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Frauen und Technik
Die Wohnungstür fiel hinter mir ins Schloss. Endlich zu Hause, endlich Ruhe. Der Stau auf den Straßen war eine einzige Katastrophe gewesen, ich hatte für den üblichen Weg fast doppelt so viel Zeit gebraucht, wie gewöhnlich. Ich stand eine halbe Ewigkeit im Regen an der Bushaltestelle, meine Schuhe waren durchnässt und meine Füße kalt. Eine Kälte, die mir bis ins Knochenmark kroch.
Mein Kater begrüßte mich freudig und strich mir schnurrend um die Beine. Der hatte es gut, dachte ich. Wie ich ihn kenne, hatte er wohl den ganzen Tag lang über der Heizung auf der Fensterbank liegend gedöst. Er brauchte sich nicht mit verrückt gewordenen Kunden herumschlagen. In meinem Kopf rauschte es. Irgendetwas war heute in die Menschen gefahren, und ich konnte mir nicht erklären, was es war. Alle schienen verrückt geworden zu sein. Nach diesem stressigen Arbeitstag sehnte ich mich nur noch nach einem entspannten Feierabend. Ich schälte mich aus meiner Jacke und zog die Schuhe aus. In meinen Hausschuhen konnte ich mich richtig gehen lassen. Meine Füße atmeten auf, als sie die angenehm weiche Wärme spürten. Mit einer schnell bereiteten heißen Tasse Tee ging ich ins Wohnzimmer und ließ ich mich in den Sessel fallen. Durch die wohlige Wärme des Tees entspannte ich mich langsam, meine Erstarrung löste sich, das Rauschen in meinem Kopf ließ langsam nach. Gab es nicht heute einen guten Film auf Premiere? Ich wollte es mir nur noch bequem machen und den Fernseher anschalten, damit ich meinen Kopf abschalten konnte. Voller Vorfreude betätigte ich erst den Knopf am Fernseher, dann am Premiere-Decoder, aber nichts rührte sich. Der Bildschirm blieb schwarz. Was hatte das jetzt zu bedeuten?, fragte ich mich stutzig und starrte auf die Mattscheibe. Meine Hoffnungen auf einen unbeschwerten Fernsehabend waren jäh zerstört. Das Rauschen in meinem Kopf meldete sich wieder, dunkle Erinnerungen stiegen in mir hoch, denn dies war nicht das erste Mal, daß die Technik mir einen Strich durch die Rechnung machte. Nur die Ruhe bewahren, sagte ich mir, lächelte mir im Spiegelbild der schwarzen Bildröhre selber zu und wählte beherzt einen anderen Kanal an. Das Ergebnis war jedoch das Gleiche. Erst langsam, dann immer hektischer probierte ich jede einzelne Taste auf der Fernbedienung durch, bis der letzte Hoffnungsschimmer erloschen war wie eine heruntergebrannte Kerze. Es war mir unerklärlich, warum nicht das kleinste Signal zu sehen oder zu hören war. Ich war am Ende mit meinem Latein und wusste nicht mehr weiter, mein Verstand versagte seinen Dienst genauso wie das Fernsehprogramm. Wie betäubt stand ich auf, schaltete mit mechanischen Bewegungen den Fernseher wieder aus und taumelte zurück in den Sessel.
