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Frédéric Martel - Sodom (Macht, Homosexualität und Doppelmoral im Vatikan)
In diesem Werk werden neben der welt- und gesellschaftspolitischen Bedeutung der kath. Kirche primär die letzten vier Pontifikate ausgeleuchtet, denen jeweils ein Abschnitt des Buches gewidmet ist. Im letzten Teil geht es um die Karierre und Amtszeit des deutschen Papstes Benedikt. Auch mögliche Gründe, die diesen erzkonservativen, homophoben heiligen Vater zum Rücktritt zwangen, werden darin artikuliert. Und natürlich fällt auch etwas Licht auf seinen Lebensmenschen, den Kurienerzbischof Georg Gänswein, der den nunmehr emeritierten Papst auch weiterhin offiziell privat begleitet.
Martel führte für dieses Buch in einem Zeitraum von 4 Jahren in über 30 Ländern rund 1500 Interviews. Darunter 41 Kardinäle, 52 Bischöfe und Monsignori, 45 Apostolische Nuntien, 11 Schweizergardisten und über 200 katholische Priester.
Das umfangreiche Werk ist nur etwas für Menschen, die wirklich an dieser expliziten Thematik interessiert sind. Hochinteressante, aber dennoch anstrengende 670 Seiten, minutiös recherchiert, etliche Querverweise, dutzende Klarnamen, aber niemals anklagend gegen schwule Priester und Prälaten, jedoch äußerst ablehnend gegenüber dem naturwidrigen Zölibat und der verlogenen, zunehmend unhaltbaren Position der Kurie in Sachen Homosexualität und leider auch der Pädophilie.
Nach seriöser Schätzung leben rund 70 Prozent des Vatikans offen schwul oder sind sogenannte closet-cases. Also Schrankbrüder, die ihre Veranlagung geheim halten oder verleugnen. Gerade unter ihnen finden sich aber die heftigsten Feinde der Homosexualität. Manche beklagen sie derart lautstark und wortreich, dass sich ein Zitat aus Shakespeares Hamlet aufdrängt: "The Lady doth protest too much, me thinks."
Dazu kommt die unverständliche Haltung des Vatikans bezüglich des Umgangs mit pädophilen Priestern, die besonders unter den päpstlichen Vorgängern von Franziskus weitgehend gedeckt oder, wenn nicht anders möglich, still und leise in andere Diözesen versetzt wurden, wo nicht wenige ihr schändliches Tun fortsetzten.
Seit Franziskus werden pädophile Täter der weltlichen Justiz überantwortet, jedenfalls aber laisiert. Auch der unglaubliche Prunk und Luxus in dem manche katholische Würdenträger leben, kommt zur Sprache. Penthouses oder Lofts mit teils mehreren hundert Quadratmetern und Terassenblick über Rom sind keine Seltenheit, rund zwei Drittel aller Immobilien Roms gehören dem Vatikan. Dazu kommen teure Dienstwagen mit, oder bei diskretem Cruising, auch ohne Chauffeur, mehrere Ordensschwestern, die den Haushalt erledigen und zu allem ergeben schweigen, was die Prälaten privat so umtreibt, ist der Piuskragen erst einmal abgelegt.
Sollte auch nur die Hälfte von dem stimmen, was Frédéric Martel in Sodom beschreibt, dann lebt ein nennenswerter Teil des vatikanischen Klerus in (religiöser) Schuld und Schande, in völligem Gegensatz zur Lehre ihrer Kirche, der sie einst - unterwürfig auf dem Bauch liegend, mit dem Gesicht zu Boden - lebenslange Treue und Gehorsam geschworen haben.
Wenn diese hoffnungslos verkrustete Kirche überleben will, muss sie wohl oder übel dringend nötige Reformen zulassen. Insbesondere was Zölibat, Verhütung, unterschiedliches Sexualverhalten und Umgang mit Wiederverheirateten anlangt. Ansonsten wird sie zur Sekte schrumpfen oder zerfallen wie das antike Römische Reich, dem sie einst ihren Aufstieg zu verdanken hatte.