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Friseurbesuch
Es hat ein bisschen was von einem Déja-vue, wie ich, ich heiße übrigens Jonas, hier sitze und mich selbst im Friseurspiegel sehe. Vor fast genau drei Jahren saß ich genau in diesem Stuhl und habe mich im Spiegel betrachtet. Und wie vor drei Jahren lasse ich mir Dreadlocks machen. Nur dass ich sie dieses Mal aus ganz anderen Gründen möchte, als vor drei Jahren. Vor drei Jahren wollte ich welche, um gut und ein bisschen verwegen auszusehen, und weil ich ein bisschen älter wirken wollte. Und jetzt lasse ich sie mir machen wegen Zahra. Zahra, die ich so gerne mag, wie sonst niemanden. Zahra, die meine Freundin war. Zahra, mit der ich die schönste Zeit meines Lebens hatte. Zahra hat meine Haare immer geliebt. Natürlich ist es albern, zu denken, dass ich etwas an ihrer Entscheidung, nicht mehr mit mir zu sprechen, ändern könnte, indem ich mir eine andere Frisur machen lasse. Ich denke ja auch nicht, dass sie in meine Arme gerannt kommt, kaum dass sie mich mit neuen Haaren sieht. So naiv bin noch nicht mal ich. Oder vielleicht hoffe ich es doch ein bisschen.
Kennen gelernt haben wir uns in den Sommerferien. Ich bin damals gerade neu in die Stadt gekommen, in der Stadt in der Zahra ihr ganzes Leben gelebt hat.
Sie ist mir gleich aufgefallen. Wir haben uns in der Bücherei getroffen. Es war ein bisschen wie in einem einschlägigen Romantikfilm, wir wollten beide das gleiche Buch. Ich weiß sogar immer noch, welches es war. Das erste Mal, dass ich Zahra sah, wäre ich fast über sie gefallen. Sie saß auf dem Boden, direkt neben einem Stuhl. Das hat sie oft gemacht. Warum benutze ich hier eigentlich die Vergangenheit? Wahrscheinlich tut sie es immer noch gern.
Jedenfalls hat sie mir sofort gefallen, wie sie da saß und das Buch, dass ich gesucht hatte, las. Ich weiß noch genau, wie es war. Sie trug einen fliederfarbenen, weiten, wadenlangen Rock und ein schwarzes, enges T-Shirt. Ihre Schuhe waren solche klobigen Riemchenschuhe mit fünf Zentimeter Absatz. Und den hatte sie auch nötig, denn sie war ziemlich klein. Um den Hals trug sei drei Ketten. Darunter ein Amulett, das sie später verloren hat. Ich bin damals den ganzen Tag mit ihr und Daniel im Garten ihrer Großeltern herumgekrochen, um es wiederzufinden, doch das Amulett blieb verschwunden. Zahra war richtig geknickt, weil es angeblich wertvoll war. Ich hatte da so meine Zweifel, es sah eigentlich ziemlich billig aus. Aber es war ihr wichtig gewesen.
Damals hatte sie noch schulterlange Haare. Sie hat sie dann wachsen lassen. Später waren sie richtig lang. Ich mochte das.
Sie hat mich erst mal nicht weiter beachtet, sie hat gar nicht gemerkt, dass ich sie die ganze Zeit angestarrt habe. Ich habe sie dann angesprochen. Als ich angefangen habe zu reden, ist sie zusammengezuckt. Das mochte ich. Wie sie total in ihre eigene Welt versinken konnte. Sie war immer eine Tagträumerin.
Seltsamerweise war ich gar nicht aufgeregt, als ich mit ihr geredet habe. Auch nicht als sie mich angesehen hat, mit ihren schönen, großen Augen. Ich denke, das Schicksal hat sofort verstanden, dass wir zusammengehören und wollte nichts riskieren, indem es mich vor lauter Aufregung Unsinn reden ließ.
„Das Buch da will ich auch lesen“, habe ich ihr gesagt. Da hat sie aufgeschaut.
„Aber jetzt lese ich es. Weißt du, es ist gerade ziemlich spannend. Außerdem muss ich mich beeilen, weil die Bücherei bald schließt und ich es noch durchlesen muss.“ Sie hatte keinen Büchereiausweis. Um das Gespräch in Gang zu halten fragte ich sie was gerade im Buch passierte.
„Hast du die ersten beiden Bände gelesen?“, fragte sie, und als ich das bejahte, fing sie an, mir die gesamte Handlung des dritten Bands zu erzählen. Ich saß neben ihr auf dem Boden und hörte ihr zu. Sie konnte nicht besonders gut zusammenfassen, an manchen Stellen wurde sie zu ausführlich und manche Stellen ließ sie ganz weg, aber es war trotzdem wunderbar, ihr zuzuhören. Später hab ich das Buch für sie ausgeliehen, damit sie es noch lesen konnte.
Weil ich neu in der Stadt war und sonst niemanden kannte, tat ich etwas, das ich sonst nicht getan hätte, eigentlich bin ich ziemlich schüchtern. Ich fragte sie, ob sie nicht Lust hätte, etwas mit mir zu machen. Damals wusste ich noch nicht mal wie sie hieß. Am nächsten Tag haben wir uns zum Kino getroffen. Dort erfuhr ich, dass sie Zahra hieß.
Ich kann mir nicht vorstellen, was Zarah jetzt macht. Wie sie lebt, mit wem sie sich trifft. Denn im Prinzip hatte sie zum Schluss nur noch mich. Mich und Daniel. Daniel ist mein bester Freund. Und ihrer wohl auch. Er sagt nie etwas dazu, aber ich bin mir sicher, die beiden treffen sich noch immer.
