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Frischer Wind
Gestern auf der Party von Lisa ist etwas sehr erstaunliches passiert, uns fielen fast die Augen aus dem Kopf, aber nun erst einmal von Anfang an:
Lucie, die immer die besten Witze auf Lager hatte, brachte uns mal wieder dazu, dass wir vor Lachen schon Bauchschmerzen bekamen und sie um Erbarmen baten. Doch sie erhörte unser Flehen leider nicht. Sie schnappte sich das Mikro der Karaoke-Anlage und sprang auf das Sofa.
Sofort fing sie an den neuesten Song von "Tokio Hotel" durch das Haus zu kreischen. Genervt fragten wir sie, ob sie, wenn sie uns schon so quälen müsse, nicht wenigstens etwas von einer anständigen Band „vorsingen“ könne und nicht dieses schrille Rumgedudel von irgendwelchen kleinen Jungs, die sich vorkommen als seien sie die Größten, nur weil sie von geschmacksverirrten Mädels angehimmelt werden.
Leider schien sie nicht zu bemerken, dass nur sie selbst noch über sich lachte. Sie wurde immer übermütiger, hüpfte immer wilder durch die Wohnung und schnappte sich zwischendurch eine von meinen Freundinnen, welche von ihr ein paar Mal rumgewirbelt wurde bevor sie zu nächsten rannte. Wahrscheinlich dachte sie, wir würden uns prächtig amüsieren.
Plötzlich spürte ich einen leichten Luftzug auf meiner Haut und meine Haare richteten sich auf. Dabei hatten wir doch alle Türen verschlossen, weil es draußen kräftig schneite. Das Lüftchen jedoch flaute nicht etwa ab, nein es verstärkte sich immer mehr, bis es zu einem kleinen Tornado wurde, der Lucie durch die Luft wirbelte. Immer rasanter drehte sie sich durch die Luft und es schien ihr anscheinend auch noch Spaß zu machen. Sekunden später hing sie wie festgenagelt an der Wand und kreiste immer schneller um sich selbst wie ein Glücksrad auf der Kirmes. Ihre Konturen verschwommen, bis sie nur noch als ein schwarzer Kreis erkennbar war. Wir erwachten endlich aus unserer Erstarrung und blickten uns erschrocken an. Mit vereinten Kräften versuchten wir Lucie von der Wand zu lösen, doch wir wurden augenblicklich von den Turbulenzen davon geschleudert. Langsam beruhigte sich der Sturm und Lucie wurde wieder langsamer. Doch wo war Lucie? Die Gestalt, die wir erkannten, glich nicht mal im Entferntesten unserer Freundin, sondern mehr einem Gewirr aus Eisenstäben. Anna heulte laut und Lisa wollte unbedingt die Polizei anrufen, als wir endlich sahen, was da vor uns an der Wand hing, ein Ventilator. Lucie war zu einem Ventilator geworden. Die werden uns für verrückt erklären, dachte ich, das nimmt uns doch niemals einer ab. So verwarfen wir auch die Idee mit der Polizei.
Und nun einen Tag später sitze ich hier in meinem Zimmer denke immer wieder über das nach was passiert ist, und mir steigen die Tränen in die Augen wenn ich mir unseren Entschluss noch einmal durch den Kopf gehen lasse. Wir hatten schließlich doch die Polizei gerufen und ihr erzählt, dass Lucie unbedingt an die frische Luft gewollt hätte, weil es ihr drinnen zu stickig war und als sie nach einer Stunde nicht wieder zurück gewesen wäre, hätten wir nach ihr gesucht und weil wir sie nicht gefunden hätten, hätten wir dann die Polizei alarmiert.
Ich weiß, das ist alles sehr wage, aber es war das Beste, dass uns in dem Moment einfiel. Lucie, also den Ventilator, hingen wir in unserem Clubhaus auf, doch wir stellen sie immer nur auf Stufe eins zum Gedenken daran, dass es einem schnell schadet, wenn man zu viel frischen Wind ins Geschehen bringt.