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Frische Kräuter
Frische Kräuter
Ich sah auf meinen Kalender. Vor fünf Wochen hat er mich das letzte Mal besucht, sein letzter Anruf war auch schon vor über zwei Wochen. Nicht, dass mir das was ausgemacht hätte, überhaupt nicht. Wenn ich an ihn dachte, das war sozusagen stündlich, dann war in mir die tiefe Überzeugung, dass unsere Liebe praktisch unzerstörbar ist, schließlich kannten wir uns ja schon 25 Jahre. In dieser Zeit lernt man einen Menschen kennen, mit allen seinen schönen und weniger schönen Seiten.
Ich habe mir überhaupt keine Sorgen gemacht. Wie hätte ich auch nur denken können, seine Gefühle für mich hätten sich geändert oder er wollte sich aus unserer so seltsamen Beziehung lösen. Nein, niemals. Niemals hätte er mich absichtlich so sehr verletzen wollen, er wusste ja nur zu gut, wie sehr ich immer auf ein Lebenszeichen von ihm gewartet habe und wie sehr ich mich freute, wenn er alle paar Wochen mal ein paar Stunden Zeit für mich hatte.
Ich wusste ja, seine Zeit war sehr knapp bemessen. Er war schon seit ein paar Jahren in Pension und zusammen mit seiner Frau musste er sich den Tag schon gut einteilen, damit er über die Runden kam. Da gab es natürlich auch noch seine Arbeit in den verschiedenen Vereinen und ich konnte schon sehr gut verstehen, dass er da nicht immer die Zeit fand, um mich zu besuchen oder mal zu telefonieren. Ich hatte sehr viel Verständnis für seine Situation und ich war niemals böse, wenn ich wochenlang auf ihn warten musste.
An den Wochenenden war ich sehr gerne allein. Speziell die Samstage genoss ich so richtig, wenn ich abends gemütlich auf den Coach lag und mir ein paar DVD reinzog. Manchmal hatte ich so traurige Filme eingelegt, dass ich stundenlang weinen musste. Gott sei Dank wusste er das nicht, sonst hätte er sicher ein wenig mit mir geschimpft. Ich hätte mir ja auch was Lustiges aussuchen können. Es hat mich gefreut, dass er wenigstens zusammen mit seiner Frau was unternommen hat. Ich wollte nur, dass er glücklich war, an was anderes hätte ich nicht mal denken wollen.
Auch meine Urlaube habe ich sehr genossen. Ich hatte viel Zeit für mich selbst und konnte immer alles machen, wann und wie ich es wollte. Es war toll, unterwegs zu sein und die vielen Paare zu beobachten, die sich wegen irgendwelchen Kleinigkeiten aufs Übelste beschimpft haben. Das konnte mir und meinem Schatz nicht passieren, er war ja nie dabei.
Jetzt wurde ich doch etwas unruhig, weil ich schon so lange nichts von ihm gehört hatte. Er war doch hoffentlich nicht krank? Sicher lag er im Bett und hatte bisher einfach keine Gelegenheit, mich anzurufen. Ganz bestimmt verging er fast vor Sehnsucht nach mir, genau wie ich nach ihm. Eigentlich sollte ich was unternehmen.
Wie wäre es denn, wenn ich ihm zur Aufmunterung meinen Geschichts- und Gedichtsband schicken würde?
Ich schreibe sehr gerne und das letzte Jahr hatte ich ausgiebig genutzt, um alles, was meine Seele berührt hat, in schöne und anschauliche Worte zu fassen. So sind Gedichte entstanden, die sehr genau beschrieben, was mein Herz gerade so gefühlt hat. Ich hatte Geschichten geschrieben, die meine Situation detailliert beschrieben haben und ich denke heute noch, so manches ist mir wohl sehr gut gelungen. Bislang hatte ich ihm das alles noch nicht zum lesen gegeben. Ich dachte, er freut sich sehr, wenn ich ihm jetzt meine gesammelten Werke schenke, immerhin ist er ja eine der Hauptpersonen in meinen Schriften.
Ich war immer sehr vorsichtig und habe niemals reale Namen oder Orte benutzt, um ihn oder mich ja nicht zu kompromittieren. Ich kann natürlich nicht ausschließen, dass möglicherweise jemand, der ihn oder mich kennt, Rückschlüsse auf die Realität hätte nehmen können. Aber das wäre schon ein blöder Zufall gewesen, wenn so was passiert wäre.
Meine Kollegen und Kolleginnen sind meine eifrigsten Leser und sehr begeistert von meinen literarischen Kunststücken. Deshalb hatte ich mich entschlossen, meine Sammlung in einen kleinen Band binden zu lassen. Manchmal braucht man eben ein Geschenk, um jemandem eine Freude zu machen. So ein persönliches Geschenk ist ja auch immer was ganz Besonderes. In kleiner Auflage liegen nun meine Geschichten und Gedichte als Bändchen bereit. Was macht es schon, dass ich meine Rücklagen deutlich schrumpfen musste, für meine Freunde ist mir wirklich nichts zuviel.
