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Geburtstag

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22.06.2006
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Geburtstag

Heute war sein 20. Geburtstag und dieser Tag sollte auch sein Todestag werden.
Er dachte nach, während ihm der kalte Wind feine nasse Tröpfchen des leichten Nieselregens
in sein Gesicht wehte, und führte sich zum hundertsten Male die Gründe vor Augen, wegen denen
er den Freitod als einzige Möglichkeit sah.

Sie. Sie. Sie.

Er hatte sie vor einem Jahr und sieben Tagen kennengelernt, exakt eine woche vor seinem 19. Geburtstag.
Er erinnerte sich noch an jedes, noch so kleine, Detail dieser Nacht.

Sie hatte sich für ihn interessiert.
Sie war die einzige, die sich je für ihn interessiert hatte.

Er dachte daran, wie sie den Raum, in dem die Geburtstagsfeier von einem seiner damaligen "Freunde",
die sich mittlerweile alle von ihm abgewendet hatten, stattfand, betreten hatte.
Ihr langes tiefschwarzes Haar und diese betörenden grünen Augen waren ihm sofort aufgefallen.
Er hatte all seinen Mut zusammengenommen und sie angesprochen.
Überraschenderweise zeigte sie Interesse an ihm.
So waren sie immer weiter ins Gespräch gekommen, und irgendwann, als sie gemeinsam nah beieinander
auf dem kleinen Balkon saßen, der vom Mondlicht fast taghell erleuchtet wurde, hatte er sie geküsst.

Dieser Moment.
Dieser Moment des absoluten Glücks war unbeschreiblich schön gewesen.

Sie zu riechen.
Sie zu schmecken.
Sie zu spüren.

Etwas später hatten sie sich zurückgezogen und die folgenden Stunden waren ein wahres Feuerwerk der Gefühle gewesen.
Irgendwann war sie in seinen Armen eingeschlafen.
Er hatte sie noch lange betrachtet.
Wie sich ihre Brust beim Atmen hob und senkte, wie sie im Schlaf zusammenhanglose Silben vor sich hin murmelte und selten ganz leicht, kaum spürbar, erzitterte.
Irgendwann war auch er, erschöpft von den vorherigen Stunden, eingeschlafen.
Am nächsten morgen folgte das - sprichwörtliche - böse Erwachen.

Sie war weg.
Einfach so.
Ohne eine Nachricht zu hinterlassen.
Ohne ihn noch einmal zum Abschied zu küssen.

Die anfängliche Ratlosigkeit und Verzweiflung machte nach und nach dem Wunsch sie wiederzusehen platz.
Ihre Adresse herauszufinden war das kleinste Problem gewesen.
Ein größeres hingegen, war bei ihr zu klingeln, genauergesagt die Überwindung es zu tun.
Irgendwann tat er es einfach, obwohl er nicht wusste, was er sagen sollte, wenn sie vor ihm stehen würde.
Er bereute es noch in der Sekunde, in der er den Klingelknopf drückte und ein gedämpftes Surren
aus dem Inneren des Hauses vernahm.

Was dann folgte war der schlimmste Alptraum.
Sie erkannte ihn nicht.
Jedenfalls behauptete sie das.

Als er versuchte ihr von der Nacht zu erzählen schlug sie ihm die Tür vor der Nase zu.
In den darauf folgenden Wochen rief er täglich bei ihr an, um ihr alles zu erklären, doch sie legte immer auf,
ohne ihn zu Wort kommen zu lassen, und trat ihn, der psychisch sowieso schon am Boden lag, mit Füßen.

Irgendwann ging er dazu über sie auf Schritt und Tritt zu verfolgen und sie dabei heimlich zu fotographieren.
Er hatte sich immer dafür geschämt, aber trotzdem nie damit aufgehört.
Sein Zimmer füllte sich nach und nach mit verschiedensten Fotographien von Ihr, um ihn immer an seine
aussichtslose Situation zu erinnern und ihm keine Chance zu geben darüber hinweg zu kommen.
Er wollte es auch nicht anders.
Irgendwie schien er den seelischen Schmerz sogar zu genießen.
Ja, teilweise ertappte er sich selbst dabei, wie er versuchte solche Momente voll auszukosten.
Er dachte darüber nach, ob die Nacht, die er mit ihr verbracht zu haben glaubte, vielleicht doch nur
eine Illusion gewesen war, die sein von Einsamkeit geprägtes Unterbewusstsein erschaffen hatte,
um ihn wenigstens ein kurzen Moment der Glücks genießen zu lassen.

