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Gefühlsding

Seniors
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31.07.2001
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Gefühlsding

Der Abend war mild.
Die Sonne hatte den Horizont in ein warmes Rot getaucht, während Leif Schäfchenwolken über sich vor einem noch hellblauen Hintergrund zählen konnte. Im Geäst der kleinen, runzligen Apfelbäume, im Ganzen sieben Stück, welche im Garten seines Vaters standen, zwitscherten noch die Vögel; Spatzen, Drosseln und Amseln hatten es auf den Zweigen gemütlich gemacht. Sie sangen ihre Lieder und naschten mit kurzen Hieben an den reifen Früchten.
Leif lächelte selig. Er war auf LSD und der Anblick und das Fühlen der Natur machte ihn glücklich.
Nach einigen Minuten, in denen er nur dagestanden hatte, ging er weiter. Er kam zu der Hecke , die das Grundstück zum Wald hin abgrenzte, und schlüpfte durch ein Loch.
Seit Leif die Freuden der drogengeschwängerten Träume kennen gelernt hatte, war er nach fast jedem Trip immer wieder zu dem alten Sommerhaus gelangt, in dem er schon als Kind mit seiner jüngeren Schwester gespielt hatte. Er war der festen Überzeugung, das sein Vater bis zum heutigen Tag nichts von diesem Gebäude wusste. Auch seine Mutter hatte nichts davon geahnt.
Es war ihr beider Geheimnis gewesen.
Während Leif im Wald verschwand, dachte er an seine kleine Schwester und die merkwürdigen Umstände, unter denen sie vor zwei Jahren verschwunden war.
Das Sommerhaus sah noch genauso aus, wie an dem Tag, als Leif und Nora, die mit ihren damals sieben Jahren beinahe auf den Tag genau ein Jahr jünger als ihr Bruder war, zum ersten Mal staunend auf die Lichtung traten, auf der es gelegen war. Auch wirkte es noch genauso auf Leif, obwohl er mit einundzwanzig und eines bereits seit zwei Jahren andauernden Gras- und Pappentrips die große Welt seiner kindlichen Fantasie verlassen hatte.
Ein Hauch von Abenteuer lag auf den dunklen Schindeln; hinter jedem der blinden Fenster mochten sich Indianer oder Cowboys verstecken und irgendwo auf dem Dachboden lagen sagenumwobene Goldschätze verborgen.
Leif lächelte.
Er blieb am Rand der Lichtung stehen und versuchte, nicht mehr an seine Schwester und an ihre gemeinsame Zeit zu denken. Die Erinnerungen waren nicht leicht abzuschütteln und er kämpfte mit ihnen, als er auf das Haus zuging.
Das Erdgeschoss bestand nur aus einem großen Raum. Leif hatte sich eine Matratze in eine Ecke gelegt. Daneben stand ein alter Gartenstuhl. Insgesamt gab es vier Fenster, zwei an der Front und zwei auf der Rückseite. Der Boden war hier ebenfalls aus Holz und erstaunlich gut erhalten. Leif wusste nicht, wie lange das Haus schon verlassen war, aber schon vor zwölf Jahren hatte es alt ausgesehen.
An der rechten Wand führte über einer Kochnische eine Treppe hinauf in den ersten Stock. Dort gab es vier Räume, ein ehemaliges Bad, in dem nur noch zerbrochene Kacheln und die Anschlüsse von der Nutzung verrieten, und drei leere Zimmer, die früher als Schlafräume gedient haben mochten. Vom Flur aus führte noch eine Luke zum Dachboden. Einen Keller gab es nicht.
Da die Luft noch angenehm warm war, nahm Leif den Stuhl und setzte sich auf die Veranda. Er zündete sich eine Zigarette an und entspannte sich. Jetzt war es viel einfacher, seine Schwester aus seinen Gedanken zu verscheuchen und den Trip zu erleben. Zeit verging.
Die Sonne verschwand langsam und überließ den Himmel der Nacht.

Leif.
Leif.

Eine leise Melodie stahl sich durch den Mantel seiner Benommenheit und formte bedächtig seinen Namen.
Leif.
Leif wollte nicht hinhören und sein Verstand verbarg sich wieder hinter dunklen Schatten. Die Stimme ließ sich Zeit, hörte nicht auf, zog ihn langsam empor, bis er schließlich realisierte, das sie wirklich war.
Er richtete sich auf und sah sich um.
Der Wald um ihn glänzte unter dem Licht der Sterne, die am Himmel erschienen waren, während er geschlafen hatte. Auf dem Boden der Lichtung stand silbern dass Gras im Mondschein. Ein leiser Windhauch strich durch Blätter und Halme, und vereinigte sich mit der leisen Stimme, die nach ihm rief.
Leif.
Er sah sich um.
Unter dem Türrahmen stand seine Schwester.
Obwohl er nur eine Silhouette, einen etwas dunkleren Fleck vor dem schwarzen Hintergrund des Hauses ausmachen konnte, wusste er sofort das sie es war. Innerlich hatte er immer gehofft, war sogar davon überzeugt gewesen, dass sie ihm hier wieder begegnen würde.
„Ich habe auf dich gewartet.“ Sagte er.
„Ich weiß. Es ist schön, dass du dir so viel Zeit genommen hast. Ich konnte nicht früher kommen.“
„Du bist tot, nicht wahr?“ Eigentlich war es keine Frage; Leif stellte nur eine Tatsache fest.
„Ja. Aber das ist nicht wichtig. Du weißt, dass ich hier bin, dass ich seit zwei Jahren immer hier war.“ Nora kam einen Schritt auf ihn zu und streckte die Hand nach ihm aus. Obwohl sie dabei aus dem Schatten des Eingangs heraus auf die Veranda trat, konnte er nicht mehr von ihr erkennen. Sie blieb ein Schatten.
„Komm mit. Ich will dir zeigen, wo ich war.“ Auffordernd winkte die dunkle Hand ihn zu ihr hin. Leif stand auf und ging. Er hatte keine Angst, obwohl sie tot war. Sie war seine Schwester und das hier war ihre Festung aus Kindertagen. Wenn sie sich entschlossen hatte, hier zu bleiben, dann wegen der Erinnerung. Der Erinnerung an ihren Bruder.
Bevor er sie erreichen konnte, drehte sie sich um und ging ihm voraus. Im Haus ging Nora auf die Treppe zu, hielt aber vor der ersten Stufe und zog eine Tür auf, die es nicht gab.
„Da ist eigentlich keine Tür.“ Sagte Leif und blieb stehen. Seine Schwester drehte sich zu ihm um. Jetzt, im Inneren des Hauses, konnte er ihre Augen im schwachen Mondschein, der von draußen hereinfiel, aufleuchten sehen. „Ich weiß. Aber jetzt ist sie da, weil du allein bist und weil wir sie jetzt brauchen.“
„Aber du bist doch hier. Ich bin nicht allein.“
„Ich wohne hier.“ Mit diesen Worten öffnete sie die Tür vollends und ging hindurch.
Leif blieb einen Moment stehen. Er zögerte nicht wirklich, denn ihm war klar, dass er seiner Schwester folgen würde. Er versuchte nur, seine Gedanken zu fassen, um mit dem, was er vielleicht sehen würde, zurecht zu kommen. Nora zeigte ihm einen Ort in diesem Haus, den er noch nicht kannte, obwohl er sich sicher gewesen war, das er hier alles kannte. Sie war seine Schwester und dies war ihr neues Zuhause. Abgesehen von der Tatsache das sie tot war, war alles in bester Ordnung und sein vernebeltes, ausgebranntes Gehirn konnte auch mit ersterer Tatsache leben. Leif folgte Nora in einen Keller, den es eigentlich nicht gab.

