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Gedächtnismoleküle

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10.10.2004
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Gedächtnismoleküle

Der warme Sommerregen ließ an Intensität langsam nach, entfernt verklang das donnernde Grollen eines Gewitters. Robin stolperte die glatte Kellertreppe hinunter und das Adrenalin schoss ihm vor Schreck in den Kopf. Sein Herz schlug wild, er versuchte, sich zu fangen, sah aber nur noch die Backsteinwand, wie sie auf ihn zuraste. Dann wurde es still und schwarz um ihn herum.

Er spürte keine Schmerzen, wie er es eigentlich erwartet hätte. Verschwommen wie im Traum bemerkte Robin vor sich einen menschlichen Körper, der mit dem Kopf seltsam verdreht gegen eine dunkelrote Wand lehnte. Das Gesicht hielt mit der verschrammten Wange auf dem rauen Stein, der starre Blick war entlang der Wand ins Leere gerichtet. Entsetzt wich er zurück und sah auf die leblose Gestalt, die ein paar Stufen tiefer mit der Schulter im Kellereingang verkeilt war. Sie trug seine Regenkleidung und es dauerte einen kurzen Moment, bis er begriff, was geschehen war. Voller Panik eilte er zur Hilfe, um den Körper aufzurichten, aber als er ihn packen wollte, griff er ins Leere. Er startete einen neuen Versuch, der ebenfalls misslang, er konnte die Jacke nicht fassen. Verzweifelt sah er sich um, um sich zu orientieren, um Hilfe zu holen. Soweit er es erkennen konnte, wirkte der Innenhof wie immer, einige Garagentore waren geöffnet. Er nahm die Umgebung nur unklar war.
Der Dauerregen hatte aufgehört, die Sonne schien mit einem gleißenden Strahl durch die dunklen, fast schwarzen Wolken in den Hof. Von den umliegenden Büschen tropfte das Wasser auf den warmen Asphalt, verdunstete dort und bildete kleine Nebelschwaden. Ein aufkommender Wind kräuselte die Oberfläche auf den Pfützen.
Robin konzentrierte sich auf die Umgebung, spürte den Wind aber nicht, hörte das laute Rascheln der Blätter in den Büschen nicht. Er fühlte sich taub. Eine existenzielle Angst bemächtigte sich seiner, er versuchte, an sich herunter zu sehen, sah aber nichts, außer den toten Körper vor sich. Robin schaute betroffen hin, er wollte es nicht wahrhaben, aber eine aufkommende Gewissheit ließ ihn ahnen, dass es sein Bewusstsein war, das ihm dieses Bild vermittelte. Es war kein Traum.
Das Schimmern der Aura um seinen toten Körper, das er jetzt erst bemerkte, verblasste langsam. Fasziniert konzentrierte er sich darauf. Erinnerungen durchströmten ihn, alte Erinnerungen, die ihm vertraut vorkamen, an die er zum Teil schon lange nicht mehr gedachte. Euphorisch von einem tiefen Glückgefühl erfasst, fühlte er sich geborgen in den Bildern und Szenen aus seinem Leben.
Sein Vater legte Robin als Baby auf den Küchentisch und ließ ihn weinend alleine. Seine Mutter umarmte den kleinen Jungen und schimpfte sogleich wieder mit ihm. Seine erste Freundin lief lachend vor ihm am Strand durchs Wasser, während er hinterher lief und geschickt den Wellen auswich. Das kleine Segelboot kämpfte sich mit großer Schräglage durch die schwere See, während die Gischt Robin ins Gesicht spritzte. Er reichte seiner großen Liebe seine Hand und zog sie die letzten Meter den Berg hinauf. Die Spur im Schnee vor ihm war kaum zu erkennen, er sah gerade eben noch seinen Freund, wie er sich mit dem orangefarbenen Pulka durch den Schneesturm kämpfte.

Dann verebbte das Bilderfeuerwerk um ihn herum und wich einem weißen Rauschen.
Die letzten Gedächtnismoleküle lösten sich auf.

