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Frau Blöbaum und die Wolkenkinder

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01.09.2005
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Frau Blöbaum und die Wolkenkinder

Die Tür öffnete sich. Tim und Hendrik fuhren zurück, als schrilles Hundegebell aus dem Inneren des Hauses an ihre Ohren drang. Manche der alten Knacker waren nicht so senil, wie sie zunächst wirkten. Sie hatten ihren Blick für Nepper, Schlepper und Bauernfänger von Eduard Zimmermann schärfen lassen.
Die verschrumpelten einen Meter und fünfzig, auf denen ein lichter, weißer Flaum wuselte wie die Haare auf einem faulen Apfel, gehörten sicherlich nicht zu den Scharfblickern, wie Tim zufrieden feststellte. Die alte Frau erinnerte ihn an das Medium mit der Piepsstimme in Poltergeist – im fortgeschrittenen Verwesungszustand.
Hendrik befand sich schon auf der Flucht, als Tim auffiel, dass der Hund offenbar nicht nur unsichtbar war sondern auch schweben konnte. Es ertönte kein Scharren von Krallen auf Fliesen, wie die Pfoten eines solchen Tieres es auf dem Flurboden des Hauses verursacht hätten. Stattdessen nur dieser scheppernde, metallische Klang, als würde der Hund in einer Konservenbüchse sitzen. Tim beschloss die Flucht nach vorn in die Begrüßung: „Guten Tag, Frau, äh, Blöbaum ...“
Weder misstrauisch noch wohlwollend musterte die alte Frau ihren Gegenüber. Sie schien sich zu fragen, wer genau gerade was von ihr erwartete.
„Ja ja, Tag“, hauchte sie.
„Beißt er?“, fragte Tim und lächelte ein obszönes Schwiegersohn-Lächeln.
„Wa’?“, rief die Alte.
„DER HUND! OB ER BEISST?“
„Gottogott, Junge, ich bin doch nicht taub.“
Tims Lächeln gefror. Hendrik wagte sich wieder näher in Richtung der Haustür, vorsichtig pirschend, angespannt, bereit, im Bruchteil einer Sekunde wieder den Rückzug anzutreten.
„Ich habe gar keinen Hund“, versicherte die Alte. ‚Total senil’, dachte Tim. ‚Das ist ja wie ’n Lottogewinn. Na ja, wäre, wenn die blöde Töle nicht-’
„Das ist der Kasten hier.“ Die alte Frau trat gegen etwas, das im Flur lag und aussah wie eine Zwergenschatztruhe. Das Gebell erstarb zeitgleich mit dem kraftlosen Tritt.
„Hat mein Enkel gebastelt. Vor Ewigkeiten, als die Kinder noch nicht vergessen hatten, dass sie nicht aus eigener Kraft auf die Welt gekommen sind und mich ab und zu mal besucht haben. Er meinte, es könnte, sie wissen schon verscheuchen. Für einen richtigen Hund ... Ach, der müsste ja auch dauernd raus-“
„Man ist so jung wie man sich fühlt“, grinste Tim. Die nun versicherte Abwesenheit einer physischen Bedrohung ließ Hendrik wieder selbstbewusst den Rücken durchstrecken. Ernst sagte er: „Nun, wir sind aber keine sie-wissen-schons. Wir kommen von der Telekom und müssen ihren Anschluss prüfen, da davon aus in letzter Zeit Nummern gewählt wurden, von denen wir in der Zentrale annehmen, dass sie sie wohl kaum gewählt haben werden.“
„Ogottogott.“
Hendrik räusperte sich.
„Ja, jedenfalls müssen sie uns jetzt mal kurz reinlassen-“
„Was denn für Nummern?“
‚Also doch eine von den Widerspenstigen’, dachte Tim und lächelte im Angesicht dieser unerwarteten Herausforderung noch ein bisschen breiter.
In Hendriks Augen sah man das Gehirn dahinter arbeiten, als er sagte: „Äh. Sex. Am Telefon. Kennen Sie Sex am Telefon? Man wählt eine Nummer, da ist dann eine Frau dran, und die, äh, sie tut dann so als ob, also sie stöhnt, sie verstehen.“
„Um Gottes Willen!“ Frau Blöbaum fuhr sich mit der Hand an den Mund und machte ein Gesicht, als hätte man ihr gesagt, Hitler habe nach wie vor das Sagen in Berlin und alles nach ’45 sei bloß eine aggressive PR-Kampagne der Alliierten gewesen. Tim hustete, um nicht lachen zu müssen.
Sie hätten sich längst auf eine einigermaßen glaubwürdige Geschichte einigen sollen, aber Tatsache war, dass der Blödsinn, den Hendrik sich meist mehr oder weniger spontan ausdachte, so unterhaltsam war, dass er gar keine Lust auf einen hieb- und stichfesten Vorwand hatte. Auch wenn es gelegentlich dazu führte, dass ihnen die Tür vor der Nase zugeschlagen wurde. Vor kurzem hatte Hendrik tatsächlich versucht, eine Oma davon zu überzeugen, dass der CIA sich mit der Telekom in Verbindung gesetzt habe, weil von ihrem Apparat aus das Handy eines jordanischen Terroristen angewählt worden war.
Frau Blöbaum ging auf Nummer sicher: „Können sie sich denn irgendwie ausweisen?“
„Natürlich“, sagte Tim und holte gleichzeitig mit Hendrik den Ausweis aus der Jackentasche, den violetten, mit Textmarker und Klebestift stümperhaft bearbeiteten Fischereiausweis aus den längst vergangenen Tagen der Jugend und der Unschuld, auf dem das große Telekom-T prangte. Auch wenn beide die Verblühte vor sich auf ungefähr einhundertzwölf schätzten, gingen sie kein Risiko ein und ließen die schlechten Fälschungen nur für den Bruchteil einer Sekunde in der Luft vor ihren Augen tanzen, so dass sie nicht mehr sah als zwei bunte Flecken in den Händen der fremden Männer.
„Oh“, sagte sie. „Ja gut, dann kommen sie mal rein.“
Bevor er eintrat versicherte Hendrik sich noch einmal per Schulterblick, dass die Augen neugieriger Nachbarn nicht allzu misstrauisch auf ihnen lasteten. Weder er noch Tim bemerkten, dass die alte Blöbaum dasselbe tat, nachdem beide Besucher das Haus betreten hatten.

