Moi Weltenläufer,
edit: huch, verdammt, meine Antwort hat sich mit Deiner überschnitten.
ich finde die Idee sehr schön, aber die Umsetzung kommt für mich nicht vom Boden hoch, sozusagen. Du hast glaube ich viel aus dem Anfang gekürzt, jetzt hat der Text ein Ungleichgewicht darüber. (Ja, Kitsch raus ist sehr gut, jetzt ist der plot aber endlastig).
Du hast hier gleich ein paar heftige Konflikte auf engem Raum, plus einen Schwenk ins entweder Symbolische oder Phantastische. Mir ist die Geschichte rein von der Zeichenzahl her viel zu kurz für all die Konflikte und Ängste - auf der anderen Seite werden Bilder dabei nicht selbstverständlich verwendet, sondern zehnmal hin und hergewendet, mit ähnlichen Worten mehrmals beschrieben, erklärt, veranschaulicht, eigentlich schon dem Leser aufgedrängt. Dabei würde die Geschichte an sich bestimmt gut funktionieren.
Ich versuche mal, das aufzudröseln.
Konflikte:
* Stiefvater kommt ins Haus, unangenehm dominant bricht er in die Beziehung Mädchen/Mutter ein
* Gewalt gegen die Ehefrau
* > Lügen / Verschweigen
* Psychische Gewalt gegen das Kind / Psychoterror im Haus
* > Problematik oder Belastung für Beziehung Mutter/Tochter
* Kind findet keinen vertrauten Ort, kein Zuhause mehr
* Zurückgestoßenwerden / Verlassensein
* Verlust des Schutzes; im Grunde, der Mutter selbst; Sprachlosgkeit/Aufbrechen der Kommunikation
* Froschmann ... tja, das wird ein Symbol sein, dazu fällt mir nur sexuelle Gewalt ein
Sicher hängt das alles zusammen. Aber der einzige Konflikt, den ich intensiv und emotional mitreißend bzw. glaubwürdig dargestellt finde, ist die unausgesprochen verzweifelte Situation um Mutter und Tochter, bzw. dazu den Vater im Hintergrund. Da steckt sehr viel Impliziertes drin - Mutter belügt sich selbst, dadurch auch das Kind, Vertrauensverlust, sie kann das Kind nicht schützen, Zwiespalt, Aggression, Persönlichkeitsverlust, Zurückweisung, Gewalt weitergereicht.
Der Anfang ist durchaus klassisch, aber sehr realistisch, auch vom timing her völlig ok. Das Intro sagt nichts weltbewegend Neues, aber das muß an dieser Stelle auch nicht unbedingt sein. Bis »Sei bitte nicht so laut, willst du, dass er rauskommt?« dahin für mich stimmig, genug, aber nicht zu viel.
Mamas Stimme klingt bei diesen Worten zittrig.
Ist mir zu viel - klar, bei diesen Worten, wir haben ja grad die wörtliche Rede. Ich weiß, der Satz soll rund und ausgefeilt, nicht 08/15 klingen, das wäre aber besser in Sätzen verwendet, bei denen es sinnvoll ist: als zusätzliche Information, die wir anders nicht bekämen.
»Ich habe Angst.« Lena will sich an Mamas Rock klammern, doch die packt ihre Arme und hält sie fest.
Hier finde ich es optimal gelöst - das Klammern steht für sich, auch die Handlung der Mutter. Auch gut, daß hier nicht "schreit Lena und will sich an Mamas Rock ..." steht (das als Vergleich mit oben)
Lena weiß, dass es viel zu warm für das langärmlige Hemd ist, das Mama trägt. Aber Lena weiß auch, warum sie es trägt. Früher hat Mama auch nie ihr Gesicht hinter einer Sonnenbrille versteckt.
Doppeltes no-go: Die langen Ärmel sind ausgenudelt bis zum Gehtnichtmehr. Dann hat man das ja obendrein in all den Autoaggressionstexten, also hab ich mich kurz gefragt, ob die Frau sich zusätzlich zu den Schlägen des Mannes auch noch selbst schneidet.
