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Gefrierbrand

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06.06.2005
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Gefrierbrand

Das Schweigen steht im Esszimmer wie eine Erektion im Beichtstuhl. Nur das Geräusch des arbeitenden Bestecks erinnert daran, dass mein Gehör noch funktioniert. Metall auf Porzellan. Gabel an Schneidezahn.
Auch das zarte Fleisch der Roulade kann mich nicht von dem letzten Satz ablenken, den du ohne Vorwarnung in die abendliche Zweisamkeit geschmettert hast.
Ich bemerke die Soßenreste in deinen Mundwinkeln, das selbstherrliche Kauen, das nur zutage tritt, wenn du selber das Essen zubereitet hast.
Ein wenig Sport täte mir deiner Meinung nach also gut. Ein bisschen Bewegung zum Ausgleich zu der sitzenden Tätigkeit. Ich weiß, wohin das führt.
Über deine Arroganz habe ich mich, wenn ich mich recht entsinne, nie negativ geäußert. Dich sogar in Schutz genommen, wenn die wenigen verbliebenen Freunde mir sagen, dass du irgendwie ein bisschen eingebildet daherkommst. Ich gehe nicht davon aus, dass du mich verteidigst, wenn deine Kolleginnen behaupten, ich hätte etwas zugelegt.
Mein Messer kratzt etwas zu laut über den Teller. Die daraufhin einsetzende Stille schluckt die vorherige, verdaut alle vergangenen Laute und scheidet ein Vakuum aus, das mir die Luft zum Atmen nimmt.
Du brauchst nicht zu denken, ich sehe nicht, wie du deine Augen verdrehst, während du mit demonstrativer Leichtigkeit das zartweiche Fleisch durchschneidest und die Gabel in Richtung deines taubenähnlich nickenden Kopfes führst.
Ich löse die Krawatte, die du mir für unsere gemeinsamen Abende besorgt hast. Du meinst ja, es sei wichtig auch zuhause gut auszusehen. Gierig sorgen meine Lungen für das Nötigste an Sauerstoff.
„Aus Respekt vor dem Anderen“, sagst du immer.
Respekt, dass ich nicht lache. Was hat das Tragen einer blöden Krawatte mit Respekt zu tun?
Ich sitze hier in einer Wohnung, die du eingerichtet hast, in einem Anzug, den du ausgesucht hast, und esse eine Roulade, die du zubereitet hast. Zu guter Letzt willst du jetzt auch noch, dass ich Sport treibe. Mir das angefressene Fett von den Hüften pumpe und redest von Respekt?
„Ich finde dich einfach nicht mehr attraktiv“, sagst du jetzt also.
Wenn du wüsstest, wie lange ich dich schon nicht mehr attraktiv finde. Wie mir deine Geiernase auf den Keks geht, deine schwimmflügelartig aufgepumpten Brüste in mir Assoziationen wecken, die mit vielem zu tun haben, nur nicht mit Erotik oder gar Schönheit.
„Ich glaube nicht, dass wir, wenn du weiter so aussiehst, noch mal Sex miteinander haben werden.“
Großer Gott, wie kommst du denn darauf, dass ich noch mal Sex mit dir haben will? Lieber geh ich weiterhin zum Bahndamm und zahl die paar Euros (die finden meinen Schwanz auch nicht zu salzig).
Du schiebst den leer gegessenen Teller in Richtung Tischmitte und wirfst mir deinen „Du machst heute den Abwasch“-Blick zu, begleitet von dem „Ich mach ja sonst schon alles“-Gesichtsausdruck.
„Ich habe ja gekocht“, sprichst du jetzt auch noch laut aus.
Das steht zwar im krassen Gegensatz zu deinem „Wer kocht, wäscht auch ab“-Blick, den du mir zuwirfst, wenn ich, wie eigentlich meistens für das Abendessen gesorgt habe, aber das hast du wohl mal wieder vergessen. Zumindest soll das mein „Ich war doch gestern erst dran“-Gesicht demonstrieren.
„Brauchst gar nicht so zu gucken, du kannst ruhig auch mal was tun.“
Immerhin arbeite ich fünfzig Stunden in der Woche, während du drei Stunden am Tag irgendwelcher Leute Fingernägel bearbeitest und dabei wahrscheinlich allen erzählst, was für einen Schwachkopf von Ehemann du hast.
