Was ist neu

Freitag

Mitglied
Beitritt
30.12.2001
Beiträge
64
Zuletzt bearbeitet:

Freitag

Sie ist besser als die dürre Krämer, mehr noch: Sie sieht im Gegensatz zu ihr richtig gut aus, findet Drechsler, während sie sich im Spiegel betrachtet. Ihre Hände gleiten über den Rock, über die ausladenden Rundungen ihres Hinterteils. Einhundertzwanzig Kilogramm Frau. Drechsler grinst und kneift ihre Backen. Sie denkt an Krämers Schreibtisch, an die Tasse Tee, die immer fünfzehn Minuten vor Feierabend dort steht.

Sie wirft noch einen Blick in den Spiegel, zögert, knöpft ihre Bluse soweit auf, bis die Spalte zwischen ihren Brüsten frei liegt. Die Toilettentür lässt sie verschlossen, sie wartet. Horcht. Hört sie kommen. Die Klinke wird herunter gedrückt. Mehrmals.
Drechsler gibt einstudierte Laute von sich, die Klinke bleibt in einer schiefen Position, als würde sie horchen. Durch das Holz ruft die Dürre Worte und Drechslers Wehklage wird lauter. Sie denkt, gleich geht es los und reibt sich die Hände. Die Klinke geht auf und ab, sie rattert wie ihr Locher, wenn sie wie wild all die Zeitschriften durchlöchert und will sie zum Lachen bringen. Sie versucht es in der hohlen Hand zu ersticken, lässt nur Keuchen fliehen und wie leise Schreie aussehen.

Diese verdammte Tür solle sie aufmachen. Bumm. Sofort. Rumms. Sie müsse mal, dringend.
Drechsler sagt nichts, sie hat Zeit und müht sich auf den Boden. Lalala, summdenkt sie und fängt an, ihre Tasche auszupacken. Die halben Hähnchen, in die Kündigung eingewickelte Sandwiches, die Tafeln Schokolade und die Gummibärchentüten verteilt sie auf die schwarzweißen Kacheln. Das Kreuzworträtselheft rollt sie wieder ein.
Bumm.
Erst gestern hat wieder jemand ein Modeheftchen auf ihren Platz gelegt, anonym.
Rumms.
Sie weiß, dass die Krämer das war. Sie weiß es einfach.

Die Klinke rattert wieder. Sie wisse, dass sie da drin wäre, sie solle sofort, jetzt, die Tür aufmachen.
Drechsler schiebt das Hähnchen aus der Tüte und beißt hinein.
Sie würde nun nach dem Hausmeister rufen, droht die Krämer.
Schmattke, der gute alte Schmattke liegt seit gestern mit einer Magen-Darm-Grippe im Bett, weiß die Drechsler und leckt das bräunliche Fett von ihren Fingern. Ob noch Zeit für die Schokolade bleibt? Ja, noch zwei Minuten. Mindestens.
Gleich mache sie sich in die Hose, jammert die Krämer.
Ob sie auf den Flur machen würde, fragt sich die Dicke und schlingt die Schokolade hinunter. Das wäre bitter, wenn sich die Dürre zu früh erleichtern würde. Mühsam richtet sie sich auf, hält sich am Waschbeckenrand fest und hinterlässt dort Schokoladenabdrücke.
Sie wäre nun fertig, sagt sie der Toilettentür.
Langsam dreht sie den Riegel um, es macht leise Klack und als hätte die Krämer nur darauf gewartet, reißt sie die Tür auf und stürmt nach vorne, wird von Drechslers Körper abgebremst und steckt in ihren Brüsten fest.
Auch die haben Zeit.
Viel Zeit.

