Fremde Empfängnis
Es fing wunderschön an. Alles war perfekt. Das Kleid war ein weißer Traum aus Tüll und Seide. Der Bräutigam, ein rechter Traumprinz in seiner Marineuniform.
Seine Kameraden standen Spalier vor der Kirche. Ein dicker Tampen versperrte dem Brautpaar den Weg in den Ehehafen. Mühsam versuchten sie, den Strang mit einem Taschenmesser zu durchtrennen. Glückliche Gesichter, überall, festgehalten auf Hochglanzfotos, die ein Album füllen.
Meine Finger durchblättern Erinnerungen, mein Versuch herauszufinden, ob das, was ich tat, ein Vorzeichen hatte.
Ich betrachte uns auf den nachfolgenden Seiten, meist einzeln abgelichtet, selten zusammen, nur dann, wenn ein freundlicher Tourist sich bereit erklärte:
Der kleine Japaner, der uns in der Schweiz für Einheimische hielt, weil wir im Mai den Titlis nicht wie die anderen mit Sandalen bestiegen hatten, schnitt unsere Köpfe ab. Doch ich vergegenwärtige mir: Unsere Haare lang und ungepflegt, die Kleidung zünftig, die Bergschuhe neu.
Wir waren ein Abgleich des Anderen.
Unsere Hochzeitsreise war eine Fahrt mit dem Glacier Express.
Der blaue Himmel, die strahlende Sonne, die Gipfel im gleißenden Sonnenlicht.
Alles Vorboten einer strahlenden Zukunft.
Zuhause unser Nest, liebevoll von uns eingerichtet, dort schmiedeten wir unsere Zukunft.
Ein kleiner Schatten trübte unsere Aussichten. Peter würde oft auf See sein.
Aber das kümmerte mich nicht, weil Liebe bekanntlich Brücken schlägt, auch über weite Entfernungen.
Wie naiv ich war, wie wenig ich mich doch kannte.
Das Leben pulsierte und drängte mich hinaus. Du warst fern und ich wollte nicht gebändigt sein.
Was dachte ich mir dabei, als ich tanzen ging? Du warst fort, vertrautest mir.
Es war alles so harmlos. Oder?
Es war ein Spiel mit dem Feuer.
Diese eine Nacht, in der ich spät nach Hause fand, war sie wirklich geschehen?
Der Tag, der mein Leben veränderte, begann als sanfter Frühlingsmorgen. Bevor ich mit meiner Arbeit im Büro begann, hatte ich es mir angewöhnt, durch den Park zu joggen. Die Kastanien hatten über Nacht ihre Blätter entfaltet und boten ein wenig Schutz vor dem feinen Nieselregen. Der Regen war nicht unangenehm. Er erfrischte mich behutsam mit seiner gleichmäßigen Feuchtigkeit und ich spürte seine belebende Kraft. Der Himmel lichtete sich alsbald, denn ein gleichmäßiger Wind begann, die Wolkendecke zu zerfetzen. Blauer Himmel lugte inzwischen hervor und die ersten goldenen Sonnenstrahlen wärmten meine kühle Haut. Ich freute mich über die Vielfalt der Krokusse, die vorwitzig ihre Köpfe der Sonne entgegenstreckten. Die Vögel kamen aus ihren Verstecken und waren emsig dabei, Nistmaterial zu sammeln.
Hinter mir knirschte der Kies unter schnellen Schritten. Ich wartete darauf, überholt zu werden, um ein freundliches Hallo dem namenlosen, aber bekannten Gesicht zuzurufen. Die Schritte hinter mir kamen näher und aus einem Impuls heraus wandte ich mich um. Ich hatte ihn noch nie zuvor in diesem Park gesehen. Er war einen halben Kopf größer als ich, war dunkelhaarig. Ich konnte sehen, wie seine Muskeln unter seiner bronzen schimmernden Haut arbeiteten und wie die Sehnen sich bei jeder Bewegung spannten. Aus einem unerklärlichen Grund war ich von seinem Anblick gebannt. Ich hätte schwören können, die Zeit steht still. Er lächelte mir zu und überholte mich. Dabei berührte sein Arm wie zufällig den meinen. Überrascht zog ich meinen Arm zurück. Etwas, tief in mir, hatte diese Berührung genossen. Es war ein unverschämtes Prickeln. Tief in Gedanken lief ich den Rest meiner Runde nach Hause. Ich konnte mir nicht erklären, warum. Es war nur so, dass mein Herz ungeduldig zappelte.
