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Fremde Empfängnis
Fremde Empfängnis (1. Version)
zur zweiten Version geht es hier
Es fing wunderschön an. Alles war perfekt. Das Kleid war ein weißer Traum aus Tüll und Seide. Der Bräutigam, ein rechter Traumprinz in seiner Marineuniform.
Seine Kameraden standen Spalier vor der Kirche. Ein dicker Tampen versperrte dem Brautpaar den Weg in den Ehehafen. Mühsam versuchten sie, den Strang mit einem Taschenmesser zu durchtrennen. Glückliche Gesichter, überall, festgehalten auf Hochglanzfotos, die ein Album füllen.
Meine Finger durchblättern Erinnerungen, mein Versuch herauszufinden, ob das, was ich tat, ein Vorzeichen hatte.
Ich betrachte uns auf den nachfolgenden Seiten, meist einzeln abgelichtet, selten zusammen, nur dann, wenn ein freundlicher Tourist sich bereit erklärte:
Der kleine Japaner, der uns in der Schweiz für Einheimische hielt, weil wir im Mai den Titlis nicht wie die anderen mit Sandalen bestiegen hatten, schnitt unsere Köpfe ab. Doch ich vergegenwärtige mir: Unsere Haare lang und ungepflegt, die Kleidung zünftig, die Bergschuhe neu.
Wir waren ein Abgleich des Anderen.
Unsere Hochzeitsreise war eine Fahrt mit dem Glacier Express.
Der blaue Himmel, die strahlende Sonne, die Gipfel im gleißenden Sonnenlicht.
Alles Vorboten einer strahlenden Zukunft.
Zuhause unser Nest, liebevoll von uns eingerichtet, dort schmiedeten wir unsere Zukunft.
Ein kleiner Schatten trübte unsere Aussichten. Peter würde oft auf See sein.
Aber das kümmerte mich nicht, weil Liebe bekanntlich Brücken schlägt, auch über weite Entfernungen.
Wie naiv ich war, wie wenig ich mich doch kannte.
Das Leben pulsierte und drängte mich hinaus. Peter war fern und ich wollte nicht gebändigt sein.
Was dachte ich mir dabei, als ich tanzen ging? Peter war fort, vertraute mir.
Es war alles so harmlos. Oder?
Es war ein Spiel mit dem Feuer.
Diese eine Nacht, in der ich spät nach Hause fand, war sie wirklich geschehen?
Es hatte nicht lange gedauert, bis ich an die Reihe kam, obwohl das Wartezimmer brechend voll gewesen war. Ich versuchte, mein Herzklopfen zu ignorieren.
Eine höfliche Helferin hatte mich in das Sprechzimmer geleitet. Ich saß vor einem breiten Eichenschreibtisch, auf dessen Platte sich Karteikarten, Merkzettel, Broschüren und Post türmte. Ein silbergerahmtes Foto zeigte zwei blonde Mädchen mit Zahnspangenlächeln.
Ich musste weiterhin warten. Währenddessen hörte ich eine tiefe Stimme aus dem Raum nebenan.
Vereinzelte Wortfetzen drangen zu mir herüber. Ich erschrak und dachte:
„Wenn ich alles hören konnte, dann konnte mein Geheimnis die Tür ebenso durchdringen.“
Diese Aussicht verstärkte mein Unbehagen, aber ich traute mich nicht, fort zu gehen. Ich hatte keine Wahl. Ein Stuhl rückte und einen Augenblick später kam der Arzt durch die gepolsterte Doppeltür.
„Guten Tag, junge Frau, was kann ich für Sie tun?“ Seine Stimme war sehr tief und durchdringend. Diese Stimme konnte nicht gedämpft werden, schoss es mir durch den Kopf.
Er war sehr schlank, fast hager. Er war groß. Sein Rücken war gebeugt, als ob er sich wegen seiner Größe bücken müsste. Oder erdrückten ihn die Lebensbeichten, die ihm die Frauen anvertrauten? Sein Haar war schütter. Seine schwarzen Augen funkelten mich an.
„Ich bin schwanger.“ Endlich war es raus.
„Das ist zunächst ein Grund zur Freude, oder?“ Forschend betrachtete er mein Gesicht. Ich nickte heftig, um keine Zweifel daran aufkommen zu lassen.
„Haben Sie einen Test gemacht?“
„Ja, gestern. Ich bin seit sechs Wochen überfällig. Zuerst hielt ich es für eine Unpässlichkeit, aber morgens wird mir übel und meine Brüste schmerzen.“
Sollte ich ihm sagen, dass es nicht sein durfte? Eine weitere Lebensbeichte, damit ich es leichter ertragen konnte, auf sein ehrliches Haupt werfen?
„Gut, zunächst werde ich Sie untersuchen. Sie können sich dort entkleiden.“
Ich zog mich in der engen Kabine aus. Es war seltsam, von der Taille abwärts nackt zu sein. Ich fühlte mich bloßgestellt, als sähe man mir an, wie verwerflich ich bin.