Tim kniete sich neben die Telefonbuchse im Hausflur, holte einen Schraubenzieher und das Innenleben eines alten Gameboys aus der Tasche und machte ein analytisches Gesicht. Dann sagte er: „O.k., das wird jetzt einen Moment dauern, aber sie können mir natürlich über die Schultern sehen, wenn sie möchten. Um sicherzugehen, dass ich ihnen keine Wanze einbaue oder so.“ Er lachte, schal, aufgesetzt und unehrlich. Die alte Blöbaum reagierte fair mit einem Gesicht bar jeder Regung.
„Oder, wenn er sich vielleicht mit Technik besser auskennt, ihr ... Mann“, stellte Tim indirekt die letzte noch offene Frage, bevor sie sich an die Schränke und Vitrinen des Hauses machen konnten.
„Och, der ist schon längst nicht mehr hier oben“, sagte die Blöbaum.
Diesmal lächelte Tim nur innerlich.
„Oh, tut mir leid. Na ja, dann bleiben sie mal hier bei mir und der Kollege macht schon mal ein bisschen Papierkram fertig. Kann er sich hier irgendwo an einen Tisch dafür setzen?“
„Ja ja, sicher, im Wohnzimmer. Komm mal mit, Junge.“
Im Wohnzimmer. Es war immer das Wohnzimmer. Welcher Rentner braucht schon ein Arbeitszimmer mit Schreibtisch? Tim sah ihnen nach und machte sich dann an das Durchwühlen der Schubladen der Kommode, auf der das Telefon stand. Handschuhe, Fotos von Kindern unter dem Weihnachtsbaum, am Esstisch oder in Anzügen vor Kirchen und in Festsälen und jede Menge Tabletten, Tabletten, Tabletten, -fortes, -itins und –itals. Tim steckte sie ein. Hendrik hatte Kontakte in die Drogenszene und was klein, bunt und nur gegen Rezept erhältlich war, konnte man da eigentlich immer absetzen.
Er hatte gerade die letzte Schublade geschlossen, als die alte Blöbaum sich neben ihm aus dem Nichts zu materialisieren schien. Tim hoffte, dass sie sein Zusammenzucken nicht bemerkt hatte, das Stigma dessen, der seiner Tätigkeit nicht reinen Gewissens nachgeht.
„Hui, haben sie mich erschreckt!“ Besser, es zuzugeben, falls sie doch etwas bemerkt haben sollte. Es bewies, dass es keinen Grund gab, warum er im Nachhinein verbergen sollte, dass er zusammengezuckt war.
„Och, ja, das tut mir leid.“
Es funktionierte.
„Der macht da jetzt seine ... wie heißt das ... Papiere.“
„Na, dann schrauben wir mal ein bisschen an ihrem Telefon rum“, grinste Tim die Blöbaum von oben herab an wie ein Geier das Aas, ließ die zusammengeflickten Gameboy-Eingeweide Piep- und Tutgeräusche machen und sagte Dinge wie „Ach ja, mmmhh ... Das ist ja interessant. Wie kommt das denn, Mensch?“