„Guten Morgen Susanne“, begrüßte mich meine Teamkollegin Manuela wie immer mit Zigarette im Mundwinkel in der Kaffeeecke.
„Ja, guten Morgen“, gab ich kurz zur Antwort. Ich ging entgegen meiner Gewohnheit nicht zu ihr, um den obligatorischen Morgenkaffee einzunehmen. Irgendwie hatte ich heute keine Lust, mir eins ihrer heißen Wochenenderlebnisse, die sie montags stets zu erzählen hatte, anzuhören.
„Nanu? Ist dir eine Laus über die Leber gelaufen?“ Manuela konnte manchmal sehr aufdringlich sein.
„Los erzähl, was ist denn los?“ Mit einer Tasse Kaffee in der Hand kam sie zu mir herübergeschlendert.
„Du weißt doch, hier darf nicht geraucht werden“, versuchte ich auszuweichen, aber Manuela ließ nicht locker. Sie drückte ihre Zigarette auf der Untertasse aus und pflanzte sich mir gegenüber auf meinem Besucherstuhl hin.
„Du weißt doch, du kannst mir alles erzählen.“ Ihre Augen blitzten vor Neugierde.
„ Manuela, es ist nichts. Ich habe nur schlecht geschlafen. Das ist alles.“
„Das Strohwitwendasein macht dir zu schaffen, nicht wahr?“
Ich fühlte, wie ich rot vor Verlegenheit wurde. Was war mit mir los? Ich suchte nach einer Ausrede. „Nein, mein neuer Nachbar hat wohl eine Einweihungsparty gegeben und etwas laut gefeiert. Es ist nicht so wie du denkst.“
„Schade, ich hätte dir passend zum Frühlingsanfang eine Romanze gewünscht. Seitdem du verheiratet bist, geht das Leben doch an dir vorbei.“
Lachend ging sie an ihren Arbeitsplatz zurück.
Ich erledigte meine Arbeit an diesem Tag nur widerwillig, denn meine Gedanken schweiften immer wieder ab. Ich registrierte sehr wohl, meinen Unmut über Peter, der jetzt schon zwei Wochen auf See war.
Und ständig schob sich ein anderes Gesicht dazwischen.
Das Gesicht des Unbekannten.
Als endlich der Feierabend nahte, stürmte ich aus dem Büro. Ich hatte vor, mich zu Hause sofort, in meine Wohlfühlklamotten zu werfen und eine Tasse Kakao zu trinken.
Mein alter ausgeleierter Jogginganzug hatte schon bessere Tage gesehen, aber zum Faulenzen war er noch gut genug.
Meinen Kakao schlürfte ich im Stehen am Fenster. Wir wohnten im 6. Stock und hatten einen herrlichen Blick auf den im Westen angrenzenden Park. Die Sonne stand schon tief, so dass die Welt unter mir von Schatten verhängt war. Einzig die obersten Etagen glühten im Abendrot. Melancholie nennt man das wohl, wenn der Anblick eines gehenden Tages die Seele streift.
In diesem Moment wünschte ich mir, nicht alleine zu sein.
Mein Wunsch wurde erhört, denn das drängende elektrische Summen meiner Haustür unterbrach diese Stimmung. Irgendwie erleichtert öffnete ich die Tür.
Vor der Tür stand: der Unbekannte aus dem Park. In den Händen ein Blumenstrauß.
„Guten Abend“.
„Eh, ja guten Abend, ich glaube Sie haben sich in der Tür geirrt.“
Verlegen wischte ich mir mit dem Ärmel meines Pullis den Milchbart ab. Mein Gegenüber lachte ungeniert. „Nein, das habe ich nicht. Aber ich wollte Sie nicht stören. Wenn ich ungelegen komme...?“
Ich schüttelte heftig meinen Kopf.
„Ich wollte mich vorstellen. Ich wohne gleich neben an. Ich heiße Volkmar Lüders“.
„Angenehm, Susanne Hartmann“, sagte ich,„kommen Sie doch rein.“
Es war gewiss nicht meine Art, fremde Männer einzuladen, aber: die Anziehung von heute morgen war wieder gegenwärtig.
„Wir haben uns heute Morgen beim Joggen gesehen, nicht?“
Verdammt, er war mir zwar aufgefallen, aber musste ich das so offen zur Schau stellen?
„Stimmt. Laufen Sie jeden Tag?“
Seine Augen, so klar wie ein Sommermorgen taxierten mich. Ich fühlte, wie ich rot wurde.
