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Freundschaftsdienst
Kathrin saß wie so oft vor dem Fernseher und wartete auf ihren Mann. Nervös rauchte sie eine Zigarette nach der anderen. Sie hatte schon lange den Verdacht, dass mit ihrem Mann etwas nicht stimmte. Ihre beste Freundin Jenny hatte sie immer wieder beruhigt und erklärt, dass es in seinem Job normal sei, Überstunden zu machen. Aber mittlerweile war Kathrin misstrauisch geworden und sie konnte dieses Gefühl einfach nicht mehr ignorieren. Plötzlich drehte sich ein Schlüssel in der Hautür. Bernd kam endlich nach Hause. „Na, hast Du wieder Überstunden gemacht?“, fragte sie mit einem lauernden Unterton. Bernd lächelte bemüht ruhig und nickte. „ Ich mache uns eben noch warme Milch und dann lege ich mich schlafen.“, sagte er und verschwand in der Küche. Kathrin hatte noch nie verstanden, wieso Bernd auf dieses Ritual mit der Milch vor dem Schlafengehen so viel Wert legte. Angeblich soll sie uns vor bösen Träumen schützen. Kathrin konnte sich nicht erinnern, dass sie je böse geträumt hatte. Sie hatte immer einen guten Schlaf und wachte nie vor zehn Uhr auf. Bernd kam mit einem kleinen Tablett ins Wohnzimmer zurück. Er reichte Kathrin einen großen Becher mit warmer Milch und setzte sich neben sie. „Hattest Du einen schönen Tag?“, fragte er.
„ Ich habe die Hausarbeit erledigt und ein wenig ferngesehen, nichts Aufregendes.“, antwortete sie und nahm einen großen Schluck von der Milch. Schweigend saßen sie noch ein paar Minuten da, dann erhob sich Bernd und ging mit den leeren Bechern in die Küche. „ Schau nicht mehr so lange fern. Gute Nacht!“, rief er in Richtung Wohnzimmer und verschwand in Richtung Treppe.
Am nächsten Tag wartete Kathrin auf ihre Freundin Jenny. Nervös sah sie immer wieder auf ihre Uhr. Sie wartete nun schon seit über einer halben Stunde. Zum Glück hatte sie den Kaffee in eine Thermoskanne umgefüllt. Im ganzen Haus duftete es nach frischem Kuchen. Kathrin hatte ihn extra für ihre beste Freundin gebacken. Plötzlich klingelte es. Jenny stand mit einem Strauß Blumen und mit gewohnt guter Laune vor der Tür. „ Hallo meine Süße. Entschuldige, dass du warten musstest. Die Blumen habe ich selbst gepflückt.“ Kathrin lächelte und hatte den Ärger über die lange Wartezeit auch schon längst vergessen. Die beiden plauderten über Jennys Job, die Nachbarschaft und auch über Bernd. „ Er ist so abweisend zu mir. Ich kann mich auch gar nicht mehr erinnern wann wir das letzte Mal miteinander geschlafen haben. Ich glaube, er hat eine Geliebte.“, sagte Kathrin und konnte ein leises Schluchzen nicht unterdrücken. „ Das glaube ich nicht. Ich kenne Bernd doch auch schon so lange, dass wäre mir doch aufgefallen.“ Jenny legte den Arm um ihre beste Freundin und strich ihr zart über die Wange. „ Er hat bestimmt nur Stress in seinem Job. Im Moment gibt es in seiner Firma ziemlich Probleme, daran wird es wohl liegen.“
„ Aber warum spricht er nicht mit mir darüber?“ Jenny lächelte ihre Freundin aufmunternd an.
„ Ach Süße, er will dich damit nicht belasten. Ist doch lieb von ihm.“ Kathrin nickte, doch so ganz konnte sie sich nicht beruhigen. Irgendetwas stimmte mit Bernd nicht und das musste sie herausfinden.
