- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 35
Fotogen
»Wie geil sie wäre.«
»Wie geil sie ist, trotz … allem«, sage ich und starre auf die Zigarette in meiner Hand. »Ich meine, ich bin echt nicht nekrophil …«
»Ich ja auch nicht.«
»… aber bei der würd ich ne Ausnahme machen.«
Karl seufzt und nimmt mir die Zigarette aus der Hand. Ich stelle mir vor, wie Speichel den Filter zersetzt, als er sie in den linken Mundwinkel klemmt. Aber ich weiß, dass es bei einer Vorstellung bleiben wird.
»Kann ich gut verstehen«, sagt Karl.
»Letztendlich … ist es aber auch egal. Würde sowieso nicht klappen.« Wir wissen beide, dass unser Lächeln nur gezwungen ist.
Vor dem Wohnhaus hört man Schritte. Ich schaue auf den Wecker auf ihrem Nachttisch und bemerke, dass wir bereits über eine halbe Stunde hier sind.
»Sollen wir das Licht ausmachen? Ich meine, falls wir nicht früh genug wieder weg sind«, frage ich und nehme die glühende Zigarette erneut an mich.
»Warum?«
»Ich glaube«, und folge mit den Augen der Rauchwolke, die sich über unseren Köpfen gebildet hat, »unser Anblick würde sie ziemlich aus der Bahn werfen.«
Kurz sieht er mich an, geht dann jedoch ins Badezimmer, in dem er ebenfalls das Licht anknipst.
»Ich finde, so schrecklich sehe ich heute gar nicht aus!«, ruft er und kommt wieder zurück. »Und du eigentlich auch nicht. Das Licht schmeichelt deinen Augen.« Wir lachen.
Als Karl seine Aufmerksamkeit wieder der Frau widmet, werfe ich einen Blick auf mein schwaches Spiegelbild im Fenster, taste nach den dunklen Schatten, die darin wie Krater im Mondlicht klaffen.
»Wir sollten uns langsam beeilen«, wirft Karl ein.
Krater sind.
»Sie wacht sicher bald auf. Oh, sie braucht noch etwas zum Anziehen«, sagt er, dreht sich um und geht auf ihren Wandschrank zu. Er öffnet die Schiebetüren und es wird für einen Augenblick noch heller im Zimmer.
»Sie steht wohl auf weiß.«
»Hm«, nicke ich und entferne einen herabhängenden Hautfetzen von meiner Nase, die mittlerweile fast nur noch aus einem einzigen Loch besteht.
»Hilf mit, du Idiot«, sagt Karl und deutet mit dem Kopf auf das Stativ.
»Oh, tschuldige.« Ich lege die Zigarette vorsichtig auf das Fensterbrett, beobachte noch kurz, wie Asche auf den Boden rieselt, nehme dann die Polaroid und befestige sie auf dem Gestell.
Karl ist gerade dabei, die Frau in ein weißes Cocktailkleid zu zwängen, das auf mich wirkt, als wäre es absichtlich mehrere Nummern zu klein.
»Okay, ich hab sie drin«, sagt Karl, lächelt.
Schritte nähern sich, echoen einsam durch das enge Treppenhaus.
»Wieso darfst du dich eigentlich immer um die Frauen kümmern? Ich meine, ich krieg jedes Mal die Männer.«
»Hey, das ist nicht wahr. Erinnerst du dich an diese Eine … wie hieß sie noch? Du weißt schon, die mit dem mächtigen Vorbau.«
»Meine Güte«, seufze ich, »die wog ja dreimal soviel wie ich.«
»Frau ist Frau«, sagt Karl, tritt dann einige Schritte zurück und breitet die Arme aus. »Voilà!«
Die Wohnungstür erbebt im Rahmen.
»Dass die nie die Klingel finden.«
Gedämpfte Stimmen filtern sich durch das Schlüsselloch und ich glaube, den Namen Schmitz verstehen zu können. »Weißt du eigentlich, wie sie heißt?«, frage ich.
Er zuckt mit den Schultern, stellt dann den Selbstauslöser der Kamera ein und setzt sich aufs Bett. Einen ihrer Arme legt er um seine Schultern, der jedoch schwerfällig, wie tot, wieder herab gleitet.
»Schnell, du Idiot«, sagt er und umklammert ihre Hand, »du musst mit auf den Schnappschuss.« Sein Grinsen ist vollkommen in seiner Helligkeit, wie das Neonlicht sich in der rechten Hälfte der Backenzähne spiegelt.
Ich lasse mich auf die andere Seite des Bettes fallen, spüre dann, wie die Wohnungstür unter den Tritten einer Person nachgibt und höre eine Stimme »Mensch, ich glaube, das wär jetzt echt nicht nötig gewesen, Richard«, sagen.
»Die Wieland hat gesagt, dass Schreie aus der Wohnung gekommen sind, du Arsch, ich glaube also, dass es verdammt nötig gewesen ist. Und jetzt halt die … Gott, wie es hier riecht!« Die zweite Stimme klingt erstickt, als würde sich ihr Erzeuger etwas vor den Mund halten.
Mein Lächeln ist mehr mechanisch als fröhlich, als der Selbstauslöser unsere Gesichter auf das Bild bannt.
»Jetzt schnell«, sage ich, springe förmlich vom Bett auf, höre, wie der Schädel der Frau hart gegen die Wand schlägt und öffne das angelehnte Fenster. Karl klemmt sich Kamera und Stativ unter den Arm, stürmt an mir vorbei und schwingt seine Beine über den Fenstersims.
Ich höre die beiden Bullen irgendetwas reden, verstehe allerdings zu wenig, um Sinn darin zu finden.
»Hey! Manuel!« Karl schlägt mit der flachen Hand mehrmals gegen die Fassade.
»Ich komm ja schon«, sage ich und werfe noch mal einen letzten Blick auf das heutige Opfer, das, wenn es aus der Ohnmacht aufwacht und das Bild findet, einen ordentlichen Schreck bekommen wird, und klettere dann ebenfalls durch das Fenster. Mit den Händen am Fenstersims festhaltend, suchen meine Füße nach den Stufen der Feuerleiter. Als sie sie finden, steige ich hinab.
»Scheiße, warte, die Kippe.«
»Lass sie doch«, sagt Karl, der bereits einige Meter unter mir ist.
Ich gehe wieder zurück zum Fenster, lehne mich hinein und greife nach der glühenden Zigarettenkippe.
»Da bist du ja«, sage ich.
»Hey, Sie da!«, brüllt mich plötzlich einer der Polizisten an, dessen eine Hand verdächtig nahe an der rechten Brust der Frau verweilt. »Bewegen Sie sich gefäll …«
Doch als ich zu ihm aufsehe, ist das einzige, was er brüllt: »Großer Gott!«
»Ach, das sagen sie letztendlich alle.«
Ich drehe mich um und denke kurz, eine kühle Brise spüren zu können, die über meine Arme streichelt. Doch der Großteil meiner Haut hat sich schon vor Wochen oder Monaten von mir verabschiedet.
»Was zum Teufel war das? Was?!«, schreit jemand hinter mir.
»Kommst du jetzt, Manuel?« Karl wartet am Fuß der Treppe.
Ich sehe die Kippe in meiner Hand an, die noch immer nicht bis zum Filter abgebrannt ist, und klemme sie zwischen die letzten Überreste meiner Lippen.
»Komm ja schon, komm ja schon.«
Wie lange doch eine Zigarette braucht um abzubrennen, wenn man kein einziges Mal an ihr zieht.
© Tamira Samir