„Ja, ich jogge jeden Morgen. Vielleicht können wir ja zusammen laufen?“
Ich nahm die Tulpen und stellte sie in eine Vase auf den Esstisch. Ich fühlte seine Blicke, wie Nadelstiche in meinem Rücken.
„Warum nicht?" antwortete er.
„Wie wäre es um halb acht? Einverstanden?“
„Gerne.“
Ich war verwirrt. Er verließ meine Wohnung,
Verließ sie, ohne mich zu küssen, doch, gestand ich mir ein: ich wäre gerne geküsst worden.
Ich war verwirrt über das hohe Maß an Empfindung, welches ich in diesen Sekunden diesem Mann entgegen gebracht hatte. Welchem Zauber war ich erlegen? Was hatte er an sich? Sollte ich mich in ihn verliebt haben?
Ein letzter Funken von Verstand widersprach mir: „Tu es nicht! Du gehörst zu Peter.“
Ich habe es immer gehasst, vor Aufregung nicht schlafen zu können: es waren nicht nur Schmetterlinge, die in meinem Bauch flatterten.
Eine unerfüllte Sehnsucht durchzog meinen Schoß.
Und sie traf mein einsames Herz.
Was erwartete ich denn?
Wir waren zum Joggen verabredet, mehr nicht, versuchte ich, meine Stimmung zu dämpfen. Ich wälzte mich in meinem Bett hin und her. Irgendwann bin ich trotz Herzklopfen eingeschlafen.
Mein Vorsatz: Morgen erzähle ich ihm, dass ich verheiratet bin, half mir dabei.
Es war noch dunkel, als ich erwachte.
Das Kribbeln im Magen verriet meinen schläfrigen Gedanken, dass heute etwas Besonders anstand.
Im Badezimmer sah mir mein Spiegelbild mit leuchtenden Augen entgegen, so dass die Bedenken der Nacht plötzlich harmloser wirkten.
Ja, ich war jung und hatte das Recht mein Leben zu führen, wie ich es wollte. Wo war denn Peter?
Er hatte doch nur seine Fregatte im Kopf.
Und, ich war zum Joggen verabredet, mehr nicht.
Endlich war es halb acht. Als seine Schritte auf dem Flur zu hören waren, öffnete ich die Tür, ohne auf sein Klingeln zu warten.
„Guten Morgen“.
„Ja, wünsche ich Ihnen auch. Sind Sie soweit?“
„Ja, es kann losgehen.“
Etwas befangen ging ich an seiner Seite zum Fahrstuhl. Dort roch ich seinen angenehmen Duft. Wir sprachen nicht miteinander. Ich versuchte ihn heimlich zu mustern.
Mein Blick hing an seinen tiefroten Lippen.
Er musste bemerkt haben, dass ich ihn so neugierig anstarrte. Aber er verriet sich nicht durch eine Äußerung. Nur seine Augen bekamen einen tiefen Glanz. Er zwinkerte mir zu.
Am liebsten hätte ich seine verführerischen Lippen geküsst, nur um zu wissen, ob sie nach Himbeere schmeckten.
Wir schlugen bis zum Park ein langsames Tempo ein. Im Park angekommen, steigerte er seine Schrittzahl.
„Ist es zu schnell?“ fragte er mich. „Ich laufe immer eine Stunde.“
„Ich will versuchen, mitzuhalten“, antwortete ich. Ich wollte es nicht riskieren, mit Seitenstichen stehen bleiben zu müssen, also sprach ich nicht viel. Er hatte eine wunderbare Art, mich anzuspornen, wenn ich langsamer wurde. „Kommen Sie, nicht locker lassen.“ Er berührte sanft meine Schulter. Nach ungefähr zwanzig Minuten, glaubte ich, ewig so weiter laufen zu können. Pure Lebensenergie floss in meinen Adern. Es roch nach feuchter Erde, nach Hyazinthen und Maiglöckchen. Die Kastanien steckten ihre Lichter auf und die Vögel jubilierten mit ihrem Gesang. Wir tauschten Blicke aus und ich wusste, wie sehr er unseren Lauf genoss. Schnaufend kamen wir an einer Parkbank zum Stehen. Wir setzten uns nieder und es war so natürlich, eben aus der Unbefangenheit heraus.
Ich kuschelte mich behaglich an seine Seite. Er legte seinen Arm um mich. Die Morgensonne kitzelte frech unsere Nasenspitzen.
„Es wird Zeit.“, sagte er unvermittelt.
„Wofür?“
„Frühstück, ich habe einen Bärenhunger.“
„Das trifft sich gut, ich auch. Wo wollen wir frühstücken? Bei mir?“
Er rückte ein wenig von mir ab.