Des irrealen Glücks - Ja, es war irreal, aber es fühlte sich trotzdem wie Glück an.

Diese Möglichkeit änderte aber nichts an seiner - echten - Liebe zu ihr.
Und deshalb stellte er ihr weiter nach und schuf sich in seinem Kopf immer und immer wieder seine Welt des Glücks,
die Welt in der sie sich erinnern konnte und ihn liebte, so wie er sie, nur um diese jedes mal einstürzen zu sehen.

Wie oft war er mit einer Rasierklinge dagesessen und hatte sich selbst für seine Besessenheit bestraft?
Wie befreiend war ihm der Moment vorgekommen, in dem er spürte - oder nicht spürte? -
wie der kalte Stahl die einzelnen Schichten seiter hellen Haut durchdrang, zu sehen wie das warme Blut
an seinen Armen herunterlief und die makellose weiße oberfläche mit roten Tropfen beschmutzte?
Wie beschämend es war, wenn er die verheilenden Schnitte und die Narben im Nachhinein sah und versuchte
sie vor den Blicken der anderen zu verstecken.
Auch das trieb ihn dazu, wieder zur Klinge zu greifen und sich selbst für seine Taten zu bestrafen.

Eigentlich war auch ihm bewusst, dass das nicht die richtige Möglichkeit zur Problembewältigung war.
Aber es war eine Möglichkeit.
Jemandem von seinen Problemen zu erzählen kam für ihn nicht in Frage.
Das konnte er einfach nicht.
Es ging ja auch niemanden etwas an.
Es waren ja auch seine probleme, nicht die der anderen.
Eigentlich war es jetzt ja sowieso irrelevant.
Jetzt saß er auf dem schmalen Geländer der Brücke, dessen dunkelgrüne Farbe zu großen Teilen abgeblättert war
und den Blick auf den rostigen Kern freigab.
Es erinnerte ihn an sich selbst und die Situation in der er sich befand.

Die Fassade, die er aufgebaut hatte um seine Umwelt nicht an seinem Leiden teilhaben zu lassen,
war in den letzten 8 Monaten auch nach und nach "abgeblättert".
Anfangs hatte er die Schnitte und Narben noch verstecken können, aber als dann doch eines Tages
einer seiner "Klassenkameraden" die Narben durch einen dummen Zufall entdeckte,
wussten innerhalb kürzester Zeit alle davon.
Erst hatten sie ihn nur komisch angesehen, doch dann hatten sie mit den Kommentaren angefangen,
mit den Kommentaren die alles nur noch schlimmer machten.
Sie hatten ihm vorgeworfen, er würde das alles nur machen um Aufmerksamkeit zu bekommen.

Wie gerne hätte er diesen, in ihrer kleinen heilen Welt lebenden, unwissenden Kindern seine Beweggründe dargelegt,
aber er konnte es nicht.
Er war einfach wortlos sitzengeblieben und hatte ihre Gemeinheiten über sich ergehen lassen.
Aber das war jetzt auch unwichtig.
Denn jetzt saß er hier.
Bereit zum Sprung in die Freiheit.
Auf die Gleise.
Er stellte sich abermals vor, wie er diese silbern glänzenden Schienen immer näher kommen sehen würde
und dann - endlich - von seinem Leiden erlöst sein würde.

Einen Moment zögerte er noch, klammerte sich an die kleinen Dinge, die ihm wichtig waren,
doch dann stieß er sich mit beiden Füßen ab.

 

hi derkaiser,

und herzlich willkommen hier.

Sorry aber so oder so ähnlich:

Heute war sein 20. Geburtstag und dieser Tag sollte auch sein Todestag werden.
Er dachte nach, während ihm der kalte Wind feine nasse Tröpfchen des leichten Nieselregens
in sein Gesicht wehte, und führte sich zum hundertsten Male die Gründe vor Augen, wegen denen
er den Freitod als einzige Möglichkeit sah
fangen hier ungefähr 50 Prozent aller Debütgeschichten an.

Schreib ganz schnell etwas anderes mit einem originellen Thema.

Lieben Gruß, sim

 

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