- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 5
Gefangen im Adrenalin
Es gibt zwei Arten von Menschen:
Die, die wissen, dass man das Schicksal nicht steuern kann.
Und solche, die es tun.
Bis heute hätte ich mich eigentlich in erstere Kategorie eingeordnet.
Aber dann hat sich alles geändert.
------------
In diesem Teil der Stadt gibt es nur eine einzige unscheinbare Straße. Sie führt zum größten Kasino meines Landes, wo gerade der "World Cup of Poker" ausgetragen wird.
Wie es der Zufall so traf, bin ich ein Teilnehmer eben jener. Der Sensationsjunge der Medien, doch hatte ich immer das Gefühl, dass ich mit meinen 24 Jahren noch nicht für das hier geschaffen bin.
Eine Lüge. Ich liebe das Kitzeln in meinen Händen, die letzte Ungewissheit bevor der Dealer die Karten aufdeckt, den Moment, wo mein Gehirn überschwemmt wird von Adrenalin.
Man könnte glauben, auf einer Meisterschaft wie dieser finden sich nur hochintelligente kalkulierende Menschen.
Ich glaube wir sind einfach alle verrückt.
Das Spiel ist bereits fortgeschritten, zwei meiner vier Gegner sind ausgeschieden.
Ich habe diese Runde ausgesetzt, weil ich noch nicht vertraut genug mit meinen Gegnern bin um mit einer Pik-Eins und einer Herz-7 einen Bluff zu beginnen. Wir müssen bereits so hoch setzten, dass wir uns nicht mehr viele Runden leisten können.
In mir braut sich so ein Gefühl zusammen, dass diese Partie bald vorbei sein wird.
So schnell können eine Million Dollar ihren Besitzer wechseln, ein Leben vernichten und ein anderes erblühen lassen.
Wegen dem Geld kommt allerdings selten jemand bis zu den Weltmeisterschaften. Alle an diesem Tisch sind geprägt von ihren jeweiligen Schicksalen, meistens nicht die leichtesten.
Ich brauche das Geld mindestens so dringend wie das Adrenalin.
Meine Eltern haben in einem der schlechteren Viertel meiner Heimatstadt gelebt, wir haben nie Luxus in unserem Leben gehabt, aber wir sind über die Runden gekommen. Doch dann verließ mein Vater mich und meine Mutter und die Geldsorgen kamen. Mum musste einen Kredit bei einer zweifelhaften Bank aufnehmen. Mit dir Zeit haben sie die Zinsen praktisch innerlich zerfressen, sie sitzt nun auf gut neunhunderttausend Dollar Schulden. Gewinne ich heute, dann könnte ich sie auszahlen.
"Fold", kaum sind diese Worte gesprochen, fixiere ich meine Augen auf meinen über gebliebenen Gegner.
Ich habe im Verlauf der letzten harten Tage gegen viele Gegner gewonnen, oft sehr knapp, doch jetzt sitze ich meinem letzten Gegner gegenüber.
Ein Mann Mitte Vierzig sitzt mir gegenüber, sein Gesicht ist gezeichnet von Falten, dennoch sieht es so aus, als ob er in seinem Leben viel gelacht hat, seine Lachfalten stechen besonders hervor.
Ein dummer alter Mann? Soll ich so leicht gewinnen?
Doch kaum sieht er mir in die Augen bemerke ich, dass ich ihn falsch eingeschätzt habe. Sie wirken erfahren, fast schon weise.
Natürlich kenne ich ihn, ein alter Meister seines Fachs, der ehemaliger Weltmeister. Doch auch er ist nicht aus reinem Spaß hier, neben dem Pokern zockt er auch noch in anderen Glücksspielen mit seinem Geld. Er ist süchtig und wahnsinnig hoch verschuldet.
Ich muss vorsichtig sein, dennoch rechne ich mir sehr gute Chancen aus ihn zu schlagen.