Also habe ich eines der Bändchen nett verpackt und abgeschickt. Natürlich ohne Begleitschreiben, ich muss ja damit rechnen, dass es möglicherweise in falsche Hände geraten könnte. Nichts liegt mir ferner, als ihm in irgendeiner Weise schaden zu wollen.
Ich habe es an die Eheleute adressiert, damit seine Frau nicht auf falsche Gedanken kommt, wenn der Briefträger ein Päckchen für ihn bringt. Natürlich ohne Absender und da ich unter Pseudonym schreibe, kann eigentlich gar nichts passieren. Ist das nicht außerordentlich clever von mir? Es hätte mich natürlich schon sehr interessiert, ob ihr meine Gedichte und Geschichten auch gefallen haben, aber möglicherweise hat sie ja keinen Sinn für Lyrik und Prosa. Na, dann könnte ich es auch nicht ändern, den guten Willen habe ich jedenfalls gezeigt.
Mein Schatz und ich hatten eine gemeinsame Bekannte. Von ihr habe ich dann erfahren, dass es ihm leider gar nicht so gut gegangen ist. Eigentlich hätte man fast schon sagen können, dass der Haussegen in extremer Schräglage hing. Durch irgendeinen komischen Zufall ist sie ihm wohl auf die Schliche gekommen, hatte gemerkt, dass es mit seiner ehelichen Treue nicht so weit her war. Verstehe ich gar nicht, wir waren doch immer so vorsichtig. Ich hatte ihn niemals zu Hause angerufen und meine SMS per Handy immer zu solchen Zeiten abgeschickt, wo ich wusste, dass es ungefährlich war. Und an meinem Buch lag es ganz sicher nicht. Sollte es da noch eine Andere gegeben haben, die nicht so liebevoll und vorsichtig war wie ich?
Na, wenn es ihm nicht so gut ging, da sollte ich ihm vielleicht auch seine Uhr zurück schicken, die er irgendwann im Sommer mal bei mir vergessen hatte. Ich wusste, dass er sehr an dieser Uhr hing. Ich hätte sie zwar gerne als Erinnerung behalten, aber was macht man nicht alles, um seinem Liebsten eine Freude zu bereiten. Mir blutete das Herz, als ich die Uhr sehr vorsichtig in Seidenpapier verpackt habe, damit ihr auf der Reise nur ja nichts passiert. Damit sie stabil im Umschlag lag, habe ich als Unterlage, ich hatte gerade nichts anderes zur Hand, ein Bild von uns beiden genommen, das uns in sehr inniger Umarmung zeigt. Ich war auf diesem Bild leider nicht sehr deutlich zu sehen, weil von hinten, er dafür umso besser, weil von vorne. Die Uhr habe ich mit Tesastreifen auf dem Bild befestigt, damit ja nichts verrutscht.
Ich fuhr das Auto aus der Garage, um das Päckchen zur Post zu bringen. Und da ist mir doch tatsächlich ein Missgeschick passiert. Anscheinend war mir das Päckchen versehentlich auf den Boden gefallen, denn als ich rückwärts aus der Garage gefahren bin, habe ich es leider ganz unbeabsichtigt überrollt. Die wertvolle Uhr war jetzt etwas flacher als sie ursprünglich mal war, aber wenn sie ihm tatsächlich so viel wert ist, wird ihm das Wichtigste sein, er hat sie wieder. Es tat mir wirklich schrecklich leid, aber solche dummen Zufälle passieren halt manchmal, mir ganz besonders oft. Da man sehr deutlich die Reifenspuren auf dem Umschlag sah, wusste er sicherlich, dass es wirklich nur ein Missgeschick war und keine Absicht.
Ich glaube, mein anfänglicher Verdacht, er könnte krank sein, war gar nicht so verkehrt. Von meiner Bekannten habe ich später erfahren, dass er als Notfall mit Verdacht auf Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Mein Herz weinte bittere Tränen, wie gerne wäre ich jetzt bei ihm gewesen, um ihn zu trösten und ihm zu sagen, dass es nichts auf der Welt gab, das ich mehr liebte als ihn. Ich war total verzweifelt, ich konnte ihn noch nicht mal besuchen, ein Zusammentreffen mit seiner Frau wäre eine Katastrophe und seinem Gesundheitszustand sicher nicht zuträglich gewesen.
Ich dachte, schicke ihm doch wenigstens ein paar Blumen.
Baccara-Rosen sind zwar sehr teuer, aber für ihn ruiniere ich mich gern. Ich ging in den Blumenladen und ließ ihm per Fleurop 25 Stück ins Krankenhaus schicken, für jedes Jahr eine. Ohne eine kleine Karte ging es natürlich nicht, ich wählte eine aus, auf der ein rotes Herz abgebildet war und ich schrieb ihm noch ein paar nette, zärtliche Worte dazu. Darüber hatte er sich sicherlich sehr gefreut, so konnte er wenigstens sicher sein, dass ich immer noch in Liebe an ihn dachte und ihm nur das Allerbeste gewünscht habe.