In der Wohnung herrschte eine gespenstische Ruhe. Das Rauschen in meinem Kopf wurde lauter, mein Puls beschleunigte sich. Schweißperlen standen mir auf der Stirn. Beklemmung stieg langsam in mir empor, aber der scheußliche Gedanke setzte sich durch. Es ließ sich nicht vermeiden: Ich musste die Hotline anrufen. Mir graute vor dem Ansagendschungel, durch den man sich durchkämpfen muss, bevor man auf einer Warteschleife abgelegt wird, bis man endlich ein lebendiges menschliches Wesen in der Leitung hat. Dann stammelt man wie ein verlegenes Kind die Beschreibung des Problems zusammen und fühlt sich wie die letzte Idiotin. Während ich so dasaß und mich meinen Horrorvisionen hingab, stieg mein Kater auf den Tisch und baute sich vor mir auf. Seine Augen funkelten mich verschwörerisch an und es war mir, als flüsterte er mir zu: „Sei kein Feigling!“
Stöhnend wie ein altes Weib erhob ich mich aus dem Sessel. Mit weichen Knien suchte ich die Telefonnummer der Hotline heraus. Aus zwölf hohlen Knopfaugen glotzte mich das Telefon an. Mein Kater setzte sich hinter den Apparat und stieß ein verächtliches Schnaufen aus, das mich bissig aufforderte: „Los, komm doch, tu’ es endlich!“
Benommen ließ ich mich in den Sessel zurückfallen. Mein Puls hämmerte noch lauter, als ich merkte, dass sich sogar mein Kater über mich lustig machte. Er sprang auf meinen Schoß, sah mir mit loderndem Blick direkt in die Augen und schien mich mit einem boshaften Geifern anzubrüllen: „PACK DEN STIER ENDLICH BEI DEN HÖRNERN!!!“ und sprang mit einem Satz von mir herunter.
„Ja ja, du hast gut reden!“ fauchte ich ihm hinterher, nahm seine Spielzeugmaus und warf sie mit aller Kraft und einem Schrei der Verzweiflung gegen den Fernseher. Lautlos fiel sie zu Boden. Mein Kater sah mich entgeistert an. Er schüttelte den Kopf und verließ langsam das Wohnzimmer.
Ich vergrub mein Gesicht in den Händen und dachte an die Schmach, die ich während des letzten Anrufs hatte erdulden müssen. Irgendwann konnte ich den Anweisungen nicht mehr folgen, irrte orientierungslos durch das Menü auf dem Bildschirm und gab den Telefonhörer letztendlich kleinlaut an meinen Freund weiter, der sich in null-Komma-nichts zurecht fand und das Problem beheben konnte. „Frauen und Technik...“ gluckste er immer spöttisch in sich hinein und sonnte sich in seiner Retter-Rolle. Nun stand mir nicht einmal mehr dieser „Retter“ zur Seite, ich war vollkommen auf mich alleine gestellt. Technik war für mich nun mal ein Buch mit sieben Siegeln, daran ließ sich nichts ändern. Im Geiste stellte ich mir vor, wie der Mann von der Hotline genervt mit den Augen rollte und dachte „Frauen und Technik...“
Ich lauschte in die Stille. Die Technik kreiste mich immer mehr ein und kicherte mir gefährlich leise zu: „Du glaubst, du kannst uns benutzen, aber du wirst uns niemals verstehen, wirst niemals begreifen, was in uns vorgeht!“
Tränen stiegen mir in die Augen. Schniefend zog ich den Schleim hoch, der mir aus der Nase lief und wischte ihn am Pulloverärmel ab, was eine dünne Spur auf der Wolle hinterließ. Sieh dich nur an, wie jämmerlich du aussiehst! dachte ich verächtlich. Wut stieg in mir auf. Ich ballte die Fäuste, bis mir die Finger weh taten.
„Von euch lasse ich mich doch nicht fertig machen,“ presste ich hervor, „nicht von euch! Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt, mich zu verhöhnen! Ich pack es, ich werde dem Typen von der Hotline schon zeigen, was eine Harke ist!“
Zähnefletschend stand ich auf und ging zielstrebig in die Küche. Dort schenkte ich mir erst mal ein Glas mit eiskaltem Wasser ein und stürzte es in einem Zug hinunter. Wo istbloß dieser Kater abgeblieben? wunderte ich mich. Er musste unbemerkt an mir vorbeigehuscht sein. Aus dem Wohnzimmer erklangen polternde Geräusche. Ich ging zurück und sah, wie der Kater einen schwarzen, eckigen Gegenstand durch das Zimmer schoss, welcher geräuschvoll gegen die Schrankwand schlug. Ich hob ihn auf und rätselte, was das wohl für ein Ding war, das ich da in der Hand hatte. Es ragten mehrere Drähte aus ihm heraus. Auf einmal dämmerte mir, was passiert sein musste.