„Gut, ich nehme die Einladung gerne an. Frühstücken wir bei Ihnen. Ich komme nachdem ich geduscht habe.“
Dann sah er auf die Uhr.
„Entschuldigung“, murmelte er. „Es ist schon fast neun. Wir müssen unser Frühstück ausfallen lassen.“
Er küsste mich wieder nicht. Auch nicht zum Abschied, obschon ich mir sicher gewesen war: eben auf der Bank, mit lachendem Herzen.
Als ich am Abend aus dem Büro zurückkehrte, fand ich einen roten Rosenstrauß vor meiner Haustür. Hastig riss ich die beiliegende Karte aus dem Umschlag. Zuerst las ich den Absender, Volkmar. Ich öffnete meine Haustür und ging in die Wohnung.
Nachdem ich die Rosen in der Vase geordnet hatte, las ich die Karte. Volkmar lud mich heute Abend zum Tango ins Kaffeehaus ein. Er hätte noch zwei Karten ergattert. Ob ich ihm die Freude machen würde?
Ich rief Volkmar sofort an. Er meldete sich schon nach zweimaligem Klingeln.
„Volkmar Lüders, guten Abend.“
Seine Stimme klang wohltuend warm und weich. Als ich sie hörte, überzogen kleine Schauer meinen Rücken.
„Hallo, hier ist Susanne Hartmann.“
„Vielen Dank für die Einladung. Ich komme gerne mit.“
„Wunderbar, ich freue mich. Ist es Ihnen recht, wenn ich Sie in einer Stunde abhole?“
„Das geht in Ordnung. Bis gleich.“
„Darf ich bitten?“
Mir stockte der Atem, als ich Volkmar sah.
Er führte mich zur Tanzfläche. Ich spürte die Augen der Anwesenden auf uns. Der erste Tango wurde gespielt und Volkmar führte mich sicher über das Parkett. Ich war zuerst noch ein wenig steif, aber nachdem Volkmar mir ins Ohr geflüstert hatte, ich solle ihm vertrauen, konnte ich mich den rhythmischen Klängen hingeben.
Es war herrlich.
Ich genoss den festen Halt seiner Arme. Seine sichere Führung, als er mich los ließ und durch den Saal wirbelte. Mit einem Augenaufschlag befahl er mir, zu ihm zurückzutanzen.
Seine Blicke.
Ich fühlte, wie die Korsage über meinen Busen spannte.
Der Tanz endete abrupt.
„Sie tanzen fabelhaft, Susanne.“
„Aber nur Dank Ihrer Hilfe, Sie sind unübertrefflich, beim Tango.“
Mein Atem ging schnell.
Er goss uns ein Glas Champagner ein. Begierig stürzte ich es hinunter.
„Wir sind ein zauberhaftes Paar, liebste Susanne.“
Er drückte mir einen Handkuss auf die Innenseite meines Handgelenkes.
Diese Berührung.
So sinnlich, ich hätte aufschreien können.
Wir durchtanzten diesen Abend. Ich wurde nicht müde.
Meine Erregung wuchs mit jedem Schritt, mit jeder Berührung. Jede Faser meines Körpers schmerzte.
Das Orchester spielte den letzten Tanz auf und wir gingen nach Hause.
Im Hausflur standen wir dicht an dicht gegenüber. Es war Zeit, sich zu verabschieden.
Er küsste mich.
Seine Zunge, gierig, in meinem Mund.
Seine Finger, allwissend, entblößten meine Brüste.
Eine Hand umfasste mein Gesäß, die andere spreizte meine Beine.
Der Rock zerriss an seiner schwächsten Stelle, dem Schlitz.
Ich schauderte.
Biss mir auf die Lippen, um nicht zu schreien.
Bot mich ihm dar, suchte, Erlösung aus meiner süßen Qual:
Das Gesicht so fremd.
Sein Körper versteht den meinen.
Sie reiben sich aneinander.
Die Briefkästen, die Fliesen, das Flurlicht.
Sind zu sehen und doch nicht wirklich.
Ich spüre seinen Gipfel. Zerberste auf meinem.
Er ergießt sich in mir. Ich sehe in seine Augen. Suche Verbundenheit.
Volkmar schob mich beiseite.
Er zog sich an, tätschelte mich und grunzte:„ Geiler Fick, Susanne. Bis Morgen."
Was hatte ich getan?