Als ich sie kennen lernte, machte sie eine Menge Sachen. Sie kannte eine viele Leute, wenn auch niemanden besonders nah. Sie war im Sportverein und lernte Sprachen in der Volkshochschule und solche Sachen. Aber all diese Dinge hat sie nach einiger Zeit für mich aufgegeben, genau wie ich viele meiner Freunde und Hobbys für sie aufgab. Unsere Liebe rückte in den Mittelpunkt unseres Lebens und verdränge alles andere. So lange es gut ging mit uns beiden, war alles in Ordnung.
Wir übernachteten oft beieinander. Zarahs Mutter war nicht viel zuhause, da sie arbeitete, und ich lebet bei meinem Bruder Mik (er heißt eigentlich Michael), deswegen war es erst mal in Ordnung, dass wir praktisch beieinander lebten. Und es hatte auch niemand das Bedürfnis uns, aus elterlichem Verantwortungsbewusstsein heraus, über die Gefahren des „Beieinanderübernachtens“ aufzuklären, was ein Glück war.
Mik mochte Zahra immer sehr gern. Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu meinem Bruder und es war mir früher sehr wichtig, was er von meinen Freunden und Freundinnen hielt. Als Zahra anfing, Stück für Stück bei uns einzuziehen, behandelte er sie sofort wie ein Familienmitglied. Zarah fing an zu kochen. Das konnte sie ganz gut, sie machte es zuhause auch, doch bei uns lief sie zu Höchstformen auf. Wie selbstverständlich übernahm sie die Dinge, die in Miks und meinem Haushalt ständig zu kurz gekommen waren.
Allerdings ist es nicht so, dass Zahras Mutter sich überhaupt nicht gekümmert hätte. Und Zahra wohnte auch nicht ständig bei uns. Aber eben oft. Ihre Mutter hat oft mit Mik telefoniert. Sie war keine Mutter der besorgten Sorte, aber ab und zu meldete sie sich mal. Mik gab sich dann immer größte Mühe, sich irgendwie kompetent anzuhören, aber so richtig gelingen wollte es ihm nicht. Er hat mich immer mehr wie einen Freund als wie einen Bruder gesehen. Damals nahm er mich überall hin mit. Zu Konzerten, in Kneipen, Clubs und zu Treffen mit seinen Freunden.
Mir war, als ich Zahra im Kino traf, sehr schnell klar, das ich alles dafür tun würde, damit sie meine Freundin wird. Und ich glaube, es ging ihr ähnlich. Trotzdem, oder gerade weil wir wussten, das wir jede Menge Zeit hatten, trafen wir uns fast zwei Wochen, ohne das irgendwas passierte.
Als ich sie an diesem ersten Tag traf, trug sie wieder einen Rock. Diesmal einen schwarzen. Sie saß auf den staubigen Stufen vor dem Kino und starrte gedankenverloren in die Luft.
„Hallo“, begrüßte ich sie. Sie zuckte zusammen. Ich musste unweigerlich grinsen. Sie grüßte und lächelte mich auf eine Art an, die mich sie anstarren ließ. Das klingt alles etwas abgedroschen, die Sache mit dem Lächeln. Aber es war so. Wir kauften Karten. Ich wusste nicht genau, ob ich sie einladen sollte oder nicht. Ich hasse diese Entscheidungen. Ich erinnerte mich an ihr Lächeln und bezahlte beide Karten.
Sie sah mich darauf hin nur ein bisschen seltsam an und bedankte sich. Ich hätte ihr auch noch Popcorn gekauft, aber sie wollte keins. Zahra isst nie Popcorn im Kino. Zuhause hat sie eine Popcornmaschine und immer wenn wir bei ihr waren, machten wir eine Menge Popcorn, weil es so gut aussah, wie es vorne rauskam. Ja wir aßen Popcorn bis uns schlecht wurde, immer erst salzig und dann süß.
Als wir im Kino saßen und die gewöhnliche Wie-geht-es-dir-Konversation hinter uns hatten, entstand das übliche Schweigen. Andere Mädchen hätten jetzt sicher nach der Schule auf die ich ging oder nach meinen Hobbys gefragt. Das wäre ein guter Start in ein längeres Gespräch geworden. Zahra war nicht so.
Sie fragte mich: „Worauf freust du dich?“
Ich war verunsichert, ich wusste nicht, wie ich darauf antworten sollte. Später habe ich gelernt, dass man bei Zahra die Fragen einfach immer als das nehmen muss, was sie sind, sie einfach beantworten, aber damals war ich einfach überrumpelt. Sie sah mein verwirrtes Gesicht und erklärte:„Manche Leute freuen sich auf Weihnachten oder eine neue CD oder so was. Was ist mit dir, worauf freust du dich?“
„Ich freue mich, wenn die Schule wieder anfängt, damit ich endlich nicht mehr alleine zuhause sitzen muss. Ich freue mich, wenn es bald eine neue CD von meiner Lieblingsband gibt. Ich freue mich wenn Daniel vielleicht auch hierher zieht.“ Ich geriet richtig in Fahrt und hätte noch mehr Wünsche aufzählen können, aber sie wollte wissen, was meine Lieblingsband war und wer Daniel.
Seit ich Zahra kenne, frage ich mich übrigens sehr oft, worauf ich mich freue. Das hab ich von ihr gelernt, mich ständig auf Sachen zu freuen, und mich so über Wasser zu halten. Seit einer Woche freue ich mich zum Beispiel auf diesen Friseurbesuch und den Tag an dem Zahra meine Haare sehen wird.