Als er die Tür hinter sich schloss, sah er, dass hier nicht die Dunkelheit herrschte, die er erwartet hatte. Eine Treppe führte links von ihm nach unten und von dort nahm er einen schwachen, kalten Schimmer wahr.
Die Gestalt seiner Schwester verschwand eben um die Ecke und Leif beeilte sich, ihr zu folgen. Der bläuliche Schein, der in der Luft hing, wurde nicht stärker, je näher er dem Ende der Treppe kam; er wurde irgendwie nur deutlicher.
Als Leif von der letzten Stufe nach rechts in den Raum ging, blieb er stehen. Verblüfft sah er sich um.
Er befand sich an einem Ende einer riesigen Halle. Die Wand auf der anderen Seite konnte er nur undeutlich erkennen. Der ganze Raum leuchtete in dem kalten, blauen Licht, das er schon vom Treppenabsatz oben gesehen hatte. Die niedrige, kaum zwei Meter hohe Decke reflektierte das Licht, das tatsächlich aus dem Boden zu kommen schien.
Seine Schwester stand in der Mitte des Raumes, der ansonsten vollkommen leer war, zumindest so weit, wie Leif es noch sehen konnte.
Sie stand, den Kopf gesenkt, reglos dort. Es war ein seltsamer Anblick, denn auch hier, wo doch die Luft regelrecht von Licht erfüllt war, blieb ihr Körper ein dunklerer Fleck, so als würden die Lichtstrahlen um sie herum fließen und es vermeiden, sie zu berühren.
Ohne das Leif bewusst den Befehl dazu gegeben hätte, setzten sich seine Beine in Bewegung. Doch schon nach wenigen Schritten rutschte er aus und konnte nur mühsam mit hochgerissenen Armen das Gleichgewicht halten. Als er sich wieder gefangen hatte, blieb er stehen und sah sich den Boden genauer an.
Es war Eis. Meterdickes, hellblau schimmerndes Eis, das von unten angestrahlt zu werden schien. Es war glasklar, wies keine Kratzer oder Risse auf, weder auf der Oberfläche, noch in den tieferen Regionen. Leif konnte bis fast auf den Grund sehen, an dem durch helle Risse das strahlendes Licht fiel, das den ganzen Raum erhellte. Die Risse liefen durch eine schwarze, breiige Masse, die sich, obwohl sie von Eis umschlossen sein musste, langsam zu bewegen schien, fast als wolle sie an die Oberfläche dringen. Als wäre ihr Ziel, das schützende Eis zu durchbrechen – den Raum mit ihrer Schwärze zu füllen, um dem Licht alles zu nehmen, was es hätte beleuchten können.
Leif schauderte. Rasch hob er den Kopf und sah wieder zu seiner Schwester, die der einzige Halt war, der sich seinem Blick hier bot. Vorsichtig begann er, weiter auf sie zuzugehen. Sie hatte sich die ganze Zeit nicht bewegt, sondern schien immer noch auf etwas zu ihren Füßen zu schauen.
Als Leif näher kam, erkannte er einen Schatten unter ihr im Eis. Nicht so tief, das er ein Auswuchs der schwarzen Masse sein konnte, er lag vielmehr irgendwo zwischen Grund und Oberfläche. Im Moment konzentrierte sich Leif allerdings mehr auf seine Schwester, die trotz der Helligkeit noch düster wirkte, wenn jetzt auch mehr von ihr zu sehen war als oben in der Dunkelheit der Nacht.
Unter dem seltsamen schwarzen Schleier erkannte er Kleidung. Wahrscheinlich die Sachen, die sie getragen hatte, als sie verschwand. Einen Pullover, Jeans und Turnschuhe. Ihr Haar, das blond gewesen war, fiel in ihrer Dunkelheit am meisten auf. Es schien nicht länger geworden zu sein und hing ihr in verfilzten Strähnen auf die Schultern herab.
Als er sie so sah, befiel ihn eine tiefe Trauer, die von einer Sekunde zur nächsten sein Denken einnahm. Ihm wurde schmerzhaft bewusst, wie sehr er sie vermisst hatte und welches große Loch sie in seiner Welt hinterlassen hatte.
Sie hätten den Tod ihrer Mutter auf dem Kindsbett nicht ohne den anderen verkraften können, das wusste er. Sie hatten sich Halt gegeben, waren zusammen durch die harte Zeit gekommen, als ihr Vater ihnen nicht hatte helfen können. Dieser seinen Kindern fremdgewordene Mann hatte noch immer nicht den Weg aus der Trauer gefunden, hatte die helfenden Hände von beiden ignoriert und war seit dem Tag, an dem Nora verschwunden war, von einem Seelenschmerz gefangen, der ihn vor den Augen seines Sohnes aufzehrte. Vor diesem Anblick war Leif in das Sommerhaus geflohen, von Drogen anstatt von seiner Schwester begleitet.
Langsam streckte er die Hand aus. Er wollte sie durch den schwarzen Dunst hindurch berühren, wollte ihr sagen, wie sehr sie ihm fehlte. Tränen rannen jetzt sein Gesicht hinab.
Sie schien es zu bemerken und drehte sich um. Dabei trat sie einen Schritt zurück und Leif ließ die Hand sinken.
„Du brauchst mich nicht zu berühren, Leif. Es würde dir nichts nutzen.“
Durch seine Tränen und ihre Dunkelheit hindurch sah Leif jetzt verschwommen ihr liebes Gesicht.
Es hatte sich verändert. Nicht, das es vom Tode gezeichnet war; ihre Augen blickten ihn auf eine vertraute Weise an, ihre Haut war glatt und rein. Vielleicht wirkte alles ein oder zwei Nuancen dunkler, aber das war es nicht, was ihm aufgefallen war. In die jugendlichen Züge hatte sich eine tiefe Traurigkeit gegraben, die er mehr fühlte, als das er sie sah. Sie war in den Augen, flackerte für einen kurzen Moment um ihre Mundwinkel herum auf, kaum sichtbar, aber doch unverkennbar da.
Der Anblick traf ihn tief in seinem Herz und erschütterte das Bild, das er sich dort von seiner Schwester bewahrt hatte.
„Sieh“, sagte sie, „sieh dort.“ Und sie deutete auf den Schatten, der unter ihren Füßen im Eis war. Dabei wandte sie den Blick ab, um selbst hinzusehen, aber Leif sah noch das schwache Glitzern einer Träne, das sich durch den Schleier der Dunkelheit kämpfte.
Jetzt, da ihn der Anblick ihres Gesichtes nicht mehr bannte, konnte auch Leif seinen Blick senken, um sich den Schatten unter ihnen anzusehen.
Im Eis eingeschlossen war ein Frauenkörper. Er musste über einen Meter unter der Oberfläche liegen, doch Leif hatte keine Probleme, ihn zu erkennen, denn genau darunter hatte sich einer der Risse gebildet und das Licht dahinter wirkte wie ein Scheinwerfer. Die Frau war nackt. Langes schwarzes Haar umgab ein Gesicht, das im Eis zu einer schmerzverzerrten Grimasse erstarrt war. Leif stockte der Atem und wieder traf ihn ein Schlag in seinem Herz, denn die Frau, die dort vom Eis eingefangen lag, war seine Mutter.
Leif starrte durch das Eis, auf das Gesicht und hoffte inständig, das er sich getäuscht hatte. Doch ein Teil von ihm wusste bereits, dass das nicht der Fall war. Er hatte seine Schwester hier gefunden und sie war seit zwei Jahren tot
verrschwunden
sie war tot – war es dann nicht der natürliche Lauf dieser Dinge, das damit die Sache nicht abgeschlossen war, das er hier noch mehr fand? Verzweifelt schluchzend wollte er den Blick abwenden, doch dann fiel sein Blick auf einen kleineren dunklen Fleck, den er zwischen ihren gespreizten und angewinkelten Beinen noch nicht bemerkt hatte.
Er musste sich mehr anstrengen, um etwas zu erkennen, doch ihn hatte bereits eine hässliche Ahnung überfallen, was es sein würde. Ohnmächtig, den Blick abzuwenden, sah er genauer hin.
Dort zwischen den Beinen seiner toten Mutter sah er ihren Mörder – seinen kleinen, totgeborenen Bruder. Leif konnte die Nabelschnur erkennen, ein kleiner, hellroter Kanal im Eis, die sie und ihn auf ewig verband.
„Nein“, ächzte er, „das kann nicht sein!“ Stolpernd wich er zurück, und Trauer umströmte sein Herz. Sie schnitt ihm die Luft ab und legte sich wie Mühlensteine auf seine Brust. Der Anblick seiner Mutter zerschlug alle Bastionen, der über Jahre hinweg mit Drogen betäubte Schmerz stürzte über ihn herein und brachte ihn fast um den Verstand.

Kälte.
Als er wieder zu sich kam, nahm Leif zum ersten Mal wahr, wie kalt es in der Halle war. Er schlug zitternd die Arme um den Brustkorb und sah sich um.
Nora stand neben ihm und wartete darauf, das er wieder klar denken konnte. Sie standen nicht mehr in der Mitte der Halle, wie Leif erleichtert feststellte. Er wusste nicht, wie er wieder zu der Tür gelangt war; er war sich lediglich sicher, das es nicht Nora war, die ihn hierher geschafft hatte – sie schien etwas gegen Berührungen zu haben. Demnach war er von sich aus gegangen. Schaudernd warf er einen Blick in die Halle hinein und hatte das Gefühl, noch immer den Schatten im Eis ausmachen zu können. Er sah schnell wieder weg.
„Geht es wieder?“ fragte Nora, ohne richtig besorgt zu klingen.
„Es geht.“ Das stimmte nicht ganz. Die Trauer umflutete noch immer seinen Geist – eine schwarze, zähe Masse, wie das, was unter dem Eis zu sehen war. Aber durch die Auszeit, die sein Verstand sich genommen hatte, hatte er sich seine Gesundheit bewahrt und arbeitete weiter – auch wenn jeder Gedanke schmerzhaft langsam durch seinen Kopf gepresst wurde.
Leif wandte sich wieder seiner Schwester zu. Seine Augen taten ihm weh, als er sie fixierte. „Was hatte das zu bedeuten, Nora?“
Nora sah ihn einen Moment lang schweigend an. Noch immer konnte er die Traurigkeit in ihrem hübschen Gesicht erahnen, doch der schwarze Schleier um ihren Körper verbarg dieses Gefühl jetzt besser.
„Das“, sagte sie und wies mit einem ausgestrecktem Arm in die Halle hinein, „ist mein ganzer Schmerz. Das schlimmste Ereignis in meinem Leben habe ich mit meinem Schmerz hier festgehalten. Ich habe das Eis geweint, Leif; es sind meine Tränen.“
Nach diesen Worten herrschte einen Moment Stille zwischen ihnen.
Leif spürte einen weiteren Stich in seinem Herz, als ihm die Bedeutung des Raumes bewusst wurde. Er hatte es die ganze Zeit gewusst, hatte es in der Luft geschmeckt, im Eis widerspiegeln sehen, das wurde ihm jetzt klar. Er kannte die Trauer, weil sie schon immer ein Teil seiner selbst war. Er sah seine Schwester an, während ihm weitere Tränen über das Gesicht liefen. „Es tut mir leid. Du tust mir leid. Du warst die ganze Zeit allein.“
Sie sah ihn an und antwortete nicht. Leif konnte keine Gefühlsregung an ihrem Gesicht ablesen. Dann geschah etwas Seltsames: die Schatten um sie herum verdichteten sich für einen Moment, so dass Leif seine Schwester kaum noch erkennen konnte. Er glaubte zu sehen, wie sie plötzlich schmerzhaft das Gesicht verzog und wie sich dann ein großer Klumpen durch ihren Hals nach oben schob. Erschrocken wollte er sie durch die Schatten hindurch packen, aber in diesem Moment wurde die Aura wieder heller und seine Schwester trat einen Schritt zurück. Seine Hände griffen ins Leere.
Leif sah sie an und, er konnte es kaum glauben, sie lächelte. Es war ein liebenswertes, kindliches Lächeln und Leif erinnerte es wehmütig an die Zeit, als sie zusammen durch den Wald auf das alte Sommerhaus zugelaufen waren. Es kam ihm vor, als wären seitdem Jahrhunderte vergangen.
„Komm“, sagte sie und lachte jetzt tatsächlich, „komm mit, Leif, ich will dir noch etwas anderes zeigen!“ Leif öffnete den Mund, war jedoch zu verblüfft, um etwas zu sagen. Sie wartete nicht darauf, ob er es noch tun würde, sondern drehte sich um und lief leichtfüßig über das Eis und durch den Eingang aus der Halle hinaus.