 

Hallo Alessandra,

eine witzige Geschichte, bei der ich öfter schmunzeln musste. Allerdings war ich anfangs etwas verwirrt. Bei dem Satz

Sie sieht im Gegensatz zu ihr richtig gut aus, findet Drechsler im Spiegel.
dachte ich, die Prot stände nicht allein im Bad. Ich hatte das Gefühl, ein Mann namens Drechsler sei noch anwesend und er würde denken, dass Deine Prot richtig gut aussähe. Den Irrtum konnte ich dann für mich schnell aufklären (jaja - ich bin ein Blitzmerker), aber vielleicht willst Du den Satz ändern in
Sie sieht im Gegensatz zu ihr richtig gut aus, findet Drechsler, während sie sich im Spiegel betrachtet.
Damit entfällt auch die in meinen Augen unschöne Formulierung
findet Drechsler im Spiegel

Und wenn ich schon dabei bin, noch zwei Kleinigkeiten.
Gleich mache sie sich in die Hose, jammert die Stimme der Krämer.
würde ich auch ändern. Schließlich jammert ja nicht die Stimme, sondern die Krämer. Und last und auch least:
Auch sie haben Zeit.
würde ich ändern in
Auch die haben Zeit
Passt meiner Meinung nach vom Duktus her besser zu dem schnodderigen Ton der Geschichte.

Ansonsten wiederhole ich mich gern: Ich habe ich mich herrlich amüsiert. Wurde ja auch Zeit, dass eine wohlproportionierte Person einem dieser dürren Klappergestelle mal zeigt, wo Bartel den Most holt bzw. die Drechsler die Schokolade. :thumbsup:

Liebe Grüße
George

 
Zuletzt bearbeitet:

Danke auch an dieser Stelle für deinen Kommentar. Ich habe mir deine Vorschläge zu Herzen genommen und werde sie - abgesehen von einer Ausnahme - übernehmen.

Auch sie haben Zeit.
Im Moment gefällt mir vom Klang her, das "sie" besser. Es hört sich weicher als das "die" an. Hm. Vielleicht ändere ich meine Meinung ja noch.

Wurde ja auch Zeit, dass eine wohlproportionierte Person einem dieser dürren Klappergestelle mal zeigt, wo Bartel den Most holt bzw. die Drechsler die Schokolade.
:D
Tze. Dürre Klappergestelle. :hmm:


Lieber Gruß

Alessa

Edit 1: Tippfehler
Edit 2: Habe nun doch "sie" in "die" geändert. Hört sich doch besser, pointierter an.

 

Einleiten möchte ich meine kurze Kritik mit einem von mir höchst selten angewendeten Smiley: :thumbsup:
Flüssig geschrieben, dank guten Stils und sicherer Rechtschreibung (und sag jetzt nicht, das wäre eine Selbstverständlichkeit! Ach, wenn das doch so wäre...), prägnant, wie es eine gute Kurzgeschichte sein sollte, sehr gute, anschauliche Metaphern (die "horchende Türklinke").
Der lakonische Witz der Geschichte gefällt mir ausnehmend gut.
Was ich als i-Tüpfelchen bei wirklich guten Geschichten ansehe, ist hier vorhanden: Es wird zwischen den Zeilen viel erzählt. Die meisten anderen Autoren hätten explizit erwähnt, dass Frau Drechsler gekündigt hat und ihr deshalb alles egal ist. Bei dir erfährt man diese Information aus dem Umstand, dass sie ihre Sandwiches in die Kündigung eingewickelt hat. Sehr schön! Das zeichnet eine wahrlich durchdachte Geschichte aus.

Mich erinnert dein Stil ein bisschen an jenen von Echnaton, den ich sehr schätze. Vielleicht magst du mal ein bisschen was von ihm lesen? Ich könnte mir gut vorstellen, dass dir seine Geschichten zusagen!

Eine winzige Kleinigkeit:

Sie versucht es in der hohlen Hand zu ersticken, lässt nur Keuchen fliehen und wie leise Schreie aussehen.

An der Stelle bin ich mit dem "aussehen" nicht einverstanden, da es sich um akustische Signale handelt. Die Schreie müssten folgerichtig zB "klingen".

 

Gibt es hier einen Erröten-Smiley?
Danke, Rainer. :)
Echnatons Texte werde ich auf jeden Fall noch lesen.