Der Tag, an dem wir uns das erste Mal küssten, war auch der Tag an dem Zahra Mik kennen lernte. Wir holten Mik von der Uni ab. Als er Zahra die Hand gab, versuchte ich ihn mit ihren Augen zu sehen. Er war groß und stämmig und hatte sehr lange Haare und sah aus als ob er gerne sehr laute Musik hörte. Aber ich machte mir eigentlich keine Sorgen, dass Zahra Angst vor ihm haben könnte, sie war keine von der Sorte.
Mik wollte sich noch mit ein paar Freunden treffen und lud uns ein, mitzukommen. Es war ein Sommertag und langsam wurde es Abend, wirklich schön war das, wie wir so zu dritt durch die grüne Stadt gingen auf dem Weg zu einer von Miks Stammkneipen. Ich ging zuerst nah neben Zahra und war schon kurz davor ihre Hand zu nehmen, doch dann kam Mik von hinten, drängte sich zwischen uns und fing an Zahra auszufragen. Unauffällig stupste er mich in die Seite. Ich musste grinsen und beobachte Zahra verstohlen während sie bereitwillig auf Miks Fragen antwortete. Er mochte sie, das merkte ich sofort.
Als wir in der Kneipe ankamen, sah Zahra sich erst mal um, offensichtlich ging sie nicht allzu oft weg. Ich war auf eine seltsame Art froh, dass ich mich auskannte.
„Oha der Kleine hat ja eine Freundin gefunden, und sogar eine hübsche“, rief einer von Miks Freunden. Ich grinste und wurde rot.
Die Zeit verging schnell. Wir saßen da und hörten hauptsächlich zu oder redeten miteinander, während Mik und seine Freunde langsam immer heiterer wurden. Ich hatte mir etwas Sorgen gemacht, dass es Zahra nicht gefallen würde oder dass sie sich langweilen könnte, doch sie schien Spaß zu haben. Kurz vor Mitternacht fing sie an, den inzwischen sehr lustigen Jungs Klatschspiele beizubringen, von denen sie eine ganze Menge kannte. Ich wollte mitmachen aber ich schaute sie die ganze Zeit von der Seite her an und konnte mich nicht auf meine Hände konzentrieren. Ich weiß nicht ob ihr das Gefühl kennt wenn man so dermaßen von jemandem fasziniert ist. Mik triezte mich damit, dass ich offensichtlich unter Konzentrationsschwierigkeiten litt und ich wurde rot und traute mich nicht Zahra anzusehen, die mich anlachte. Schließlich beschlossen die Jungs zu irgendwem nach hause umzuziehen und sie schickten uns Chips und Bier holen.
Es war dunkel und warm draußen und wir gingen langsam nebeneinander her. In der Luft lag diese unglaubliche Spannung. Sie war so stark, dass es fast nicht mehr schön war, ich hielt es kaum noch aus. Wir redeten nicht viel, aber es war schon lange nicht mehr diese Art von peinlichem Schweigen zwischen uns. Im Laden vertiefte ich mich dann in die Auswahl von Chips, nur im irgendwas zu tun zu haben.
„Flips sind eigentlich besser als Chips finde ich...die schmecken mehr nach Erdnuss.“
„Ja die heißen ja auch Erdnuss-Flips ,oder?“ Sie musste lachen.
„Aber Erdnüsse mag ich überhaupt nicht...und Erdnussbutter auch nicht....Erdnuss ist im allgemeinen nicht so mein Fall...“ Was ich für einen Kram redete.
„Hm.“ Dazu wäre mir auch nichts besseres eingefallen.
„Ah, ich liebe diese Chips!“, sagte ich als ich meine Lieblingssorte entdeckt hatte. Diese mit Käse und Salz.
„Und ich liebe dich.“, sagte Zahra völlig ruhig und ernst und sah mich an.
Ich sah zu ihr herunter und war unfähig irgendetwas zu erwidern. Im Nachhinein kann ich sagen, dass das so dermaßen typisch für Zahra war. Wie ich sie für diese Art von Kommentaren liebe. Damals allerdings war ich ziemlich überrumpelt. Ihre Augen wurden immer größer, offensichtlich war sie irritiert von meiner Reaktion. Jetzt oder nie, dache ich, ließ die Chips fallen, beugte mich zu ihr herunter und küsste sie. Kurz bevor ich zu nah an ihrem Gesicht war um überhaupt noch etwas zu sehen, sah ich sie lächeln.
Ich kann mich nicht mehr an viel vom Rückweg erinnern, ich weiß nur, dass wir nicht mehr zu Miks Freund nach Hause gegangen sind. Dieser Abend war einer der schönsten in meinem Leben, denke ich.
Wie gesagt, wie haben immer sehr viel Zeit miteinander verbracht. Wir sind morgens gemeinsam zur Schule gegangen und haben abends zusammen gegessen. Käsemacceroni zählten zu Zahras Spezialitäten.
Eigentlich hatten wir eine ziemlich erwachsene Beziehung. Wir sind sogar einmal zusammen in den Urlaub gefahren. Nichts großartiges, einfach auf einen Zeltplatz nach Holland, zusammen mit Daniel, Mik und seiner Freundin. Aber es war richtig toll, wie es mir vorkommt haben wir den ganzen Tag in der Sonne am Strand gelegen und Pommes gegessen. Zahra hatte die ganze Zeit Angst, dass sie zunimmt, sie ist keine von diesen Mädchen, die einfach so viel essen können wie sie wollen und richtig dünn ist sie auch nicht. Wisst ihr, es ist ziemlich schwierig, diese Geschichte zu erzählen, weil meine ganze Zeit mit Zahra auf kleinen Bildern beruht. Bildern und Eindrücken, wie der Geruch nach Sonnencreme und Pommes zusammen mit Zahras grün lackierten Fußnägeln und dem Strand, das ist Holland für mich. Und es gibt unendlich viele von diesen Erinnerungen.