Nachdem die Alte ihn allein im Wohnzimmer gelassen hatte, wartete Hendrik noch eine Minute, dann schlich er zu der überkopfhohen Vitrine, die seinem geschulten Auge sofort bei Betreten des Wohnzimmers aufgefallen war.
In diesem Haus lebte unverkennbar ein Mensch, der jung gewesen war, als noch niemand in diesem Land etwas von Humphrey Bogart gehört hatte. Die gelben Tapeten waren geschmückt von Jagdtrophäen, Schützenvereinsurkunden und dem Holzstich eines Schäferhundes, neben dem geschrieben stand: ‚Das mir der Hund das Liebste sein, sagst du, oh Mensch, sei Sünde? Der Hund blieb mir im Sturme treu, der Mensch nicht mal im Winde.’
Das meiste davon war Ramsch, sicher von unersetzlichem sentimentalen Wert für den derzeitigen Besitzer, aber als Hehlerware so gewinnversprechend wie Kondome auf einem Eunuchenkongress. Dagegen schien die Vitrine die eine oder andere kleine Kostbarkeit aufzubahren. Als erstes waren Hendrik die Militärmemorabilia aufgefallen, die Münzen, die Orden, die Luger, die Handschuhe, alle versehen mit den scharfwinkligen Symbolen und Insignien des vor-bundesrepublikanischen Deutschland. NPD-Demos, internationale Germanophile, Ebay: Der potentielle Absatzmarkt für den alten Schrott in der Vitrine war, im Gegensatz zum alten Schrott im Rest des Wohnzimmers, geradezu gigantisch.
In Erwartung weiterer Schätze öffnete Hendrik die Tür des Schrankes, auf der die Vitrine thronte. Erschrocken warf er sie wieder zu, nachdem der Inhalt nur für eine Sekunde im Licht der Nachmittagssonne geglänzt hatte. Er schüttelte den Kopf, öffnete den Schrank erneut, warf ihn wieder zu, rieb sich einige Sekunden lang die Augen und öffnete ihn noch einmal, nur fünfzigprozentig überzeugt, dass er nicht träumte.
Im hinteren Bereich des Schrankes war der Boden mit Edelsteinen bedeckt, die sich gut fünfzehn Zentimeter türmten und ein glitzerndes Gebirge bildeten. Hendrik ließ seine Finger in die Steine eintauchen. Er hatte keine Ahnung von Schmuck, Edelmetallen oder eben Steinen wie diesen, aber etwas in ihm fühlte, dass sie echt waren, so wie sein ungeschultes Auge einfach den Reichtum sah, der sich da vor ihm auftürmte. Es waren die Eleganz, die Härte, das brennende Funkeln, die keinen Zweifel an der Echtheit der Diamanten ließen.
Aber er fühlte nicht nur die Steine, sondern auch einen leichten Luftzug, und als er ein wenig in dem Haufen gewühlt hatte, entdeckte er ein kleines Loch, aus dem sich gerade ein Stein an die Oberfläche kämpfte wie der Kopf eines Neugeborenen. Plötzlich hatte Hendrik eine Vision: Er sah sich vor dem Großbildfernseher in seinem Privatjet Kokain aus dem Bauchnabel eines neunzehnjährigen Topmodels schniefen, während dessen Zwillingsschwester gierig an seinem Glied lutschte.
Was immer sich im Keller unter diesem Wohnzimmer befand, es produzierte, gebar, oder vielleicht schiss es auch Diamanten, ein Endprodukt, das jede Frage nach dem Herstellungsweg zur Unwichtigkeit machte. Hatte diese überwältigende Erkenntnis ihn gerade laut jubilieren lassen? Spielte das eine Rolle? Würde er eine Frau, deren Zeit ohnehin so gut wie abgelaufen war, zwischen sich und das nach all den Jahren des Versagens und der Demütigungen wohlverdienten Glücks kommen lassen? Er würde sie töten, wenn sie es versuchen sollte. Er würde es nicht gern tun, aber er würde es auch nicht bereuen. Hendrik Freudenreich hatte sich lange genug eine Lungenentzündung nach der anderen auf der eiskalten Schattenseite der Leistungsgesellschaft zugezogen. Es war höchste Zeit, dass er die Tritte, die Beleidigungen und die Ignoranz, die er jahrelang von seinem Vater, seinen Lehrern und all den hochnäsigen Abi- und Uniwixern bezogen hatte, weitergab. Wer soviel eingesteckt hatte wie er, der hatte es sich redlich verdient, für den Rest seines Lebens nur noch auszuteilen.
Mit dieser Überzeugung machte Hendrik sich auf die Suche nach der Tür in den Keller, bereit, jeden in Stücke zu reißen, der sich zwischen ihn und all die wunderbaren Dinge stellte, die man für Geld kaufen kann.