Die langen Ärmel/Sonnenbrille gingen überhaupt nur, wenn man das gen Ende eines Textes bekommt, in dem eine Beziehung als gewaltlos dargestellt war - was sich dann als Selbstbetrug der Prot rausstellte, z.B.
So als Schock, wenn man das überhaupt nicht erwartet, und es eine kleine, fiese Andeutung wäre, die fast untergeht.
Der Erzähler meint doch wohl nicht, daß die geschlagen ...? Aber hier ist das doch sonnenklar - der Typ ist ein Despot, die Mutter flüstert im eigenen Haus, will das Kind aus der Gefahrenzone schicken. Da geht das nicht mehr über *wisper wisper*
Ärmel .
Zwei Möglichkeiten: Du gehst realistisch und roh ran. Es findet Gewalt statt, dann spuck es aus, anstatt höflich drumrumzueiern. Oder Du sagst ganz unaufgeregt nebenbei: Die Frau hat blaue Flecken, Verletzungen, irgendwas. Kurz und neutral, aber konkret.
(»Ich bin jetzt dein Vater, also nenn mich auch so!«)
Das kam besser in direkter Rede. Vorschlag (aus Liverecherche, wenn Du so willst): solche Typen finden es ganz klasse, Fragen zu stellen, die nur eine Antwort dulden. Dann kommen sie sich erst Recht toll vor, weil es ja theoretisch eine Widerspruchsmöglichkeit gäbe:
"Was hab ich gesagt, wie sollst du mich nennen?" so circa.
Die Herzen klackern einmal heftig, als Mama ihr eine Backpfeife verpasst.
Ich weiß, das soll eine Auslassung sein, die etwas impliziert. Aber was? Der Schlag ist die zentrale Geste - alles gehört impliziert, aber nicht das. Sie latscht ihr eine, da hört man es verdammt laut klatschen, nicht leise die Haarspangen klackern. Das dürfte sowohl aus Innensicht des Kindes wie auch aus Sicht des Erzählers so sein. Das ist wie die Ärmel: Nicht dreimal um die eigene Achse drehen - hier passiert etwas Grausames, das klackert nicht hübsch. Und dann noch rosa Herzchenspangen - das geht mir zu weit. Es müssen ja nicht gleich Totenköpfe sein, aber es sollte vllt auch nicht das allerallerunschuldigste Symbol für Kleinmädchen sein.
»Dass du mich auch noch anlügen musst!« Dieses Mal schwingt deutlich Zorn in ihrer Stimme mit.
Siehe "zittrig" > das klingt schon mit, schieb es nicht nach. Irgendwie verärgert das, weil wir es grad gehört haben, und Du jetzt mit dem Zeigefinger kommst, daß wir das jetzt auch wirkich verstehen.
»Geh schon!«, zischt Mama. Es ist weniger ein böses als ein ängstliches Zischen. Mama lässt Lenas Arme los.
dito. Das Loslassen ist doch gut genug.
»Mama, glaub mir doch - er wartet im Pool auf mich!«
»Sei leise«, zischt sie nun wesentlich schärfer und unterstreicht das mit einer heftigen Handbewegung, »du weckst Vater.«
»Bitte, komm mit ...«
»Was ist das für ein Lärm?« Franks Stimme lässt Mutter und Tochter erstarren. »Muss ich erst rauskommen, damit es ruhig wird?«
(ZEILENUMBRUCH) Sie lauschen, doch keine Diele knarrt. Als die beiden sich wieder trauen zu atmen, packt die Mutter Lena am Arm und zerrt sie nach draußen in den Garten.