Eine andere ist Zahras Geburtstag. Ich wollte ihr ein wirklich tolles Geschenk machen und habe ihr eine Karte für ein Konzert ihrer Lieblingsband gekauft. Das Konzert war ganz schön weit weg und ich fragte Mik, der uns dann fahren wollte. Ich habe sie also um acht Uhr morgens aufgeweckt und ihr ihr Geschenk zusammen mit einem Kuchen, den Daniel gebacken hatte, überreicht. Wir sind dann alle ins Auto geklettert, Daniel und Mik vorne, Zahra und ich hinten. Es war Frühling, Zahra hat im Mai Geburtstag, und es war genau die richtige Temperatur im Auto. Mik ist zu schnell gefahren und wir haben die ganze Zeit laut Zahras Lieblingscds rauf und runter gehört und mitgesungen. Daniel und ich hatten extra einen Picknickkorb gepackt, den wir aber zuhause vergessen hatten. Also aßen wir den ganzen Tag über nichts anderes als Zahras riesige Geburtstagstorte, bis uns schlecht wurde. Ja, dieser Geschmack nach Erdbeeren, Sahne und Mürbeteig, den verbinde ich ganz eindeutig mit klebrigen Autositzen und Frühling. Als wir in einen Stau kamen legen Zahra und ich uns aufs Autodach und sonnten uns. Auf dem Rückweg hat mir Zahra, kurz bevor wir sie auf dem Rücksitz eingeschlafen ist, ins Ohr geflüstert, dass das der tollste Geburtstag ihres Lebens war.
Jemanden, den ich bis jetzt kaum erwähnt habe ist Daniel. Ich kenne ihn schon sehr lange, wir sind gemeinsam groß geworden. Kurz nachdem ich zu Mik gezogen bin, ist Daniels Familie auch gekommen, sie wollten sich selbstständig machen und weil ihnen die Stadt gefiel und sie Daniel einen Gefallen tun wollten, kamen sie zu uns. Er war ständig mit mir und Zahra zusammen und ich glaube nicht, dass er sich allzu oft wie ein fünftes Rad am Wagen gefühlt hat. Zahra und ich waren so oft allein, dass wir seine Gesellschaft genossen. Er selbst hat Probleme mit den Mädchen, er findet einfach keine Freundin. Wir reden nie darüber, aber ich habe immer gewusst, dass Daniel darunter leidet.
Wir waren schon ziemlich lange zusammen, als Zahra eines Tages zu mir kam und sagte, sie müsse mal mit mir reden. Sie sah nach schlechtem Gewissen aus und ich bekam Magenschmerzen. Sie eröffnete mir, dass sie in vier Wochen für drei Monate nach Kanada gehen würde. Sie ging zu der Zeit grade in die elfte Klasse, und vielleicht wisst ihr, dass viele Leute während der Elf ins Ausland gehen. Bevor ich Zahra kennen lernte, habe ich manchmal darüber nachgedacht selbst wegzugehen, doch dann kam es für mich überhaupt nicht mehr in Frage. Ungläubig starrte ich sie an. Sie erzählte eine Menge, unter anderem dass sie es schon lange organisiert hatte. Sie sagte sie hätte mir nichts erzählt um mir nicht die gemeinsame Zeit zu verderben, aber ich glaube, sie hatte auch Angst vor meiner Reaktion. Und sie meinte, dass es für sie wichtig sei, mal woanders hinzukommen, andere Länder zu sehen und so weiter. Und dass sie sich natürlich sehr darauf freue, wieder da zu sein und mich wiederzusehen. Es war unbeschreiblich was in diesem Moment in mir vorging. Ich war traurig, wütend und enttäuscht. Ich fühlte mich von ihr verraten und im Stich gelassen. Was sollte ich drei Monate ohne sie tun? Es kam noch schlimmer, als ich es Daniel und Mik erzählte, die beide bereits davon wussten. Mik meinte sogar so etwas wie „ein bisschen Freiraum wird euch gut tun“, was mich damals sehr wütend machte. Aber ich glaube, er hatte recht, denn erst als Zahra weg war, merkte ich, wie sehr wir uns in unserer eigenen Welt verkapselt hatten. Wir kannten kaum noch Leute und waren für alle nur noch „das Pärchen“. Ich glaube, ein paar von meinen frühren Freunden waren richtig froh, dass sie mal für eine Weile ging.
Zahra war gerade den zweiten Monat in Kanada, als ich mit Daniel auf eine Party von ein paar Leuten aus der Schule ging. Die Gastgeberin kannte ich kaum, aber sie gehörte wohl mit zu der Clique der Reichen und Schönen, wie Zahra und ich sie immer aus Spaß genannt hatten. Aus ihnen bestand auch der Großteil der Gäste. Ich habe mich immer etwas unwohl und fehlplatziert in der Gesellschaft dieser Leute gefühlt und wäre Zahra da gewesen, ich wäre vermutlich an diesem Abend nicht gegangen, aber ohne sie hatte ich meistens zu viel Zeit und fühlte mich einsam.
