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Freitag, 20.8.04, 12.58 Uhr – Der Weg zum Seeufer

TIV

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16.04.2006
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Freitag, 20.8.04, 12.58 Uhr – Der Weg zum Seeufer

Für Stefanie war die letzte Woche wie in einem Traum abgelaufen, nie war sie wirklich anwesend. Sie hatte ständig nur an den vergangenen Freitag denken müssen. Einmal hatte sie sogar gebetet. Dabei hielt sie sich schon seit Jahren viel zu vernünftig für „solche Dinge“.
Das letzte Treffen mit Georg war intensiv gewesen, und zum ersten Mal waren sie an den Rand eines Streits gekommen. Nun hatte sie dieses Gefühl unablässig verfolgt. Zu nah gekommen? Ist es das? Sie war sich nicht sicher. Vielleicht sollten sie einen Weg „zurück“ finden. Diese Nähe lockern, um wieder unbefangen sein zu können. Georg und ich? Unvorstellbar! Er war ganz anders als sie. Immer so ernst, nahm das Leben viel zu schwer.
Aber er nimmt auch dich ernst, hatte sie dann gedacht. Und wer hat sich jemals so aufrichtig für deine wahren Gefühle interessiert?

Georg wollte pünktlich sein. Er rannte die Straße entlang in Richtung Seeufer – dem vereinbarten Treffpunkt. Die ganze Woche hatte dieses Gefühl ihn verfolgt. Sie wird nicht mehr kommen. Nie mehr!
Er hatte überlegt, ob es einen Weg geben könnte. Einen Weg zu einem „Mehr“. Aber war das möglich? Er hatte mit ihr diskutiert. Ein Streitgespräch. Die ganze Woche lang. In seinem Kopf. Was sollte aus ihnen werden? War es das Risiko wert, ihre gut funktionierende Freundschaft zu zerstören? Der wöchentliche Termin mit Stefanie war ihm wichtig –
so wichtig.

Dann war sie ihm wieder eingefallen. Die Geschichte der Inselbewohner. In seiner Kindheit hatte er sie gehört und spannend gefunden. Aber der tiefere Sinn wurde ihm erst jetzt klar.

Für eine endlos lange Zeit hatten die Inselbewohner an ihrem Strand gelebt. Sich selbst überlassen –mit sich selbst zufrieden. Doch in einer dieser Nächte, in denen die Wellen so hoch waren, dass sich alle in den nahen Wald zurückzogen, weil sie Angst hatten, das tobende Wasser könnte den Strand verschlucken, da spuckte das Meer etwas aus. Eine Flasche mit einem Stück Papier darin.
Nach zweitägiger Beratung wurde beschlossen, die Flasche zu öffnen. Doch die Verwirrung war groß, denn auf das Papier waren nur ein paar seltsame Zeichen geschrieben.
Niemand sprach darüber. Niemand wagte es. Doch eines Abends betrat der jüngste Mann des Rates das Zelt des Ältesten. „Im Grunde wissen doch alle, was unser Fund bedeutet. Warum sprichst nicht wenigstens du es aus ?“ „Das wäre zu gefährlich“, sagte der alte Mann, „die Folgen für unser Volk sind nicht abzusehen.“ „Aber die Wahrheit muss ausgesprochen werden !“ Der junge Mann war zornig. Doch sein Gesprächspartner blieb stur. „Ich will nie wieder etwas davon hören.“
Das Meer war ruhig in dieser Nacht, doch der junge Mann wurde von Träumen aufgewühlt. In seinen Gedanken betrat er den Strand und sah über das Wasser. Und plötzlich, an einer weit entfernten Stelle, wo das Sehen nur mehr Erahnen ist, konnte er etwas erkennen. Es ist ein Strand. Eine andere Welt.
Am nächsten Abend während der Versammlung des Rates konnte er sich nicht mehr zurückhalten. „Es gibt eine zweite Welt. Wir alle wissen das. Und wir müssen aufbrechen, um sie kennen zu lernen.“ Dies war der Moment der Wahrheit. Einige wurden so wütend, dass sie ihn einsperren wollten – mindestens das.
Viele Wochen lang wurde diskutiert, gestritten und sogar gekämpft. Doch der junge Mann und ein paar Anhänger ließen sich nicht abhalten. „Wir bauen ein Boot und suchen die andere Welt !“
Und so geschah es.
Als der Tag des Aufbruchs gekommen war, versammelte der Älteste alle Inselbewohner am Strand. „Wir waren glücklich in unserer Welt, denn wir kannten nur sie. Bis die Flasche kam. Glaubt mir, jede Nacht habe ich seit diesem Tag unser Schicksal beklagt und ich wünschte, die Flasche wäre nie zu uns gelangt. Doch die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Seit wir von den Möglichkeiten wissen, ist das Festhalten an der alten Ordnung zum Gefängnis geworden. Wir wissen nicht, ob unsere tapferen jungen Männer jemals die zweite Welt finden. Ob sie die Kraft finden, wieder zurückzukehren. Ob ihr Boot den Stürmen Stand hält. Doch wünschen wir ihnen Glück, denn hier können sie nicht bleiben, was auch immer sie erwartet.“
Das Boot stach in See und verschwand bald am Horizont. Man hat es niemals wieder gesehen. Doch noch heute blicken nicht wenige Inselbewohner in klaren Nächten zum Himmel und träumen von der zweiten Welt. Sie sehen das Boot an einem fremden Strand - und seine Besatzung am Ziel.

Georg lief so schnell er konnte. Noch nie schien ihm Pünktlichkeit so wichtig gewesen.
Kurz vor dem Ziel verlangsamte er seinen Schritt und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Plötzlich war er sich ganz sicher.
Er ging die letzten Meter, ließ die letzte Kurve hinter sich.
Und da stand sie…

 

Guten Abend,
ich finde dies ist eine schöne Geschichte. Die Inselbewohner hätten das Festhalten an alten Dingen und die Angst vor neuem Unbekannten nicht besser treffen können:thumbsup:

 

Hallo Jussi,

vielen Dank für diesen positiven Kommentar.
Einen schönen Abend wünscht Thomas.

 

Hallo Tiv,

so schön die Geschichte mit den Inselbewohnern auch deine Intention darstellt - für mich wäre es schöner gewesen, wenn du genau das in die eigentliche Geschichte hättest einfliessen lassen.
Es geht ja im Prinzip darum, dass ein bisher nur befreundetes Paar plötzlich mehr füreinander empfindet. Sie wollen es beide nicht wahrhaben, weil das zu zahlreichen Problemen führt - andererseits wissen beide, dass sie nicht einfach wieder in die Vergangenheit zurückkönnen, weil sie nun schon gesehen haben, "was sein könnte."
Was ich meine ist, dass die Geschichte mit den Inselbewohnern für mich nicht unbedingt nötig ist, weil du das auch anders "beweisen" kannst.

Ansonsten habe ich deine Geschichte gerne gelesen - vielleicht wären ein paar Details nicht schlecht, die dem Leser deine Protagonisten näher bringen könnten.

LG
Bella

 

Hallo Bella,

danke, dass Du meine Geschichte gelesen und sie kommentiert hast.

Ich verstehe Deine Überlegung hinsichtlich der Notwendigkeit der Inselbewohner. Aber ich kann mir die Geschichte ohne dieses Element im Augenblick gar nicht vorstellen.

Es wäre dann wohl ... eine ganz andere Geschichte. :)

Viele Grüße
Thomas

 

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