Schöne Stelle! (Der Vater muß nicht kursiv sprechen, das ist doch gewöhnliche wörtliche Rede.) Da ist alles drin, was Du in Sonnenbrillen und zitternder Stimme und ängstlichem Zischen zu viel gesagt hast. Hier hat man Gegenwart und Vergangenheit der beiden, die Beziehung, die am Zerbrechen ist (die zw Mutter und Tochter) und die ohnehin schön kaputte Ehe. Diese Passage könnte sehr viel drumrum ersetzen, und der Text würde viel klarer, mitreißender, erschreckender. Weniger betulich.
Lena klammert sich an Mamas Bein. »Der Froschmann!«, flüstert sie in den ausgewaschenen Stoff. Lena atmet so tief ein, wie sie nur kann, inhaliert durch die Nase, sucht den Duft aus einer Zeit vor dem Froschmann. Aber die Schürze ist vollgesogen mit Furcht und Lena glaubt, daran ersticken zu müssen. Doch dann, als sie schon meint, es nicht länger auszuhalten, wird sie mit einem Hauch von Früher belohnt: Eine Ahnung von Sonnencreme, die ihr mit warmen Händen einmassiert wird, ein Schimmer vom Zauber einer Gutenachtgeschichte, ein Aufflackern ihres eigenen Kicherns, als vertraute Finger zielsicher ihre kitzligen Stellen fanden.
Ebenso hier - sehr schön, erzählt viel ohne explizit breitzulatschen und uns was aufzudrücken. Das sieht man vor sich, riecht die Creme und fühlt die Sonne. Wunderschön und im Kontext nun traurig - so muß es sein.
Das Fette würde ich entweder in einen eigenen Satz packen oder streichen. Das verdödelt hier bissl. Ein Bild wird nicht dadurch stärker, daß man auch noch ein zweites dafür hinterhersetzt. (Obwohl die zweite Szene mit der Gutnachtsache an sich sehr niedlich ist, es nimmt sich nur gegenseitig den Raum. Wäre zu schade zum Streichen, vllt findest Du ja ne andere Stelle dafür?).
Lena schleicht tiefer in den Garten. Sie setzt jeden Schritt mit bedacht, ihre Füße streicheln das lange Gras mehr als sie es niederdrücken. Lena ist ein Indianer, eine Elfe, eine Fee, vollkommen geräuschlos.
Bedacht.
Als Moment schön, aber nicht in so viele gleiche Bilder gepackt. Und damit finde ich es vertan. Es reicht völlig (nicht nur als Info, sondern v.a. emotional = es überzuckert mich nicht):
Lena schleicht tiefer in den Garten. Ihre Füße streicheln das lange Gras, vollkommen geräuschlos. Da fehlt nix, ich hab nur rausgeholt und nicht umgestellt, fände es viel treffender. Ab davon hasse ich meist Vergleiche - sie sind kitschig; etwas soll über ein Symbol gesagt werden, was auch ganz einfach und treffend ginge. Vergleiche geben mir schnell den Eindruck von Trivialliteratur.

Wie absaugen? Wenn 'auf', aber das klingt unschön. Klar, absorbiert ist zu gestelzt, aber wie wäre
Licht schlucken? Das sagt man durchaus bei Texturen.
Sie saugt alles Licht ab und hinterlässt nur stumpfe Schatten der Wirklichkeit.
Warte. Das klingt für mich nicht poetisch-märchenhaft. Schatten der Wirklichkeit ist so ein, uff, Hammer, der eigentlich nix sagt. Ein leeres Bild, das aber umso dramatischer klingt. Dann nimm lieber ein leises, das Schrecken in sich trägt. Die
gierigen Pflanzen oben fand ich sehr hübsch, da findet sich bestimmt was mit deutlicher Aussage.
Der Froschmann. Hm, vermutlich steht er doch nicht für einen vergewaltigenden Nachbarn. Vllt ist es nur ihre Angst? Hier sind zu viele Symbolhaftigkeiten verwuselt, die Schlingpflanzen, Dornenhecken, der Drache, die Fee, die Abdeckplane, der Pool an sich, Froschhaut, Augen, (Augen der Mutter weinen schwarzes Öl ...), Wildnis, Schlange, Blüten, Schildkröte, das zu schwache Sonnenlicht kann die Magie nicht brechen, trübe Schatten, Finsternis und schließlich eine glühende Leiter.