Die Party fand in einem großen Haus am Stadtrand statt. Es waren viele Mädchen gekommen, was ungewöhnlich war, und die meisten von ihnen waren ziemlich hübsch. Es war nicht die Art auf die Zahra hübsch war, diese Mädchen hier hatten gesträhnte Haare und trugen knappe Röcke und Tops. Zahra wäre entsetzt gewesen, doch sie gefielen mir. Ich betrank mich ziemlich, weil sonst nichts zu tun war und ich das seltsame Gefühl hatte, nichts zu verlieren zu haben. Daniel trank nicht viel und war die ganze Zeit über ziemlich still. Er fühlte sich offensichtlich nicht wohl. Später am Abend fingen die Mädchen an zu tanzen. Direkt vor mir tanzte ein Mädchen, das ich noch nie gesehen hatte, die mir aber sehr gefiel. Sie war groß und sah gut aus. Ihre braunen Haare fielen ihr bis weit über den Rücken. Sie lächelte mich auf eine Art an, die Zahra zum Kotzen gebracht hätte, und ich stand auf und forderte sie zum Tanzen auf. Ich tanzte eine ganze Weile, mit einer Menge Mädchen, aber am Schluss kam ich zur Ersten zurück, die mir verriet, dass sie Linda hieß. Sie beugte sich zu mir herüber so dass ich ihr Parfüm riechen konnte und flüsterte mir ins Ohr, dass sie sich freuen würde wenn ich sie morgen besuchen käme. Dann drehte sie sich um und verschwand. Ich ließ mich auf einen Stuhl fallen wartete, dass meine Aufregung nachließ.
Ich bin kein sonderlich hübscher Junge, ich bin schüchtern und habe außerdem verfilzte Haare. Das alles sind Gründe dafür, dass ich nicht besonders oft angemacht werde, erst recht nicht von Mädchen wie Linda. Daniel kam zu mir. Er wollte wissen, was Linda von mir gewollt hatte. Ich reagierte ärgerlich auf ihn, ich wollte ihn jetzt nicht sehen.
„Nichts“, sagte ich trotzig, „sie wolle sich nur mit mir verabreden.“
„Und, gehst du?“, zischte er.
„Warum sollte ich nicht?“, fragte ich herausfordern zurück.
„Schlaf dich erst mal aus“, sagte er leise und sah mich irgendwie traurig an. „Ich ruf dich morgen an.“
Dann ging er. Ich blieb noch eine Weile sitzen und versuchte meine Gefühle, sie reichten von Stolz, Begierde und Euphorie bis hin zu Wut, Reue und einem kleinen bisschen schlechten Gewissen, zu sortieren. Dann ging ich nach Hause ohne mich irgendwo zu verabschieden. Auf dem ganzen Heimweg war ich wie im Rausch, was wohl auch an der Menge Alkohol lag, die ich im Blut hatte.
Ich dachte kaum an Zahra, auch am nächsten Morgen nicht. Sie war zu weit weg, die Erinnerung an sie begann langsam zu verschwimmen. Ich hatte ziemliche Kopfschmerzen und war zuerst sicher, dass ich bloß geträumt hatte. Doch dann rief Daniel an.
„Du willst da nicht wirklich hingehen, oder?“, fragte er, ohne irgendetwas einleitendes zu sagen. Ich reagierte eine ganze Weile gar nicht, weil ich zuerst überhaupt nicht darauf kam, was er meinen könnte. Daniel deutete die Pause fälschlicherweise als Nachdenken.
„Mann Jonas, was gibt’s da denn nachzudenken? Denk doch mal an Zahra! Ihr seid doch so ein tolles Pärchen. Das kannst du doch nicht für dieses Püppchen aufs Spiel setzen!“ Seine Worte machten mich trotzig.
„Na klar geh ich“, sagte ich, ohne weiter über meine Worte nachzudenken, „du bist doch nur eifersüchtig. Jemand wie Linda wird an jemandem wie dir nie Interesse haben, und das hast du wohl auch endlich eingesehen.“ Im Nachhinein glaube ich, dass Linda mein Gehirn eingefroren hatte. Natürlich war es nicht nur wirklich kindisch, was ich ihm da an den Kopf warf, es war gemein und auch einfach falsch. Doch ich hatte ihn getroffen.
„Du bist doch krank“, flüsterte er ins Telefon, „einfach krank. Dann mach doch was du willst.“ Er legte auf.
Am Abend haben Linda und ich zusammen gegessen, sie hatte extra für mich gekocht. Es gab ein asiatisches Gericht, und ich muss sagen, sie hat einen wirklich guten Kokosreis gemacht, den hat Zahra nie so hinbekommen, bei ihr war er immer etwas verkocht.
Dann hat Linda mir ihr Haus gezeigt. Sie kam aus einer ziemlich reichen Familie, das fiel mir sofort auf. Nicht nur dass das Haus sehr schön und teuer eingerichtet war, man merkte es Linda auch an ihrem Verhalten an. Sie hatte so etwas zwar freundliches und zuvorkommendes aber immer auch ein wenig arrogantes an sich, dass mich verrückt machte. Dann sind wir in ihr Zimmer gegangen und haben uns aufs Bett gesetzt und geredet. Sie war keineswegs das Püppchen als das Daniel sie bezeichnet hatte, das merkte sogar ich, obwohl ich mich kaum auf ihre Worte konzentrieren konnte. Sie erzählte, dass sie Tennis spielte und ritt, sie hat sogar ein eigenes Pferd oder Pony, ich weiß nicht mehr so genau.
Dann stand sie auf um Musik anzumachen und als sie sich wieder setze, beugte ich mich über sie und küsste sie.
Als ich von Linda nachhause kam, strahlte mir Zahra aus meinem Portmonait, das auf meinem Schreibtisch lag, entgegen. Ich starrte das Bild einige Sekunden an. Es war dieses ehrliche Lächeln. Ich riss das Foto aus dem Portmonait und schmiss es in den Papierkorb. Wütend drehte ich auch noch den Bilderrahmen auf der Fensterbank um, so dass Zahra mit dem Gesicht auf den Marmor schaute.