Ich schob einen Vorhang des Vergessens zu. Ich hatte Peter nichts davon erzählt. Als er eine Woche später vom Manöver wiederkam, fielen wir uns in die Arme, als sei nichts gewesen. Ausgehungert nach Liebe warf Peter mich auf unser Bett und wir liebten uns leidenschaftlich.
Warum sollte ich ihm wehtun?
Das mit Volkmar war ein Irrtum. Ich liebe Peter.
Dann wurde der Vorhang beiseite gezogen.
Es hatte nicht lange gedauert, bis ich an die Reihe kam, obwohl das Wartezimmer brechend voll gewesen war.
Ich versuchte, mein Herzklopfen zu ignorieren.
Eine höfliche Helferin hatte mich in das Sprechzimmer geleitet. Vereinzelte Wortfetzen drangen zu mir herüber. Ich erschrak und dachte:
„Wenn ich alles hören konnte, dann konnte mein Geheimnis die Tür ebenso durchdringen.“
Diese Aussicht verstärkte mein Unbehagen, aber ich traute mich nicht, fort zu gehen.
Ich hatte keine Wahl.
Ein Stuhl rückte und einen Augenblick später kam der Arzt durch die gepolsterte Doppeltür.
„Guten Tag, junge Frau, was kann ich für Sie tun?“
Sein Rücken war gebeugt, als ob er sich wegen seiner Größe bücken müsste. Oder erdrückten ihn die Lebensbeichten, die ihm die Frauen anvertrauten?
„Ich bin schwanger.“
Endlich war es raus.
„Das ist zunächst ein Grund zur Freude, oder?“
Forschend betrachtete er mein Gesicht. Ich nickte heftig, um keine Zweifel daran aufkommen zu lassen.
Sollte ich ihm sagen, dass es nicht sein durfte? Eine weitere Lebensbeichte, damit ich es leichter ertragen konnte, auf sein ehrliches Haupt werfen?
„Gut, zunächst werde ich Sie untersuchen. Sie können sich dort entkleiden.“
Ich zog mich in der engen Kabine aus. Es war seltsam, von der Taille abwärts nackt zu sein.
Ich fühlte mich bloßgestellt, als sähe man mir an, wie verwerflich ich bin.
Hatte ich noch Hoffnung, dass alles ein Irrtum war?
„Sehen Sie?“
Die tiefe Stimme des Frauenarztes holte mich ein. Er hatte das Licht abgedunkelt, damit ich auf dem schwarzen Bildschirm etwas erkennen sollte.
Angestrengt schaute ich auf den Monitor und versuchte mir ein Bild von dem zu machen, was er mir erzählte.
„Herzlichen Glückwunsch. Es ist alles so, wie es sich gehört. Sie können sich anziehen. Wir machen noch ein paar Tests im Labor, aber das ist nur die übliche Vorsorge. Kein Grund zur Beunruhigung.“
Ich musste es Peter sagen.
Planlos lief ich durch die Straßen. Die kühle Morgenluft fächelte meine erhitzten Wangen. Als ich an einer Ladenzeile vorbeikam, sog ich den Duft von frischen Brötchen ein. Schlagartig wurde mir übel. Vergeblich wünschte ich, mich erbrechen zu können, damit es mir besser ginge. Zitternd stand ich an der Hauswand und wartete ab, dass die Welle des Unwohlseins abebbte.
Mach es ungeschehen, noch ist es möglich, hetzten meine Gedanken.
Und was ist, wenn es doch seins ist? Konnte ich unser Kind töten?
Sollte ich weiter schweigen, es vertuschen, schönfärben?
Das Kind, zu wem wird es Vater sagen?
Werden seine Bilder in unserem Album kleben?
Was werde ich fühlen, wenn die Ähnlichkeit mit dem Vater festgestellt wird?
Schuld? Erleichterung?
Hat irgendwer die fremde Empfängnis bemerkt?
Peter und ich sitzen in unserem Wohnzimmer. Ich habe Kerzen angezündet.
In der Küche schmurgelt es verheißungsvoll. Im Hintergrund spielt Musik.
Peters Gesicht, fragend als er mich und das Album sieht. Ich zeige ihm, was ich eingeklebt habe. Zuerst versteht er es nicht. Dann huscht ein Lächeln über sein Gesicht.
Auf dem letzten Blatt klebt ein schwarzes Bild mit einem hellen Punkt.
Peter nimmt mich in die Arme, flüstert ergriffen in mein Ohr: „Unser Pünktchen, Susanne ich liebe dich.“
Ich schließe das Album. Habe mich entschieden.
Nichts zu sagen. Für Peter, für das Kind.
Für mich.