Als Leif das Eis verließ, bemerkte er, ohne großartig überrascht zu sein, das die der Treppe gegenüberliegenden Wand einem weiteren Treppenabsatz gewichen war. Von diesem führten weitere Stufen hinunter in die Dunkelheit. Während Leif hinunterstieg fragte er sich, was in dort wohl erwartete, was das süße Lächeln auf das Gesicht seiner Schwester gezaubert hatte.

Wärme umfing ihn, je tiefer er kam und auch hier fiel von unten ein Leuchten auf die letzten Stufen. Es unterschied sich von dem kalten Widerschein des Eises, es war lebendiger und Leif fühlte die gewaltige Trauer zurückfahren, spürte, wie sie sich irgendwo in ihm versteckte und einem zutiefst sonnigen Gefühl Platz machte.
Er erreichte das Ende der Treppe und zu seiner Rechten tat sich ein von goldenem Sonnenlicht durchfluteter Wald auf.
Leif stand eine Weile nur dort und ließ Glück in sein Herz fließen.
Grün wuchs das Gras direkt vor ihm, rahmte die Bäume ein, die ihre Wurzeln tief in die Erde gegraben hatten; eine hatte sich sogar noch weiter vorgewagt und suchte vor seinen Füssen auf dem grauen Betonboden nach Halt. Hier und dort wuchsen Blumen, von bunt gefleckten Schmetterlingen besucht und hinter einem dicken Strauch huschte ein Eichhörnchen in Sicherheit. Durch die Kronen der Bäume konnte Leif einen in sanftes Blau getauchten Himmel sehen.
Der warme Duft des Sommers strömte in den dunklen Treppenabgang.
Es war ein Paradies.
Leif nahm jede Einzelheit des Bildes in sich auf während er aus der Dunkelheit in das helle Licht trat. Sofort spürte er die Wärme auf seiner Haut und fühlte eine leichte Brise über Arme und Beine streicheln.
Fast hatte er Nora vergessen und erschrak leicht, als sie hinter einem Baum direkt neben ihm hervorkam.
„Hi“, sagte sie, als ob sie ihn gerade erst wiedergefunden hatte, „was sagst du dazu?“
„Ich...ich weiß nicht.“ Mehr fiel Leif dazu nicht ein. Nora sah ihn ungeduldig an, als ob er irgend etwas vergessen hätte und als er weiter schwieg und sich nur staunend umsah, sagte sie: „Erkennst du es denn nicht?“ Leif sah sie fragend an. Seine Schwester seufzte theatralisch, fasste seine Hand und zog ihn mit sich. „Gleich wirst du verstehen.“
Leif ließ es mit sich geschehen, denn in Gedanken war er mit etwas anderem beschäftigt, eine Erinnerung an ihre gemeinsame Kindheit drängte sich ihm auf. Der Wald...der Sommer...es war beinahe wie damals.
Nora blieb plötzlich stehen. Leif wäre fast in sie hineingerannt und bemerkte erstaunt, das der schwarze Schleier, der sie die ganze Zeit umgeben hatte, fort war. Sie hatte ihn sogar berührt, aus eigenem Willen. Leif war glücklich und kurz blitzte die Hoffnung auf, das vielleicht doch noch alles gut werden könnte. Aber als sie sich zu ihm umdrehte und ihm gebot, still zu sein, da sah er, das die Dunkelheit nicht fort war; sie hatte nur irgendwie die Ebene gewechselt, als wäre sie unter die Haut seiner Schwester gewichen, um die sommerliche Atmosphäre nicht zu zerstören.
Leif kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken. Über den normalen Geräuschen des Waldes konnte er Stimmen hören. Es waren Kinder, deren fröhlichen, lachenden Stimmen auf sie zukamen.

„Paß auf, wo du hintrittst. Es könnten Scherben rumliegen.“ Mißbilligend sah Leif auf die nackten Füsse seiner kleinen Schwester. Mit seinen acht Jahren war er unendlich viel älter als sie – sie war gerade mal sieben! -und demzufolge hatte er auch die Verantwortung. Nicht umsonst hatte sein Vater gesagt: „Paß gut auf meine kleine Tochter auf – du bist der Ältere, Leif.“
Er hatte ernsthaft genickt, das Ganze kam ungefähr einem Ritterschlag gleich. Dann hatte Nora ihm die Sahne von ihrem Eis mit dem Löffel ins Gesicht geschnippt und der Gänsehaut-Moment hatte sich mit einem Knalleffekt verflüchtigt, begleitet von Noras hellem Lachen, als sie in den Wald gelaufen war, der sich an die große Rasenfläche anschloß.
„Rennt nicht zu weit weg, ihr kennt euch hier noch nicht aus!“ hatte sein Vater noch hinter ihm hergerufen als er seiner Schwester schon dicht auf den Fersen gewesen war.
Jetzt schon war sie dabei, ihm seine Aufgabe so schwer wie möglich zu machen. Ihre Schuhe in der einen, einen langen Stock in der anderen Hand, lief sie fröhlich vor ihm durch den Wald und achtete nicht auch nur ein bisschen darauf, wo sie hintrat!
Aber auch Leif musste zugeben, dass hier alles anders war. So einen Wald hatten sie in der Stadt nie gehabt. Was würden sie alles entdecken?
„Leif, Leif, sieh mal da!“ Seine Schwester hüpfte ganz aufgeregt zwischen zwei niedrigen Büschen herum und zeigte mit dem Stock hinter sich, zwischen zwei ausladenden Tannen hindurch. Leif kam einen Schritt näher.
Staunend sahen sie zu dem alten Sommerhaus hinüber. So etwas hatte es in der Stadt erst recht nicht gegeben.
Es stand auf einer Lichtung und obwohl die Sonne beinahe senkrecht am Himmel stand, wirkte es wohltuend abenteuerlich. Ein Hauch von Abenteuer lag auf den dunklen Schindeln des Daches.
„Komm, wir spielen Cowboy und Indianer!“ rief Nora und lief auf das alte Haus zu.

Mit Tränen in den Augen sah Leif den beiden Kindern hinterher, die hinter einer der Tannen aus seinem Blickfeld verschwanden.
Die Erkenntnis, das zwischen dem Jungen und ihm selbst Jahre lagen, die sie unerreichbar voneinander trennten, traf ihn. Trotz dessen vermochte sie nicht, ihm das Glücksgefühl zu nehmen, das ihn erfüllte, seit er den Wald betreten hatte. Er genoss die Atmosphäre, die seine Erinnerung beflügelte.
Als sie das Haus zum ersten Mal betreten hatten, hatten sie den ganzen Tag dort verbracht, hatten ein altes Fort gegen Indianer verteidigt, hatten in einem verlassenen Raumschiff tapfer gegen außerirdische Bestien gekämpft und waren schließlich von der Dämmerung überrascht worden, als sie gerade den Rädelsführern einer Revolte gegen den König in der entscheidenden Schlacht gegenüberstanden. Leif musste lächeln. Es war so schön gewesen. Und so lange her.
Er zuckte überrascht zurück, als Nora ihm mit dem Ärmel ihres Pullovers seine Tränen vom Gesicht wischte. Er war sich ihrer Anwesenheit gar nicht mehr bewusst gewesen, hatte sie stattdessen als siebenjähriges Mädchen vor sich gesehen.
Die Geste, die Leif als sehr zärtlich und liebevoll empfand, passte überhaupt nicht zu ihrem Gesichtsausdruck. In ihren Augen stand nackte Verzweiflung und er sah, das sie ihm gerade tausend Dinge hatte sagen wollen, es aber nicht zu mehr als dieser einen, sanften Berührung gebracht hatte.
Sekunden später, bevor er in irgendeiner Weise darauf hätte reagieren können, war die Gelegenheit auch schon vorbei. Für einen kurzen Moment schob sich ein schwarzer Schemen über ihren Körper, sein Herz zog sich zusammen und wieder glaubte er zu sehen, wie sich etwas ihren Hals hinauf kämpfte.
Dann sah sie ihn wieder an und jede Empfindung war von ihrem Gesicht verschwunden. Leif war verwirrt.
„Bitte Nora, kannst Du mir endlich sagen, was hier geschieht?“
Sie sah kurz zur Seite und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Komm mit mir, dann wirst du vielleicht verstehen.“
Mit den Worten drehte sie sich um und ging in Richtung des Hauses.