Erzählst du ihnen auch von unserem fünfzehnten Hochzeitstag, wo du ohne zu klopfen ins Bad gestürmt kamst, wo ich gerade am wichsen war. Erzählst du dann auch weiter, wie du dir Trost bei deinem Therapeuten suchtest, er aber unanständige Sachen mit dir vorhatte ... Erzählst du das auch?
Aber die aufgetakelten Weiber lachen sich dann wahrscheinlich trotzdem ins Fäustchen und erzählen von ihren Dickerchen und deren Erektionsproblemen. Ach nein, die sind ja alle so gefühlsbetont. Nicht so rohe Klötze wie ich einer bin. So zumindest tischt du mir die Geschichte dann auf.
Wie du mir dann auch immer wieder mitteilst, soll der Mann, den du dir wünscht, einfühlsam sein und romantisch. Er soll dich umgarnen und dir Komplimente machen. Komplimente, wofür denn?
Dieser Klischeemann soll auch um dich kämpfen, dich hart rannehmen und die Möglichkeit, für dich zu töten, zumindest in Betracht ziehen.
„Einen richtigen Mann halt“, pflegst du zu sagen.
Zumindest den letzten Punkt könnte ich dir erfüllen. Es wäre ja auch für dich eine Erlösung.
Ich stehe auf, um das dreckige Geschirr in die Küche zu bringen und den Abwasch zu erledigen, während du, den Blick auf die Tischdecke gesenkt, deine geschminkten Lippen mit der viel zu teuren Serviette abtupfst. Du schüttelst kaum merklich den Kopf, wobei dein Seufzer weniger subtil ausfällt. Deinem Blick zu meinem Platz folgend bemerke ich den Stein des Anstoßes.
„Sogar zu blöd zum Essen“, sagst du jetzt. Meine Krawatte wird wieder enger.
Warum schafft die das nur immer, ohne zu kleckern. Vielleicht bin ich wirklich ein Idiot. Zumindest war ich es vor neunzehn Jahren und ganz bestimmt an diesem einen Tag.
Du bemerkst den kurzen Anflug von bitterer Heiterkeit in meinem Gesicht, legst deine Serviette ab und bewegst dich in Richtung Rattansofa (das du natürlich ausgesucht hast), um den alltäglichen Fernsehabend einzuläuten.
Ich widme mich dem Abwasch, genieße die Atemfreiheit der Küche und bin voller Vorfreude auf den morgigen Abend, an dem ich die Erlaubnis habe, meine ebenfalls etwas übergewichtigen, verheirateten Kumpels zu treffen, um bei ein paar Bier über unsere Frauen zu meckern, unsere imaginären Affären bis ins kleinste Detail voreinander auszubreiten und uns einfach mal wieder wie richtige Männer zu fühlen, ohne Kopfschütteln von euch zu ernten. Denn für so etwas habt ihr kein Verständnis. Nennt es Treffen der Verlierer und brecht Streitereien vom Zaun, damit wir es uns über Kurz oder Lang zwei mal überlegen, daran teilzunehmen. Aber eine Sache überseht ihr bei eurer Vorstellung von einer perfekten Ehe: Wenn ihr uns die Eier abschneidet, müsst ihr euch auch nicht wundern, wenn wir fett werden.
Du rufst meinen Namen mit der gewohnten Dringlichkeit. Sitzt vor der Glotze und bist mal wieder zu faul, dir deinen Scheiß selber zu holen.
„Du kannst ja auch mal was für mich tun“, könntest du sagen, zumindest klänge es vertraut.
Ich stehe vor dir und deinem Sofa, mit der Spülschürze, die du mir vor ein paar Jahren mal geschenkt hast, und es dauert erst mal, bis du deine Aufmerksamkeit vom Fernseher losbekommst und mir als Belohnung für mein promptes Erscheinen dein Anliegen mitteilst.
„Ich habe Eis mitgebracht, ist im Kühlschrank.“
Das Lächeln, das du dir abmühst, wirkt so künstlich wie dein Gebiss. Trotzdem erwidere ich es, beende meine haushaltliche Pflicht und portioniere zwei Eisbecher mit einem Schuss Sprühsahne und Eierlikör.
Dass du dich dann doch dafür entscheidest, auf dein Dessert zu verzichten, weil ich dir viel zu viel Sahne draufgemacht habe (und Eierlikör sowieso nicht dein Ding ist), bringt mich in die glückliche Situation, zwei Eisbecher für mich alleine zu haben. Was mich ein wenig darüber hinwegtröstet, dass du die Fernbedienung auch an diesem Abend nicht mehr aus der Hand geben wirst. Aber Pretty Woman haben wir ja auch schon lange nicht mehr gesehen.