„Aufwachen Schatz! Wir haben ja unsere Milch noch nicht getrunken.“, flüsterte Bernd und stieß Kathrin vorsichtig an. Plötzlich schrak sie hoch. „ Oh, schon so spät! Ich muss beim fernsehen eingeschlafen sein.“ Er reichte ihr die warme Milch und setzte sich neben sie auf das Sofa. Kathrin nahm einen großen Schluck und legte dann vorsichtig ihre Hand auf sein Knie. Keine Reaktion. Zärtlich strich sie mit der flachen Hand über seinen Oberschenkel. Plötzlich sprang Bernd auf.
„ Ich muss noch ein paar Dokumente durchsehen. Geh nicht zu spät ins Bett und trink deine Milch.“ Hastig stürzte er aus dem Wohnzimmer und ging die Treppe hinauf. Kathrin blieb verwirrt zurück. Gedankenverloren sah sie aus dem großen Wohnzimmerfenster. Der Vollmond tauchte die Umgebung in ein mystisches Licht. Plötzlich blieb ihr Blick auf dem gegenüberliegenden Haus haften. Sie hatte etwas gesehen. Das Haus stand schon Jahre leer, doch Kathrin hatte im oberen Dachfenster ein Licht gesehen. Konzentriert starrte sie auf das Fenster. Doch gerade als sie glaubte sich alles nur eingebildet zu haben, erkannte sie einen menschlichen Umriss hinter dem Fenster. Kathrin wich erschrocken zurück. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Hastig stand sie auf und zog die Vorhänge zu.
Am nächsten Tag hatte sie das Erlebnis schon fast verdrängt. Als sie durch dir Küche ging, fiel ihr Blick auf Bernds Aktentasche. Er musste sie heute Morgen in der Eile vergessen haben. Kathrin nahm das Telefon und wählte die Nummer seines Büros. Sie war etwas nervös, denn bisher hatte sie noch nie in seinem Büro anrufen dürfen. Bernd wollte Beruf und Privates streng getrennt halten. „ Kingwood Consulting, sie sprechen mit Frau Fritsche.“, ertönte eine freundliche Stimme am Telefon. „ Hallo! Kathrin Hölscher hier. Könnte ich bitte mit meinem Mann Bernd sprechen?“
„Oh, ich wusste ja gar nicht, dass der Bernd schon verheiratet ist. Schön, sie kennen zu lernen, Frau Hölscher. Einen Moment bitte, ich verbinde sie.“
Kathrin rang nach Luft. All die Vermutungen der letzten Wochen kamen wieder in ihr hoch. Er musste ein Verhältnis haben, er… „ Hallo Schatz! Warum rufst du mich an?“, fragte Bernd plötzlich etwas gereizt ins Telefon.
„ Endschuldige, aber du hast deine Tasche vergessen, ich…
„ Danke, das habe ich auch schon gemerkt. Ich hole sie in der Mittagspause ab.“ Bevor Kathrin noch etwas sagen konnte, hatte Bernd aufgelegt. Traurig und verwirrt ließ sie sich auf einen der Küchenstühle fallen. Ihre Gedanken kreisten um das Telefongespräch. Plötzlich dachte sie an die Aktentasche. Natürlich, sie musste hineinsehen. Darin würde sie bestimmt einen Hinweis finden. Hastig griff Kathrin nach der braunen Tasche und öffnete sie. Der Inhalt bestand aus vielen Geschäftspapieren und einigen Mappen. In einem kleinen Fach fand sie ein Notizbuch. Als sie es in die Hand nahm, fiel ein Foto heraus. Ihr Herz schlug bis zum Hals, als sie das Foto in die Hand nahm. Es war ein Bild von ihr. Das Bild war nicht besonders scharf, aber es zeigte sie, wie sie im Wohnzimmer auf dem Sofa saß. Was Kathrin aber eine Gänsehaut bereitete war die Perspektive. Dieses Foto war von Draußen durch die Scheibe gemacht worden. Mit zitternden Fingern drehte sie das Foto um. Auf der Rückseite stand: „3. Testmonat. Keine Bedenken.“
Kathrin saß im Wohnzimmer und hatte alle Lichter gelöscht. Seitdem sie gestern das Foto gesehen hatte, fühlte sie sich nur noch in der Dunkelheit sicher. Vorsichtig musterte sie das alte Haus. Das Foto könnte von dort aus gemacht worden sein. Sollte sie einfach rüber gehen und nachsehen ob dort jemand ist? Bei dem Gedanken bekam Kathrin sofort eine Gänsehaut. Plötzlich stand Bernd in der Tür. „ Liebling, was machst du denn hier im Dunkeln?“, fragte er und knipste das Licht an. Kathrin fuhr erschrocken herum, sie hatte ihn gar nicht kommen hören. „Ich mache uns eben warme Milch.“ sagte er fast liebevoll und drehte sich um.