Von oben herab klangen die Stimmen von ihnen, als sie noch jung waren.
Nora stand wieder vor der Treppe. Noch immer war dort eine Tür, die es für sie als Kinder nie gegeben hatte.
„Bitte Nora,“, beinahe flehte er, „rede mit mir.“
Sie öffnete die Tür. „Es gibt nichts mehr zu bereden. Es gibt nur noch etwas zu sehen.“ Sie ging und Leif folgte ihr. Schließlich war sie immer noch seine Schwester.
Die Stimmen der beiden Kinder wurden leiser, er konnte noch immer ihr gemeinsames Lachen hören, bis die Tür zuschlug.

Die Treppe war bekanntes Terrain. Das bläuliche Schimmern des Eises war auch nichts Neues. Die tiefe Trauer kam wie selbstverständlich an die Oberfläche, als wäre sie seit dem Zeitpunkt, als er seine Mutter in den gefrorenen Tränen seiner Schwester wiedererkannte, nie wirklich abgetaucht. Die Kälte nahm wieder Besitz von seinem Körper.
Ohne nach rechts zu sehen, ging Leif an dem Halleneingang vorbei. Auch Nora hielt den Blick geradeaus. Sie sah sich nicht nach ihm um und an Leif nagte die Angst, sie auf diesem Weg letztendlich doch wieder zu verlieren.
Der zweite Eingang. Wärme und Sommerduft schlug Leif entgegen und weckte das Glück in ihm. Es wuchs unter der Oberfläche, tauchte auf wie ein feingliedriges Fischernetz und die Trauer und der Schmerz und die Angst blieben an den mit Glück getränkten Fäden hängen.
Die Gefühle begannen, sich zu vermischen.
Bald kämpften sie untereinander. Er ging weiter.
Schließlich brodelte es in Leif; es war wie in einem Vulkan, in dem die Urmächte der Seele kochten und seine Seele warf sich verzweifelt vor und zurück, suchte nach einem Oben und Unten, fand jedoch keine Möglichkeit, diesen unerträglichen Zustand zu beenden. Leif hatte noch nicht einmal ahnen können, daß es so etwas überhaupt geben kann und sein Verstand flüchtete und versteckte sich...seine Schwester hatte gelogen; hier gab es nichts mehr zu verstehen.
So erreichte Leif das Ende der Treppe. Er sah sich um, sah Nora nicht mehr, sie war fort und das Einzige, was er sah, war eine Tür. Ein dritter und letzter Eingang.

Es zitterte. Die Nahrung war ausgegangen und die Tür war immer noch geschlossen. Ein Tentakel schoss gierig in das Innere des Kopfes von IHR. Doch da war nichts mehr. Der Lockruf hatte so viel verbraucht. Das Tentakel zuckte unkontrolliert herum, bohrte sich tiefer in den Körper von IHR, fand aber nichts, gar nichts. Wehklagen hallte durch die Welt und vereinzelt leuchtete die elektrisierte Luft in mattem weiß-blau auf.
Dann endlich öffnete sich die Tür.

Leif öffnete die Tür.
Was in ihm passiert war, wusste er nicht, aber er wurde schier zerrissen von der Energie, die sich in ihm entlud. Der wogende, stampfende Gefühlsbrei durchbrach letzte Grenzen, als Leif mit zwei Schritten in die Dunkelheit trat. Das die Tür hinter ihm mit Wucht zuschlug, bemerkte er nicht. Er hörte Geräusche, die er noch nie gehört hatte. Ein Klagen peitschte die Luft, ein wutentbrannter Wunsch.
„Nora?“ fragte Leif mit weinend lachender Stimme. Und mit einem Mal leuchtete die Luft: blau und weiß.

Da war ER! Die Welt hatte ihm wieder Nahrung geschenkt. Und wie war ER vollgestopft mit Nahrung! ER erzitterte förmlich, so gefüllt war ER.
Das Tentakel zog sich sekundenschnell zurück, blieb irgendwo hängen, wirbelte den Körper von IHR in der Luft herum, wollte sich befreien und schließlich riss er und gab es frei. Im Flug vereinigte es sich mit einem zweiten und beide schnellten auf ihr Ziel zu.

Leif verlor nicht den Verstand ob dessen, was er da sah – sein Verstand hatte sich schon aus dem Geschehen ausgeklinkt und außerdem ging alles viel zu schnell.
Leif sah ganz kurz einen unförmigen, großen Körper, der sich vor ihm auf dem Boden wand. Er sah, wie ein tentakelähnlicher Arm durch eine Augenhöhle tief in den Körper seiner toten Schwester eingedrungen war. Er bemerkte noch, wie dieser sich auf einmal hin und her wand, seine Schwester durch die Luft wirbelte und ihren Körper mit einem lauten, schmatzenden Geräusch in zwei oder drei Teile zerriss.
Als letztes sah er die zwei Tentakel, die genau auf ihn zurasten – auf Höhe seiner Augen.
Er lachte und weinte noch solange, bis es sich zu ihm heranzog.

Endlich.
Alle Sorgen waren vergessen in dieser Welt – zumindest für eine recht lange Zeit.

ENDE

 

:) Tja, was soll ich jetzt schreiben? Der "Background" der Story ist ein alter Hut und das tentakelbewehrte Monster gleichfalls - mehr an negativem könnte ich nicht vorbringen. Wie bei der SF-Geschichte bringst du es zuwege, eine Story von A bis Z souverän zu erzählen, schnörkellos und einfach spannend, so dass man weiterlesen muss. Auch dein Stil gefällt mir gut. Du bist ein hervorragender Erzähler, und ich glaube, dir das größte Kompliment machen zu können, was man einem Schreiber machen kann: Deine Geschichten sind niemals langweilig oder überflüssig.
Würde mich freuen, noch mehr von dir zu lesen.

 

Halli-Hallo!

Feine Geschichte, mein Bester. Da hast du dir aber wirklich Mühe gegeben.
Du kannst erzählen und bist dir auch ziemlich sicher in der Wahl der Mittel.

Das Tentakel-Monster ist tatsächlich ein alter Hut, aber nichtsdestotrotz passend und treffend. Was mir nun ausnehmend gut gefallen hat sind die fast schon poetischen Bilder, die du lieferst – poetisch und grausam. Allen voran natürlich die Tränen, die zu Eis geworden sind.

Eine Geschichte, die auf mehreren Ebenen funktioniert. Das sind die Erzählungen, um derentwillen ich Mitglied in diesem Forum geworden bin.
Mehr davon!

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Möge der Saft mit Euch sein!

 

Hallo baddax,

niemals, niemals hätte ich erwartet, so eine Geschichte im Horrorforum vorzufinden.
Es war ein unglaublich faszinierendes Erlebnis, so intensiv in die Gefühlswelt eines anderen Menschen eintauchen zu können . Der Junge, der erst die Mutter, dann die Schwester verliert, sich, vom Vater im Stich gelassen fühlend in Drogen flüchtet und dann diese unglaubliche Reise in sein eigenes Ich unternimmt, endlich beginnt, verschüttete, verdrängte, schmerzhafte Gefühle aufzuarbeiten, Trauer zuzulassen, neue Hoffnungen sich ihren Weg bahnen läßt, um dann am Ende vor dieser alles entscheidenden dritten Tür zu stehen.
Bis hierhin war die Geschichte eine absolute Meisterleistung.
Dann kam das übliche Monster, und mit ihm der 'ach nee, nicht schon wieder sowas' Effekt. Na ja, bei mir war das jedenfalls so. Hinter dieser dritten Tür hätte alles sein können, es gibt da 1000 Möglichkeiten. Wenn es unbedingt eine Horrorgeschichte sein soll, kannst du den Horror auch auf psychischer Ebene auslösen, daß würde meiner Meinung nach besser zur Gesamtgeschichte passen. Ist natürlich sauschwer zu schreiben, ich könnte das jedenfalls nicht.
Ich will dich jetzt auch auf keinen Fall belehren, dir irgendeine Vorschrift machen, wie du deine Geschichten zu schreiben hast bla, bla, bla...
Ich wollte dir einfach nur ganz unverbindlich erzählen, was ich beim Lesen deiner Geschichte für Gedanken hatte. Der Schluß ist vom Schreibstil her natürlich genauso super geschrieben wie die Gesamtgeschichte, daran lag es also nicht.

Nimm mich einfach nicht ernst, ich will hier wirklich nicht meckern, dazu gibt es keinen Grund.