Ich blicke überhaupt nicht mehr durch in diesem Dschungel. Für mein Gefühl gehört die Hälfte der Vergleiche und Doppelbedeutungen/-beschreibungen gestrichen. Ersatzlos. Ich kann keine Vorschläge machen, was, weil ich nicht kapiere, was wofür stehen soll.
Grundsätzlich: das Mädchen ist verloren in einer zumindest größtenteils magisch-bedrohlichen Welt. Bei der Angst, die sie anfangs vor dem Froschmann hatte, ist mir die tatsächliche Begegnung zu verträumt beschrieben. Es ist unklar, ob das hier nicht doch ihr Rückzugsort ist - das kommt aber nicht hin, denn oben hätte sie lieber die Schläge des Vaters provoziert, als daß sie in den Garten gegangen wäre. Also verändert sich was bei ihr, und was, das erschließt sich mir nicht. (Ablösung von der Mutter?).
Dieser Text steht unsicher schwankend im Bezug auf die Darstellung des Konfliktes und ebenso unsicher im Gebrauch seiner Metaphern zwischen zwei Möglichkeiten, und für die hätte ich zwei Beispiele:
jungspundvagabund: "Benji und ich" - harsch und roh und ohne Kompromisse.
vitas "Schulmädchen" - ganz ohne zusätzliche Erklärungen steht ein phantastischer Moment als Gefühl/Innensicht (und sicher 1000 anderes mehr) mitten im realistischen plot. Kein tja Vorsicht ich hab hier aber ... tausend Bilder und erklärt und zugesetzt. Eine Selbstverständlichkeit und Subtilität, die hier noch fehlt.
Ich glaube, Du mußtest Dich selbst noch überzeugen, daß Phantastik und Alltag verknüpft werden können - so klingt es. Dabei liest man schon, daß Du lange dran gesessen hast, und daß es sicher auch eine elegante Verbindung zwischen all dem gibt. Nur kommt es nicht ganz durch, für fremde Augen.
Möglicherweise hab ich ganz massiv was nicht kapiert. Aber an sich habe ich bei sehr schräger surrealistischer Literatur keine Probleme - weil bei aller Verrücktheit dort eine selbstbewußte, interne Logik der story und der Bilder zu erkennen ist.
Das war jetzt viel Genörgel, dabei mag ich die Grundidee, die Figuren, das setting; aber ich denke, Du solltest Dich auf eine Sache konzentrieren: Mutter und Kind, die Veränderung Vergangenheit > Gegenwart in all diesen kleinen Momenten. Vater als Stimme aus dem off, wie in einigen schönen Stellen getan. Der Froschmann dann als ein überraschender, phantastischer Abschluß, der sich aus dem Hauptkonflikt Mutter/Tochter ergibt. Und eine Situation, die - selbst bei open end - uns in einen erkennbaren Abschluß (oder neuen Zwiespalt!) entläßt.
Hoffe, Du kannst damit was anfangen; wäre sehr gespannt auf Deine Auflösung.
An Pans Labyrinth mußte ich übrigens nicht denken, weil dort in der Parallelwelt - trotz allen Schreckens - das Mädchen eine gewisse Kompetenz hat, die ihr in der Realität fehlt. Das ist hier in keiner der beiden Welten gegeben.
Liebe Grüße,
Katla
P.S.
Ich hab den Songtext absichtlich erst nach Deinem gelesen. Aber auch dadurch erschließt sich nicht, was der Froschmann für das Mädchen bedeutet. Im Song kann es eine Metapher für alles mögliche sein, es ist verkürzt und kondensiert, daher funktioniert das Selbstwasdenken. Du hast eine Geschichte dabei, die aber die Funktion des Froschmannes für Dich als Autor hier nicht deutlich werden läßt.