Eine winzige Kleinigkeit:
Zitat:
Sie versucht es in der hohlen Hand zu ersticken, lässt nur Keuchen fliehen und wie leise Schreie aussehen.
///
An der Stelle bin ich mit dem "aussehen" nicht einverstanden, da es sich um akustische Signale handelt. Die Schreie müssten folgerichtig zB "klingen".
Du hast Recht! (Werde ich ändern.) Passt der Satz überhaupt in die Geschichte? Da sind wohl die poetischen Pferde mit mir durch gegangen. :D

 

Hallo Alessa,

Gibt es hier einen Erröten-Smiley?
Den müsstest Du hier auch einsetzen. Von Rainer gelobt zu werden, ist wie der Empfang höherer Weihen. Von nun an darfst Du Dich Schriftstellerin nennen ;)
Mir ist diese Ehre - bei all meinen genialen Geschichten, die ich hier schon veröffentlicht habe - erst einmal zuteil geworden. Wahrscheinlich hat er dieses Lob damals in einem Anfall von Altruismus abgeschickt :shy:
Sie versucht es in der hohlen Hand zu ersticken, lässt nur Keuchen fliehen und wie leise Schreie aussehen.
Selbstverständlich hat Rainer Recht, wenn er das Aussehen der Schreihe bzw. des Keuchens mokiert - auch ich bin beim ersten Lesen über diese Stelle gestolpert. Allerdings gefällt mir dieser Satz gerade wegen seiner Poesie. Man stelle sich das vor: Das Aussehen eines Schreis bzw. sie lässt ihr Keuchen wie einen Schrei aussehen. Ich assoziierte sofort Munchs "Schrei".
Wie profan hingegen die jetzige Version
Sie versucht es in der hohlen Hand zu ersticken, lässt nur Keuchen fliehen und wie leise Schreie klingen
Das hätte jeder schreiben können. Die erste Version hatte etwas individuelles. Meiner Meinung nach. Du siehst, man kann es nicht jedem Recht machen :)

Liebe Grüße
George

 

Hallo George.

Den müsstest Du hier auch einsetzen. Von Rainer gelobt zu werden, ist wie der Empfang höherer Weihen. Von nun an darfst Du Dich Schriftstellerin nennen
Dann will ich nachträglich noch einmal erröten. :D (Und bleibe bescheiden bei "Autorin".)

Das hätte jeder schreiben können. Die erste Version hatte etwas individuelles. Meiner Meinung nach. Du siehst, man kann es nicht jedem Recht machen
Wisst Ihr, dass man mich damit schrecklich unsicher machen kann?
Das Schlimme ist, "beide" Seiten haben Recht. Was mache ich jetzt? Hm ... ich tendiere wieder zu "aussehen". Aber ich lasse es noch ein Weilchen mit "klingen" stehen.

Danke für deinen Kommentar und lieber Gruß


Alessa

 

Hallo Alessandra!

Diese Geschichte gefällt mir sehr gut - um Häuser besser als die mit den Hunden... :)

Erst dachte ich mir nur, die Dicke ist ja schön gehässig, aber durch die Kündigung bekam das noch dazu einen Grund: Sie entsorgt sozusagen ihren Frust im Klo.
Ich finde die Geschichte auch sehr witzig beschrieben, obwohl mir die Dürre schon fast Leid tat, aber ich hab es der Dicken gegönnt, sich so abzureagieren. :D

Ein bisschen mehr direkte Rede könnte der Geschichte meiner Meinung nach noch gut tun, zum Beispiel da, wo die Dürre Worte durch das Holz ruft.

Was ich mich nur frage: Warum steht die Geschichte unter Gesellschaft? Ich fände sie für Alltag irgendwie passender, oder sogar Humor. Falls Du das Verhalten der Dicken kritisieren wolltest, dann kommt das für mich nicht rüber. Dafür müßte zum Beispiel klar werden, daß die Dürre unschuldig zum Handkuß kommt - so weiß ich aber gar nicht, ob sie nicht vielleicht selbst die Chefin ist.

Zwei Anmerkungen noch:

Durch das Holz ruft die Dürre Worte

Bei dem Satz blieb ich erst hängen, würde ihn umstellen in "Die Dürre ruft Worte durch das Holz".

lässt nur Keuchen fliehen und wie leise Schreie klingen.