Gruß.....Ingrid

 

@ itschi Das Problem ist: Wenn man eine Geschichte fast nur auf "psychologischen Grusel" aufbaut - wie es bei mir zB bei Nachtstimmen der Fall war, finden das viele wohl langweilig, unter dem Motto: He, ich will das Monster sehen!!!

Insofern gehört viel Mut dazu, oberflächlichen "BUH!"-Grusel wegzulassen.
Und du hast vollkommen recht: Es ist sauschwer, solche Geschichten zu schreiben, denn einerseits will man den Leser bei der Stange halten und ihn nicht langweilen, andererseits Spannung aufbauen, die auf solche Effekte verzichtet.

Wahrscheinlich mit ein Grund warum se so viele schlechte Horror-Geschichten gibt... :rolleyes:

Ich möchte nochmal betonen, dass mir diese Geschichte sehr gut gefallen hat!

 

Halli-Hallo!

@itschi:
Meinst du nicht, dass man diese Geschichte auf mehreren Ebenen lesen kann? Eine ist die obere, die Horrorstory, die mit dem Monster.

Die andere, die tiefergehende, ist dann die von dem Jungen, der so viel Leid erfahren hat und der einen Weg sucht, damit umzugehen.

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Möge der Saft mit Euch sein!

 

@Hanniball


doch, kann man. Aber mit diesem Schluß ist es eben nur eine der üblichen Monstergeschichten. Zugegeben, immer noch viel besser als viele andere hier, aber eben nicht ....ja, was,...die mit dem Kick, die, wo einem nach dem Lesen der Mund offen stehen bleibt...
Ich habe ja nicht die Geschichte selbst kritisiert, ich habe mir einfach nur gewünscht, baddax hätte in das Ende mehr Arbeit gesteckt, weil ich ihm nach diesem gelungenen Mittelteil einfach alles zutraue...im positiven Sinn natürlich.
Kannst du das so akzeptieren, Hanniball?


Gruß.....Ingrid

 

Halli-Hallo!

@itschi:

Ich denke schon, dass ich dich verstehe. baddax ist einer der Autoren, die sich eine sehr gute Ausgangsbasis schaffen, dann aber wohl ein wenig Angst bekommen vor ihrer eigenen Courage (ähem, ich hoffe, ich habe mich nicht zu ungeschickt ausgedrückt).

Auf jeden Fall kann man bei ihm zwischen den Zeilen lesen, er will etwas mitteilen in seinen Texten. Rainer beteuert ja immer, eine gute Kurzgeschichte solle nur unterhalten, der Meinung bin ich nicht. Ich denke, eine Erzählung sollte eine Botschaft haben, wie auch immer die aussieht.
Natürlich gelingt es nicht immer, die Botschaft deutlich genug herauszustellen.

Es ist eine schwierige Sache und es lässt sich trefflich drüber streiten. ;)

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Möge der Saft mit Euch sein!

 

Hallo!
Erstmal vielen Dank für die lieben Kommentare. Das freut mich :)

Also, der Monster war der Knackpunkt? Ob ihr es glaubt oder nicht, ich habe auch mit anderen Gedanken gespielt. Zwischen dem Part, als er die beiden im Kinderalter sieht und dem Folgenden lagen - glaube ich - knapp drei Wochen oder so, in denen ich nicht weitergeschrieben habe.
Ein Gedanke war der, ihn durch die dritte Tür irgendwie bei seinem Daddy rauskommen zu lassen und so das Ganze als Erfahrung für einen Neuanfang zu werten.
Als ich dann weiterschrieb, habe ich beschlossen, dass ich meiner eigentlichen Intention folge und ihn sterben lasse.
Das Monster war die ganze Zeit schon da: es war der Schleier um die Schwester, es war das, was die Eishalle und den Wald möglich gemacht hat. Die Bausteine dazu befanden sich in Noras Erinnerungen.
Es war auch das, was Nora in Szene gesetzt hat. Und es musste ihn zu sich herlocken - hat ja geklappt.
Ich glaube, ohne Monster wäre (wie Du, Itschi, das vielleicht gelesen hast) diese ganze imaginäre Welt im Keller des Hauses aus der Kraft von Leifs Einbildungsvermögen entstanden. Tatsächlich glaube ich, daß es hauptsächlich das Monster war, das Empfindungen und Erinnerungen nicht nur zum Leben benötigt, sondern sie auch geschickt und heimtückisch den Menschen entziehen und entstehen lassen kann.

Und sein wir mal ehrlich - Leifs Leben war doch schon so verkorkst, daß es einfach zu nett gewesen wäre, ihn weiterleben zu lassen ;)

Also, noch mal vielen Dank an Euch.

Ach ja:
@haniball:
Wenn Du Dir selber schon nicht sicher bist, frage ich noch mal nach: Courage??? :confused:

 

@ hanniball

Rainer beteuert ja immer, eine gute Kurzgeschichte solle nur unterhalten, der Meinung bin ich nicht. Ich denke, eine Erzählung sollte eine Botschaft haben, wie auch immer die aussieht.

Ich habe darüber gerade eine kurzen Beitrag in meiner Geschichte Über die Normalität verfasst.

Das ist ein wirklich wichtiger Punkt, der geradezu nach einem Thread schreit!

Ich glaube - und das festzustellen ist vonnöten - dass du mich etwas missverstanden hast: Ich glaube, dass eine Geschichte IN ERSTER LINIE der Unterhaltung dient.
Wenn mich eine Story ohne Ende fadisiert, lese ich sie nicht weiter, auch wenn ihre Kernaussage furchtbar wichtig ist.

Man kann in dieser Hinsicht unterscheiden, ob es einem Autor gelingt, sein Anliegen in der Geschichte unterzubingen oder nicht.
Nehmen wir ein Beispiel her: Kindesmissbrauch, ganz heißes, trauriges Thema.
Man kann nun auf zwei Arten hergehen, dieses Thema schreibend zu verarbeiten:
Mit dem Holzhammer, indem man schreibt, wie gemein und brutal das ist, wie arm das Kind ist, wie böse der Täter ist, blablabla.
Formal mag das richtig sein, aber es ist fade ("Wahre Lebensgeschichten" ausgenommen).
Oder man verpackt dieses Thema in eine gefühlvoll erzählte, packende Geschichte, deren Kernaussage einem nicht verborgen bleibt, die aber dennoch "unterhaltend" ist.

Es kommt meiner Meinung somit darauf an, wie man eine Geschichte angeht. Und meine Herangehensweise ist die, dass meine Geschichten der Unterhaltung verpflichtet sind.
Wenn jemand die "wahre Botschaft" herausliest, schön - aber ich will dazu niemanden nötigen! Es reicht mir deshalb wenn meine Geschichten als passable Lektüre für Zwischendurch erachtet werden. Okay?

 

Halli-Hallo!

@baddax:
Die Bemerkung mit der Courage machte ich, da hatte ich gerade eine andere Erzählung von dir gelesen: „Familie“. Und da fiel es mir besonders auf, dass du dir eine sehr gute Ausgangsbasis erarbeitest, und dich dann doch für die „einfachste“ Lösung entscheidest.
Ich hätte erwartet, und in der anderen umso mehr, dass das Niveau gehalten wird, dass du dich mit den Fragen auseinandersetzt, die du im ersten Teil der Geschichte stellst.
In der vorliegenden wären das Fragen nach den Gestaltungsmöglichkeiten des eigenen Lebens, wie werden wir geprägt von unseren Erinnerungen, haben wir einen Einfluss auf den Verlauf unseres Lebens.
Du gehst diesen Fragen aus dem Weg und lässt das Monster auftreten, das sich von Erinnerungen und Gefühlen ernährt.

Das heißt aber auf keinen Fall, dass mir dein Beitrag nicht gefällt!!

@Rainer:
Ich freue mich, dass du geantwortet hast, denn ich bin ebenso wie du der Meinung, dass dies ein wichtiger Punkt ist. Ich fände es aber besser hier darauf zu antworten, weil dieses Thema unmittelbar mit der vorliegenden Geschichte zusammenhängt.

Wir stimmen beide überein, wenn du sagst, das A und O einer guten Kurzgeschichte ist die pure Unterhaltung des Lesers. Ohne dies wird niemand eine Erzählung gut finden. Was darüber hinaus eine gute KG zu einer sehr guten KG macht, ist der Anspruch, mit der sie geschrieben wurde. Nämlich der Anspruch, etwas auszusagen.
Eine Geschichte mit Anspruch, die langweilt, ist Eulenkacke – überflüssig. Ganz meine Meinung!

Worin diese „Botschaft“ besteht (hochtrabendes Wort!), kann natürlich ganz unterschiedlich sein. Es gibt Geschichten, die wollen gar keine Botschaft haben und beinhalten trotzdem eine. – Jack Finneys „Bodysnatcher“ sind ein sehr gutes Beispiel. Der gute Jack hat immer beteuert, dass er diesen Roman nur für die Unterhaltung geschrieben habe, aber die Parabel von der uniformierten Gesellschaft springt einem fast ins Gesicht.

In diesem Sinne:
___________________________________


Möge der Saft mit Euch sein!