Zum Glück für die alte Blöbaum war es ihm gelungen, unbemerkt in den Keller zu gelangen, wo er sich die Treppe hinab in die Dunkelheit tastete, nachdem er am oberen Ende der Stufen keinen Lichtschalter gefunden hatte. Der bittere Gestank und das klackende Geräusch, das er für die Schmerzensschreie einer altersschwachen Heizung hielt, ließen zum ersten Mal die Frage in ihm aufkommen, warum die Alte eigentlich nicht in einem Haus aus Gold mit champagnergefülltem Swimmingpool lebte. Doch als Hendrik schließlich den Schalter gefunden hatte und das Licht einer nackten Glühbirne den Blick in eine bis dahin stockfinstere Ecke des Kellers erleuchtete, ließ das Entsetzen keinen Platz mehr für Gedanken in seinem Kopf.
Ein alter, nackter Körper hing ungefähr einen halben Meter über dem Boden in einer Konstruktion, von der er ein Teil zu sein schien. Unzählige Drähte und Schläuche gingen unter seine Haut und verbanden ihn mit Schaltkästen und Platinen. Die Haut war gelbgrau, die Stellen, an denen er mit der Maschine verbunden war, entzündet und dem Geruch nach oberflächlich mit Desinfektionsmittel beschmiert, das das Odeur des darunter liegenden Wundbrandes wohl verdecken sollte, sich stattdessen aber damit zum widersprüchlichen Schwelgeruch einer Art sterilen Fäulnis verband.
Das Klacken, das Hendrik gehört hatte, kam von der Maschine, und mit jedem „Klack“ zuckte der Körper des alten Mannes wie unter Strom. Dazwischen wand er sich, zog ein Bein an, streichelte mit der Hand seinen Penis oder verscheuchte Fliegen von seinen Ekzemen. All diese Bewegungen umfassten nur wenige Zentimeter, weil die Verbindungen des alten Mannes mit der Maschine nicht mehr zuließen. Die Verdrahtung war gleichzeitig Fesselung, die ihn zu beinahe hundertprozentiger Bewegungslosigkeit verdammte.
Der Kiefer war ausgerenkt worden um Platz im Mund zu schaffen für einen Schlauch von ungefähr zehn Zentimeter Durchmesser, durch den gerade etwas in das Opfer hineingepumpt wurde. Hendrik sah, wie sich erst der Hals und dann der Bauch wölbten und senkten. Ein gewaltiger Furz erklang. Kot von honigartiger Konsistenz lief die Beine hinab und tröpfelte auf den Boden.
„Ohgottogott! Jetzt guck sich einer die Sauerei an!“
Hendrik fuhr herum, schlug blindlings mit beiden Fäusten um sich, verfehlte das Gesicht der alten Blöbaum, die hinter ihm stand, nur um Milimeter und stolperte zurück, so dass er auf den Hintern fiel.
„Wenn du näher kommst, breche ich dir dein morsches Genick, du alte Vogelscheuche!“
„Scht! Was schreien Sie so? Was soll ihr Freund dort oben denken, während er meine Schubladen durchwühlt?“
„W-Was?“
Die alte Frau holte einen Wischmob aus einer Kellerecke und machte sich daran, die Pfütze unter dem Gequälten aufzuwischen.
„Ihr Schlingel. Ich weiß doch, dass man nicht am Telefon rumschrauben darf, nur weil man im Angelverein ist.“
Hendrik stand langsam auf.
„Mein Hermann war auch mal so ein Nichtsnutz. Bis meine Freunde kamen und etwas Brauchbares aus ihm gemacht haben.“
„Ihre ... Freunde?“ Panisch sah Hendrik sich um, um festzustellen, ob jemand hinter ihm stand.
„Die Kinder. Die Kinder aus den Wolken. Sie sind so lieb. Unglaublich neugierig, aber lieb.“ Die Blöbaum kicherte. „Und sie sind sehr klug! Sie bauen all diese Dinge.“
Hendrik ballte die Fäuste und grub mit seinen Fingernägeln tiefe Furchen in seine Handflächen.
„DU BLÖDE, GIERIGE FOTZE, DU LÄSST ZU, DASS SIE MIT DEINEM MANN DAS DA MACHEN, UND DAS NUR FÜR EIN PAAR SCHEISS DIAMANTEN?“