Von da an war ich jeden Tag mit Linda zusammen. Gleich am zweiten Tag nahm sie eine Schere und schnitt meine Dreadlocks ab. Obwohl ich nicht wollte, habe ich mich auch nicht gewehrt.
Ich lernte Linda in dieser Zeit ziemlich gut kennen, denn sie wollte mich ständig um sich haben. Ich wurde zu ihren Tennisspielen, zu den Treffen mit ihren Freunden und zum Reiterhof mitgenommen. Irgendwann fühlte ich mich nur noch wie eines ihrer gutausgewählten Accessoires, denn ich sprach bei diesen Gelegenheiten kaum – ich hatte einfach nicht so viel zu ihrem Reitstil oder der Trendfarbe rot zu sagen – und Linda legte sehr viel wert darauf dass ich ein gutes Bild abgab, also ordentlich gekleidet war und mich angemessen verhielt. Seltsamerweise störte mich dieses bevormundende Verhalten keineswegs. Wenn wir alleine waren war sie extrem liebevoll zu mir und kümmerte sich fast schon übertrieben um mich. Ein anderer Grund warum ich gern mit ihr zusammen war, der mir erst im Nachhinein auffällt, ist, dass sie mir immer das Gefühl gab, großartig und ihr ein kleines Bisschen überlegen zu sein, ja sie ließ mich glauben, dass sie zu mir aufschaute. Ich glaube nicht, dass sie das wirklich tat.
Außerdem hat mir diese völlig neue Welt damals imponiert. Lindas Freunde waren alle reich, aber es war nicht nur ihr Geld sondern auch die Art wie sie damit umgingen. Sie protzten nicht direkt damit, doch trotzdem meinte ich immer eine Spur Glanz um sie herum zu spüren, und langsam begann auch ich nach dieser Art Ausstrahlung zu streben und daran zu glauben, dass ein Ferienhaus in Spanien und ein Paar Schuhe von Lacoste wesentlich zum Lebensglück beitrugen.
Mik hat natürlich mitgekriegt was los war. Ich glaube, er hat Linda sogar einmal von weitem gesehen, auch wenn ich immer versucht habe, eine Begegnung zu vermeiden. Doch er war sehr zurückhaltend, er hat Zahra nicht einmal erwähnt. Aber so ganz egal war es ihm wohl doch nicht. Vor ein paar Wochen erst habe ich ein zerknittertes Foto von Zahra in einer seiner Schubladen gefunden. Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich darauf gekommen bin, dass es das Foto aus meinem Portmonait war.
Mit Daniel war es anders. Auch wenn er sich weigerte, Lindas Gesellschaft zu akzeptieren und wir deswegen kaum noch Zeit miteinander verbrachen, nutze er jede Gelegenheit, um sie mir auszureden. Er erinnere mich auch immer wieder daran, dass Zahra bald wiederkäme und er bot mir an, dass er, wenn ich die Sache sofort zum Ende bringen würde, Zahra nichts verraten würde. Ich dachte nicht einen Moment über sein Angebot nach. Ich glaube, ich habe damals in zwei Welten gelebt, in einer mit Zahra und in einer mit Linda. Ich habe einfach alles laufen lassen. Wie sehr ich das jetzt bereue.
Dann kam der Tag an dem Zahra nach Hause kam. Sie wusste von Nichts.
Linda und ich saßen zu der Zeit immer in einem Eiscafe in der Nähe des Bahnhofes. Man konnte ziemlich gut auf den Bahnsteig sehen auf dem Zahra ankam. Natürlich wusste ich nicht, dass sie kommen würde, doch als ich Daniel sah, war es mir relativ schnell klar. Mir wurde ein wenig schlecht und ich starrte wie gebannt auf den Bahnhof. Linda redete und redete und schien gar nicht zu merken, dass ich ihr kaum zuhörte.
Daniel stand auf den Bahnsteig und wartete. Er füllte sich sichtlich unwohl, und ich konnte mir denken warum. Als der Zug ankam blieb mir die Luft weg. Ich konnte Zahra nicht genau erkennen, ich sah nur eine kleine Gestalt, die einen riesigen Koffer aus dem Zug hievte. Sie sah sich erwartungsvoll um. Daniel lief zu ihr und umarmte sie. Dann legte er ihr den Arm um die Schultern und sie gingen gemeinsam in Richtung Ausgang. Obwohl sie näher kamen, konnte ich nicht hören was Daniel ihr sagte. Ich wollte auch gar nicht wissen, wie er ihr meine Abwesenheit erklärte. Die beiden kamen immer näher. Sie hätten auch einen anderen Weg nehmen könnten, aber ich war mir sicher, dass Daniel sie an mir vorbei lotsen wollte. Ich hasste ihn dafür
Als Zahra näher kam, erwachte ich langsam aus meiner monatelangen Hypnose. Ihr Gesicht rief so viele Erinnerungen in mir hoch. Zahra starrte mich an. Daniel redete wie wild auf sie ein, genauso wie Linda immer noch auf mich, doch wir beide guckten nur. Zahra war dünner geworden und auch etwas braun. Ihre Haare waren länger und lockiger. Ihr Blick tat mir weh. Er war so ungläubig und entsetzt. Sie blieb ungefähr zwei Meter vor uns stehen und blickte zwischen Linda und mir hin und her. Sie schüttelte den Kopf und ließ ihre Tasche fallen. Tränen stiegen ihr in die Augen. Dann machte sie ein sehr seltsames Geräusch und rannte weg. Daniel nahm ihre Tasche und lief ihr hinterher.
Linda sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ich hätte einfach irgendetwas verächtliches über Zahra sagen können, dass sie meine Exfreundin sei oder etwas ähnliches, und Linda wäre zufrieden gewesen. Aber ich brachte es nicht über mich. Ich habe Linda dann einfach sitzen lassen und bin nach Hause gegangen.