 

Hmmm, es stimmt natürlich, daß ein Monster an dieser Stelle oder das Töten des Typen, mit dem Natalie in "Familie" geredet hat, ein jähes Ende der Fragen sein kann
(kommt natürlich auch auf die Fragen an, die sich ein Leser stellt, wenn er ne kg liest.)
Es wäre möglich, daß Natalie sich wirklich hätte umentscheiden können, aber sie weiß, daß sie genauso wie ihre Familie ist, und das macht ihre Entscheidung doch hoffentlich sinnvoll, bzw. stellt die Lösung als die Sinnvollste dar.
Bei "Gefühlsding" habe ich im obigen Beitrag versucht, das zu klären.
Sag mir aber auf jeden Fall weiter Deine Meinung. Ich will sehen, ob ich des weiteren diese, Eure Gedanken mit einbeziehen kann.
@Rainer & Hannibal:
Geschichten unterhalten, wenn sie gut geschrieben sind und das Thema nicht vollends am Leser vorbeigeht. Unterhalten tun sie dann automatisch.
Wenn ein Schreiberling einen Sinn...oder Anspruch... mit einbauen will, dann wird eine Geschichte oft schwerfällig, sie
lahmt oft, weil er sich ja an den Sinn halten möchte, den er auszudrücken hofft.
Ich will nicht sagen, daß sie ohne Sinn sein muss, ich meine nur, der Sinn ergibt sich für jeden Leser aufgrund seiner Lebenserfahrung und der Art, diese zu verarbeiten, ganz von selbst - teilweise ganz anders, als der Autor es beabsichtigte.

 

Gerade der Finney-Roman - den ich zufällig auch gelesen habe - ist für mich aber ein Paradebeispiel dafür, wie ein Roman unterhaltsam geschrieben wird, aber auf einer zweiten Ebene, der Sozialkritik, gleichfalls funktioniert und auf jeden Fall wahrgenommen wird.
Leider wurde dann auch Paranoia vor den Russen und so Blödsinn reininterpretiert, aber gut.

Ich müsste lugen würde ich behaupten, ALLE meine Geschichten hätte eine "Botschaft".
Wenn sie eine solche haben, dann ganz versteckt, unterschwellig, weil man über die Geschichten nachdenken muss, weil sie so vielschichtig ist.
Aber zB meine letzte Geschichte, Perfekter Plan, hat absolut keine Aussage! Sie dient der reinen Unterhaltung.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Blackwood,

hehe, mit Deinem letzten Satz sagst Du es: Heute würde ich die Geschichte sicher anders schreiben. Ich war bei meinen ersten drei Geschichten auch sehr auf Horror fixiert, da ich diese Genre früher gerne gelesen habe und es auch heute noch tue. Dementsprechend hatte das Monster auch keinen symolischen Charakter, sondern war mehr das unsichtbare Schockziel, auf das die Geschichte hingehen sollte (und was in der Geschichte unterschwellig zu spüren sein sollte). Deshalb auch die Horrorelemente - wenn man mit dem Schreiben beginnt, übernimmt man viele Motive aus gelesenen Büchern - wobei manche alt sind und andere in der eigenen Geschichte auch daneben liegen. Die 'Empfindungsebene' von dem Jungen als Verlauf sollte da sozusagen der sichtbare Teil der Geschichte sein, der natürlich letztendlich dem Horror zum Opfer fällt.

...zu viele für meine Augen ungeschickte Phrasen, zu viele Schachtelsätze...
Nachdem ich die Geschichte jetzt mal wieder (nach langer Zeit) überlesen habe, stimme ich Dir zu - die Sätze sind tatsächlich teilweise arg in die Länge gezogen und unübersichtlich. Glaube, das habe ich inzwischen etwas besser im Griff. Und bei Phrasen wie " …und – jetzt kommt es ganz dick - ein Monster mit riesigen Zähnen…" musste ich auch grinsen... ich möchte behaupten, so etwas produziere ich heute nicht mehr so dick... :D

Und dann kommt ein Monster, das offensichtlich Hunger hat und trotzdem genug von dem Mädchen übrig ließ, um es in „zwei oder mehrere“ Teile zu zerreißen?
Das Monster hat die Opfer auch nicht körperlich gefressen, sondern sich viel mehr von dem Gefühlsbrei (den es durch den Aufbau der ganzen emotionsfördernden Erinnerungen und Bilder selbst 'zum Brodeln bringt') der Leute ernährt. Klar, das Mädel ist tot gewesen, der Körper sollte den ... ähh, leeren Napf darstellen. Passt so logisch natürlich nicht, dafür konnte ich den Schockmoment mit dem Zerreissen reinbringen. ;) Wie gesagt, ich wollte Horror schreiben, da musste dann auch mal die Logik dran glauben.

Was bitte ist ‚entkrallt’?
Soweit ich weiß, werden Katzen entkrallt ... hab gerade im Duden geschaut, da steht es leider nicht drin - glaube aber, es mal in einem Garfield-Comic gelesen zu haben. Irgendwie gefällt mir das Wort, lasse es mal stehen.

Zum Fischernetz: ich weiß noch, dass mir das Bild beim Schreiben damals richtig gut gefallen hat. Wirkte so poetisch, wenn es heute auch eher kitschig oder pathetisch daherkommt. Aber wie gesagt: Damals gerade begonnen.
Ich werde Deine Vorschläge mal umsetzen - so fallen zumindest einige der argen Sätze heraus. Danke dafür und natürlich fürs Lesen und Kommentieren. Ist spannend, sich wieder mit der Geschichte zu befassen. Sie ist mir erst wieder aufgrund Deiner Traumfrage eingefallen. War, glaube ich, auch die einzige Geschichte, die ich aufgrund eines Traumbildes geschrieben habe. Positiv nehme ich auf jeden Fall mit, dass sich stilistisch inzwischen was getan hat (aus meiner Sicht) und dass Dir zumindest die Art des Erzählens positiv auffiel.

LG,

baddax


Was mir jetzt gerade beim Korrigieren dieser wenigen Sätze auffällt: damals kannte ich offensichtlich das 'Weniger ist mehr' - Prinzip nicht. Ich sollte die Geschichte noch einmal ganz durchgehen, dann wäre sie wahrscheinlich um 500 Wörter kürzer. :D

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber baddax!

Ich sollte die Geschichte noch einmal ganz durchgehen, dann wäre sie wahrscheinlich um 500 Wörter kürzer.
Und dann ist Dir die Luft ausgegangen? ;)

Mir hat die Geschichte – bis auf den Schluß, aber das überrascht Dich sicher nicht – sehr gut gefallen. :)
Ehrlichgesagt finde ich es schade, daß Du am Schluß dieses Monster reingebracht hast. Also, gegen das Auftauchen des Monsters an sich habe ich gar nichts, daß es die Gefühle saugt finde ich auch nicht schlecht, aber gegen die Art, wie es zuende geht, das Zerreißen z.B., und dazu noch die kursiven Perspektivwechsel.
Du läßt den Protagonisten auf LSD sein, eine Droge, bei der man halluziniert, und bei der einem das Unterbewußtsein alles Mögliche zeigen kann, was es einem sonst nicht zeigt. Nicht umsonst wurde LSD ja eine zeitlang in der Psychoanalyse eingesetzt (womit ich mich nicht für eine derartige Anwendung ausgesprochen haben will), es kann einem die inneren Ängste, Trauer usw., alles Verdrängte zeigen, sofern man das während des Trips Erlebte zu deuten versteht. Es zeigt einem dabei keine realen Erlebnisse, sondern symbolische Dinge, das geweinte Eis zum Beispiel paßt da wirklich gut dazu. Deine Beschreibung hat für einen solchen Trip wirklich fast perfekt gepaßt – bis das Monster anfing, die Schwester zu zerreißen; das paßt da meiner Meinung nach nicht dazu. Ich lese es so, daß das Monster den Vater symbolisiert, dann frage ich mich, was dieses Zerreißen bedeuten könnte. Daß die beiden vergeblich versucht haben, den Vater über den Verlust der Mutter hinwegzutrösten (was ja eigentlich umgekehrt sein sollte), kann man natürlich mit dem Gefühlesaugen des Monsters vergleichen, aber das Brutale paßt dann eben nicht. Es müßte ein trauriges Monster sein, das beim Gefühlesaugen kurz lächelt und dann wieder traurig wird.
Im Normalfall kommt man auch von einem Trip wieder runter, das heißt, das Monster dürfte ihn zumindest nicht wirkich erwischen, er müßte der Situation entkommen können (oder das Monster besiegen). Es gibt allerdings auch Leute, die auf einem Trip auf Dauer hängenbleiben, das ist die größte Gefahr von LSD, allerdings wäre das dann wirklich richtiger Horror … Nur sollte es halt dazupassen und nicht einfach so auf »da bin ich und jetzt zerreiß ich alles«. Gut, das »da bin ich« hast Du schon vorher vorbereitet, durch ihre nicht immer ganz passenden Blicke und so, aber das Zerreißen wirkt, als würde es nicht wirklich zur Geschichte gehören. Auf mich jedenfalls. ;)

Bis zu dem Monster war ich allerdings wirklich begeistert von Deiner Geschichte – ganz besonders von dem Träneneis, das zählt auf jeden Fall zu den schönsten Bildern, die ich hier auf kg.de bisher gelesen habe. :)

Also, dann krempeln wir mal die Ärmel hoch… ;)

»Der Abend war mild.
Die Sonne hatte den Horizont in ein warmes Rot getaucht, während Leif Schäfchenwolken über sich vor einem noch hellblauen Hintergrund zählen konnte.«
– durch die genaue Beschreibung im zweiten Satz könntest Du dir den ersten ganz sparen.