 

Hallo Krilliam,

bedrückende Szenen, die Du da zeichnest in Deiner Geschichte.

An manchen Stellen hat es mich an den Film "Der Rosenkrieg" mit Michael Douglas erinnert. Dort gibt es auch eine Szene am Esstisch. Die beiden sitzen 10 Meter auseinander und sie beschreibt seine Art zu essen und wie sie es hasst, ihm dabei zuschauen zu müssen.

Deine Prota ist ja widerlich, aber Er kommt auch nicht so gut weg, jedenfalls nicht bei mir. Ich weiß nicht, wie ich ihn einordnen soll. Auf der einen Seite das arme Schwein, auf der anderen selbst schuld, denn in gewisser Weise hat sie ja auch wieder Recht.

In Anzug und Krawatte zum Abendessen mit der Holden? Würde ich das von meinem Mann verlangen, wären wir längst geschieden.
Solche Szenen - undenkbar, aber dennoch vorstellbar ;).

Sehr, sehr gerne gelesen und viel Spass dabei gehabt, vor allem, wenn's einen nicht betrifft. Das ist das Schönste.

LG
Giraffe :)

 

Hallo krilliam,
ich will keine Fortsetzung, ich will wissen, wie’s angefangen hat mit den beiden! War da mal Liebe? Oder war es für beide von vornherein ein Kompromiss? Vielleicht liegt's auch daran, dass ich gerade "Revolutionary Road" gesehen habe...
Na ja, musst Du nicht beantworten. Herrliche Darstellung dieses schaurigen Lebens. Sie dominiert bis ins Fernsehprogramm, er flüchtet sich ins Eisessen oder zum Wichsen ins Bad. Wie gruselig kann das Leben sein!
Vielen Dank!
TeBeEm

 

Hallöchen,

@Giraffe:

Den Rosenkrieg schlich sich natürlich auch immer wieder in mein Gedächtnis, vor allem weil ich gerade diese Szenen des Films besonders mochte. Wo die ABneigung noch subtiler war. Schon fies. Da ist es aber er, der beim essen nickt

Deine Prota ist ja widerlich, aber Er kommt auch nicht so gut weg, jedenfalls nicht bei mir.
Nee nee, der is schon auch kein Held.

In Anzug und Krawatte zum Abendessen mit der Holden? Würde ich das von meinem Mann verlangen, wären wir längst geschieden.
Das ginge wohl nicht nur dir so ;) Aber ich glaube schon, dass es das in ähnlicher Form tatsächlich geben könnte.

Sehr, sehr gerne gelesen und viel Spass dabei gehabt, vor allem, wenn's einen nicht betrifft.
Vielen, vielen Dank. Das freut mich wirklich. Und es freut mich natürlich auch, dass es dich nicht betrifft.

Hey TeBeEm,

ich will keine Fortsetzung,
Die wird es grob geschätzt auch nicht geben, zumindest nicht sobald.
wie’s angefangen hat mit den beiden! War da mal Liebe?
Also, davon bin ich eigentlich schon ausgegangen. Kann man aber sehen wie man will.
Vielleicht liegt's auch daran, dass ich gerade "Revolutionary Road" gesehen habe...
Ja, den habe ich auch vor einiger Zeit gesehn. Fand ihn ziemlich zäh. Aber auch nicht unfies.

Wie gruselig kann das Leben sein!
Ziemlich gruselig.

Vielen Dank!
Oh, sehr gern geschehen.

Beste Grüße an Euch
krilliam

 

Hallo krilliams Bolderson

Die Geschichte hätte mir gefallen, wenn dein Protagonist (der wirklich kein Mann ist ;P) seine Protagonistenfrau nicht ständig in Gedanken ansprechen würde. Das nervt mich als Leserin. Ich mag das generell nicht mit dieser "Du-Perspektive" wie ich es nenne.
Aber das wirst du vermutlich nicht ändern, kann man machen, es soll Menschen geben, die das gut finden.
Ich weiß auch nicht genau, warum ich das nicht mag, vielleicht weil es so brief-artig klingt, so überhaupt nicht literarisch (für mich) und keine Ahnung, es ist mir auch zu passiv, dieses im Kopf des Prot.s zu hocken und von ihm so krass gelenkt zu werden.

Das war jetzt kein Verriss, ich weiß. Aber das nächste Mal gibt's einen, und dann heulst du wie ein kleines Mädchen, krilliam Bolderson. (Harharhar)

JoBlack

 

Hey Jo,

ändern werde ich in die von dir vorgezogene Richtung tatsächlich nichts, auch wenn ich nun damit leben muss, dass du die "Du Form", wie du sie nennst nicht leiden kannst.
Wie ich aus sicheren Quellen weiß, bist du nicht die Einzige, die diese Geschichte nicht mag. Und das ist ja auch gar nicht schlimm. Meine Tränensäcke mussten eh mal wieder durchgespült werden.

Aber die Geschichte ist ja schon eigentlich in der "Ich Form", wie ich sie nenne, geschrieben. Das "Du" sollte nur die Diskrepanz zwischen dem Gedanken und der nicht vorhandenen Handlung kompensationiertsende ... Ach, besser nicht.

