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Freitag, 13.8.04, 13.05 Uhr – Im Park
Georg kam fünf Minuten zu spät. Der wöchentliche Termin mit Stefanie war ihm wichtig - sehr wichtig, er konnte sich aber nicht immer rechtzeitig aus dem Büro verabschieden. Doch meistens schaffte er es.
Sie waren beide stolz auf sich. Auf ihr sechsmonatiges Jubiläum. Gerade letzte Woche hatten sie gefeiert – wenn man das Anstoßen mit Mineralwasser in Plastikflaschen als Feier bezeichnen kann.
Nein, hier ging es nicht um eine Liebesgeschichte. Es war nur der Versuch, eine Freundschaft auch nach dem Studium aufrecht zu erhalten. Und der war bis jetzt geglückt.
„Hallo Stefanie, wartest du schon lange?“
„Nein, nein, nur zehn Minuten. Und im Grunde bin ich dankbar dafür.“
„Wie das?“
„Weil ich so die Gelegenheit hatte, mir die Schönheit der Natur zu betrachten. Es ist so ein herrlicher Tag.“
„Die Schönheit der Natur…. Hm?“
„Hast du Einwände?“
Einwände? Ja, die hatte er. Dabei wollte er ihre gute Stimmung nicht trüben. Aber das war eine seiner schlechten Eigenschaften. Wenn er Einwände gegen die Meinung eines anderen hatte, dann konnte ihm das den Tag verderben – oder er verdarb seinem Gegenüber den Tag, indem er seinen Widerspruch äußerte.
„Na ja, ich habe nur ein Problem mit mancher Leute ´Naturverherrlichung`.“
„Suchst du Streit?“ Sie lächelte angriffslustig.
„Nein, aber du kennst mich. Wenn da etwas in mir arbeitet, dann muss es raus.“
Sie kannte ihn, das stimmte. Und trotzdem treffe ich mich gerne mit dir, dachte sie.
Georg war nun nicht mehr zu bremsen. Also, warum ihn aufhalten wollen?
„Es fällt mir nicht immer leicht, die Natur als schön zu betrachten. Und mir gefällt nicht, wenn mancher die Unschuld der Natur den vermeintlichen Verirrungen der menschlichen Zivilisation entgegenstellt.“
„Was hast du denn an der Natur auszusetzen? Scheint heute nicht die Sonne ? Hörst du nicht das Singen der Vögel? Siehst du nicht das grüne Gras?“
„Natürlich. Aber warum singt der Vogel? Vielleicht hat er sich gerade einen Wurm geschnappt, der unterhalb des grünen Grases einen ruhigen Tag verbringen wollte? Oder eine Fliege, die gerade auf einem Blatt die Sonne gespürt hat?“
„Du bist also kein Vogel-Freund?“
„Nein, darum geht es nicht. Aber hast du in letzter Zeit mal einen Dokumentarfilm über Tiere im Fernsehen gesehen? Nur fressen und gefressen werden. Der Löwe das Wild. Die Schlange die Maus…“
„Arbeitgeber die Arbeitnehmer?“
„Ach Mann“
„Frau!“
Er spürte, dass er sich hatte gehen lassen. Und sie hatte ihn dabei erwischt. Wie so oft. Sie meinte es nicht böse, vielleicht sogar gut, aber es konnte ihn wütend machen.
„Du weißt doch, was ich sagen will.“
„Natürlich,“ sagte sie, „aber hast du gesehen, wie der Vogel gerade einen Wurm geschnappt hat? Und siehst du hier eine Schlange?“
Beinahe hätte er etwas Falsches gesagt. Aber er verkniff sich eine Erwiderung auf ihre letzte Frage.
„Ich spreche nur von der Tatsache an sich, dass in der Natur viel Schlimmes passiert. Auch wenn man es gerade nicht sieht, weiß man doch, dass es so ist und dass ein sonniger Tag unter der Oberfläche nicht so unschuldig ist, wie es manch romantisches Gedicht gerne hätte.“
„Du nimmst das Leben zu schwer!“
Wie oft hatte er das schon hören müssen?
„Vielleicht liegt das daran, dass es schwer ist?“
Sie lächelte.
„Aber nur, wenn man alles auf einmal tragen will…“