»Im Geäst der kleinen, runzligen Apfelbäume, im Ganzen sieben Stück, welche im Garten seines Vaters standen,«
– da es in der Geschichte keine weitere Bedeutung hat, wie viele Bäume genau es sind, würde ich »im Ganzen sieben Stück« streichen.

»Spatzen, Drosseln und Amseln hatten es auf den Zweigen gemütlich gemacht.«
– da fehlt ein »sich«

»Er war auf LSD und der Anblick und das Fühlen der Natur machte ihn glücklich.«
– machten

»Nach einigen Minuten, in denen er nur dagestanden hatte, ging er weiter.«
– könntest Du eventuell mit dem vorigen Satz verbinden: Er stand da, das LSD begann zu wirken, und der Anblick und das Fühlen der Natur machten ihn glücklich. Nach einigen Minuten ging er weiter.

»Er kam zu der Hecke , die das Grundstück«
– Leertaste zuviel

»Seit Leif die Freuden der drogengeschwängerten Träume kennen gelernt hatte, war er nach fast jedem Trip immer wieder zu dem alten Sommerhaus gelangt,«
– wieso nach dem Trip? :confused: Ich würde da auch nicht von »drogengeschwängerten Träumen« sprechen, man träumt die Sachen nicht, sondern erlebt sie, als wären sie real, eben Halluzinationen.

»in dem er schon als Kind mit seiner jüngeren Schwester gespielt hatte.«
– wenn ich sie nicht überlesen habe, hat er ja nur eine Schwester, also könnte »jüngeren« raus.

»Er war der festen Überzeugung, das sein Vater«
– dass

»Es war ihr beider Geheimnis gewesen.«
– müßte glaub ich »ihrer beider« heißen

»dachte er an seine kleine Schwester«
– auch »kleine« wäre, wie oben »jüngeren«, überflüssig, allerdings könntest Du ja vielleicht ihren Namen auch schon oben einführen.

»Das Sommerhaus sah noch genauso aus, wie an dem Tag, als Leif und Nora, die mit ihren damals sieben Jahren beinahe auf den Tag genau ein Jahr jünger als ihr Bruder war, zum ersten Mal staunend auf die Lichtung traten, auf der es gelegen war.«
– daß sie fast auf den Tag genau ein Jahr jünger war, ist auch nebensächlich, Vorschlag: als Leif und Nora, (sie waren) damals sieben und acht Jahre alt, zum ersten Mal …

»Auch wirkte es noch genauso auf Leif, obwohl er mit einundzwanzig und eines bereits seit zwei Jahren andauernden Gras- und Pappentrips die große Welt seiner kindlichen Fantasie verlassen hatte.«
– was bitte ist ein Pappentrip? Und zumindest vom Gras verläßt man die Welt der kindlichen Fantasie nicht. Vorschlag: Auch wirkte es noch genauso auf Leif, obwohl er mittlerweile einundzwanzig war und bereits einiges erlebt hatte.

»Das Erdgeschoss bestand nur aus einem großen Raum. Leif hatte sich eine Matratze in eine Ecke gelegt. Daneben stand ein alter Gartenstuhl. Insgesamt gab es vier Fenster, zwei an der Front und zwei auf der Rückseite. Der Boden war hier ebenfalls aus Holz und erstaunlich gut erhalten. Leif wusste nicht, wie lange das Haus schon verlassen war, aber schon vor zwölf Jahren hatte es alt ausgesehen.«
– die Beschreibung könntest Du etwas kürzen, zum Beispiel statt dem Fenstersatz die vier Fenster in den ersten Satz integrieren: bestand nur aus einem Raum mit vier Fenstern. Statt »Daneben stand ein alter Gartenstuhl« könntest Du ein Stück näher an Deinen Protagonisten rücken: Der alte Gartenstuhl stand immer noch da. Und der Holzboden war immer noch erstaunlich gut erhalten, obwohl das Haus schon vor zwölf Jahren alt ausgesehen hatte (verfallen ausgesehen hatte).

»An der rechten Wand führte über einer Kochnische eine Treppe hinauf in den ersten Stock.«
– »hinauf« könntest Du streichen

»Dort gab es vier Räume, ein ehemaliges Bad, in dem nur noch zerbrochene Kacheln und die Anschlüsse von der Nutzung verrieten, und drei leere Zimmer, die früher als Schlafräume gedient haben mochten.«
– Dort gab es vier Räume, in einem verrieten zerbrochene Kacheln und Wasseranschlüsse von der Nutzung als Bad, die anderen drei Zimmer waren leer. Daß sie früher als Schlafräume gedient haben mochten, könntest Du streichen.

»Einen Keller gab es nicht.«
– vielleicht aber zwei? ;-) Es gab keinen Keller. Das Haus war nicht unterkellert. Oder Du bringst die Information schon oben, beim Holzboden des Erdgeschoß’: er war immer kalt, da darunter kein Keller war.

»Eine leise Melodie stahl sich durch den Mantel seiner Benommenheit«
– das paßt nicht, auf Trip ist man nicht benommen, und schlafen kann man schon gar nicht.

»bis er schließlich realisierte, das sie wirklich war.«
– dass

»Ein leiser Windhauch strich durch Blätter und Halme, und vereinigte sich mit der leisen Stimme, die nach ihm rief.«
– da der Leser schon weiß, daß die Stimme nach ihm ruft, kannst Du die letzten vier Wörter streichen.

»wusste er sofort das sie es war.«
– sofort, dass

»„Ich habe auf dich gewartet.“ Sagte er.«
– gewartet“, sagte

»Du weißt, dass ich hier bin, dass ich seit zwei Jahren immer hier war.“«
– das zweite »dass ich« könntest Du streichen, schöner fände ich aber »dass ich hier bin, die letzten beiden Jahre immer hier war.«

»Obwohl sie dabei aus dem Schatten des Eingangs heraus auf die Veranda trat,«
– würde vor »Veranda« »sonnige« einfügen

»Auffordernd winkte die dunkle Hand ihn zu ihr hin.«
– zu sich hin

»hielt aber vor der ersten Stufe«
– das klingt irgendwie nach Autofahren, würde eher schreiben: blieb aber vor der ersten Stufe stehen

»„Da ist eigentlich keine Tür.“ Sagte Leif und blieb stehen.«
– Tür“, sagte

»obwohl er sich sicher gewesen war, das er hier alles kannte.«
– dass

»Abgesehen von der Tatsache das sie tot war, war alles in bester Ordnung und«
– Tatsache, dass … Ordnung, und

»Er befand sich an einem Ende einer riesigen Halle.«
– »Er befand sich in einer riesigen Halle« würde reichen, denn wenn man durch eine Tür in einen Raum geht, befindet man sich automatisch an einem Ende – einer Wand – des Raums.

»das er schon vom Treppenabsatz oben gesehen hatte.«
– das er schon von oben gesehen hatte.

»reflektierte das Licht, das tatsächlich aus dem Boden zu kommen schien.«
– »tatsächlich« könntest Du streichen

»zumindest so weit, wie Leif es noch sehen konnte.«
– zumindest, so weit Leif sehen konnte.

»Ohne das Leif bewusst den Befehl dazu gegeben hätte,«
– Ohne, dass

»Leif konnte bis fast auf den Grund sehen, an dem durch helle Risse das strahlendes Licht fiel, das den ganzen Raum erhellte.«
– würde das umdrehen: fast bis
– »von dem« statt »an dem«, dann müßtest Du auch »fiel« durch z.B. »kam« ersetzen
– strahlende ohne s
– da wir bereits wissen, daß es den ganzen Raum erhellt, kannst Du den Zusatz streichen.

»fast als wolle sie an die Oberfläche dringen.«
– fast, als wollte sie

»sondern schien immer noch auf etwas zu ihren Füßen zu schauen.«
– »starren« würde auch gut passen statt »schauen«

»Nicht so tief, das er ein Auswuchs der schwarzen Masse sein konnte,«
– dass

»Im Moment konzentrierte sich Leif allerdings mehr auf seine Schwester, die trotz der Helligkeit noch düster wirkte, wenn jetzt auch mehr von ihr zu sehen war als oben in der Dunkelheit der Nacht.«
– den Satz könntest Du vielleicht entkomplizieren. ;-)

»Sie hätten den Tod ihrer Mutter auf dem Kindsbett nicht ohne den anderen verkraften können,«
– Kindbett ohne s
– »ohne einander« wäre schöner

»waren zusammen durch die harte Zeit gekommen,«
– durch die harte Zeit gekommen klingt irgendwie seltsam, Vorschlag: hatten zusammen die harte Zeit überstanden/durchgestanden

»von Drogen anstatt von seiner Schwester begleitet.«
– »von« würde ich streichen, statt »anstatt« fände ich »anstelle« oder nur »statt« schöner

»Tränen rannen jetzt sein Gesicht hinab.«
– »jetzt« könntest Du streichen

»Nicht, das es vom Tode gezeichnet war;«
– Nicht, dass
– glaube, hier wäre »gewesen wäre« richtig

»In die jugendlichen Züge hatte sich eine tiefe Traurigkeit gegraben, die er mehr fühlte, als das er sie sah.«
– als dass