„Woher hast du das jetzt auf einmal...?“ Mein Kater sah mich erwartungsvoll an und meinte wohl, ich würde jetzt mit ihm spielen und dieses Ding wieder wegwerfen, aber danach stand mir wirklich nicht der Sinn. Ich kletterte, Böses ahnend, hinter den kleinen Tisch, auf dem der Fernseher mit dem Decoder stand und sah, was mir den Abend verdorben hatte: Das Verbindungskabel zum Premiere-Decoder ragte mir wie ein Aal entgegen. Das eine Ende war aus der Buchse des Fernsehers herausgerissen worden und der Stecker abgebissen. Dieser fungierte nun augenscheinlich als Katzenspielzeug.
„Du verdammtes kleines Mistvieh!“ kreischte ich. Meine gesamte Anspannung entlud sich in einem Wutausbruch.
„So verbringst du also den lieben langen Tag!“ keifte ich meinen Kater an, der mich amüsiert ansah. Er hatte ganz offensichtlich Spaß an der Sache. Ich schäumte vor Zorn. Wie ein kleiner Derwisch führte ich einen Tanz vor ihm auf, während er vergnügt im Zimmer hin und her rannte und sich von mir jagen ließ. Wenn ich den in die Finger bekommen hätte – ich weiß nicht, was ich mit ihm angestellt hätte!
„Während ich das Geld für deine Ernährung verdiene, zerstörst du meine Einrichtung! Und ich dachte, du liegst den ganzen Tag nur faul auf der Fensterbank herum!“
Es dauerte eine Weile, bis ich mich endlich wieder beruhigt hatte. Erst dann fiel mir ein, daß ich noch ein Ersatzkabel besaß. Ich holte es aus einer Schublade heraus und verband die beiden Geräte wieder miteinander. Mit klopfendem Herzen schaltete ich den Fernseher abermals ein. Erst leise, dann immer deutlicher und lauter erklangen Geräusche, Stimmen waren zu hören. Es klang wie ein Dialog aus einem Film. Ein paar Sekunden später erschien das Bild auf der Mattscheibe. Mir entfuhr ein Seufzer der Erleichterung. Es lief wirklich ein Kanal von Premiere! Noch einmal drückte ich aufgeregt auf der Fernbedienung herum. Alle anderen Kanäle funktionierten auch wieder. Mit einem Schwung warf ich mich in meinen Sessel, klatschte einmal laut in die Hände und rief triumphierend:
„Ha! So einfach war das also! Warum bin ich bloß nicht gleich darauf gekommen? Hätte ich wirklich bei der Hotline angerufen...welch eine Blamage!“
Mein Kater sprang mir auf den Schoß, sah mich verzweifelt an und ließ ein klägliches Maunzen hören.
„Was willst du denn schon wieder,“ knurrte ich ihn an, „du warst mir heute nun wirklich keine große Hilfe!“
Ich wollte ihn gerade von meinem Schoß herunter schubsen, als mein Blick zufällig auf die Uhr fiel. Ich stutzte, dann schlug ich mir die Hand mit einem Knall vor die Stirn.
„Oooh, jetzt verstehe ich, du hast Hunger! Deine Mahlzeit ist seit zwei Stunden überfällig... Das war es also, was du mir die ganze Zeit mitteilen wolltest!“
Ich sprang aus dem Sessel auf, lief in die Küche und öffnete eine Dose Futter für ihn. Dankbar und mit sichtlichem Heißhunger machte er sich über seinen Futternapf her.
„Du hättest dich ja auch ein bisschen deutlicher ausdrücken können!“ sagte ich, strich ihm über den Rücken, schüttelte verständnislos den Kopf und ging zurück ins Wohnzimmer. Nun stand einem entspannten Fernsehabend endlich nichts mehr im Wege. Ich blätterte gerade in der Fernsehzeitung und entdeckte einen Film, den ich schon immer mal unbedingt sehen wollte, als das Telefon klingelte. Es war meine Mutter. Sie sagte, ihr Plattenspieler funktioniere auf einmal nicht mehr und fragte, ob ich ihr heute noch helfen könne. Sie meinte, ich würde doch immer alles so toll hinbekommen. Meine Mutter hat keine Katze...