Am nächsten Morgen bin ich zu Zahra gefahren ohne genau zu wissen was ich wollte. Sie selbst machte die Tür auf. Sie hatte ihre hüftlangen Haare bis zum Kinn abgeschnitten. Ich fühlte ein Stechen in der Brust. Als sie mich sah wurden ihre Augen hart. Sie hatte geweint, dass sah ich, doch offensichtlich riss sie sich für mich zusammen. Sie ist ein sehr stolzes Mädchen, das ist vermutlich auch der Grund warum sie bis heute kein Wort mit mir gewechselt hat.
„Hör zu, Zahra ich wollte nur...“ Unbeholfen ruderte ich mit den Armen und wusste nicht wie ich den Satz beenden sollte. Sie ließ mich eiskalt auflaufen, half mir nicht sondern sah mich nur mit hochgezogenen Augenbrauen an. Sie tat mir weh und sie wusste es. Wir sagten noch eine Weile gar nichts, dann machte Zahra einfach die Tür zu. Wie vor den Kopf gestoßen stand ich im Flur. Ich setzte mich auf die Treppe und schloss die Augen. Was hatte ich erwartet? Dass sie mich einfach wieder in die Arme schließen würde? Ich seufzte und machte mich auf den Weg nach Hause. Dort traf ich Linda, die vor dem Haus auf mich wartete. Ich fühlte gar nichts als ich sie sah, weder Freude noch Widerwillen. Sie hängte sich wie gewohnt an mich und ich ließ sie gewähren.
Ich verdrängte Zahras Rückkehr ganz einfach. Ich wusste nicht was ich mit ihr hätte reden sollen, mein Verhalten war weder zu erklären noch zu entschuldigen. Ich sehnte mich nach ihr aber mir war klar, dass ich sie nicht so einfach zurück bekommen würde. Mit Linda ging es dann auch nicht mehr lange gut. Schon bevor Zahra nach Hause gekommen war, hatte ich meine Beziehung mit Linda langsam satt. Erst hatte mich ihre Art zu Leben und meine Rolle darin angefangen zu langweilen, dann anzuekeln. Ihre Gegenwart machte mich langsam krank, ihre Freunde erschienen mir als oberflächlich und ich selbst kam mir oft minderwertig in ihrer Gesellschaft vor.
Als wir uns trennten weinte Linda und schien aufrichtig verletzt zu sein. Ich fühlte nichts. Eigentlich ist mir immer noch nicht ganz klar was jemand wie Linda mit mir wollte. Vielleicht hat sie mich ja wirklich einfach gemocht.
Mik versuchte nicht mit mir zu reden, er schien zu warten bis ich zu ihm kam. Doch ich kam nicht, ich wollte nicht. Mit Daniel war es schon hart genug.
Wir haben nie darüber gesprochen, doch ich merke deutlich, dass er wütend auf mich ist, weil ich Zahra weh getan habe. Ich glaube, auch für ihn ist es eine tolle Zeit gewesen, als wir drei ständig zusammen waren und er vermisst es. Vermutlich hasst er mich dafür, dass ich das alles beendet habe. Und ich glaube, dass er sich manchmal ausmalt, was passiert wäre wenn Zahra seine Freundin gewesen wäre. Er hätte ihr das bestimmt nicht angetan, das denkt er bestimmt.
Jetzt ist es fast ein halbes Jahr her, dass ich das letzte Mal mit ihr geredet habe. Jetzt sehe ich sie nur manchmal in der Schule. Ihr zu begegnen tut weh.
Ich hätte es wahrscheinlich einfach dabei belassen, doch vor einer Woche kam dieses Mädchen zu mir. Sie heißt Paula und sie ist eine Freundin von Zahra, im letzen halben Jahr scheinen sie sich ziemlich nah gekommen zu sein. Sie ist eigentlich hübsch, auf ihre eigene Art, sie hat blonde Haare und trägt seltsame Folklorekleider. Ich glaube, sie ist ganz nett. Sie kam zu mir als ich gerade auf dem Weg nach Hause war. Sie erzählte, dass sie vor kurzem mit Zahra getrunken hatte. Zahra trinkt kaum Alkohol und deswegen hat sie nicht viel vertragen und ist nach kurzer Zeit etwas sentimental geworden, wie es Paula lächeln nannte.
„Sie war richtig süß. Sie hat von eurer Beziehung erzählt, und wie glücklich sie damals war. Na ja und dann ist ihre Laune umgekippt und sie hat fast angefangen zu heulen als sie erzählt hat, wie du sie betrogen hast, während sie Elche in Kanada verfolgt hat“, Paula streifte mich mit einem kurzen nachdenklichen Blick, wahrscheinlich überlegte sie, warum jemand wie ich jemanden wie Zahra mit jemandem wie Linda betrog. Ich wusste nicht was ich erwidern sollte.
„Bist du immer noch mit ihr zusammen, mit dieser Linda?“, fragte sie.
„Nein. Sie war nicht so das Wahre.“ Paula streifte mich mit einem strafenden Blick und dachte eine Weile nach.
„Magst du Zahra noch?“
Diese Frage hatte mir so noch niemand gestellt, auch ich selbst nicht. Ich fuhr mir durch die Haare, die ich mir, seit Linda sie mir abgeschnitten hatte, wieder wachsen ließ und die mir jetzt bis über die Schultern reichten.
„Ja. Natürlich mag ich Zahra noch. Sie ist das beste Mädchen, das ich jemals getroffen habe.“ Paula lächelte zufrieden.