Die Tassen klapperten als Bernd sich neben sie setzte. Er reichte ihr eine Tasse und lächelte. Das Telefonklingeln zerriss die Stille. „Bin sofort wieder da.“, sagte er und lief in die Küche. Kathrin stand vorsichtig auf und schlich auf Zehenspitzen zur Küche. Sie konnte nicht viel verstehen, weil Bernd sehr leise sprach, aber einige Gesprächsfetzen ließen sie aufhören. „Ja, ich weiß, dass es riskant ist.“ „Ich kann das noch nicht beenden… du weißt das ich ein schlechtes Gewissen habe.“ Kathrin wurde es schlecht, was wurde hier nur gespielt? Bernds seltsames Verhalten, der Anruf im Büro, das Foto und jetzt...? Verwirrt taumelte Kathrin zurück ins Wohnzimmer. Sie wollte gerade einen kräftigen Schluck aus der Tasse nehmen, da hielt sie inne. Konzentriert starrte sie auf die Milch. Wollte Bernd sie umbringen? Es gab doch Fälle, wo dem Opfer über Monate Gift verabreicht wurde. Vielleicht wollten Bernd und seine Geliebte sie beseitigen? Kathrins Gedanken überschlugen sich. Hastig kippte sie die Milch in einen Blumentopf und stellte die Tasse zurück auf das Tablett.
In dieser Nacht schlief Kathrin gar nicht gut, immer wieder wälzte sie sich hin und her. Dunkle Gedanken kreisten in ihrem Kopf. Gegen sechs Uhr hielt sie es nicht mehr aus. Vorsichtig stieg sie aus dem Bett und schlich die Treppe hinunter. Auf Zehenspitzen ging sie in Bernds Arbeitszimmer und holte die kleine Pistole aus seinem Schreibtisch. Die Waffe hatte sie vor einigen Tagen durch Zufall beim Aufräumen entdeckt. Hoffentlich funktionierte sie auch. Wie in Zeitlupe streifte sie sich nun ihren Mantel über und verließ das Haus.
Der weiche Boden schmatzte laut unter Kathrins Füßen. In geduckter Haltung lief sie durch den Garten, kletterte über einen kleinen Jägerzaun und hockte sich neben die große Eiche. Jetzt waren es nur noch 2 Meter bis zur Eingangstür. Etwas ängstlich blickte Kathrin zum Dachfenster hoch. Zum Glück sah sie diesmal keinen gespenstischen Schatten. Mit schnellen Schritten lief sie auf die alte Tür zu. Es war eine alte Holztür, die Klinke war längst abgebrochen. Vorsichtig lehnte sie sich gegen das alte Holz. Mit einem lauten Knarren gab die Tür das Innere frei. Kathrin schlüpfte durch den Spalt und fand sich in absoluter Dunkelheit wieder. Sie tastete nach der Wand und war beruhigt, als ihre Finger über den kalten Stein glitten. Sie arbeitete sich vorsichtig bis zu einer Treppe vor und stieg dann etwas zögerlich die Stufen hinauf. Die alten Stufen ächzten unter ihrem Gewicht. Endlich konnte Kathrin wieder etwas sehen, fahles Mondlicht fiel durch ein Fenster im oberen Stock. Plötzlich fiel ihr Blick auf eine weitere Treppe, sie führte in den dritten Stock. Von dort aus musste sie der geheimnisvolle Fotograf beobachtet haben. Sie nahm all ihren Mut zusammen und stieg die letzten Stufen zum Dachgeschoß hoch. Im obersten Stock angekommen, sah sich Kathrin suchend um. Da! Sie hatte die Tür gefunden. Mit zitternden Fingern drehte sie am Türknauf. Die Tür gab lautlos nach, jemand musste sie geölt haben. Unendlich langsam betrat Kathrin den Raum. Er war