Stück für Stück teilt der Dealer die Karten aus. Ich blicke auf meine zwei Karten. Karo-7 und Karo-8. Eine gute Hand, vielleicht kann ich diese Partie früher beenden, als ich es mir erhofft hätte.
Er blickt auf seine Karten und spricht: "Weißt du, ich habe das Gefühl, dass du auch nicht lange um den heißen Brei herumreden willst.
Lass uns das in dieser Runde beenden, du, ich und diese Chips hier."
"Einverstanden.", antworte ich und im Publikum kann man ein erschrockenes Luftholen hören.
Der Dealer deckt die erste von drei Karten auf, Karo-9.
Mein Gegner scheint davon nicht besonders erfreut zu sein, wenngleich man es ihm beinahe nicht anmerkt, allerdings kann man für den Bruchteil einer Sekunde sehen wie sich sein Gesicht verzieht.
Gespannt begutachte ich die Erscheinung des Dealers, ein Mann um die dreißig, mit langem braunen Haar und einer eher spitzen Nase. Seine Hände werden heute über Sieg oder Verlust entscheiden.
Er deckt die zweite Karte auf. Karo-König. Jetzt sehe ich kein Zeichen des Ärgers mehr in seinem Gesicht, wenngleich er immer noch angespannt wirkt. Jetzt Karo-10. Ich erhöhe, aber wir scheinen uns beide zu freuen. Mir dämmert was für Karten er in der Hand hält, wahrscheinlich einen Buben und eine Königin. Dennoch stehen meine Chancen besser. Ein Royal Flush, die beste Kombination die man als Pokerspieler haben kann, ist so unwahrscheinlich, dass ich sie eigentlich ignorieren kann. Keine Erhöhung, wir gehen beide in die nächste Runde.
Der Dealer hebt die Karte an und dreht sie langsam.
Karo-6, dass ist die Karte die nun über mein Schicksal entscheiden soll.
"All-In", sage ich mit der größten Zuversicht die ich vermag in meine Stimme zu legen. Ein Straight Flush. Ich kann gar nicht fassen, wie viel Glück ich habe. Er wird nervös, der Schweiß rinnt ihm von seiner Stirn, man merkt wie konzentriert er gerade kalkuliert.
Doch auch ich bin mir nicht sicher, ob ich alles setzten hätte sollen. Er kann immer noch die eine Kombination haben, die meinen Straight Flush in Rauch aufgehen lässt.
"Gleich wird einer von uns zwei sehr viel Geld verlieren, dennoch, ich stehe zu meinem Wort. All-In"
Der Saal verstummt. Es ist, als ob die Luft in dem Raum kurz davor ist Feuer zu fassen.
Andere Menschen hätten in diesem Moment vermutlich aufgegeben, gerettet was noch zu retten ist.
Doch er und ich, wir sind anders. Wir sind gefangen in unserer eigenen Sucht nach dem besten Kick, dem Rausch des Adrenalin, wir wollen fühlen, wie es durch unsere Adern gepumpt wird. Deswegen sind wir nicht genial, wir sind einfach krank. Aber manchmal muss man erst abnormal sein um wirklich etwas bewegen zu können.
Der Dealer deckt die Karte auf, es kommt mir vor als ob sich seine Hand in Zeitlupe bewegen würde und dann, ohne Vorwarnung, nach einer Sekunde ist es vorbei.
Mann kann seine Stimme hören, wie er dem Publikum die letzte Karte verkündet.
"Und die letzte Karte ist ... ein Karo-Ass"
...
..
Ich kann es nicht fassen, dennoch zweifle ich immer noch. Wahrscheinlich hat er nur geblufft, niemals kann er diese Kombination haben. Wir sehen uns noch einmal an und ich muss an meine Mutter denken, die wahrscheinlich gerade in ihrem alten Röhrenfernseher meine Partie verfolgt.
Dann spricht er: "Es war eine schöne Runde. Manchmal im Leben muss man erkennen, wann man verloren hat."
"Nur nicht heute. Royal-Flush."