Nach einem kurzen Klopfen öffnete sich die andere Tür der Doppelkabine. Die Arzthelferin bat mich, auf dem Frauenstuhl Platz zu nehmen. Unbeholfen erklomm ich dieses Ungetüm. Der Arzt streifte sich Einweghandschuhe über.
Ich war verspannt und es tat mir weh. Ich wünschte, alles wäre nur ein Albtraum, aus dem ich gleich erwachte. Hatte ich noch Hoffnung, dass alles ein Irrtum war?
„Sehen Sie?“ Die tiefe Stimme des Frauenarztes holte mich ein. Er hatte das Licht abgedunkelt, damit ich auf dem schwarzen Bildschirm etwas erkennen sollte.
Angestrengt schaute ich auf den Monitor und versuchte mir ein Bild von dem zu machen, was er mir erzählte. Es gelang mir nicht, seine Worte über Fruchtblase...Dottersack...heller Punkt... Herz... zusammenhängend zu erfassen.
Er bemerkte meine Beklommenheit, hielt inne. Ahnte er etwas? Nein, sicher nicht, denn er strahlte, als wäre er der Vater. Dann fuhr er fort.
„Herzlichen Glückwunsch. Es ist alles so, wie es sich gehört. Sie können sich anziehen. Wir machen noch ein paar Tests im Labor, aber das ist nur die übliche Vorsorge. Kein Grund zur Beunruhigung.“
Die Arzthelferin drückte mich auf einen Stuhl, rammte mir eine Nadel in die Armvene und zog mehrere Spritzen mit meinem Blut auf. Warum tat sie mir weh? Kannte sie die Wahrheit? Ich sah, wie sie die dunkelrot schimmernden Kolben etikettierte und in einen Sammelbehälter legte. Ebenso emsig maß sie meinen Blutdruck. Dann huschte ein Lächeln über ihr Gesicht.
Sie trug den Wert in eine Karte ein. Stellte er sie zufrieden, oder warum lächelte sie so?
„Können Sie?“ Sie reichte mir einen weißen Plastikbecher und wies mit ihrem Kinn verschwörerisch nach rechts.
Auf der Toilette bemühte ich mich, nicht auf meine Hände, sondern in den Becher zu pinkeln.
Verlegen hielt ich den warmen Becher in meinen kalten Händen, weil ich nicht wusste wohin damit. Ich traute mich nicht hinaus zu der ehrlichen weißen Arbeitsbiene, die mir schließlich meinen Urin mit den Worten abnahm. „War es der Mittelstrahl?“
Ich krächzte ein Ja, nur um davonzukommen.
Ich empfing meinen Mutterpass und einen kleinen Zettel, auf dem der nächste Termin stand. Ich verstaute alles in den Untiefen meines Rucksackes.
Planlos lief ich durch die Straßen. Die kühle Morgenluft fächelte meine erhitzten Wangen. Als ich an einer Ladenzeile vorbeikam, sog ich den Duft von frischen Brötchen ein. Schlagartig wurde mir übel. Vergeblich wünschte ich, mich erbrechen zu können, damit es mir besser ginge. Zitternd stand ich an der Hauswand und wartete ab, dass die Welle des Unwohlseins abebbte. Mach es ungeschehen, noch ist es möglich, hetzten meine Gedanken. Und was ist, wenn es doch seins ist? Konnte ich unser Kind töten?
Irgendwann blieb ich vor einem Schaufenster stehen und betrachtete die Auslagen.
Es war die Kollektion für den Sommer. Figurbetonte leichte Kleider schmeichelten den Anziehpuppen. Plötzlich fiel es mir ein, was ich hatte fragen wollen.
„Wann kommt es?“
Sollte ich weiter schweigen, es vertuschen, schönfärben?
Das Kind, zu wem wird es Vater sagen?
Werden seine Bilder in unserem Album kleben?
Was werde ich fühlen, wenn die Ähnlichkeit mit dem Vater festgestellt wird?
Schuld? Erleichterung?
Hat irgendwer die fremde Empfängnis bemerkt?
Peter und ich sitzen in unserem Wohnzimmer. Ich habe Kerzen angezündet.
In der Küche schmurgelt es verheißungsvoll. Im Hintergrund spielt Musik.
Peters Gesicht, fragend als er mich und das Album sieht. Ich zeige ihm, was ich eingeklebt habe. Zuerst versteht er es nicht. Dann huscht ein Lächeln über sein Gesicht.
Ich schließe das Album. Ich habe mich entschieden.
Auf dem letzten Blatt klebt ein schwarzes Bild mit einem hellen Punkt.
Peter nimmt mich in die Arme, flüstert ergriffen in mein Ohr: „Unser Pünktchen, Susanne ich liebe dich.“