„Dia-“ Die Blöbaum machte ein verblüfftes Gesicht. „Ach, das Gedöns oben im Stubenschrank? Nein, da habe ich nichts mit am Hut. Die werden mit Hermanns Hilfe“, sie unterbrach kurz und schnipste eine Kellerassel von der Hüfte ihres Mannes, „hier unten hergestellt und dann nach oben gepumpt. Es ist Treibstoff. Für ihre Schiffe. Damit sie mich immer schön besuchen kommen können.“
Hendrik schüttelte angewidert den Kopf.
„Was ... was zum Teufel geben sie dir denn dann?“
„Sie geben nicht.“ Die Blöbaum lehnte ihren Mob an die Wand und zog ihren Rock hoch. Sie hatte nichts drunter. „Sie haben schon gegeben. So viel. Sie wollen alles über uns lernen. Und wenn wir sie lernen lassen, dann machen sie uns wunderschöne Geschenke. Natürlich nur, wenn wir lieb sind und nicht so impotente, versoffene Nichtsnutze wie das Stück Scheiße hier.“
Sie schlug Hermann auf den Bauch und bekam ein Stöhnen und einen Furz als Reaktion. Jetzt erst sah Hendrik, dass Hermanns Augenlider zusammengenäht waren und seine Ohren mit etwas verstopft, dass wie Wachs aussah. Im Gegensatz zu den Drähten und Schläuchen schienen diese Quälerein keinem anderen Zweck zu dienen als der Folter selbst. Sie waren willkürlich, metzgerartig, ohne die chirurgische Präzision der mechanischen Körpermodifikationen. Es sah aus, als hätte hier Frau Blöbaum ihrer persönlichen Experimentierfreude freien Lauf gelassen.
Etwas, das aussah wie eine hautlose Schlange mit einem Hundekopf, wand sich neugierig schnüffelnd aus Frau Blöbaums Vagina. Als es Hendrik erblickte, erstarrte es und fixierte ihn.
„Ich bin immer geil“, versicherte Frau Blöbaum mit wollüstig zitternder Stimme. „Und ich bin immer feucht.“ Sie streichelte das Ding, das aus ihrer Vagina hervorragte. Es leckte ihr dafür dankbar die Finger, ließ Hendrik dabei aber nicht aus den Augen. „Es ist der Himmel, Junge. Du dummer, kleiner Pisser, weißt du, wie lange es her war, dass ich da unten was gespürt habe, bevor meine Freunde mir dieses Geschenk machten? Weißt du, wie es ist, auszutrocknen? Nein, du hast keine Ahnung.“
„Hallo?“ Tims Stimme.
„Komm runter!“, rief Hendrik. „Komm hier runter, Mann!“
Schnelle Schritte, oben im Flur. Jemand suchte die richtige Tür. Dann stürzte Tim die Treppe herunter, begann etwas darüber zu sagen, dass er laute Stimmen gehört habe, sah Frau Blöbaum und ihren Parasiten und erbrach sich mittendrin im Stehen. Das Ding aus Frau Blöbaums Vagina schoss in Tims Richtung und hatte eine Länge von fast zwei Metern errreicht, als es bei ihm angekommen war und ihn in den Hals biss.
„Hu-huch!“, gluckste Frau Blöbaum, ließ ihren Rock los und klammerte sich mit beiden Händen an ihrem Mann fest, um nicht nach vorne auf die Knie gerissen zu werden. Er reagierte mit dem in der Kehle vibrierenden Schrei eines Geknebelten, als das zusätzliche Gewicht seine Anschlüsse strapazierte. Dunkelgelber Urin mit tiefroten Schlieren ergoss sich plätschernd aus seiner Männlichkeit auf den Fußboden.
„Ach, Hermann, du alte Sau, ich habe gerade gewischt!“, fluchte Frau Blöbaum und gab ihrem Mann einen Klaps auf den Po.
Als der Hundekopf mit Tim fertig war, war dessen Hals zur Hälfte verschwunden. Neben Blutfontänen im Takt des Herzschlages schoss auch noch ein Schwall Kotze aus der hinterlassenen Wunde empor. Tim fiel die letzen zwei Stufen der Treppe runter.
Hendriks Körper und Geist kapitulierten. Dankbar ergab er sich der Ohnmacht, die ihn überwältige. Das Letzte, was er wahrnahm, bevor es schwarz wurde, war das Geräusch vieler kleiner, trappelnder Schritte, die die Kellertreppe heruntergelaufen kamen.

Er schreckte hoch und hoffte für eine Sekunde, dass er nur einen schlechten, ach, einen beschissenen Traum gehabt habe. Seine Hände schlugen gegen hölzerne Gitterstäbe. Er hätte nicht aufstehen können, selbst wenn seine Beine sich nicht wie Gelee angefühlt hätten. Jemand hatte ihn in einen Käfig gezwängt, der es ihm nur mit Mühe erlaubte, aufrecht zu sitzen. Die Knie an die Brust ziehend ersehnte er die wärmende Wirkung einer fötalen Haltung. Er war nackt.
Durch die Gitterstäbe sah er, wie Frau Blöbaum eine zähflüssige braune Masse in den Behälter füllte, von dem der Schlauch ausging, durch den Herr Blöbaum ernährt wurde. Angewidert stellte Hendrik fest, dass sich das Zeug in Konsistenz und Farbe kaum von dem Kot unterschied, den er am Bein der menschlichen Batterie hatte herablaufen sehen. Offenbar legten die Kinder aus den Wolken viel Wert auf energiesparende Maßnahmen und Recycling. Herr Blöbaum war der wahr gewordene Albtraum vom Perpetuum Mobile.
Jemand hatte Tims Kopf in eine Apparatur eingebaut, die auf einem kleinen Tisch in unmittelbarer Nähe von Hendriks Gefängnis stand und deren Funktion im Halbdunkel unmöglich zu bestimmen war. Fast sah es aus wie eine Espressomaschine. Tims Augenlieder bewegten sich wie Mottenflügel und er muhte im Takt, guttural und rülpsend. „Mmoaaah ... Mmoaaah ... Mmoaaah.“ Dazu nickte er zur Seite, so als wollte er fragen ‚Geh’n wir zu dir oder geh’n wir zu mir?' Zusammen mit dem Klacken der Hermann-Maschine hatte die Tim-Maschine einen bizarren Rhythmus komponiert: Klack-Mmoaaah-Klack-Mmoaaah-Klack-Mmoaaah.
Frau Blöbaum gab etwas von dem Brei, den sie ihrem Mann fütterte, in eine Blechschüssel und schob sie Hendrik durch die Gitterstäbe seines Käfigs.
„Was“, er schob die dampfende Mahlzeit von sich weg, „Was soll das? Was wollen sie von mir?“
„Ich? Gar nichts.“
Hendrik umklammerte die Gitterstäbe und schrie: „Dann lass mich gefälligst hier raus, verdammt noch mal!“
„Das geht nicht. Hermann ist fast aufgebraucht. Als die Kinder aus den Wolken mich das erste Mal besuchten, war er ja schon zweiundsiebzig. Das ist immerhin zehn Jahre her. Sie haben zwar noch einmal alles aus ihm rausgeholt, aber ich denke, jetzt ist bald Schluss. Sie sehen das genauso.“
Hermann ließ einen lauten Furz und schien damit sagen zu wollen, dass er es auch so sah.
Oma Blöbaum schlurfte die Kellertreppe hoch, machte das Licht aus und schloss die Tür. Die Finsternis schien die Geräusche der Maschinen zu verstärken. Hendrik begann zu weinen, dann schrie er. Erst maskulin wie ein verwundeter Soldat in einem Hollywood-Kriegsepos, dann Sopran wie ein dreijähriges Mädchen, das vom Fahrrad gefallen war. Aber egal, wie laut er schrie, und auch, als er seine Ohren umklammerte als wollte er sie abreißen, in seinem Kopf konnte er die Geräusche der Maschinen nicht übertönen:
Klack-Mmoaaah-Klack-Mmoaaah-Klack-Mmoaaah-Klack-Mmoaaah.

 

Servus,

Texter

Keine Ahnung, bin kein Jurist, aber irgendwie geschützt werden solche Titel doch wohl sein. Oder kann ich jetzt einfach ein Buch rausbringen und es "Friedhof der Kuscheltiere" nennen, wenn mir danach ist :confused: ?

Nachtregen

fettes Lob für die Geschichte.

Danke!

Grotesk ... ich mag dieses Wort. Freut mich, dass es dir eine adäquate Beschreibung meines (inhaltlichen) Stils zu sein scheint :) .

irgendwie haben die Wolkenkinder meine Sympathie erregt

:sconf:

Vielen Dank für deine Kritik!

Marvin

Ich hab von so Technikkrams null Ahnung, brauchte für die Geschichte halt nur irgendwas, was tutet. Was gäb's denn da für realistische Möglichkeiten?

die beiden Trickbetrüger Tim und Hendrik sind kaum zu unterscheiden.

Würd's reichen, wenn ich einem der beiden 'ne Stirnglatze andichte?

Insgesamt ist die Geschichte einfach nur saugeil!

:anstoss:

Auch dir wie immer vielen Dank!

Grüße

JC

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Proof,

ich nochmal...

...oder ist "geschmückt von" wirklich falsch?
ja :D

Zur Frage der Perspektive:
Also ich finde hier die Devise "So wenig wie möglich" gerade für eine KG ganz nützlich.

Mache ich bei meinen Dritte-Person-Geschichten eigentlich immer so. Was gefällt dir denn daran nicht?
Der Leser erlebt vorher die Perspektive von Tim. Plötzlich wird die Sicht der Frau (oder eines allwissenden Erzählers) eingestreut.
...ließen die schlechten Fälschungen nur für den Bruchteil einer Sekunde in der Luft vor ihren Augen tanzen, so dass sie nicht mehr sah als zwei bunte Flecken in den Händen der fremden Männer.
Das irritierte mich, zumal das ganz leicht aus der Sicht von Tim formuliert werden könnte, zb. "... so dass sie bestimmt nicht mehr sah..."
Außerdem betrügst du ja hier den Leser, denn wie sich später herausstellt, hat Frau Blöhbaum sehr wohl die Angelausweise identifiziert.

Grüße
Sturek

 

"geschmückt von" hat bei google immerhin 16.900 Treffer.

Zur Perspektiven-Diskussion ... Ich find's ok, wie's ist. Aber

Außerdem betrügst du ja hier den Leser, denn wie sich später herausstellt, hat Frau Blöhbaum sehr wohl die Angelausweise identifiziert.

ist durchaus ein interessanter Punkt.

JC

 

Hi Proof,

wieder mal gerne gelesen, die Schweinerei! :)

Die Übertreibungen machen diesen Text etwas unglaubhaft. Nicht der Technik wegen, sondern die Freude an der Quälerei kommt mir nicht plausibel vor. Ich kenne natürlich die Freude an der Folter, die unsere Spezies im Laufe ihrer Geschichte entwickelt hat ...

Und wieder mal diese ekligen Details: Der hundeartige Parasit in der ausgetrockneten Fotze. Die Beschreibung von Hermann. In der Wucht mit der das rüberkommt, erinnert es mich an Thomas Harris.

Wenn Du mehr Zeilenschaltungen machen würdest, wär ich echt glücklich. Ist aber kein Grund, mich zu besuchen, umzubringen und zu zerstückeln, falls Dich dieser permanente Hinweis nervt.

Deine Geschichten sind meine Favoriten in der Rubrik Horror. Wäre interessant, wenn Du Dich mal in einem anderen Genre versuchen würdest. Für mich als neugierigen Leser.

Freundliche Grüße,

Fritz

 

Jepp, lass den Furz drin!

Hi Proof.

Dieser selten dämliche Titel hat mich doch bisher vom Lesen abgehalten; ich finde ihn ja sowas von selten ... okay, lassen wir das. Ich hab sie ja jetzt gelesen und schlage dich gleichzeitig zum Ritter der Richtiggutenekelbeschreibungenunddarstellungen. My Lord ...