Nach dem Krankenhaus wurde er in eine Kurklinik verlegt. Bei mir hatte er sich immer noch nicht gemeldet, weder persönlich noch telefonisch. Das zeigte doch überdeutlich, welch unerschütterliches Vertrauen er in unsere Beziehung hatte. Er wusste halt, dass ich ihn über alles liebte, egal was passiert ist oder welche Probleme es zu überwinden galt.
Es gab mehrere große Leidenschaften in meinem Leben. In allererster Linie natürlich er, es gab einfach nichts Wichtigeres. Meine zweite große Leidenschaft waren die heimischen Wald- und Wiesenkräuter, aus denen ich Tinkturen und Salben herstellte. Diese Leidenschaft habe ich heute noch. Meine Tinkturen und Mischungen hatten schon vielen Menschen geholfen, sicherlich konnte ich auch ihm helfen, seine Krankheit zu überwinden. Manche Kräuter sind hoch giftig, da muss ich bei der Herstellung sehr vorsichtig sein, genau arbeiten, damit nichts schief geht. Zwischen Heilung und Vergiftung liegen manchmal nur ganz wenige Gramm, da muss man ganz diffizil aufpassen und dosieren, damit die gewünschte Wirkung erzielt wird. Also habe ich Bücher gewälzt, Pflanzen, Blüten und Wurzeln getrocknet, um eine richtig schöne Medizin herzustellen. In meinem Garten wuchsen sehr gesunde, hochgradig wirksame Pflanzen, ich musste nicht lange suchen.
Und so war ich mutig, hatte ihn in der Kurklinik besucht. Zwischenzeitlich war es schon Monate her, dass wir uns das letzte Mal gesehen hatten, aber ich wusste, seine Sehnsucht war genauso groß wie meine. Ich fand es sehr vernünftig, als er gegen Ende meines Besuches vorschlug, dass wir uns jetzt eine Weile nicht sehen sollten, bis Gras über das ganze Durcheinander gewachsen war. Ich hatte immer viel Verständnis für seine Probleme, wie gesagt, sein Wohl lag mir näher am Herzen als mein eigenes. Und er hatte sich natürlich sehr gefreut, dass ich ihm als Zeichen meiner Liebe seine Lieblingspralinen mitgebracht hatte, er aß gleich ein paar und er sagte zu mir: „ für Marzipan-Pralinen könnte ich sterben.“
Bisher hatte ich ihm jeden Wunsch von den Augen abgelesen, warum sollte sich daran etwas ändern?
Neulich war ich auf dem Friedhof. Ich gehe regelmäßig einmal die Woche hin, lege ihm ein paar Blumen auf sein Grab und unterhalte mich ein wenig mit ihm. Es tut mir unendlich leid, dass er solche fürchterlichen Herzprobleme hatte und von mir gehen musste. Wir hätten sicherlich noch so manche glückliche Stunde miteinander verbringen können. Im nächsten Leben sehen wir uns bestimmt wieder, ich glaube, wir waren noch nicht fertig miteinander. Noch lange nicht!
Was mich sehr ärgerte, war die Tatsache. dass irgendjemand immer meine Blumen vom Grab entfernt hat. Man darf ja nicht immer gleich das Schlechteste denken, möglicherweise waren sie welk, ich kam ja nur einmal wöchentlich. Sei es drum, ich bringe jede Woche einen frischen Strauss, ich glaube, das bin ich ihm schuldig und ja, ich liebe ihn immer noch sehr.
Kürzlich habe ich die Witwe kennen gelernt. Wir haben uns rein zufällig beim Yoga getroffen, uns ein bisschen angefreundet. Sie scheint über den schmerzlichen Verlust ganz gut weggekommen zu sein, geht oft auf Reisen und macht das Beste aus ihrer Situation. Sie erzählt mir viel von ihrem Mann, hat großes Vertrauen zu mir. Sie kann nicht so gut schlafen, hat sie mir erzählt. Sie hätte ein schlechtes Gewissen, da sie mit ihrem viel zu früh verblichenen Ehemann vor seinem unglücklichen Ableben ziemlich heftig gestritten hatte. Warum, wollte sie mir allerdings nicht sagen. Macht nichts, das geht mich als Fremde ja auch nichts an.
Ich denke, ich kann ihr helfen, ich habe da ein sehr gutes Rezept. Ich habe wahnsinnig viel Mitgefühl für sie, sie tut mir unglaublich leid! Ich werde ganz speziell für sie einen wunderbar wirksamen Baldrian-Wein herstellen, der ihr todsicher den tiefsten, ruhigsten und längsten Schlaf bringen wird, den sie jemals hatte.
Und, was mir gerade noch einfällt, haben die beiden nicht einen Sohn?
CC