klein und hatte ein großes Fenster. Vor dem Fenster standen ein Sessel, ein kleiner Tisch, ein großes Fernglas und daneben eine Kamera auf einem Stativ. Auf dem Tisch lagen Zeitungen und leere Coladosen. Kathrin setzte sich auf den Sessel und blickte durch das Fernglas. Sie erkannte ihr Wohnzimmer und das Sofa auf dem sie immer lag. Plötzlich trat Bernd ins Bild. Er blickte direkt in die Linse. Kathrin fuhr erschrocken zurück. Er kann dich hier nicht sehen! sagte sie sich in Gedanken und hielt sich das Fernglas wieder vor die Augen. Doch das Wohnzimmer war jetzt leer. „Wo bist du nur?“ flüsterte sie und drehte sich hin und her. Plötzlich hörte sie das Ächzen der alten Holztreppe. Jemand kam zu ihr hoch. Voller Angst griff Kathrin in die Manteltasche und holte den Revolver hervor. Mit zitternden Händen hielt sie ihn auf die Tür gerichtet, den Finger am Abzug. „Schatz, bist du hier? Ich muss mit dir reden.“ hörte sie Bernd sagen. Panik stieg in ihr hoch. Er wollte sie bestimmt töten und… Bernd erschien im Türrahmen. Kathrin erblickte einen silbernen Gegenstand in seiner Hand. Ein Messer! hämmerte es in ihrem Kopf. Du musst schneller sein! Sie drückte ab. Bernd schrie auf und sackte dann zusammen. Blut färbte seinen Schlafanzug rot. Kathrin wagte es nicht sich zu bewegen. Krampfhaft umklammerte sie die Pistole. Plötzlich hörte sie ein Auto. Mehrere Menschen stiegen aus und liefen hastig die alte Holtreppe hoch. „Frau Hölscher? Sind sie da? Wir wollen ihnen helfen!“ Kathrin schluchzte laut und sackte in die Knie. „Ich bin hier!“, krächzte sie, dann wurde es schwarz.
„Es war einfach zu gefährlich. Ich habe es Bernd von Anfang an gesagt.“ Jenny schüttelte den Kopf. „Ich kann noch gar nicht glauben dass Bernd tot ist.“ Plötzlich kam der Kommissar in den Raum. „Sind sie die Freundin des Toten?“ „Ja, ich war mit beiden befreundet und auch in alles eingeweiht.“, sagte Jenny leise. „Bitte erzählen sie mir, wie es soweit kommen konnte.“ antwortete der Kommissar.
„Es fing vor sechs Monaten an. Bernd, Kathrin und ich sind schon seit Kindesbeinen an befreundet und sehen uns regelmäßig. An jenem Tag wollten wir mal wieder zusammen ausgehen. Wir hatten toll gefeiert und viel getrunken. Bernd ist dann trotzdem noch gefahren und wir hatten einen Unfall. Bernd und mir ist zum Glück nichts passiert, aber Kathrin erlitt ein Trauma und einen Gedächtnisverlust. Wir haben sie regelmäßig in der Psychiatrie besucht, aber es ging ihr immer schlechter. Der Arzt meinte, dass sie eine stabile Umgebung braucht, ein Zuhause. Kathrin hat keine Familie mehr und da Bernd so ein schlechtes Gewissen hatte, beschloss er sie aufzunehmen. Ich habe versprochen ihm zu helfen. Erst lief alles super, Kathrin ist richtig aufgeblüht. Wir hatten alles so perfekt geplant. Die nötigen Medikamente hat Bernd ihr immer in Milch aufgelöst. Aber irgendwann fing sie an Fragen zu stellen und wurde misstrauisch. Wir haben sie dann mit einer Kamera überwacht, damit sie keinen Mist macht. Naja, sie wissen ja wie das ausgegangen ist.“ Jenny schüttelte den Kopf und weinte bitterlich.