinem Sekretär Knitting verfasste Memo.
„KNITTING!“ Es war sehr laut. Glas ging zu Bruch.
Knitting kippte um. Während des Kippens ermahnte er sich, beim nächsten Mal nicht direkt neben dem Dekan zu stehen, wenn er Memos mit schlechten Nachrichten las.
„Knitting, was lese ich denn da für schlechte Nachrichten? Das Formular ist genehmigt worden? Gut, gut, irgendwann musste es ja mal passieren. Aber wissen sie eigentlich was das bedeutet? Wissen sie eigentlich wie weit uns das in unseren Forschungen um die Zufriedenheit des Geistes jedes Mal zurückwirft? Scheiße! Das macht mich ganz unzufrieden, Knitting. Knitting, hören sie mir überhaupt zu?“
Das Gesicht des Sekretärs versuchte in diesem Moment eine innige Umarmung mit dem Fliesenfußboden einzugehen. Seine Zunge fuhr über eine Fuge und überredete die Lippen zu ein paar Wortbrocken.
„Ja, Degfan. If habve fugehövt.“
Svens Arbeit war immens wichtig und stupide zugleich. Sieben Tage die Woche wichtig und stupide. Kein Urlaub, keine Überstunden, keinen Spaß. Für jemanden mit einem Diplom in Informatik und einem Doktor in Astrophysik somit kaum vorstellbar. Svens Aufgabe war es Anträge für die Forschung zu genehmigen. Sein wichtigstes Werkzeug: ein Stempel. Sein zweitwichtigstes Werkzeug: ein Stempelkissen. Er entschied über Flutkatastrophen, Lottogewinne, Börsencrashs und die wirklich wichtigen Dinge, wie zum Beispiel über das Wetter der nächsten Tage in Olpe. Seit er für den Job angeworben wurde, seit ihm alles über die echte Welt da draußen in der Galaxie verklickert wurde, seit er wusste, dass sein Diplom und sein Doktorgrad da draußen einen Scheiß wert sind – ja, seitdem war er irgendwie unzufrieden. „Ich bin irgendwie unzufrieden Karl.“
Sven versank im flackernden Licht der Neonröhre an der Bürodecke.
„Ich glaub ich schmeiß hin.“
Karl stempelte ein Formular aus Versehen zweimal und machte es dadurch ungültig. Das bedeutete, nicht genügend Erdanziehungskraft für Köln die ganze nächste Woche. Karl zuckte mit den Schultern.
„Wenn du aufhörst, stemple ich mich hier bescheuert. Kommt also nicht in die Tüte.“
Sven schnippte eine Büroklammer über seinen Schreibtisch.
„Aber das wird hier noch ewig dauern. Wann sind die denn endlich fertig mit ihren Forschungen? Gott!“
"Gott hat damit nichts zu tun."
Karl stieß sich von seinem Schreibtisch ab und rollte zu einem Aktenschrank. Er öffnete eine verriegelte Schublade. Ein weißer Umschlag kam zum Vorschein.
„Das, mein Freund, wäre die Lösung für dein Problem.“
„Ich weiß. Formular 65b.“
Karl nickte.
„Genau. Formular 65b. Wir hätten die Legitimation dazu. Für mich würde sich zwar nichts ändern, weißt du? Ich werde dann einfach versetzt. Wer weiß in welche Ecke der Galaxis? Aber für dich wäre es der Sprung in neue Welten. Aber ich kann dir sagen, so toll ist die ganze galaktische Erkenntnis auch nicht. Das Wort ’Scheiße’ ist da noch ein Kompliment für das Universum und malt es in den schillerndsten Farben aus, sag ich dir.“
Sven schluckte. So, wie er es an dieser Stelle von Karls Vortrag immer machte. Karl stand aus seinem Bürostuhl auf und fuhr mit bedeutungsschwangerer und wie immer leicht theatralischer Stimme fort.
„Die Welt, wie du sie kanntest wird in Trümmern liegen. All das Leben, wie du es kanntest wird vergangen sein. Deine Erinnerungen werden die einzigen Beweise an all die wunderschönen Dinge auf Erden sein. Du wirst leiden.“
Sven schluckte ein zweites Mal. So wie er es immer an dieser Stelle zu pflegen tat. Mit Abstand die schlimmste Stelle am ganzen Vortrag.
„Und das schlimmste an dem ganzen – keine Orgasmen. Die, ja die gibt es nämlich nur auf der Erde! Die gesamte Galaxis ist nämlich eine Orgasmuseinöde!“
„Scheiße!“
„Du sagst es. Also, stemple weiter!“
Einige Minuten und viele Formulare später …
„Moment mal, heißt das, Benny wird mir weiterhin auf den Rasen kacken?“
„Das heißt es wohl.“
„Na toll! Also kann ich die Scheiße immer wieder wegräumen oder was?“
„Außer du stempelst Formular 65b.“
Fünf Minuten später war die Erde, so wie man sie kannte, Geschichte.