„Wie wäre es, wenn du versuchen würdest, sie zurückzuerobern?“
„Aber das geht doch nicht so einfach! Ich habe ihr weh getan, ich werde sie nicht so einfach zurückkriegen können!“, sagte ich, und es gelang mir nicht, eine gewisse Empörung aus meiner Stimme zu vertreiben. Paula reckte ihr Kinn nach vorn und lächelte.
„Von einfach zurückkriegen hat auch niemand geredet. Die Rede war von „zurückerobern““, sagte sie grinsend, „aber weißt du, ich muss jetzt gehen. Ich wohn hier in der Gegend. Überleg dir das mal mit dem zurückerobern.“ Sie zwinkerte.
„Aber du musst mir helfen!“, rief ich.
„Ruf mich an wenn du Hilfe brauchst“, sagte sie und schrieb mir ihre Telefonnummer auf die Hand. Dann ging sie.
Nachdenklich ging ich nach Hause. Mir war nie die Idee gekommen für Zahra zu kämpfen und ich hatte auch keine Idee, wie ich das anstellen sollte. Doch der Gedanke gefiel mir. Ich ließ mir die Sache noch eine Weile durch den Kopf gehen, dann fasste ich einen Entschluss. Ich würde es versuchen, mit allem, was in meiner Macht stand. Wenn es klappte, hatte ich meine Liebe zurück und wenn nicht- dann eben nicht. Zu verlieren gab es nichts. Diese Entscheidung beschwingte mich, allein die Vorstellung Zahra zurück zu bekommen gab mir eine Energie, die ich schon seit langem nicht mehr gespürt hatte. Ich rief Paula sofort an, als ich zuhause war. Wir redeten eine Weile und machten einen Plan. Es war übrigens auch ihre Idee, dass ich mir wieder Dreadlocks machen sollte.
Und nun sitze ich hier beim Friseur und bekomme meine neue Frisur. Mittags werde ich fertig sein und Zahra nach der Schule abpassen. Meine Zahra.
Ich bin jetzt schon fast fertig und werde langsam immer aufgeregter. Wahrscheinlich wird sie es einfach lächerlich finden. Oder es ist ihr egal. Vielleicht hat sie ja auch schon längst einen neuen Freund, auch wenn Paula das entschieden verneint hat.
Jetzt verlasse ich den Friseursalon. Es fühlt sich gut an, wieder Dreadlocks zu haben. Auch wenn das mit Zahra nichts wird. Ich komme an der Schule an, der Schulhof füllt sich bereits langsam mit Leuten. Da kommt Zahra. Obwohl ich gerade eben noch so ruhig war, werde ich plötzlich nervös und fange an zu zittern. Zahra redet mit Paula, die sich rasch verabschiedet, als sie mich sieht. Ich hole noch einmal tief Luft, dann trete ich ihr gegenüber. Sie schaut auf. Ihr Gesicht ruft so viel Erinnerungen in mir auf...Aber sie hat sich verändert, sieht ein wenig ernster und vielleicht auch weniger glücklich aus. Aber das kriege ich schon wieder hin, denke ich. Ich frage mich, woher diese plötzliche Zuversicht kommt. Mein Herz rast. Zahras fragender Blick ist unbeschreiblich. Eine Mischung aus Erstaunen, Abneigung und Freude. Er bleibt an meinen Haaren hängen und ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Schlicht und klar, hat Paula gesagt.
„Hör zu Zahra. Ich liebe dich. Ich habe einen Fehler gemacht und ich kann ihn nicht erklären. Aber ich will zurück. Ich will wieder dein Freund sein.“ Ich nehme ihre Hand, öffne sie und lege ihr altes Amulett hinein. Ihr wisst schon, diesen Anhänger, den sie bei ihren Großeltern im Garten verloren hat. Ihr wollt wissen woher ich ihn habe? Daniel hatte ihn. Als ich ihm von meinen Plänen erzählt habe, hat er nicht viel gesagt, sondern einfach das Amulett aus einer Schublade geholt und mir gegeben. Ich denke besser gar nicht darüber nach, warum er es genommen und dort aufbewahrt hat.
„Bitte“, füge ich nach einer kurzen Pause hinzu und sehe Zahra eindringlich an. Paula hat gesagt ich soll nicht zuviel erklären sondern einfach abwarten. Also schaue ich sie nur an. Szenen die ich seit einem halben Jahr unterdrückt habe, rauschen durch meinen Kopf. Zahra im Supermarkt, als wir uns das erste Mal geküsst haben, Zahra im Park, Zahra an ihrem Geburtstag, Zahra und Daniel, wie sie mich an meinem Geburtstag überraschen, wir alle in Holland, Abends in der Küche, im Cafe...ein endloser Film läuft in meinem Kopf ab. Sie starrt das Amulett an. Dann hebt sie ihre Hand und streicht damit über meine Haare. „So sehen sie wirklich besser aus.“ Ihre Antwort irritiert mich. Will sie ablenken?
Dann lächelt sie. Mir wird klar, dass das die Revange für meine etwas verspätete Reaktion auf ihr erstes Liebesgeständnis war.
Ich will sie küssen. Kurz davor hält sie mich zurück. Sie sieht mich an und sagt ernst: „Aber versprich mir, dass du so was nie nie wieder machst.“
„Nie wieder“, sagte ich. Sie lächelt mich breit an.
„Ach und noch was. Paula mag Daniel. Sag ihm er soll mal mit ihr ausgehen.“ Sie gluckst und lässt sich endlich küssen.
Wisst ihr was Brüder und Schwester? Das Leben kann so schön sein. Ich hoffe ihr habt auch bald so viel Glück wie ich. Hoffe ich wirklich. Und danke fürs Zuhören!