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Gefesselt
Karin presst den Hörer ans Ohr, um die Telefonstimme zu verstehen. Eine Patientin nuschelt, das Anliegen umständlich.
Karin ist da, um zu dienen. Daher beruhigt sie die Anruferin mit ihrer weichen Stimme. Einer Stimme die sich verflüssigen willl, die nett sein will. Entschlossen ist und Zuversicht erzählt. Die Frau am anderen Ende der Leitung glaubt dieser Stimme und Karin schließt das Laptop. Für heute ist es genug. Sie muss noch Mittagessen kochen, die Kinder kommen bald aus der Schule.
Es ist nachmittags, als Karins kleine Schwester anruft. Die Mutter ist siebzig und wohnt gemeinsam mit der Schwester im elterlichen Haus. Karin hat auf ihr Erbe und die Mutter verzichtet, als der Vater gestorben ist. Die Schwester hingegen nicht und beklagt sich.
„Mama kann nicht alleine bleiben“, heult es durch die Leitung. Das Gespräch knackt und knistert, kommt aus Thailand.
„Ich werde nach ihr sehen“, hört sich Karin sagen. Verdammt. Die Großeschwesterfalle hat zugeschnappt. Karin hasst es, wenn ihre Schwester sie mit der Mutter überrumpelt.
Zweihundertzehn. Die Tachonadel steigt, wie die Zeigt verfliegt. Karin drückt das Pedal noch weiter durch und bei Zweihundertvierzig kribbelt ihre Kopfhaut.
Ein gelbes Postauto schert aus. Wird zu einem stehenden Hindernis auf der Überholspur, die Zeit springt zurück auf Normalspur als Karin bremst. Ein Blick in den Spiegel, ihre Lippen sind praller, der Duft, den sie verströmt, füllt den Innenraum des Flitzers.
Mama geht es gut, natürlich, die kleine zierliche Alte, hat einfach nicht den Hörer abgenommen, will eigentlich nur die Zeit genießen, die ihr noch bleibt. Karin lächelt, sie versteht ihre Mutter gut.
Das Auto ist ein Zweisitzer. Karin parkt mühelos ein, schnappt sich ihr Fahrrad, um den Nachwuchs vom Kreativkurs abzuholen.
Die Zubettgeschichte kuschelt sie aneinander. Karin liest eine zweite Geschichte, als die süßen Mädchen es verlangen. Mit Luftküsschen verabschiedet sich Karin aus den Zimmern und dem Tag. Die Nacht ist noch jung, als Karin erwartend aus dem Fenster schaut. Ein leichter Wind geht und die Blätter fallen langsam sinkend zu Boden.
Ihr Gebieter kommt eine Stunde später. Haut blüht rot und geschwollen auf. Die Schandgeige fesselt nur eine Hand, damit sie noch die Bodenfliesen säubern kann. Sie keucht und reibt, wienert, bebt. Was wird er tun? Er kommt von hinten ganz nah. Sie spürt seinen Atem im Nacken. Ist es sauber genug? Die Baumgerte pfeift durch die Luft.
Ihre Striemen verbirgt sie noch vor dem Frühstück und den Kindern unter einem weißen langärmeligen Rolli.