Ja, was soll ich sagen? Habe mich köstlich amüsiert, ein wenig geekelt (jaha, das heißt schon was) und immer wieder fasziniert den Kopf geschüttelt oder derartigen Einfallsreichtum.

Aaaaber ... eines hat mir dann doch nicht gefallen (neben dem Titel): Die stellenweise deplatzierten und unpassenden Fäkalausdrücke von Frau Blöbaum. Ne, ne, werter Sir Proof, ist die alte Lady auch noch so abgedreht, so wirkte sie doch bei weitem glaubwürdiger und grausamer, würde sie sich einer halbwegs zu einer Oma passenden Sprachweise bedienen. Das tut sie ja größenteils auch, aber ausdrücke wie "Pisser" sind da ein regelrechter Stilbruch.
Ist aber lediglich meine bescheidene Ansicht :Pfeif:

Fazit: Ich werde nie wieder eine Geschichte nach dem Titel beurteilen. Hat echt Spaß gemacht.

Gruß! Salem

 

Hallo Leute,

Fritz:

wieder mal gerne gelesen, die Schweinerei!

Vielen Dank!

die Freude an der Quälerei kommt mir nicht plausibel vor.

Folter ist es nur aus menschlicher Perspektive. Es wird ja angedeutet, dass die Wolkenkinder diese Quälereien nicht aus Spaß an der Freud exerzieren. Oder meinst du den Sadismus der Blöbaum? Hier schwebte mir eine satirische Überhöhung des Übersättigungseffektes vor, der sich oft (so gut wie immer?) bei Beziehungen früher oder später einstellt.

Wäre interessant, wenn Du Dich mal in einem anderen Genre versuchen würdest.

Ich hab' mal richtig Bock auf Science Fiction! Anti-Utopie, totalitäres System blablabla ... Nicht so sehr das Star Trek-Ding. Irgendwann kommt das mal :hmm: .

Cerberus:

Dir liegt echt viel an dem Abgas, das rührt mich sehr.

Salem:

Ich find den Titel klasse. Klingt nach einer Sterbebegleitbroschüre aus dem Seniorenstift Letztes Aufbäumen. Und dann gibt's ein Köpfe abbeißendes Fotzenmonster. Ist doch 'ne 1a-Überraschung :) .

Die stellenweise deplatzierten und unpassenden Fäkalausdrücke von Frau Blöbaum.

Glaubst du, alte Leute kennen solche Ausdrücke nicht? Hey, keiner von uns will gerne hören, wie seine liebe Lieblingsomi Zeilen á la "Du blöde Fotze!" zum Besten gibt, aber im Ernst: Das sind Menschen, und erst in zweiter Linie Omi und Opi, die keinem was zu Leide tun und nur spielen wollen. So wie der Hund.

Ich werde nie wieder eine Geschichte nach dem Titel beurteilen.

Dann hab' ich ja meinen pädagogischen Auftrag für heute erfüllt ;) !

Viele Dank allen für's Lesen, Kommentieren und sich für den Furz einsetzen.

Grüße

Jan-Christoph

 

Noch ein kleiner Nachtrag, lieber Jan-Christoph, alter Furz :D

Auch mir ist es so vorgekommen, dass Omas Fäkalausdrücke nicht ganz gepasst haben. Mein subjektiver Eindruck ist, dass die Leute in den Vierziger Jahren nicht "Pisser" gesagt haben. "Sau" ja.

Grüße,

F.

 

Hat mir gut gefallen! Der piepende Gameboy passt mMn ganz gut, obwohl ein piepender Taschenrechner auch ginge.
Am besten fand ich die Diamantenszene!

Kritisiert wurde genug, dazu brauchts keinesfalls von mir noch Wiederholungen. Außerdem kenn ich mich noch nicht so aus mit gut schreiben, um qualifiiziert zu kommentieren. Hat mir Spaß gemacht deine Geschichte zu lesen..

 

Aber Oma hat ja nicht ausschließlich in den Vierzigern gelebt ... Sie ist halt offen für Neues :D .

Schrei Bär:

Cooler Name angesichts der Geschichte, die ich demnächst veröffentlichen werde.

Hat mir Spaß gemacht deine Geschichte zu lesen

Mehr wollt' ich gar nicht hören ;) .

Danke für deine Zeit!

Grüße

JC

 

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