 

Hallo thoughtful,

leider hat mir deine Geschichte nicht allzu gut gefallen.

Warum?
Zum einen habe ich schon recht früh geahnt, dass dein Prot. tot ist und seinen eigenen, verletzten Körper betrachtet.
Zum zweiten hast du diesem Thema nicht viel Neues abgewonnen. Du wiederholst eigentlich nur, was immer über diesen Moment des Todes gesagt wird: Dass man bestimmte Situationen seines Lebens wieder vor seinem geistigen Auge sieht.

Du benennst zwar diese Situationen, doch letztendlich sind sie viel zu beliebig, um einem wirklich nahe zu gehen.

Ich hätte mir ein oder zwei spezielle Szenen herausgegriffen und diese dafür viel ausführlicher beschrieben. Meinetwegen die Geburt seines Kindes, wie er sich dabei gefühlt hat, was gesprochen wurde etc.
Damit würdest du meiner Ansicht nach mehr erreichen.

Noch eine Kleinigkeit:

Sein Herz schlug wild, er versuchte, sich zu fangen, sah aber nur noch die Backsteinwand, wie sie auf ihn zuraste.

Vorschlag: ...Backsteinwand, die auf ihn zuraste.

Gefiele mir besser!

LG
Bella

 

Hallo Bella,

vielen Dank für Deine Kritik. Schade, dass sie Dir nicht allzu gut gefallen hat. Zuerst war ich über die Reaktion etwas erschrocken, aber es hat mich dazu gebracht, nochmal intensiv über das Ende nachzudenken, denn meine Absicht, mit der Geschichte zu zeigen, dass es nach dem Tod, meiner Ansicht nach, nichts mehr gibt, ist anscheinend nicht aufgegangen. Es gibt kein Happy End. Vielleicht ändere ich den Schluss noch etwas ab. Ich denke darüber nach.

Es ging mir in der Geschichte nicht darum, den Tod des Protagonisten bis zum Finale verschleiert zu lassen. Auch wollte ich dem Thema nichts Neues abgewinnen und das Rad neu erfinden.
Was erwartest Du an dieser Stelle? Das würde mich interessieren.
Ich hätte auch etwa Angst, es vorher auszuprobieren und daraus einen authentischen Bericht zu machen. Die beschriebenen Rückblenden sollten beliebig sein und die Geschichte eher etwas abrunden. Mag sein, dass ich etwas übers Ziel hinaus geschossen bin. Ich hatte einfach Spaß daran, etwas über dieses Thema zu schreiben und den Tod als absolut darzustellen.

Ich habe nochmal über Deinen Vorschlag mit der Backsteinwand nachgedacht und muss sagen, dass ich es so lasse wie es ist, denn die Wand bewegt sich nicht und rast demnach auch nicht auf ihn zu. Man kann natürlich darüber streiten, aber das möchte ich an dieser Stelle nicht.

LG, thoughtful

 

Folgende Textpassage habe ich geändert, da sie mir zu lang vorkam und so nicht gefiel:

"Sein Vater legte Robin als Baby auf den Küchentisch und ließ ihn weinend alleine. Seine Mutter umarmte ihn als kleinen Jungen und schimpfte sogleich wieder. Seine erste Freundin lief lachend vor ihm am Strand durchs Wasser, während er hinterher lief und geschickt den Wellen auswich. Die Langlaufloipe vor ihm war kaum zu erkennen, er sah gerade eben noch seinen Freund, wie er sich mit dem orangefarbenen Pulka durch den Schneesturm kämpfte. Das kleine Segelboot kämpfte sich mit großer Schräglage durch die Wellenberge, die Gischt spritze Robin ins Gesicht. Er reichte seiner großen Liebe seine Hand und zog sie die letzten Meter den Berg hinauf. Die Ehrung als Autor für eine gelungene Reportage über einen historischen Wikingerfund auf Island nahm er von der Jury freudestrahlend entgegen."

Gruß
thoughtful

 

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