Und wer ist es denn nun, der hier heult wie eine kleine Jo Black (Herherherher)

Beste Grüße
krilliam Bolderson

 

Hallo Krilliam,

als Begleitmusik zum Lesen deines Textes würde ich das Lied "Du lässt dich gehn" von Charles Aznavour empfehlen. Der männliche Blickwinkel ist fast identisch. Dein Text ist unterhaltsam geschrieben, wobei ich - vergleichbar mit der Kritik von yours truly - am Ende irgendwas vermisste, etwas, das über die Gedanken eines Pantoffelhelden hinausgeht, etwas, das aus der beschriebenen Situation mit einem Kunstgriff mehr herausholt. Aznavours Lied z. B. gelingt eine solche überraschende Wendung am Ende. Und Möglichkeiten gäbe es ja, sie liegen fast auf der Hand. Es kann etwas Böses oder etwas doch noch Versöhnliches sein. So aber liest man die Geschichte und denkt am Ende nur "Gott, was für ein Waschlappen". Und das war's dann. Erstaunlich dabei ist, dass ich bei diesem Text ein ziemliches klares Bild von dem Mann gewinnen konnte (obwohl du den ja nur über seine Gedanken beschreibst, kaum über sein Aussehen), während ich die Frau (der du viele bissig-optische Eindrucke zuordnest) als Bild nicht auf die Reihe bekomme. Die Figur der Frau wird eindeutig zu Karikatur, fast wie eine gezeichnete Witzfigur, während der Mann mir erschreckend real erscheint, wie Herr Soundso, dem man gerade noch traf, als er den Müll wegbrachte, mit seiner ewigen sauertöpfischen Leidensmiene und den grässlich gemusterten Hemd.

Egal, deine Geschichte erfüllt unbestritten den Unterhaltungsanspruch und verschenkt darüber hinaus eindeutig die Möglichkeit, mehr zu sein, als Unterhaltung. Das ist nicht schlimm. Aber schade - zumal ich deinen Biss aus älteren Texten kenne.

Rick

 

Hi Jo und Rick:

Nach so viel positiver Resonanz muss ich in meinen Antworten jetzt wohl umdenken. Da ihr zwei eher in die Kerbe haut, die ich erwartet habe, sollte mir das nicht schwer fallen ;)

ernsthaft noch mal zu dir Jo: mir war bewusst, dass die "Du-Perspektive" nicht sonderlich beliebt ist (unter anderem auch nicht bei mir) Ich habe mir aber eigentlich Mühe gegeben, dass es nicht briefmäßig rüberkommt. Hat wohl zumindest bei dir nicht so gefunzt.

Hey Rick:

als Begleitmusik zum Lesen deines Textes würde ich das Lied "Du lässt dich gehn" von Charles Aznavour empfehlen.
Kenne ich beides nicht, werde aber mal danach Ausschau halten (hoffe, es geht nicht in eine ähnliche Richtung wie Cicero (nimms nmir nicht übel, Makita ;) )
Dein Text ist unterhaltsam geschrieben, wobei ich - vergleichbar mit der Kritik von yours truly - am Ende irgendwas vermisste,
mhm, das kann gut sein. Für mich war diese Lösung die bestfieseste, weil sie nicht darauf hindeutet, dass sich an der Situation irgendwann ein mal was ändern wird.

Und Möglichkeiten gäbe es ja, sie liegen fast auf der Hand.
Das stimmt wohl. Aber wie ich an anderer Stelle schon bemerkte, kam es mir gerade auf eine wenig drastische Auflösung an, weil es zumindest für mich die Lösung mit dem übelsten Beigeschmack darstellt. Hatte er sie umgebracht, wäre er befreit. Hätte er sie verlassen, wäre er befreit. Hätten sie sich ausgesprochen, wären sie beide zumindest kurzfristig befreit. Ich denke einfach, dass das so die übelste Lösung sein konnte. Aber bei dir und yours und bestimmt auch vielen, die gar nichts dazu sagen, hat das wohl einfach nicht hingehauen. Damit werde ich wohl auskommen müssen.

Die Figur der Frau wird eindeutig zu Karikatur,
Ja genau, aber eher ein Zerrbild, weil er sie in dem Moment einfach so wahrnimmt.

Egal, deine Geschichte erfüllt unbestritten den Unterhaltungsanspruch und verschenkt darüber hinaus eindeutig die Möglichkeit, mehr zu sein, als Unterhaltung.
Das bin ich von mir aber schon gewohnt ;)

Obwohl:

Das ist nicht schlimm. Aber schade - zumal ich deinen Biss aus älteren Texten kenne.
Ich habe meinen Biss verloren !!! :heul:

Ich danke Euch für Eure Meinung und nehme sie ernster, als man vielleicht zunächst annehmen mag

Beste Grüße
krilliam

 

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