»Jetzt, da ihn der Anblick ihres Gesichtes nicht mehr bannte, konnte auch Leif seinen Blick senken, um sich den Schatten unter ihnen anzusehen.«
– Jetzt, da der Leser schon weiß, wo der Schatten ist, kannst Du »unter ihnen« streichen. ;-)

»denn die Frau, die dort vom Eis eingefangen lag, war seine Mutter.«
– die dort im Eis gefangen lag

»hoffte inständig, das er sich getäuscht hatte.«
– dass

»verrschwunden«
– ein r zuviel

»war es dann nicht der natürliche Lauf dieser Dinge, das damit die Sache nicht abgeschlossen war, das er hier noch mehr fand?«
– beide: dass

»Verzweifelt schluchzend wollte er den Blick abwenden, doch dann fiel sein Blick auf einen kleineren dunklen Fleck,«
– Wiederholung »Blick«

»Der Anblick seiner Mutter zerschlug alle Bastionen, der über Jahre hinweg mit Drogen betäubte Schmerz stürzte über ihn herein und brachte ihn fast um den Verstand.«
– würde die Sätze stärker als durch einen Beistrich teilen, durch einen Punkt oder Strichpunkt, oder dem Beistrich noch ein »und« mitgeben, damit man den zweiten Satz gleich richtig betont liest; so dachte ich nämlich erst, »der über Jahre hinweg« wäre eine Ergänzung zu den Bastionen und mußte dann noch einmal zurücklesen.

»Nora stand neben ihm und wartete darauf, das er wieder klar denken konnte. Sie standen nicht mehr in der Mitte der Halle,«
– dass
– Wiederholung »stand(en)«

»er war sich lediglich sicher, das es nicht Nora war, die ihn hierher geschafft hatte«
– dass – vielleicht kannst Du ja den einen oder anderen dass-Satz umformulieren?

»„Geht es wieder?“ fragte Nora, ohne richtig besorgt zu klingen.«
– wieder?“, fragte

»„Das“, sagte sie und wies mit einem ausgestrecktem Arm in die Halle hinein,«
– mit einem ausgestreckten Arm

»Er kannte die Trauer, weil sie schon immer ein Teil seiner selbst war.«
Selbst

»„Es tut mir leid. Du tust mir leid.«
– beide: Leid

»Dann geschah etwas Seltsames: die Schatten um sie herum verdichteten sich für einen Moment,«
– ganzer Satz nach dem Doppelpunkt, daher groß weiter: Die

»bemerkte er, ohne großartig überrascht zu sein, das die der Treppe gegenüberliegenden Wand einem weiteren Treppenabsatz gewichen war.«
– dass
– gegenüberliegende ohne n

»Von diesem führten weitere Stufen hinunter in die Dunkelheit. Während Leif hinunterstieg fragte er sich, was in dort wohl erwartete,«
– Wiederholung »hinunter«
– was ihn dort

»Wärme umfing ihn, je tiefer er kam und auch hier fiel von unten ein Leuchten auf die letzten Stufen.«
– kam, und – allerdings fehlt dem »je« ein »desto« oder »umso«, z.B. Je tiefer er kam, desto mehr Wärme umfing ihn, und auch hier …

»eine hatte sich sogar noch weiter vorgewagt und suchte vor seinen Füssen auf dem grauen Betonboden nach Halt.«
– Füßen

»Hier und dort wuchsen Blumen, von bunt gefleckten Schmetterlingen besucht und hinter einem dicken Strauch huschte«
– besucht, und

»Durch die Kronen der Bäume konnte Leif einen in sanftes Blau getauchten Himmel sehen.«
– statt »sehen« fände ich vom Klang her »erkennen« oder »ausmachen« schöner

»Leif nahm jede Einzelheit des Bildes in sich auf während er«
– auf, während

»„Ich...ich weiß nicht.“«
– Leertasten

»als ob er irgend etwas vergessen hätte und als er weiter schwieg und sich nur staunend umsah,«
– hätte, und
– weiterschwieg zusammen

»Seine Schwester seufzte theatralisch, fasste seine Hand und zog ihn mit sich.«
– wie gesagt, wenn Du willst, daß sich die Geschichte auch als LSD-Trip lesen läßt, paßt das nicht ganz. Laß sie ihn vielleicht mit den Blicken mit sich ziehen.

»Leif ließ es mit sich geschehen, denn in Gedanken war er mit etwas anderem beschäftigt, eine Erinnerung an ihre gemeinsame Kindheit drängte sich ihm auf. Der Wald...der Sommer...es war beinahe wie damals.«
– Vorschlag: denn in Gedanken war er in der gemeinsamen Kindheit, fühlte den Wald, den Sommer wie damals.

»bemerkte erstaunt, das der schwarze Schleier,«
»Leif war glücklich und kurz blitzte die Hoffnung auf, das vielleicht doch«
»da sah er, das die Dunkelheit nicht fort war;«
– jeweils dass

»Es waren Kinder, deren fröhlichen, lachenden Stimmen auf sie zukamen.«
– fröhliche, lachende jeweils ohne n

»„Paß auf, wo du hintrittst.«
– Pass

»Mißbilligend sah Leif auf die nackten Füsse seiner kleinen Schwester.«
– Füße

»Mit seinen acht Jahren war er unendlich viel älter als sie – sie war gerade mal sieben! -und demzufolge«
– den zweiten Gedankenstrich auch lang und mit Leertaste dahinter

»„Paß gut auf meine kleine Tochter auf«
– Pass – würde aber hier wegen der Wiederholung »Gib gut auf meine kleine Tochter Acht« schreiben

»als sie in den Wald gelaufen war, der sich an die große Rasenfläche anschloß.«
– anschloss

»„Rennt nicht zu weit weg, ihr kennt euch hier noch nicht aus!“ hatte sein Vater noch hinter ihm hergerufen als«
– aus!“, hatte … hergerufen, als

»und achtete nicht auch nur ein bisschen darauf, wo sie hintrat!«
– würde eher einen Punkt statt dem Rufzeichen machen

»Es stand auf einer Lichtung und obwohl die Sonne beinahe senkrecht am Himmel stand, wirkte es wohltuend abenteuerlich.«
– Lichtung, und
– »obwohl« und »wohltuend« – Wiederholung »wohl«

»„Komm, wir spielen Cowboy und Indianer!“ rief Nora«
– Indianer!“, rief

»Die Erkenntnis, das zwischen dem Jungen und ihm selbst Jahre lagen,«
»und er sah, das sie ihm gerade tausend Dinge hatte sagen wollen,«
– dass

»„Bitte Nora, kannst Du mir endlich sagen, was hier geschieht?“«
du

»„Bitte Nora,“, beinahe flehte er, „rede mit mir.“«
– Du konntest dich wohl nicht entscheiden, ob der Beistrich inner- oder außerhalb des Anführungszeichens steht? ;-) Aber mittlerweile weißt Du es ja.

»tauchte auf wie ein feingliedriges Fischernetz und die Trauer und der Schmerz und die Angst blieben an den mit Glück getränkten Fäden hängen.«
– Fischernetz, und
– irgendwie will mir dieser Vergleich auch nicht so recht gefallen

»Leif hatte noch nicht einmal ahnen können, daß es so etwas überhaupt geben kann und sein Verstand flüchtete und versteckte sich...seine Schwester«
– dass
– geben kann, und
– Leertasten vor und nach die drei Punkte

»Ein Tentakel schoss gierig in das Innere des Kopfes von IHR. Doch da war nichts mehr. Der Lockruf hatte so viel verbraucht.«
– in das Innere ihres Kopfes
– »hatte so viel verbraucht« ruft eigentlich nach einem Vergleich, würde das »so« streichen.

»Das Tentakel zuckte unkontrolliert herum, bohrte sich tiefer in den Körper von IHR,«
– in ihren Körper

»Wehklagen hallte durch die Welt und vereinzelt leuchtete die elektrisierte Luft in mattem weiß-blau auf.«
– Welt, und
– in mattem Weißblau oder Weiß-Blau

»Das die Tür hinter ihm mit Wucht zuschlug,«
– Dass

»„Nora?“ fragte Leif mit weinend lachender Stimme.«
– „Nora?“, fragte

»wirbelte den Körper von IHR in der Luft herum, wollte sich befreien und schließlich riss er und gab es frei.«
– ihren Körper
– der Bezug von »wollte sich befreien, und schließlich riss er« wird nicht so richtig klar, besonders, wenn man ein paar Zeilen später liest, daß erst dann ein tentakelähnlicher Arm die Schwester zerreißt. Und wer gab was frei? »riss er« braucht außerdem sowas wie »entzwei« oder »auseinander«.

»Leif verlor nicht den Verstand ob dessen, was er da sah – sein Verstand hatte sich schon aus dem Geschehen ausgeklinkt und außerdem ging alles viel zu schnell.«
– statt daß sich sein Verstand ausklinkt, könnte er sich hier zum Beispiel wünschen, daß er endlich von dem Trip runterkommt.

»Als letztes sah er die zwei Tentakel,«
– Als Letztes

»Er lachte und weinte noch solange, bis es sich zu ihm heranzog.«
– so lange auseinander


Alles Liebe,
Susi :)

Sauerkraut auf der Tastatur ist toll. Ich hab es vorher noch extra fein geschnitten… :D

 

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