Was hältst Du von "wirken" statt "klingen"?

Liebe Grüße,
Susi :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Susi,

herzlichen Dank, für das Lob und Kritik. :)

Ein bisschen mehr direkte Rede könnte der Geschichte meiner Meinung nach noch gut tun, zum Beispiel da, wo die Dürre Worte durch das Holz ruft.
Hm, gut. Deinen Vorschlag lasse ich mir durch den Kopf gehen, zumal ich sowieso nochmal an dem Text feilen wollte. Wenn mir etwas Passendes einfällt, wird die Dürre rufen. :)

Was ich mich nur frage: Warum steht die Geschichte unter Gesellschaft? Ich fände sie für Alltag irgendwie passender, oder sogar Humor.
Auch eine gute Frage.
Humor: Ich habe hin und her überlegt. Der Text sollte in erster Linie nicht witzig sein. Das Schräg-Witzige ergibt sich ja aus der Situation heraus.
Alltag: Würde auch passen. Letztendlich entschied ich mich wegen des Endes für Gesellschaft, weil man das Ende ja "so" oder "so" lesen kann. Und das passiert einem dann bestimmt nicht so oft. Ich meine ... erstickt im Busen der Dicken. Und die Dürre macht sich vorher noch in die Hosen. Oje! :D

EDIT: Gesellschaft: Es geht auch darum, wie die Gesellschaft miteinander umgeht (Mobbing) und was passieren kann, wenn es zum Äußersten kommt.


Falls Du das Verhalten der Dicken kritisieren wolltest, dann kommt das für mich nicht rüber.
Nein, kritisieren wollte ich niemanden. Ich wollte die beiden so authentisch wie möglich handeln lassen, ohne (meine) Wertung.

Bei dem Satz blieb ich erst hängen, würde ihn umstellen in "Die Dürre ruft Worte durch das Holz".
Hört sich auch gut an. Ich wollte die Sätze nur nicht immer mit "Die Dürre" oder "Die Dicke" anfangen lassen.

Zitat:
lässt nur Keuchen fliehen und wie leise Schreie klingen.
Was hältst Du von "wirken" statt "klingen"?
Wirken? Ist auch gut!
Nun schwanke ich zwischen "klingen", "aussehen" und "wirken". Dankeschön. *lach*
Aber "wirken" steht nah an meinem Wort "aussehen". Hm. Gefällt mir.


Lieber Gruß

Alessa

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Alessandra!

Ich meine ... erstickt im Busen der Dicken. Und die Dürre macht sich vorher noch in die Hosen. Oje!
Hm, zu dem Ende hab ich vorher nichts gesagt, weil mein Humorverständnis nicht unbedingt das der Allgemeinheit trifft - mir war die Pointe ein bisschen zu plump, was wie gesagt nicht heißt, daß sie schlecht ist, nur eben nicht den Humor trifft, den ich mag. Da bin ich wirklich ein bisserl eigen. ;)
Ich hätte zum Beispiel einen Ausgleich geschaffen, indem ich am Ende die Dicke die Dumme sein lassen hätte. Etwa, indem die Dicke dann tatsächlich (vom vielen Fressen) aufs Klo muß, und während sie da sitzt und Stöhnlaute von sich gibt (diesmal echte), hätte die Dürre ihren Schlüssel genommen und gesagt: "Ja, ich muß jetzt leider gehen und das Büro zusperren. Wenn Sie nicht rauskommen, kann ich Ihnen nicht helfen. Bleiben Sie am besten da drin, sonst geht die Alarmanlage los."
Frei nach dem Motto "Wer andern eine Grube gräbt". :)


Wirken? Ist auch gut!
Nun schwanke ich zwischen "klingen", "aussehen" und "wirken". Dankeschön. *lach*
Aber "wirken" steht nah an meinem Wort "aussehen". Hm. Gefällt mir.
Freut mich, daß ich Dein Nachdenken inspirieren konnte, zumindest dazu, Dich wieder für "aussehen" zu entscheiden. :D Finde auch, daß das genausogut paßt. ;)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom