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Geile Zeit

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19.08.2015
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Geile Zeit

Ständig habe ich Angst. Eine Scheißangst vorm Sterben. Sie sitzt mir im Nacken. Tag und Nacht. Lässt mich kaum zur Ruhe kommen. Es fühlt sich an wie in einem Film, in dem ein Mädchen von einem Kerl verfolgt wird, der ihr an die Wäsche will. Sie rennt und rennt und rennt, und er ist ihr dicht auf den Fersen; sie riecht seinen stinkenden Atem, rennt schneller, hängt ihn ab. Er hetzt nach, holt auf und ist wieder hinter ihr. Die junge Frau, sie läuft um ihr Leben. Schwitzt, keucht, weiß, am Ende wird er sie kriegen.

Doch es gab mal eine Zeit, da konnte ich die Pausetaste drücken und ein ganz normales Mädel sein. Dann stand ich in der Turnhalle. Verteilte Kreidestaub auf meinen Händen, und alles war ruhig. Nur Friede und Stille in meinem Kopf. Oder wenn ich mit Jayden zusammen war – noch viel besser. Wie hunderttausend, ach was, eine Milliarde Sporthallen.
Ich kenne ihn seit meinem ersten Schultag. Nicht der mit der Tüte voller Süßigkeiten und Fotos machen. Nein, der danach, wo es ernst wurde. Der, an dem Herr Fuchs ins Schulzimmer kam. An seiner Seite ein Junge in Turnschuhen. Breitbeinig stand er da, das rechte Knie leicht angewinkelt. Die Daumen in seine Gürtelschlaufen eingehängt. Trug ein T-Shirt mit rotem Ami-Auto drauf. Auf dem Kopf eine Baseballmütze, unter der braune Locken hervorquollen. Sein Blick wanderte durch den Raum. Fing in einer Ecke an und zog sich durch die Klasse, ohne abzusetzen. So, als würde er mit den Augen das Haus vom Nikolaus malen. Zwischendurch zuckten seine Kiefer und ich hätte schwören können, dass er Kaugummi kaute. Ui, ui, ui, der traute sich was. Schon sein Käppchen verstieß gegen die Ordnung.
Er wurde zwischen Carmen und mich gesetzt.
»Hey, ich bin Jay.«
Das werde ich nie vergessen. Ist in mir drin, wie Herzklopfen und Atemgeräusche. Hey, ich bin Jay. Dabei hat er mich angesehen, als wolle er jetzt sofort alles über mich wissen.
Während Carmens Augen fast aus den Höhlen purzelten und sie ´n Ami, ´n richtiger Ami wisperte, fand ich sein Shirt interessant und sagte: »Ich heiß Valle. Corvette is´super.«
Ja, und dann begann das, was wir später geile Zeit genannt haben und weswegen ich jetzt heulend hier sitze und nicht anders kann, als an jenen Tag zu denken. Meinen letzten Tag mit Jayden …

***​

Auf dem Plattenspieler drehte sich eine Scheibe. Bon Scott sang von Jean, deren Lächeln ihn Sterne sehen lässt und von der er weiß, wie sie es haben will.
»Du hättest dort dein Abi machen können«, sagte Jayden. Er saß vor dem Bett. Mein Kopf lag in seinem Schoß, und er begann, sich eine Strähne meines Haares um den Finger zu wickeln. »Mir bei den Viechern helfen. Und dich von meiner Granny verwöhnen lassen.«
Vorsichtig zog er den Finger aus der Locke und legte sie mir zurück auf die Brust.
Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf.
»Dein Texas ist verdammt weit weg. Wie soll ´n das gehen?«, fragte ich und zeigte auf meinen Brustkorb. »Es fängt an, mich in die Knie zu zwingen – die Turnerei kann ich schon mal an den Nagel hängen.«
Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Öffnete sie, schloss sie. Öffnete sie und schob sie mir unter den Hintern.
»Ich weiß. Es ist nur … Fuck, ich hätt dich so gerne dabei.«
»Meine Eltern würden´s eh nicht erlauben«, sagte ich und merkte selbst, wie trotzig das klang.
»Fünf Jahre, Honey. Höchstens. Dann machen wir Nägel mit Köpfen.«
Ich sah zu ihm auf: Seine Locken standen wild vom Kopf ab und umrahmten das schmale Gesicht. »Wird das jetzt ´ne Verlobung, Killinger?«
Jaydens Mundwinkel fielen nach unten. »Was reagierst ´n gleich so angefressen?«
»Weil ich vielleicht tot bin, wenn du zurückkommst.«
Ruckartig zog er die Beine unter mir hervor und sprang auf. »Hör auf, immer so ´nen Scheiß zu reden. Wenn du leben willst, dann quatsch nicht vom Sterben«, schnauzte er, war mit zwei Schritten an der Tür und warf sie knallend hinter sich zu.
Don´t go and leave me. Cause I love, I love you, I love you. Don´t leave me(1) sang Bon und ich musste an mich halten, um nicht gegen den Plattenspieler zu treten.
Was für eine beknackte Woche. Und jetzt war auch noch Jayden wütend. Kam einfach nicht mit der Wirklichkeit zurecht. Verdrängte. Ignorierte. Ließ nichts an sich heran. Mein armer Jayden.

Paar Minuten später war er wieder da. Ich hatte mich auf die Seite gedreht. Lag auf seinem Bettvorleger, schluchzte, und der Plan war, mich in den Schlaf zu heulen.
Jayden legte sich hinter mich, schob mir seinen Arm unter den Kopf und machte: »Sch ... sch.«
Gleichzeitig streichelte er mein Haar. Vom Scheitel bis zu den Spitzen, immer in diese Richtung. Er wusste, wie sehr ich das mag. Jayden kaute, roch nach Wrigley´s Spearmint, und wenn ich dicht an ihn rückte, konnte ich seinen Herzschlag und das Heben und Senken des Brustkorbs spüren. Ich liebte das. Gab mir das Gefühl, seine Lebendigkeit würde auch für mich reichen.
Als ich mich beruhigt hatte, sagte er: »Ich versteh´s nicht, wie man ´nem Kind sowas sagen kann. Nee, ich krieg das wirklich nicht in mein Hirn.«
»Die wollten, dass ich mir keine falschen Hoffnungen mache.«
»Bullshit – du warst da viel zu jung. Scheißweißkittel. Schau dich an. Wann hast ´n das letzte Mal durchgeschlafen, hm?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Und? Können die in die Zukunft gucken? Wissen die, was in zehn, zwanzig Jahren is´? Wissenschaftler pennen doch nicht. Medikamente werden besser …«
Er hatte sich in Fahrt geredet. Jetzt senkte er die Stimme und sagte: »Vielleicht kann man´s eines Tages sogar heilen.«
Ich lachte auf.

Viel hatten wir nicht gewusst, über meine Krankheit. Groß erforscht war die noch nicht. Irgendwas mit den Genen. Husten und Sekret in der Lunge. Und dass die Kinder keine hohe Lebenserwartung hätten. Wie ich es gehasst habe, wenn meine Eltern damit hausieren gingen, Aufklärung betrieben. Selbst vor meiner Lehrerin machten sie nicht halt. Ich malte mir damals aus, wie das Gerede seine Kreise zog. Erst in meiner Klasse, dann durch die Schule, bis am Ende das ganze Dorf Bescheid wusste. Ich fühlte mich gebrandmarkt wie ein Rind auf der Killinger-Ranch. Dachte, alle würden tuscheln, sagen: »He, da kommt die, die nicht lange leben wird.«

»Kann ich mir nicht vorstellen, dass die mal was erfinden und alles wird gut«, antwortete ich ihm.
»Du musst´s endlich zulassen, so zu denken«, sagte Jayden. »Was machst ´n in vier Jahren? Nimmst ´n Strick und hängst dich auf?«
»Also echt, Ki…«
Jayden drehte mich zu sich und legte die Hand auf meinen Mund. »Ich will dich nicht ärgern. Ich wünsch mir nur, dass du deine Einstellung überdenkst. Wirst du das für mich tun?«
Er lächelte mich an. Ich sah seine Grübchen, hob den Kopf und küsste sie. Keine Ahnung, ob ich das konnte, worum er mich bat. Wo ich bis eben nicht mal wusste, dass meine Angst, bald sterben zu müssen, nur eine Einstellung von mir war.
Ich zuckte die Schultern, und Jayden pikste mich. Drückte den Finger in die Stelle über meiner Hüfte, wobei ich immer die Beherrschung verlor, wenn er das tat.
»Wirst du das für mich tu-un?«
Ich gluckste und schüttelte den Kopf.
»Wirst … du … das … für … mich … tun?«
Mit jedem Wort ein Stich. Ich kreischte, Jayden lachte. An seinen Lippen hingen Speichelfäden, und ich spürte Spucke im Gesicht.
»Sag schon, sag schon, sag schon, sag schon!«
Er feuerte eine Salve Pikser auf mich ab; ich strampelte mit den Beinen, schrie, lachte, bäumte mich auf – und dann passierte, was ich mehr hasse als eine Kur im Schwarzwald: Ich musste husten. Laut, lang und heftig. Mit Stechen im Brustkorb und Kanonendonner im Schädel. Um besser Luft zu bekommen, setzte ich mich auf. Dieser Husten war anstrengender als eine Zehn-Punkte-Kür am Stufenbarren, und eines Tages wird er mich in der Mitte entzweireißen – so viel ist sicher.
Jayden rutschte hinter mich, legte die Hände auf meinen Rücken. Fühlte. Mal oben, mal unten, mal an den Seiten. Einmal klopfte er ein bisschen. Mit der hohlen Hand, so tat es am wenigsten weh.
Als es vorbei war, hätte ich auf der Stelle in einen Tiefschlaf fallen können, und lehnte mich gegen Jayden. Mein Bauch schmerzte, die Lunge fühlte sich an, als ob sie jeden Moment platzen würde; ich rang nach Luft.
»Das wollt ich nicht«, sagte Jayden und nahm mich in den Arm.
»Niemals Jaydi … wird mich … der Scheißhusten … davon abhalten, … mit dir zu lachen«, stieß ich hervor.
»Gut so. Du musst das echt ändern, sonst gehst du dran kaputt.«
Jayden zog ein Kissen vom Bett und ließ sich mit mir auf den Fußboden fallen. Er murmelte was von einer ordinären Lache, die ich hätte.
Ich machte es mir auf ihm bequem. Spürte seine Hand, die mir durchs Haar fuhr, hörte auf das Rauschen in meinen Ohren und blies beim Ausatmen die Luft durch die Lippen, bis sich alles in mir entspannte. Dann schloss ich die Augen und dachte nach.
Langsam wurde mir klar, wie sehr ich mich getäuscht hatte. Wie konnte ich mich bloß so irren? Verrennen? Annehmen, Jayden würde etwas verdrängen? Er setzte sich mit meiner Krankheit auseinander und machte sich seine Gedanken. Sie waren nur anders als meine. Viel hoffnungsvoller.
»Ach Jaydi, was mach ich nur ohne dich?«
»Du kriegst das hin. Hundertpro.« Jayden lächelte mich an. »Geht´s wieder?« Ich nickte, und er gab mir einen Klaps auf den Po. »Wir sollten mal los«, sagte er, doch als ich aufstehen wollte, hielt er mich fest. »So viel Zeit muss sein …«
Und dann knutschten wir noch eine Weile.

***​

Lautes Gelächter und das Knallen von Autotüren reißen mich aus meinen Gedanken. Zwei Frauen umarmen sich, laufen über den Parkplatz, und ich überlege, wie sie ausgesehen haben, als wir zur Schule gingen.
Mein Blick schwirrt umher. Streift den Rückspiegel. Eine sommersprossige Frau starrt mich mit verheulten Augen an. Ich seufze und befingere mein Gesicht. Drücke in die Wangen, bis ich den Knochen spüre. Das wird hier bald aufgehen wie ein Hefeteig. Hat mich jedoch nicht davon abgehalten, eine Wochendosis Prednison einzunehmen. Sicher ist sicher. Denn heute mache ich Urlaub. Urlaub von der Krankheit. Heute Abend will ich leben. Will wieder mal eine junge Frau und keine Kranke sein. Da ist mir jedes Mittel recht. Um Spätfolgen mache ich mir wenig Sorgen. Es hat alles seine Vorteile – sogar das Sterben.
Mit den Fingern trommle ich gegen das Lenkrad, die Füße zappeln. Ich stelle mir vor, das Gaspedal wäre die Bass Drum: bumm, bumm, bumm. Meine Medikamente machen mich zu einem Nervenbündel, immer bin ich hibbelig.
Jayden. Meine Hände zittern. Der Mund ist trocken. Da soll es helfen, mit den Zähnen über die Zunge zu schaben. Also kratze und kratze ich, bis es weh tut, und sammle Spucke. Schlucke sie runter und lasse mich in den Sitz zurückfallen; ich weiß nicht, woher ich den Mut nehmen soll auszusteigen. Ob ich stark genug sein werde, ihn wiederzusehen? Ich will ihn sehen, ihn umarmen. Will mit ihm sprechen, ihm was erklären und mich verabschieden. Denn meine Zeit wird knapp. Mir geht der Atem aus.
Jayden. Ich sehe ihn vor mir, seinen dunklen Wuschelkopf. Das grinsende Gesicht. Die verfluchten Grübchen. Jahrelang hat mich sein Lächeln verfolgt; in der Nacht gewärmt und am Tag in die Verzweiflung getrieben. Tränen laufen mir aus den geschlossenen Lidern. Wütend wische ich sie weg.
Jayden. Meine erste Liebe. Meine einzige Liebe.

***​

Die Sonne stand tief. Es roch nach verkohlten Steaks und dem Harz der Fackeln. Ein paar Jungs halfen den Mädchen, einen alten Holzkahn an Land zu ziehen. Danach kletterten alle ins Boot. Bernd ging rum, den Arm voller Flaschen, und verteilte Bier; ein Joint machte die Runde.
Jayden stand daneben und nahm einen tiefen Zug. Behielt den Rauch in der Lunge, bevor er ihn durch die Nase entließ.
Ich hatte mir die ganze Zeit seinen Hintern angesehen. Einfach Bombe, in der engen Jeans, und als Jayden mit Bernd ans Ufer lief, linste ich dem Knackarsch hinterher.
Jayden trank Whiskey aus dem Becher. Ging ein paar Schritte rückwärts, stolperte, fing sich wieder und lachte. Dann legte er eine Hand auf die Schulter seines Freundes. Sie neigten ihre Köpfe, und Jayden hörte nicht auf zu quatschen. Bernd verstrubbelte nur seine Vokuhila-Mähne und grinste den Rasen an.
Ich verstand kein Wort und beobachtete Jayden. Kam ins Träumen. Ich stellte mir vor, wie er seine Bauchmuskeln anspannte. Dachte an den dunklen Flaum, der unter dem Nabel ansetzte und einladend in der Hose verschwand. Ich sah mich mit der Zunge über diesen weichen und zarten …
Jayden schielte herüber, spitzte die Lippen und zwinkerte mir zu. Durch meinen Bauch schoss glühende Lava. Ich lächelte zurück.

»Seit wir ihn kennen, wissen wir, dass er nach der Schule abhauen wird«, sagte Carmen, die mit mir am Lagerfeuer saß. »Tja, morgen isser weg.«
Sie langte nach den Treets, warf eine Schokonuss in die Luft und fing sie mit dem Mund wieder auf.
»Tataa!«, rief ich, trippelte mit den Beinen und reckte beide Arme in die Höhe. »Good News: Kann ihn anrufen. Opa zahlt zehn Mark pro Monat.«
Beseelt von dem unerwarteten Reichtum, leerte ich mehr Bols ins Glas, als gut für mich war. Ich kippte eine Ladung Orangensaft obendrauf und nahm einen kräftigen Schluck von dem jetzt grünen Cocktail.
»Mein Grandpa … also mein Grandpa ist sowas von … great«, sagte ich und kaute, als hätte ich den fettesten Bubblegum im Mund.
»Na siehste. Alles halb so schlimm.« Carmen drehte meine Kappe am Schild nach hinten. Ich grinste sie an. Im Badeanzug hockte sie neben mir und warf ein Holzscheit ins Feuer. Es knackte und krachte; ein paar Funken flogen auf. »Jetzt machen wir schön Sommerferien, danach geht’s auf´s Wirtschaftsgymi und dann isser bald wieder da«, zählte sie an den Fingern ab. »Wirst sehn, wie schnell … Oh, guck mal, wer da kommt.«
Ich fuhr zusammen, drehte den Kopf und sah den fünf Grazien im Bikini entgegen, die sich dem Boot von der Seeseite näherten. Sie schubsten sich und kicherten wie Erstklässler.
»Verdammte Eislauf-Tussis«, sagte ich und starrte die Blonde im Tanga an. »Die provoziert mich nicht mehr – die nicht.«

Miss Schlittschuh stand am See und überprüfte die Schleifen an ihrem Höschen. Dabei stieß sie an Jaydens Arm, der seinen Bourbon über sie kippte, ihr ins Oberteil glotzte und garantiert ihre Möpse mit meinen verglich.
Das fängt ja gut an, dachte ich, setzte mich aufrecht und straffte die Schultern.
Jayden sagte »Sorry« und schenkte ihr ein flüchtiges Lächeln. Er lief zur Hütte, wo seine Kumpel vom Eishockey standen. Per Schulterrempler begrüßte er Eric, einen Typen mit ausgeschlagenem Schneidezahn und Carmens großer Schwarm – ganz großer Schwarm.
Blondie kicherte wie eine blöde Zwölfjährige und rannte hinterher. Ich stand auf, taumelte und musste mich an Carmen festhalten.
»Mir reicht´s. Der drück ich ´ne Kufe in die Visage«, sagte ich und wollte los, doch Carmen zog mich zurück.
»Jetzt relax mal. Die hat Dellen am Arsch. Und stinken tut se auch«, sagte sie und wir prusteten los. Lachten, wie man eben lacht, wenn man beduselt und sechzehn Jahre alt ist: laut und gemein. Ich musste bisschen husten und hörte ein leises Rasseln – alles ganz normal.
Die Blondine sah zu uns herüber, lächelte zuckersüß und rief: »Na Valle, viel Spaß beim Trübsal-Blasen.«
Ich zeigte ihr den Mittelfinger. Carmen grunzte.

Bon sang von der Geburtsstunde des Rock´n´Rolls und Angus quälte die Gitarre, dass die Lautsprecher am Radiorekorder dröhnten.(2)
Ich brauchte eine Pause. Saß japsend auf meinem Gartenstuhl, während alle am Rocken waren. Die Eishockey-Boys grölten und tanzten, als hätte ihr Verein die Meisterschaft gewonnen. Jayden stand in ihrer Mitte, hatte sich das Hemd aus der Hose gezogen und aufgeknöpft. Er spielte Luftgitarre und beim Headbangen flogen ihm seine Locken um die Ohren. Wie schön das aussah. Er schien frei von allem, was Sorgen macht; ich konnte mich nicht sattsehen.
In Momenten wie diesem, in denen ich glaubte, an meinen Gefühlen für ihn zu ersticken, da wünschte ich, mit ihm alt werden zu können. Da träumte ich von einer Zukunft. Sehnte mich nach kleinen, goldigen Lockenköpfen mit braunen Augen und Grübchen in den Wangen. Ich habe das nie jemandem erzählt. Der nächste Husten, das nächste pfeifende Geräusch beim Atmen ließ diesen Traum immer platzen, als wäre er ein verdammtes Lungenbläschen.

»Was für ein Hammersong! Was für eine Stimme. Echt schade um den Kerl«, rief Jayden. Er war kein bisschen außer Puste und kam im Duckwalk zum Feuer. »Geht´s dir gut, Honey?«
Ich streckte ihm die Arme entgegen, und als er sich an mich presste, roch ich seine verschwitze Haut. »Jetzt ja.«
»Dann lass uns abhauen«, flüsterte er und gab mir einen Kuss.
Ich nutzte die Gelegenheit, mit der Zunge durch seinen Mund zu fahren. Hoffte, etwas Hasch abzubekommen und wühlte in einer Pfefferminz-Alkohol-Höhle herum.
Jayden schob mich zurück. »Vergiss es«, sagte er, und im Schein der Flammen glitzerten seine Augen. »Wenn du dir was einpfeifen willst, inhalier Kochsalz. Machst das eh zu wenig.«
»Mensch Killinger, manchmal redest du … Nee, also wirklich.«
Ich verzog den Mund wie ein schmollendes Kind und verschränkte die Arme vor der Brust. »Was hast ´n mit Bernd vorhin ausgeheckt?«
Er ging in die Hocke. Hatte plötzlich nichts Wichtigeres zu tun, als mit der silbernen Kette an seinem Handgelenk zu spielen. Drehte sie, bis das Plättchen mit meinem Namen drauf oben war. Strich mit dem Finger darüber, hauchte es an und kratzte ein bisschen.
»He du.«
»Hey you.«
Ich verdrehte die Augen und stieß ihn am Knie. »Sag, dass es nicht das ist, was ich denke.«
Dieser Augenaufschlag. Mannomann. Der Killinger und sein Hundebabyblick.
»Is´mein Texas-Style. Bin beruhigter, wenn er nach dir sieht.«
»Haha, Texas-Style. Sehr witzig«, sagte ich. »Echt, als wär ich sechs. Das ist voll peinlich.«
Ich lächelte, fuhr über seine Backe und legte ihm eine Haarsträhne hinters Ohr. »Jaydi, Jaydi, Jaydi. Warum wundert mich das nicht?«
Grinsend kam er hoch und riss eine Fackel aus dem Boden. »Willst du weiter quasseln oder können wir endlich?«
»Wohin?«
»Überraschung.«
»Yeah«, rief ich und sprang auf.

Ich schlenkerte mit unseren Armen. Wurde immer heftiger, und als Jayden sagte, ich solle ihm nicht die Schulter auskugeln, hörte ich damit auf. Nun hüpfte ich, um in seinen Takt zu kommen, und ging im Gleichschritt neben ihm her.
»Zum Bootssteg?«, fragte ich, als er den befestigten Weg verließ.
Jayden grinste. »Wart hier, ja? Bin sofort zurück«, sagte er und verschwand neben einer Wand aus Schilfgras.
Ich stemmte die Hände in die Hüften und kicherte. Ein wenig schien der See zu schwanken, der geheimnisvoll und dunkel vor mir lag. Nur vereinzelt helle Stellen, wo der Mond die Wolken durchbrach und sich sein Licht auf der Oberfläche spiegelte. Ich dachte an mein Röntgenbild vom letzten Winter und daran, dass ich im Sommer nicht so leicht sterben werde.
Hinter dem Röhricht hörte ich Jayden rascheln und die Fackel in den Kies rammen. Dann stand er neben mir.
»Mach mal die Augen zu«, sagte er und hob mich hoch.
Ich wog keine vierzig Kilogramm, und wenn ich mich auf die Zehenspitzen stellte, reichte ich ihm bis zur Schulter. Aber er stöhnte und ging in die Knie, als ich in seinen Armen lag.
»Wanna tell you a story(3) …«, sang er und ich hielt ihm schnell den Mund zu, fing an zu kreischen.
»Jaydiii! Du bist voll gemein – ich bin nicht fett.«
Jayden warf den Kopf in den Nacken, lachte in meine Handfläche und versuchte, sich von ihr zu befreien; zerrte an meinem Arm und quetschte ein Fourt´two thirt´ninefiftysix(3) heraus. Ich plärrte »Neiiin!« und »Igitt, du hast gespuckt!«, setzte nach, drückte ihm die Hand wieder auf die Lippen, und wir lachten und rangelten, bis mich Jayden nach unten gleiten ließ und über seiner Hüfte trug. »Never had a woman like you(3) …«
»Das ist entwürdigend!«
Ich lachte. Sabber lief mir aus dem Mund und tropfte zu Boden. Ich spürte Jaydens Unterarm am Bauch, starrte auf braune Erde und niedergetrampeltes Gras; zappelte wie verrückt mit Armen und Beinen, schrie: »Nimm mich hoch, nimm mich hoch!«
Jayden stampfte mit den Füßen – nein, er tanzte. Sang und tanzte wie ein Irrer, mit mir unterm Arm, schüttelte mich durch und lachte sich weiter einen ab.
»Los! Sofort!«
Mit einem Schwung war ich oben. »Whole lotta Vallie(3) …«
Seine Augen waren feucht glänzende Schlitze. Die Grübchen so tief, dass man in ihnen einen Puck hätte versenken können – aber er strich mir sanft übers Haar.
»Du bist so ein Arsch. Und singen kannst du auch nicht«, sagte ich und hämmerte ihm gegen die Brust.
»Au!« Er quietschte vergnügt wie Bon, wenn seine Lady für ihn auf allen vieren kriecht.(4)
Ich schlang die Arme um seinen Hals und presste mich an ihn. Roch herbes Aftershave, Kaugummi, Schweiß; meinen Jayden. Schloss die Augen.
»Diesmal musste ich nicht husten«, murmelte ich. »Nicht ein einziges Mal.«

Unter Jaydens Füßen knirschten Kieselsteine. Dann ein dumpfes Poltern, als er über Holz lief. Ich roch Rauch, wurde auf etwas Weiches gelegt und Jaydens Atem kitzelte, als er seine Nase an mir rieb.
»Kannst wieder aufmachen.«
Das Erste, was ich sah, waren Blütenblätter, die auf mich herunterrieselten; und Jaydens Augen, strahlend wie die Deckenscheinwerfer in der Eishalle. Er kniete über mir. An seinem Schenkel lehnte eine Einkaufstüte, in die er seine Hand tauchte, bevor er es erneut regnen ließ.
»Jaydi«, rief ich. »Das … das ist zauberhaft.«
Ich stütze mich auf die Ellenbogen, lachte und sah mich um. Jede Menge Fackeln entlang des Stegs, deren Flammen in der Nachtluft tanzten und uns Licht und Wärme spendeten. Meine Hände tasteten über den Flokati – er ließ mich glauben, auf Daunen zu liegen.
»Einfach zauberhaft«, sagte ich noch mal und spürte die Hitze des Feuers auf meinem Gesicht. Den Armen und Beinen. In meinem Herz. »Und so romantisch.«
Jayden zupfte mir Rosenblätter aus dem Haar. Atmete durch und sah mich an. Seine Augen waren dunkel und tief wie der See. Ich liebte diesen Blick. Tauchte ein und badete darin. Ganz egal, ob ich Jayden mit Fragen über Amerika löcherte, Urkunden und Medaillen vom Turnier mitbrachte oder zur Krankenhausdecke starrte, weil die Infusionsnadel in einer Fußvene steckte. Immer, immer, immer gab er mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, und plötzlich erkannte ich, warum: Dieser Blick, das waren wir. Jayden und Valentina. Ich weiß nicht, wie ich es anders beschreiben könnte. Aber auf einmal hatte ich den Durchblick. Auf einmal wusste ich, dass es nie anders sein würde. Sein konnte. Ich verstand alles an ihm. Alles an mir. Und überhaupt. Wenn jetzt einer käme und was von Vererbungslehre erzählen würde, ich war sicher, auch das zu kapieren. Das fühlte sich fantastisch an. Befreiend. Als hätten mir meine Ärzte gesagt, alles wäre ein großer Irrtum gewesen und ich litt gar nicht unter einer tödlichen Krankheit, sondern an was anderem. Etwas weniger Schlimmem. An Asthma vielleicht.
Ich setze mich auf Jaydens Schoß. Saß so dicht auf ihm, dass mich seine Gürtelschnalle zwischen den Beinen drückte.
»Für dich nur das Beste«, sagte er und legte die Hände auf meinen Hintern. »Weil du mich nicht wie ein Schuft dastehen lässt. Als einen, der sein Mädchen im Stich lässt. Du hättest jedes Recht der Welt …«
»Hab ich nicht«, sagte ich und versuchte, das Wasser in meinen Augen wegzublinzeln. »Aber ich will, dass du mir alles schreibst. Hörst du? Ich stell mir das wie ´n Tagebuch vor. Jeden Abend, bevor du ins Bett gehst oder so. Und wenn du ein paar Seiten …«
»Paar Seiten?«
»Doch, doch, doch«, sagte ich und wedelte mit der Hand. »Ich muss mir das vorstellen können. Weißt du? Und Fotos will ich. Haufenweise. Vergiss das nicht. Und …«
»Meine süße, kleine Valle. Du kriegst alles, was du willst von mir.«
Jaydens Worte waren leise und so zärtlich wie seine Lippen und Hände. Die einen lutschten an meinem Ohrläppchen, die anderen fuhren mir unters Shirt.
Mich überkam ein Frösteln. Nur kurz. Nur für die Länge eines Wimpernschlags. Dann stand ich in Flammen. Die Lava im Bauch brodelte, in meinem Unterleib zuckte es. Ich lächelte Jayden an und ließ mich auf den Wollteppich sinken. Räkelte mich. Öffnete die Schenkel. Zog meinen Slip unter dem Rock hervor und warf ihn zu Jayden; doch bevor der auf ihm landen konnte, war Jayden über mir. Seine Haare fielen mir ins Gesicht, weich wie Federn, und streichelten mich. Unsere Zungen spielten miteinander. Waren nass und rau. Der Atem heiß. Ich spürte Jaydens Hände auf meinen Schenkeln, unter dem Rock und stöhnte auf, als er einen Finger in mich schob und ihn langsam bewegte.
Wir grinsten bis hinter die Ohren, weil es sofort anfing zu schmatzen.

Hinter uns raschelte es im Schilf, eine Ente schrie und flog auf. Dann war es wieder still. Nur hin und wieder Musik und Stimmen, die der Wind zu uns herübertrug.
Jayden lag neben mir, hielt mich und küsste die verschwitzte Stelle zwischen meinen Brüsten; ich spielte mit seinen Haaren und unterdrückte ein Gähnen – an Schlaf dachten wir keine Sekunde.
»Mein Salzmädchen«, flüsterte er, und wir lächelten uns an.
»Was meinst du?«, fragte ich, löste mich aus seiner Umarmung und setzte mich. »Ob wir auch zusammen wären, wenn ich diese Sache nicht am Hals hätte?«
Es kitzelte, und ich bekam Gänsehaut, als Jayden mit dem Finger Kringel auf meinen Rücken zeichnete.
»Du und dein Was-wäre-wenn. Das bringt doch nichts.«
»Vielleicht wär ich ja ´ne Andere.«
»´ne große Dicke?«
»Mann, du weißt genau, was ich meine«, sagte ich und merkte erst jetzt, dass die Kreise Buchstaben waren: Er hatte unsere Namen geschrieben und ein Herz darum gemalt.
»Jaja. Und wenn meine Mom kein Heimweh gekriegt hätte?«
»Hat sie aber.«
Jayden stand auf, suchte meine Klamotten und gab sie mir. Nackt stand er da und sah zu mir runter. Sonnengebräunte Haut, mit einem hellen Streifen zwischen Hüfte und Oberschenkel. »Genau. Und du hast diese Sache am Hals. Es is´ wie es is´– leider.«
Er kniete sich vor mich und sank auf die Fersen.
Junge, Junge, Junge. Ich leckte meine Lippen und konnte nicht aufhören, ihm zwischen die Beine zu starren.
Jayden nahm meinen Kopf zwischen die Hände und richtete ihn auf. »Ich weiß, er macht dich kirre. Kannst mir trotzdem zuhören?« Er grinste, und ich grinste zurück. »Lass dir von keinem Doc was einreden. Egal was die sagen: Hör nie auf dran zu glauben, dass es besser werden kann. Verstehst du?«
Als ich nickte, glitten Jaydens Finger über meine Schläfen; hoch und runter.
»Ich hab´s mir überlegt. Das mit den Medikamenten … wer weiß, vielleicht hast du ja recht.«
Jayden bekam große Augen und rief: »Yes, das ist meine Honey. Man muss sie nur ein wenig schubsen.« Er küsste mich und sprang auf. »Zieh dich an, die Fackeln sind fast runter«, sagte er, stieg in seine Shorts, dann in die Jeans und zog mit einem Ruck den Reißverschluss hoch. Dieses Endgültige ließ mich zusammenzucken. Danach hockte er sich an den Rand des Stegs. Ich hörte es plätschern, als er die Füße in den See tauchte, zog mir schnell meine Sachen über und krabbelte zu ihm; rutschte auf seinen Schoß.
»Wenn ich könnte, wie ich wollte, dann würd ich mit dir gehn.«
Jayden sagte nichts, nickte nur und griff nach der Decke, die Carmen vorhin mal gebracht hatte. Er legte sie sich über die Schultern und hüllte uns darin ein.
»Wir hatten so ´ne geile Zeit. Ich hab Angst, dass nichts mehr sein wird, wie es war. Amerika wird dich verändern. Meine Krankheit mich.«
»Die kriegen wir wieder, dafür werd ich sorgen.« Lange sah er mich an. Ein Kranz schwarzer Wimpern um Augen, die sich immer mehr verdunkelten. »Du rufst mich an, wenn´s dir nicht gut geht, ja? Ich komm jederzeit zurück.«
»Versprochen. Hoch und heilig. Mach dir keine Sorgen«, sagte ich und streckte zwei Finger in die Höhe. »Ich werd alles tun, was die Ärzte verlangen. Schließlich muss ich dabei sein, wenn du Nägel mit Köpfen machst.«

***​

Ein Klopfen an der Fahrertür lässt mich zusammenzucken. Carmen fächelt sich mit der Einladungskarte Luft zu und sagt was von einem gottverdammten Jahrhundertsommer. Ich kurble die Scheibe vollends runter und schiele sie an. Carmen lebt mit Zahnlücken-Eric zusammen, hat einen Sohn und seit der Schwangerschaft Übergewicht – nach dem Klassentreffen will sie zu den Weight Watchers.
»Wo bleibst ´n du?« Carmen greift durchs Fenster, legt die Hand unter mein Kinn und zwingt mich, sie anzusehen. »Herrje, hast du geheult?«
»Nee, Zwiebeln geschnitten«, fahre ich sie an, doch Carmen ist nicht gekränkt, grinst nur amüsiert.
»Jay hat nach dir gefragt. Wollt wissen, wann du kommst.«
»Was hast du geantwortet?«, frage ich und lasse sie nicht aus den Augen.
»Na, du wärst so gut wie da«, sagt Carmen. »Interessiert´s dich, was er noch gesagt hat?« Sie wartet meine Antwort nicht ab, redet ungebremst weiter: »›Wetten, dass sie im Auto hockt und heult?‹«
Ihr Lachen ist so wenig damenhaft wie meines, nur schlage ich mir dabei nicht auf die Schenkel.
»Nie im Leben hat er das.«
»Aber so ähnlich«, sagt sie und tupft sich Tränen aus den Wimpern. »Ehrlich. Der wollt gleich rausrennen und dich suchen. Dann fiel ihm ein, dass er nicht weiß, was für ´n Wagen du fährst.« Sie kichert leise. »Er ist total besorgt, Valle. Lass ihn nicht länger zappeln.«
»Und sonst?«
»Ganz der Alte, keine Sorge«, sagt sie und streicht mir über die verheulten Backen. »Redet wie damals, als er in unsere Klasse kam – wie ´n Ami halt.«
»Das mein ich nicht.«
»Was dann? Sandy-Wendy?«
Ich nicke, verknote meine Finger und murmle: »Wir müssen aufpassen, Jay soll nicht mitkriegen, dass wir uns nie ihren Namen merken wollten.«
»Er ist alleine da. Trägt auch keinen Ring.« Carmen schaut zu Boden, als müsse sie Pflastersteine zählen.
»Echt? Mein Armbändchen hat er nur beim Sport ausgezogen.«
»Da kannste mal sehn – er wird dir sicher sagen, was mit ihr is´.«
»Was soll sein?«
»Weiß nicht. Du hast gefragt.«
»Ich wollt wissen, ob die mitgekommen ist. Nicht was mit der los ist.«
»Wie auch immer.« Sie wendet sich zum Gehen, bleibt dann doch stehen und dreht sich noch mal um. »Schneider ist auch da.«
»Hm.«
»Weißt du noch?« Carmen stützt sich auf den Fensterrahmen und scheint auf einmal alle Zeit der Welt zu haben. »Voll auf die Zwölf, nur weil der Wichser dich blöd angelabert hat.«
»Hm.«
»Jay war schon süß. Und sowas von verknallt. Hab dich immer drum beneidet.«
»Ja, Carmen. War und hab. Merkste was?«
Carmen bläst die Backen auf, und ich klammere mich ans Lenkrad. Ich traue ihr zu, dass sie mich aus dem Auto zieht und an sich drückt. Nur bin ich mir nicht sicher, ob sie mich trösten oder zusammenstauchen wird. Meine Gefühlsduselei geht ihr oft schwer auf den Senkel. Doch ich kann entspannen. Sie seufzt nur und sagt: »Ich geh jetzt.«
»Wart mal«, sage ich und halte sie fest. »Klappt das mit dem Rauchen?«
»Freilich. Die gehen auf die Terrasse.«
»Danke, Carmen. Wenn ich dich nicht hätt.«
»Ey, das wär ja was: Zehnjähriges und du nicht mit von der Partie.« Sie wischt sich über die Augen und läuft vom Auto weg.
»Ich werd Jay aber nicht sagen, dass er mir gefehlt hat«, rufe ich ihr hinterher.
»Fünf Minuten. Dann schick ich ihn raus«, droht Carmen, ohne sich noch mal umzudrehen.

***​

Die Gaststätte ist ein Eckhaus, drei Stufen führen zum Eingang. Beim Betreten halte ich gewohnheitsmäßig die Luft an, aber da ist nichts, was mir den Atem nehmen könnte. Unter dem Rundbogen, der das Foyer vom Gastraum trennt, bleibe ich stehen und verschaffe mir einen Überblick.
»Na endlich«, sagt Carmen, die aus dem Nebenzimmer angeschossen kommt. Sie zieht mich hinter sich her und zeigt mir unsere Plätze. »Du sitzt zwischen Jay und mir. ´s gibt gleich Essen.«
Und weg ist sie wieder. Ich bleibe neben dem Stuhl stehen, den Carmen mir zugeteilt hat, und tippe gegen die Lehne. Aus dem hinteren Teil des Saales dröhnt die Heimorgel; ein Alleinunterhalter sitzt davor und singt einen Evergreen. Das kann heiter werden, denke ich und sehe mich nach Jayden um. Ob er getürmt ist, bei der Musik?
»He, Porzellanpuppe«, säuselt jemand, und mir stellen sich die Nackenhaare.
Schneider greift nach meinem Arm und angelt sich den Stuhl, der für Jayden gedacht ist. Seine schiefe Nase lässt mich kalt.
»Das is´Jays Platz«, zische ich. Mit einem Ruck befreie ich mich aus seinem Griff.
»Ich werd heut neben dir sitzen«, sagt er und fasst erneut nach mir. »Das wollt ich die ganze Schulzeit. Aber da war immer der Ami.«
»Verpiss dich«, kommt es von hinten.
Ich bekomme weiche Knie und drehe den Kopf. Lächle ihn an. Seine Locken fallen ihm bis zum Kinn und zwei schokobraune Augen halten sich an mir fest.
»Na hör mal«, protestiert Schneider, »wärst halt früher …«
»Ich sag´s nicht zweimal.« Jaydens Ton spart ihm die Drohung, sein Blick ist eine Liebkosung.
»Bist immer noch ´n Arschloch, Killinger.« Schneider versetzt dem Stuhlbein einen Tritt und sucht sich einen Platz am anderen Ende des Tisches.
Mein Herz schlägt wild. Ich spüre sein Pochen in Hals und Kopf. Reiß dich zusammen Valentina, denke ich und fühle, wie sich siebzig Augenpaare auf uns richten. Ihre Blicke brennen sich in mein Kreuz. Sie alle kennen unsere Romanze, warten darauf, was passieren wird. Jayden reagiert als Erster. Er zieht mich an sich, hebt mich hoch und lacht dabei. Gemeinsam drehen wir uns im Kreis.
»Mensch Valle, ich dacht schon, du kommst nicht mehr«, sagt er mit amerikanischem Akzent, als er mich zurück auf die Füße stellt. »Ich freu mich so, dich zu sehn.«
Er küsst mir Stirn und Wangen und lässt die Finger durch meine Haare gleiten. Seine Faszination für meine roten Fransen habe ich zwar nie verstanden, aber immer gemocht. Ich stehe da wie eine Puppe, lasse alles über mich ergehen und bin auf einen Schlag glücklich. Jayden.
Er tritt einen Schritt zurück und sieht mich lachend an. Ich verzehre mich nach seinem Lächeln. Seinen Grübchen. Es ist, als wäre kein Tag vergangen, seit wir uns zuletzt gesehen haben, und mir wird endgültig bewusst, dass ich nie aufgehört habe, verliebt in ihn zu sein. Meine Nervosität ist verschwunden – man darf nicht alles auf die Medikamente schieben.
Jayden lässt mir Zeit. Hängt seine Daumen in die Gürtellaschen und mustert mich; von der Haarspange bis zu den Sandalen. Das macht mich verlegen. Ich bin klapperdürr, und mein Hintern ist flach. Nie habe ich mich mehr wie eine Porzellanpuppe gefühlt als in den letzten Monaten, und was ich jetzt am wenigsten ertragen kann, ist von ihm so angesehen zu werden.
Auf einmal wird er unruhig, tritt von einem Bein auf das andere, und sein Grinsen bringt mich um. Dann beugt er sich zu mir und flüstert in mein Ohr: »Hey, ich bin Jay.«
Das erlöst mich aus meiner Starre. Ich spüre, wie etwas in mir nachgibt. Es ist nicht nur mein Körper, der aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Mit einem Freudenschrei falle ich ihm um den Hals, presse das Gesicht an seinen Kopf. Ich rieche unsere Sommer. Sehe Kirschbäume, Spielplätze, Badeseen. Höre unser Lachen. Meine Augen füllen sich mit Tränen, doch diesmal weine ich aus Freude. Die ersten tropfen auf seinen Nacken, kullern ihm ins Hemd. Jayden zuckt nicht mal zusammen, drückt mich stattdessen fest an seine Brust.
»Du hast mir gefehlt«, sage ich und küsse ihn auf den Mund. Sandy hin, Wendy her. Schließlich habe ich ältere Rechte. »Gott, wie du mir gefehlt hast, Jaydi.«
Neben uns kichert Carmen.

Jayden wartet, bis ich Platz genommen habe, ehe er sich zu mir setzt. »Valle, ich muss …«
Weiter kommt er nicht. Unser ehemaliger Klassensprecher steht neben der Bontempi und langt zum Mikrofon. Er bedankt sich, dass so viele aus der Jahrgangsstufe zum Treffen erschienen sind. Begrüßt die drei Lehrer und unterhält uns mit Anekdoten aus der Schulzeit. Jayden rutscht auf seinem Stuhl herum, und ich höre nicht richtig zu, spiele mit dem Saum der Tischdecke und frage mich, was er mir sagen wollte.
Als die Leute im Saal anfangen zu lachen, erschrecke ich. Auch Carmen und Jayden schmunzeln. Ich habe nicht mal mitbekommen, was da Witziges erzählt wurde: Ein Faden am Tischtuch braucht meine Aufmerksamkeit. Jayden greift nach meiner Hand. Legt sie auf den Tisch und hält sie fest. Ich lächle ihn an. Dann findet Tommy ein Ende. Er wünscht allen einen schönen Abend, schaut rüber, sieht unser beider Hände und fängt an, zu zwinkern und zu zappeln, als leide er unter einer Nervenkrankheit. Dann sagt er, wie sehr es ihn freue, dass Jayden in die Heimat zurückgekehrt sei.

Mein Kopf fährt herum. Mit aufgerissenem Mund starre ich Jayden an.
»Fuck«, murmelt der und sieht kopfschüttelnd zu Tommy.
»Du bleibst?«, frage ich und ramme mir die Fingernägel in den Schenkel.
Jaydens Lächeln ist schief. »Ja, ich bin wieder zu Hause.«
»Und deine Frau …? Was will eine Amerikanerin …? Ist Sandy-Wen ...?«
»Cindy. Meine Frau hieß Cindy, und sie …«
»Hieß? Großer Gott, Jay!«
Mir bleibt kurz die Luft weg, und ich spüre, wie Magensäure in meine Kehle hochsteigt. Ich habe nie aufgehört, auf seine Rückkehr zu hoffen, und immer davon geträumt, wie er eines Tages mit dem Koffer in der Hand vor meiner Tür steht. Bis ins kleinste Detail habe ich mir die verschiedensten Beziehungskisten ausgemalt. An den Tod seiner Frau habe ich dabei aber nie gedacht – niemals.
»Das tut mir sehr leid«, sage ich.
Jayden sieht mich mit großen Augen an, dann hebt er die Hand. »Nein. Hey, beruhige dich, es wird nicht immer gestorben. Ich hab mich von ihr getrennt – die Scheidung läuft.«
»Getrennt? Scheidung?« Meine Stimme ist schrill, und ich komme mir wie ein Papagei vor. »Du wusstest davon. Eric und Bernd auch«, schnauze ich Carmen an.
Sie zuckt mit den Schultern. »Aber erst seit gestern.«
»Und hast mir nichts gesagt?« Wütend will ich aufstehen.
»Geh nicht. Bitte«, sagt Jayden.
Sowohl er als auch Carmen krallen sich in meinen Arm. Drücken mich auf den Stuhl.
»Reg dich ab und denk nach«, zischt Carmen und ihre Augen schießen giftige Pfeile auf mich ab. »Außerdem ...«
»… hab ich sie und die Jungs drum gebeten. Ich wollt´s dir selbst sagen.« Jayden starrt auf seine Hand, die mich dort umklammert hält, wo in einem anderen Leben ein ausgeprägter Trizeps war. Er löst den Griff und streichelt die roten Abdrücke, die seine Finger hinterlassen haben.
»Du bist ausgeflippt und wolltest nicht, dass wir über Jay reden. Du hast gedroht, uns die Freundschaft zu kündigen«, sagt Carmen und tippt bei jedem Du auf meine Brust. »Nun sei nicht eingeschnappt, wenn wir uns dran gehalten haben.«
Ich beiße mir auf die Lippe und schiele sie an. Ihr Ausschnitt ist für meinen Geschmack zu gewagt, das Gesicht gerötet.
»Jaja, schon gut«, murmle ich.
»Wie meinen?«, fragt Carmen und hält eine Hand hinter ihr Ohr.
»Du hast recht.«
»Ich raff nur nicht, warum du ihn erst heute triffst«, sagt sie und redet, als wäre ich fünf. »Da heulst du dir jahrelang die Augen nach ihm aus, dann ruft er vom Flughafen an, will dich gleich sehen und du sagst: ›Nö, erst am Klassentreffen.‹ Echt Valle, das kapier, wer will.«
Ich fühle mich wie ein in die Enge getriebenes Tier. Links von mir Carmen, die vieles an mir nie verstehen wird, und zu meiner Rechten Jayden, den ich vor den Kopf gestoßen habe. Ich sehe von ihm zu ihr und von ihr zu ihm und weiß nicht, was ich sagen soll.
»Mach dir keine Gedanken – ´s ist alles okay«, sagt Jayden und lächelt mich an.
»Hätt ich ihn … also bei mir oder bei euch … ich wär nur am Flennen gewesen«, sage ich zu Carmen.
»Ja und? Als wenn wir dich noch nie …«
»Enough of that!«
Jayden legt einen Arm um meine Rückenlehne, den anderen auf den Tisch und beugt sich an mir vorbei zu Carmen. Während ich noch am Grübeln bin, ob es seine Absicht war, mich dabei mit den Haaren zu streifen, pflaumt er sie an: »Ich hab gesagt, du sollst da nicht drauf rumhacken – Valle muss das machen, wie´s gut für sie ist und basta.«
Carmen klimpert mit den Wimpern, sagt: »Also echt, kaum biste zurück, Killinger …«, und stößt mich in die Seite.
Sie ist die beste Freundin der Welt. Nicht nur, dass sie Jaydens Trauung hat sausen lassen, um mich trösten zu können; ohne ihre Hilfe beim Putzen und Einkaufen hätte ich längst wieder bei Mama und Papa unterkriechen müssen, weil ich oft nicht in der Lage bin, meinen kleinen Haushalt alleine zu versorgen.

Die Gardinen blähen sich auf. Im Lokal sind alle Fenster weit geöffnet, doch es ist, als würde jemand heiße Luft hereinblasen. Es riecht nach Gewürzen und Frittierfett; Deodorant und Schweiß.
Während Carmen und Jayden sich mit Appetit über den Hauptgang hermachen, stochere ich lustlos darin herum. Ich habe schon lange einen Weight Watcher. Er nennt sich Ernährungsberater und wird von der Krankenkasse bezahlt. Für ihn protokolliere ich Mahlzeiten und Gewicht; er zählt Kalorien und sagt, ich müsse doppelt so viel essen – mindestens. Bla, bla, bla. Wie soll das gehen, wenn eine Lungenentzündung die nächste ablöst, ein Krankenhausaufenthalt dem anderen folgt und ich an drei Tagen mehr abnehme, als ich im gesamten Monat zunehmen kann?
Aber ich weiß jetzt, was Sache ist: Ich stehe mit dem Rücken zur Wand. Muss mich entscheiden, ob ich leben oder sterben will. Es gibt nur eine Option.
»Erzählst du mir, was passiert ist?«, frage ich Jayden, als er den Teller zurückschiebt.
Er springt so hastig auf, dass sein Stuhl dabei zu Boden fällt.
»Komm«, sagt er und nimmt meine Hand.

***​

Die Straßenlampe ist kaputt, und es dauert eine Weile, bis ich den Autoschlüssel aus meiner Tasche gekramt habe.
Jayden dreht erst die Kurbel fürs Seitenfenster, bevor er sich auf den Beifahrersitz fallen lässt.
»´s kühlt null ab«, sagt er. Die oberen Hemdknöpfe hat er längst geöffnet, den Schlips entknotet. Jetzt zieht er ihn vom Hals und wirft ihn auf die Rückbank. »Hast du noch was vor?«, fragt er und zeigt mit dem Daumen nach hinten, zu meinem Rucksack.
Ich schüttle den Kopf. »Is ´ne Sauerstoffflasche drin – für den Notfall.«
»Oh.«
Ja, »oh«. So weit ist es gekommen, denke ich und lasse mich ins Polster sinken. Mir kommt der Tag kurz nach meinem neunten Geburtstag in den Sinn, als man mir sagte, mit viel Glück könne ich zwanzig werden; und was Jayden mal über die Forschung prophezeite und wie er damit ins Schwarze getroffen hatte, denn als ich zwanzig war, hieß es, die Leute werden inzwischen sogar dreißig, und heute? Ja, heute fühle ich mich um drei Jahre meines Lebens betrogen. Scheiße, Scheiße, Scheiße – wer stirbt schon gern vor seiner Zeit?
Dass ich das Lenkrad ohrfeige, merke ich erst, als Jayden nach meinen Händen greift. »Soll ich fahren?«
»Geht schon. Wohin?«
»Baggersee«, sagt er, und ich spüre seinen Blick auf mir.
Ich nicke und fahre los.

»Silke ist gestorben. Schon gehört?«, frage ich, als wir am Friedhof vorbeikommen. »Vor ´nem Vierteljahr oder so. Hatte Brustkrebs.«
»Silke?«
»Die Blonde aus ´m Eisstadion.«
»Ach die. Nee, wir kannten die ja kaum.«
»Ich war auf der Beerdigung.«
Er knetet seine Finger und sagt: »Du hast sie nie gemocht.«
Ich starre auf die beiden Lichtkegel vor mir. Sie fressen die Dunkelheit auf wie Keime meine Lunge.
»Die war doch immer gesund – immer gesund war die.«

Jayden macht sich am Radiogerät zu schaffen, erkennt, dass eine Kassette im Schacht steckt, und lässt sie heraushüpfen.
»›Jaydis Best of AC/DC‹«, liest er, was ich vor hundert Jahren auf das Etikett geschrieben habe. »Du weißt, dass es die inzwischen als CD gibt?«
»Deine Bänder sind mir lieber.«
Er sieht mich lange an. Doch im Auto ist es dunkel, seinen Blick kann ich nicht deuten.
»Ich hätt nie weggehen dürfen.«
»Wir hatten es fast geschafft, hab mich schon wie Bolle auf dich gefreut. Nee Jay, du hättest nichts mit dem Mädel anfangen dürfen.«
Jayden nickt; mit hängendem Kopf und aufeinandergepressten Lippen. »Das mit Cindy … Es war nicht wie bei dir und mir«, sagt er leise. »Es tut mir leid, ich wollt dir nie Kummer machen.«
»Kummer«, murmle ich und denke daran, wie mein Leben den Bach runtergegangen ist: Ausbildung geschmissen, an nichts mehr Freude gehabt, beim Psychologen gelandet. Man hätte auch Katastrophe dazu sagen können. Aber kleinlich war ich noch nie. »Hauptsache du bist jetzt da – nur das zählt.«
Sein Kopf ruckt hoch. »Wie? So einfach ist das für dich?«
»Nein, nicht einfach. Hab nur keine Kraft für Kompliziertes.«

Ich biege links ab, fahre an ein paar Wochenendhäusern vorbei und parke am Ende der Straße. Mir geht vieles durch den Kopf. Ich will fragen und erklären. Buchstaben und Worte wuseln in meinen Hirnwindungen herum wie Labormäuse in einem Labyrinth; nichts lässt sich greifen. Nichts in Sätze fassen.
»Steck das Band wieder rein«, sage ich stattdessen. »Ich muss die Flippers aus den Ohren kriegen.«
Bon Scott singt Little Lover(5) und unsere Blicke treffen sich; wir grinsen uns an.
»Das war … das war das Verrückteste, was du je mit mir gemacht hast.« Jayden beugt sich rüber und legt die Hand auf meine Wange. Sein Atem ist ein Knoblauch-Pfefferminz-Gemisch und streichelt mein Gesicht.
»Von mir aus hätt das ewig mit uns weitergehen können«, sage ich, und als er seine Hand wegnehmen will, halte ich sie fest. »Es war ja nicht so, dass mich keiner gewarnt hätte. Sogar Carmen hat gefrotzelt und von Ami-Mädels geredet, die dir schöne Augen machen. Aber«, ich kralle meine Nägel in sein Handgelenk, »ich hab nur darüber gelacht. Nie Jay, nie, nie, nie hab ich geglaubt, dass das passiert.« Ich schließe kurz die Augen und flüstere: »Es hat sich angefühlt, als wärst du tot.«
In meinem Hals bildet sich ein Kloß, und Kälte macht sich breit – wie immer, wenn ich es nicht schaffe, die Leere in mir auszublenden. »Nachdem du … Ich wusste nichts mit mir anzufangen. Da war nichts, was mich angetrieben hätte«, sage ich. »Ich war … einsam, ohne dich … und verlassen.«
Jaydens Stimme klingt rau. »Ich weiß, Valle. Konnt mir ja denken, wie du …«
Kopfschüttelnd studiert er mein Gesicht, als sähe er es zum ersten Mal, und ich bekomme eine Ahnung davon, wie sehr auch er gelitten haben muss. »Bernd hat mir viel erzählt. Von Atemnot und Panikattacken. Dem Zoff mit deinen Eltern, und wie du dich eingeigelt hast.« Er nimmt meine Hand, rutscht zurück auf den Sitz und sieht mich von der Seite an.
Ich beiße mir innen auf die Backen, kneife die Augen zusammen und reiße sie wieder auf. Nur nicht heulen. Bitte, nicht heulen.
»Ich hab … mir oft gewünscht, … dass sich … meine Lunge verschlechtert«, sage ich leise. »Mich … nach Ruhe gesehnt … und dass … es vorbeigeht.«
Jayden lehnt sich zurück. Sein Gesicht ist starr und ausdruckslos wie eine Maske. Er hat meine Hand auf seinen Schenkel gelegt und die Finger darum geschlossen, als wolle er sie beschützen.
Tränen laufen mir übers Gesicht. Einfach so. Ich kann nichts dagegen tun. Als flöge etwas durch die Luft, das in den Augen reizt. Mit der freien Hand taste ich zum Seitenfach und fische ein Taschentuch heraus. Vorsichtig, ohne den anderen Arm zu bewegen. Ich will Jayden nicht meine Hand entziehen. Es scheint, als bräuchte auch er etwas, woran er sich festhalten kann. Ich trockne mein Gesicht, schnäuze die Nase. Atme durch.
Jayden streichelt meine Hand und starrt in die Nacht. »Was geschehen ist, kann ich nicht rückgängig machen«, sagt er leise. »Aber wenn du mich lässt, dann mach ich´s wieder gut.«
Wir schweigen und hören von Bon, dass der Lover sich schwer damit tut, jemanden zu finden, der ihm das gibt, was er braucht.
Ich mach´s wieder gut. In fast jedem meiner Gedanken habe ich ihn das sagen hören. Wenn er noch der Jayden ist, den ich mal kannte, dann wird ihm das gelingen. Denn trotz allem bin ich die Valentina, die nichts anderes will, als mit ihm zusammen zu sein.
Ich nicke, zeige auf das Radio und summe die Melodie.
»Hast ´ne knallrote Rübe gekriegt.«
Jayden schnappt nach Luft, als hätte ich ihn vor dem Ertrinken gerettet, und lächelt mich an. »Als wenn das noch möglich gewesen wäre. Echt Valle, kein Mädchen lacht so dreckig wie du.«
Ich grinse und öffne die Autotür. »Gehn wir ein Stück?«
»Wenn´s dir nicht zu viel wird.«
»Heut ist ein guter Tag. Bin gedopt bis untern Pony.«

***​

Schweigend laufen wir zum See. Ich hake mich bei Jayden unter und bestimme das Tempo; er die Richtung. Seine Haare sind am Ansatz feucht, und dort, wo sich unsere Arme berühren, klebt die Haut.
Zu unserer Anlegestelle bin ich nie wieder gegangen. Jetzt bleiben wir davor stehen. Ich löse mich von Jayden, bleibe zurück, während er den Steg betritt. Selbst von Weitem kann ich sehen, dass es nicht mehr der von damals ist. Die Pfähle sind neu, die Planken auch.
Nichts bleibt, wie es war, denke ich. Nicht mal ein blöder Bootssteg.
Ich beobachte Jayden, der über den See starrt. Groß, braungebrannt und muskulös ist er; seine Pobacken immer noch zum Reinbeißen. Breitbeinig steht er da und sieht sich um. Keine Spur von Anspannung, und ich wüsste gerne, woran er denkt. Er schiebt die Hände in seine Hosentaschen, dreht sich um und kommt zurück.
»Ich hätt wirklich die nächste Maschine nehmen können – wär kein Ding gewesen«, sagt er unvermittelt, und ich zucke zusammen. Seinen Blick erkenne ich wieder. Es ist der, der mich mal glauben ließ, es könne nie anders sein zwischen uns. Mir wird erst kalt, dann heiß. Ich weiß nicht, wohin mit meinen Händen und reibe sie an der Hose.
»Ich wusste erst nicht …«, sage ich. » … also ob´s dich … aber ich hab´s dir ja versprochen … und … also … du hast mich mal gemocht … und das Klassentreffen … hätt ich´s nicht vergessen … also …«
»Sch … sch.« Jayden legt die Hände auf meine Schultern, und wäre ich nicht so ein Gerippe, würde er jetzt sicher an ihnen rütteln.
»Das war gut«, sagt er. »Richtig gut, und genau das, was ich gebraucht hab.«
Unruhig spiele ich mit dem Kies. Kicke Steinchen vom linken Schuh zum rechten und wieder zurück. Wie schlimm das war, seine Stimme zu hören. Und wie er sich zuerst gefreut und dann erschreckt hat.
»Gebraucht?«

Der Mond spiegelt sich im See und erhellt die Nacht. Hand in Hand stehen wir am Ufer. Jayden redet über seine Ehe. Erzählt von Schmetterlingen im Bauch und Glückseligkeit. Aber auch von Enttäuschung, Streit und Resignation. Mein Herz fängt an zu rasen, als er sagt, er habe mich vermisst. Die Atmung verändert sich, wird hektischer. Doch ich bewahre Ruhe, gerate nicht in Panik und beglückwünsche mich zu meiner Entscheidung am Morgen. Jaydens Blick ruht auf mir. Ich komme mir vor wie Mutter Teresa oder Lady Di, und meine verrückt gewordene Pumpe jagt das Blut mit einem Druck durch die Venen, der Ohrensausen erzeugt: Ich kann kaum verstehen, was er sagt.
»Dein Anruf hat mich wachgerüttelt. Dran erinnert, zu wem ich gehöre.« Jayden drückt meine Hand, als habe er Angst, ich liefe davon. Es tut weh, aber nur ein bisschen. »Die Zeit war knapp, und Cindy hat … Schwierigkeiten gemacht. Ich wollt nicht, dass du dich noch mehr aufregst. Drum hab ich keinem was gesagt.«
Ich will schreien vor Freude, fühle mich aber zu schwach dazu – mein Herz schlägt noch immer Flickflacks. Lieber lehne ich mich an Jaydens Brust und schließe die Augen; seinen Herzschlag höre und spüre ich gleichzeitig. Er hebt die Hand und streichelt mein Haar. Langsam, von oben nach unten, immer in diese Richtung. Ich rieche den Schweiß auf seiner Haut; Rasierwasser, Pfefferminze, und plötzlich ist mir, als hätte ich einen Schlag bekommen, wie wenn man an ein beschädigtes Kabel fasst. Auf einmal ist da ein Empfinden, ganz intensiv. Ich kann es nicht zuordnen. Es ist fremd, aber irgendwie auch so vertraut, dass mir heiß wird. Dazu noch ein Bild in meinem Kopf: Ich sehe mich vor meinem Turngerät stehen. Die Handflächen weiß gepudert, meine Augen geschlossen; ich bin bereit, warte auf das Zeichen. Und jetzt erkenne ich auch das Gefühl. Es ist Ehrgeiz, und der unbedingte Wille, zu siegen.
Ich seufze. Finde keine Erklärung, warum ausgerechnet diese Erinnerung hochkam, und presse mich an Jayden. Schiebe die Hände in seine Gesäßtaschen. Taste über pralle Rundungen.
»Ey, befummelst du meinen Arsch?«
Ich grinse und schüttle den Kopf.
»Doch, du bist ´ne Grapscherin«, sagt er und zwickt mich in die Seite – sehr, sehr, sehr behutsam. Ich kichere, fasse nach seinen Armen und lege sie mir um die Taille.
»Du darfst mich nachher kitzeln.«
Wie von selbst streckt sich mein Körper. Die Fersen heben ab, bis es in den Waden zieht, der Kopf legt sich zurück. Doch weiter als bis zu seinem Hals komme ich mit den Lippen nicht. »Und bevor du mit Singen anfängst – da gibt´s was, das kannst du tausendmal besser.«
»Ja, ich reite fantastisch Pferde zu. Fange dir jedes Rind mit dem Lasso und schieße …«
»Halt mir keinen Vortrag und küss mich endlich.«
Jayden lächelt, streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und trägt mich zum Steg.

Meine Beine baumeln über dem Wasserspiegel, Jaydens hängen im See. Seine Brust hebt und senkt sich langsam. Während er einen Atemzug nimmt, nehme ich zwei; mein Atemvolumen ist zwar gering, doch der Fluss ruhig und gleichmäßig. Er schwitzt mehr als ich. Taucht sein Hemd ins Wasser, hält es über den Kopf und lässt sich nass regnen. Dass ich ein paar Spritzer abbekomme, ist mir egal. Wenn es kurz vor Mitternacht noch warm wie im Frühjahr ist, werde ich bei sowas nicht hysterisch.
Ich lege den Kopf schräg und sehe zu Jayden. Seine Kiefer sind zusammengepresst, der Blick huscht hin und her. Am Telefon habe ich gesagt, wie dreckig es mir geht, und ich weiß, das macht ihm Angst. Aber er wird mich nicht drängen, auch das weiß ich.
»Hab Kortison intus, das für ´nen Elefanten reichen würde«, beginne ich. »Kein Husten, kein Rasseln, keine Kurzatmigkeit – könnt mich dran gewöhnen. Aber …«
Er legt das Hemd zur Seite. Seine Augen erscheinen mir größer, die gebräunte Haut blasser. »Aber was? Du hast von Untersuchungen erzählt, die gemacht werden sollten.«
»Vielleicht brauch ich das Zeug nicht mehr. Gestern haben wir die Ergebnisse besprochen. Ich glaube, es gibt … gute Nachrichten.«
Mir wird schwindelig, denn wie ich es ausspreche, fange ich an zu begreifen, dass da Hoffnung in mir ist. »Der Doktor sagte, mein Krankheitsverlauf sei untypisch, weil hauptsächlich an der rechten Lungenhälfte Veränderungen sind.«
»Das … das hört sich fantastisch an«, sagt Jayden und legt den Arm um meine Schultern.
»Aber dort ist das Lungengewebe total kaputt, und wenn nichts passiert, werden die Entzündungen auf die andere Seite übergreifen.«
»Transplantation?«, fragt er, und ich höre, wie er den Atem anhält.
»Nein«, sage ich schnell. »Amputation.«
»Was?«
»Sie wollen den Lungenflügel entfernen.«
Ich rutsche auf Jaydens Schoß und lege die Hand auf sein Brustbein. Die Haut ist nass, und darunter fühlt es sich fest an, aber nicht knochig wie bei mir.
»Hier sollen sie voneinander getrennt werden. Und von da …«, ich ziehe mit dem Finger eine Linie von Schulterblatt zu Achselhöhle und fahre weiter zu seiner Brust »… bis da wird aufgeschnitten. Sie müssen mir ein paar Rippen brechen, um an die Lunge zu kommen.«
Jayden räuspert sich. »Was noch?«
»Ich werd viel Blut verlieren, weil man nur im Notfall Konserven kriegt. Vorher spenden würd mich aber schwächen.«
»Hm«, macht er und nickt.
»Das Pipapo mit Medikamenten, Atemgymnastik und Krankenhaus werd ich nie los – meine Lunge ist und bleibt krank. Aber die meinen, wenn ich mich ranhalte, kann ich aus der trotzdem was rausholen und wieder Sport machen.«
»Und tanzen. Wirst sehen, wir spielen die alten Platten und rocken ab.«
Jayden sieht in den Himmel, wo uns ein großer, runder Mond angrinst. Um ihn herum, silbrig glänzend, Tausende von Sternen.
»Wie geht’s jetzt weiter?«, fragt er nach einer Weile. Sein Blick ist ängstlich, und ich schäme mich, auch nur einen Moment an die andere Möglichkeit gedacht zu haben.
»Montag wollen sie Bescheid, dann wird der Termin gemacht. Die Operation - das wird ´ne große Sache. Hab ´nen Riesenbammel davor.«
»Ich auch. Aber ich will nicht dran denken, was sonst passiert.«
Ich küsse seine Brust. Höre seinen Herzschlag und Atem und seufze. Mein Jayden. Tausendfach verstärkt nehme ich alles an ihm wahr und stelle fest, wie sehr sich mein Leben in den letzten Stunden verändert hat.
»Es hat … es hat nie aufgehört weh zu tun«, sage ich leise und reibe mir den Unterarm. Die Narbe ist klein, sie hat keinen stutzig werden lassen.
Er vergräbt das Gesicht in meinem Haar. »Ich weiß. Aber jetzt ist´s vorbei, das garantiere ich dir.«
Ich lehne mich zurück und sehe ihn an. Da sind feine, fächerförmige Linien um seine Augenwinkel und dunkle Stoppeln an Wangen, Kinn und über der Oberlippe. Seltsam, erst jetzt fällt mir auf, dass er in meiner Vorstellung immer ein Teenager gewesen ist.
»Hört sich gut an«, sage ich und lächle. »Es ist schön, eine Zukunft zu haben. Eine mit dir.«

Wir sitzen eng beieinander, und ich wünsche mir, die Nacht möge nie zu Ende gehen. Morgen wird wieder alles beim Alten und doch ganz neu sein.
Jayden schüttelt seine Haare wie ein Headbanger und spritzt mich nass. Ich lache, fühle mich leicht und schwerelos und denke an die Kinder und Jugendlichen, die ich im Krankenhaus kennengelernt habe – viele von ihnen leben heute nicht mehr. Wie glücklich sie gewesen wären über die Chance einer lebensverlängernden Operation.
Mit einer Entschlossenheit, wie ich sie lange nicht hatte, stehe ich auf und ziehe an Jaydens Arm. »Wo wohnst ´n du eigentlich?«
»Daheim. In meinem alten Zimmer.« Er grinst und springt hoch.
»Deine Mom ist sicher froh, dich wiederzuhaben.«
»Das kannst du laut sagen.«
»Deine Mom ist sicher froh …«, schreie ich in die Nacht, und Jayden wirbelt mit mir herum, bis ich um Gnade bitte. Unser Lachen ist das von übermütigen Kindern.
»Meinst du, sie kann auf dich verzichten?«
»Sie wird´s müssen, Honey.«
Ein Wassertropfen löst sich von seiner Stirn und rinnt die Schläfe entlang. Ich wische mit dem Finger darüber und lecke ihn ab. Jaydens Lippen an meinem Hals sind angenehm kühl.
Kichernd ziehe ich ihn hinter mir her. »Auf geht´s, Killinger. Du hast uns eine geile Zeit versprochen. Sieht aus, als hättest du jede Menge zu tun.«

Quellenangabe

Wer nun Lust zum Rocken bekommen hat, die in der Geschichte genannten Songs und Songtexte stammen aus der Bon-Scott-Ära der australischen Hard-Rock-Band AC/DC.


Im Einzelnen sind das:

1 Love Song aus High Voltage (1975 Australien)
2 Let There Be Rock aus Let There Be Rock (1977 Australien)
3 Whole Lotta Rosie aus Let There Be Rock (1977 Australien)
4 She´s Got Balls aus High Voltage (1975 Australien)
5 Little Lover aus High Voltage (1975 Australien)

 
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Hey Tintenfass,

nachdem Du nun so oft und lang an der Geschichte gebastelt hast, komme ich auch endlich dazu sie zu lesen. Mutiges Thema finde ich, Hut ab davor. Als der Drucker gestern Abend gar nicht mehr aufhörte, dachte ich so, okay, hau Dich entspannt auf's Sofa und geh das an wie einen Roman. Nicht mal eben schnell die KG lesen, sondern nimm dir Zeit und koch Dir einen Tee. Ja, und genau so hat es sich dann auch gelesen. Sehr romanhaft, irgendwie. Lang auserzählt - da hat sich die Autorin sehr viel Zeit und Zeilen gegönnt. Kann man im Forum ja oft als Kritikpunkt lesen - länger, doller, mehr. Ich schätze, hat hier niemand drunter geschrieben :). Und es ist eine rührende Geschichte geworden. Ich habe mich jedenfalls sehr wohl im Text gefühlt. Das Ende ist bisschen kitschig, aber das hat was mit Vorlieben zu tun und viele Leser werden es Dir danken. Dabei hätte es auch so ein schöner Taschentuchtext werden können. Echt jetzt mal. Ich hätte bestimmt total gut flennen können, gerade nach der ganzen Vorarbeit.


Ständig habe ich Angst. Eine Scheißangst vorm Sterben. Sie sitzt mir im Nacken. Tag und Nacht. Lässt mich kaum zur Ruhe kommen. Es fühlt sich an wie in einem Film, in dem ein Mädchen von einem Kerl verfolgt wird, der ihr an die Wäsche will. Sie rennt und rennt und rennt und er ist ihr dicht auf den Fersen; sie riecht seinen stinkenden Atem, rennt schneller, hängt ihn ab. Er hetzt nach, holt auf und ist wieder hinter ihr. Die junge Frau, sie läuft um ihr Leben. Schwitzt, keucht, weiß, am Ende wird er sie kriegen.

Toller Anfang!

Sein Blick wanderte durch den Raum. Fing in einer Ecke an und zog sich durch die Klasse, ohne abzusetzen. So, als würde er mit den Augen das Haus vom Nikolaus malen.

Das ist ein echt schönes Bild.

Und dass die Kinder keine hohe Lebenserwartung hätten. Wie ich es gehasst habe, wenn meine Eltern damit hausieren gingen, Aufklärung betrieben. Selbst vor meiner Lehrerin machten sie nicht halt. Ich malte mir damals aus, wie das Gerede seine Kreise zog. Erst in meiner Klasse, dann durch die Schule, bis am Ende das ganze Dorf Bescheid wusste. Ich fühlte mich gebrandmarkt wie ein Rind auf der Killinger-Ranch. Dachte, alle würden tuscheln, sagen: »He, da kommt die, die nicht lange leben wird.«

Auch sehr schön gemacht. Allerdings habe ich mich später gefragt, wie die Krankheit und der Sport zusammengehen, gerade bei Lunge. Du sagst zwar nicht viel drüber, aber wenn Lachen schon mit einem solchen Hustenanfall enden kann, was macht die Lunge dann, wenn sie noch stärker herausgefordert wird.

Jayden drehte mich zu sich und legte die Hand auf meinen Mund. »Ich will dich nicht ärgern. Ich wünsch mir nur, dass du deine Einstellung überdenkst. Wirst du das für mich tun?«

Irgendwie klingen die beiden für mich manchmal nicht nach Teenager, sondern 10 Jahre älter. Hier zum Beispiel.

Ich schlenkerte mit unseren Armen. Wurde immer heftiger und als Jayden sagte, ich solle ihm nicht die Schulter auskugeln, hörte ich damit auf. Nun hüpfte ich, um in seinen Takt zu kommen, und ging im Gleichschritt neben ihm her.
»Bin voll froh, dass der Schneider was anderes vorhatte. Dem sein dämliches Porzellanpuppen-Geschwätz, geht mir sowas von auf den Keks.«
»Asshole«, nuschelte Jayden und sagte laut: »Lang geblieben wär der nicht.«
»Deshalb?«, fragte ich und hielt ihm meine Faust unter die Nase. Wir sahen uns an und lachten.
Ich spitzelte zu ihm hoch. Tat mich immer noch schwer damit, dass sein Lachen nicht mehr das eines Jungen war.

Der Absatz kann ganz und gar noch weg. Da steckt nichts drin, was der Text braucht.

Ich habe nicht mal mitbekommen, was da Witziges erzählt wurde: Ein Faden am Tischtuch braucht meine Aufmerksamkeit.

Warum nur bist Du so sparsam mit solchen Bildern? Die sind doch echt gut.

In meinem Hals bildet sich ein Kloß und Kälte macht sich breit – wie immer, wenn ich es nicht schaffe, die Leere in mir auszublenden. Unsere Zuneigung ist für mich ein Fundament gewesen, auf das ich mein Leben gebaut habe. Sie hat mich jeden Morgen aus dem Bett hüpfen lassen, gestützt, wenn ich krank war und bei Traurigkeit getröstet. Das wurde mit einem Schlag zum Einsturz gebracht. Meine Hoffnungen, Träume, Sehnsüchte zerstört. Davon habe ich mich nie richtig erholt. Ich sehe mich noch immer unter den Trümmern unserer gemeinsamen Zeit liegen.

So. Das ist mein Hauptkritikpunkt. Du schreibst alles aus, malst szenisch jede kleine Stänkerei, aber wenn es wirklich mal ernst wird, wenn es wirklich mal an die Nieren geht, dann kneifst Du. Das riesen Loch - das Drama der Geschichte, der eigentliche Konflikt - ein Miniabsatz. Tse, tse, tse.

Jayden schnappt nach LuftKOMMA als hätte ich ihn vor dem Ertrinken gerettet und lächelt mich an. »Als wenn das noch möglich gewesen wäre. Echt Valle, kein Mädchen lacht so dreckig wie du.«

Ich grinse und öffne die Autotür. »Gehn wir ein Stück?«
»Wenn´s dir nicht zu viel wird.«
»Heut ist ein guter Tag. Bin gedopt bis untern Pony.«

***​

Schweigend laufen wir zum See. Ich hake mich bei Jayden unter und bestimme das Tempo; er die Richtung. Seine Haare sind am Ansatz feucht und dort, wo sich unsere Arme berühren, klebt die Haut.

Sonst hattest Du die Sternchen immer, wenn ein Wechsel von früher zu heute statt fand. Findet hier aber gar nicht statt und hat mich daher irritiert. Ein einfacher Absatz würde auch einen Zeitsprung markieren.

»Es hat … es hat nie aufgehört weh zu tun«, sage ich leise und reibe mir den Unterarm. Die Narbe ist klein, sie hat keinen stutzig werden lassen.

Nice. Die kleine Narbe versteckt sich richtig im Text, ich mag das. Umso wichtiger aber das Loch, über das Du schweigst.

So viel von mir. Ich habe die Geschichte wirklich gern gelesen. Die beiden sind einfach ein schönes Paar, dem man gern zuschaut und zuhört. Ich jedenfalls. Danke für den Abend :).

Liebe Grüße, Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Fliege,

entschuldige bitte die lange Wartezeit. Dein Hauptkritikpunkt drückte mir auf den Magen. Ich habe in den letzten Tagen viel darüber nachgedacht, wie ich dieses Loch im Text schließen und dich zum flennen bringen könnte. Habe meine Dokumente mit den 'Textfetzen' durchgesehen, Neues geschrieben, Sätze wie Puzzlestücke hin- und hergeschoben und am Ende befürchtet, den Text zu versauen. Aber erst mal der Reihe nach:

Mutiges Thema finde ich, Hut ab davor. Als der Drucker gestern Abend gar nicht mehr aufhörte, dachte ich so, okay, hau Dich entspannt auf's Sofa und geh das an wie einen Roman. Nicht mal eben schnell die KG lesen, sondern nimm dir Zeit und koch Dir einen Tee. Ja, und genau so hat es sich dann auch gelesen. Sehr romanhaft, irgendwie. Lang auserzählt - da hat sich die Autorin sehr viel Zeit und Zeilen gegönnt. Kann man im Forum ja oft als Kritikpunkt lesen - länger, doller, mehr. Ich schätze, hat hier niemand drunter geschrieben :). Und es ist eine rührende Geschichte geworden. Ich habe mich jedenfalls sehr wohl im Text gefühlt. Das Ende ist bisschen kitschig, aber das hat was mit Vorlieben zu tun und viele Leser werden es Dir danken. Dabei hätte es auch so ein schöner Taschentuchtext werden können. Echt jetzt mal. Ich hätte bestimmt total gut flennen können, gerade nach der ganzen Vorarbeit.

'Sehr romanhaft, irgendwie. Lang auserzählt - da hat sich die Autorin sehr viel Zeit und Zeilen gegönnt.'
Wow, das klingt einfach wunderbar. Vielen Dank dafür.
Das Thema liegt mir sehr am Herzen und mir war auch klar, dass diese Geschichte keine kurze werden würde. Umso mehr freut es mich natürlich, wenn sich die Leser darauf einlassen und wenn
du mir sagst, du hättest dich wohl im Text gefühlt, dann ist das ein großes Kompliment. Dankeschön.
Ja und das mit dem kitschigen Ende … hm, ich weiß nicht, ob ich dich hier richtig verstehe. Ich wollte Raum für Hoffnung lassen.

Und dass die Kinder keine hohe Lebenserwartung hätten. Wie ich es gehasst habe, wenn meine Eltern damit hausieren gingen, Aufklärung betrieben. Selbst vor meiner Lehrerin machten sie nicht halt. Ich malte mir damals aus, wie das Gerede seine Kreise zog. Erst in meiner Klasse, dann durch die Schule, bis am Ende das ganze Dorf Bescheid wusste. Ich fühlte mich gebrandmarkt wie ein Rind auf der Killinger-Ranch. Dachte, alle würden tuscheln, sagen: »He, da kommt die, die nicht lange leben wird.«

Auch sehr schön gemacht. Allerdings habe ich mich später gefragt, wie die Krankheit und der Sport zusammengehen, gerade bei Lunge. Du sagst zwar nicht viel drüber, aber wenn Lachen schon mit einem solchen Hustenanfall enden kann, was macht die Lunge dann, wenn sie noch stärker herausgefordert wird.

Zunächst einmal ist Sport unheimlich wichtig bei dieser Erkrankung. Eltern bekommen das schon ganz früh eingetrichtert, dass sie ihr Kind dazu motivieren sollen. Natürlich alles im Rahmen, was für die Kids machbar ist.
Valles Krankheit fing erst an, sie einzuschränken, als sie sechzehn war. Da beginnt auch die Geschichte. Davor hat sie alles gemacht, was die anderen auch taten.
Ich habe, weil sich schon mal jemand gefragt hat, wie man Turnen und Husten unter einen Hut bringen kann, im Text eine Änderung vorgenommen, die das jetzt hoffentlich deutlicher macht:

»Dein Texas ist verdammt weit weg. Wie soll ´n das gehen?«, fragte ich und zeigte auf meinen Brustkorb. »Es fängt an, mich in die Knie zu zwingen – die Turnerei kann ich schon mal an den Nagel hängen.«

Jayden drehte mich zu sich und legte die Hand auf meinen Mund. »Ich will dich nicht ärgern. Ich wünsch mir nur, dass du deine Einstellung überdenkst. Wirst du das für mich tun?«

Irgendwie klingen die beiden für mich manchmal nicht nach Teenager, sondern 10 Jahre älter. Hier zum Beispiel.

Jayden habe ich auch immer älter gesehen. Keine zehn, fünf Jahre vielleicht. Ich wollte aber schon, dass die beiden älter und reifer wirkten. Ich denke, das bleibt einfach nicht aus, wenn man sich schon in jungen Jahren große Sorgen machen muss.


Ich schlenkerte mit unseren Armen. Wurde immer heftiger und als Jayden sagte, ich solle ihm nicht die Schulter auskugeln, hörte ich damit auf. Nun hüpfte ich, um in seinen Takt zu kommen, und ging im Gleichschritt neben ihm her.
»Bin voll froh, dass der Schneider was anderes vorhatte. Dem sein dämliches Porzellanpuppen-Geschwätz, geht mir sowas von auf den Keks.«
»Asshole«, nuschelte Jayden und sagte laut: »Lang geblieben wär der nicht.«
»Deshalb?«, fragte ich und hielt ihm meine Faust unter die Nase. Wir sahen uns an und lachten.
Ich spitzelte zu ihm hoch. Tat mich immer noch schwer damit, dass sein Lachen nicht mehr das eines Jungen war.

Der Absatz kann ganz und gar noch weg. Da steckt nichts drin, was der Text braucht.

Du hast recht. Ich habe ihn gelöscht. Aber weil mir das Armeschlenkern und Rumgehüpfe so gut gefällt habe ich es stehen lassen und der folgenden Szene vorangestellt.

Ich habe nicht mal mitbekommen, was da Witziges erzählt wurde: Ein Faden am Tischtuch braucht meine Aufmerksamkeit.

Warum nur bist Du so sparsam mit solchen Bildern? Die sind doch echt gut.

Hey, ich finde, ich habe mich hier echt gut geschlagen mit solchen Bilder :-) Aber ich bleibe dran.

In meinem Hals bildet sich ein Kloß und Kälte macht sich breit – wie immer, wenn ich es nicht schaffe, die Leere in mir auszublenden. Unsere Zuneigung ist für mich ein Fundament gewesen, auf das ich mein Leben gebaut habe. Sie hat mich jeden Morgen aus dem Bett hüpfen lassen, gestützt, wenn ich krank war und bei Traurigkeit getröstet. Das wurde mit einem Schlag zum Einsturz gebracht. Meine Hoffnungen, Träume, Sehnsüchte zerstört. Davon habe ich mich nie richtig erholt. Ich sehe mich noch immer unter den Trümmern unserer gemeinsamen Zeit liegen.

So. Das ist mein Hauptkritikpunkt. Du schreibst alles aus, malst szenisch jede kleine Stänkerei, aber wenn es wirklich mal ernst wird, wenn es wirklich mal an die Nieren geht, dann kneifst Du. Das riesen Loch - das Drama der Geschichte, der eigentliche Konflikt - ein Miniabsatz. Tse, tse, tse.

Okay du hast völlig recht. Ich habe das nicht analysiert, warum ich mich gedrückt habe, sondern mich lieber gleich an die Arbeit gemacht. Nach fünf Anläufen kann ich dir jetzt etwas präsentieren, dass das Loch hier hoffentlich schließt. Ob es für´s Taschentuch reicht? Hm. Ich bin da skeptisch. Es fühlt sich noch fremd an. Aber ich finde es besser als die vorige Version und kopiere dir mal den geänderten Teil aus der Szene:


»Von mir aus hätt das ewig mit uns weitergehen können«, sage ich und als er seine Hand wegnehmen will, halte ich sie fest. »Es war ja nicht so, dass mich keiner gewarnt hätte. Sogar Carmen hat gefrotzelt und von Ami-Mädels geredet, die dir schöne Augen machen. Aber«, ich kralle meine Nägel in sein Handgelenk, »ich hab nur darüber gelacht. Nie Jay, nie, nie, nie hab ich geglaubt, dass das passiert.« Ich schließe kurz die Augen und flüstere: »Es hat sich angefühlt, als wärst du tot.«
In meinem Hals bildet sich ein Kloß und Kälte macht sich breit – wie immer, wenn ich es nicht schaffe, die Leere in mir auszublenden. »Nachdem du … ich wusste nichts mit mir anzufangen. Da war nichts, was mich angetrieben hätte«, sage ich. »Ich war … einsam, ohne dich … und verlassen.«
Jaydens Stimme klingt rau. »Ich weiß, Valle. Konnt mir ja denken, wie du …«
Kopfschüttelnd studiert er mein Gesicht, als sähe er es zum ersten Mal, und ich bekomme eine Ahnung davon, wie sehr auch er gelitten hat. »Bernd hat mir viel erzählt. Von Atemnot und Panikattacken. Dem Zoff mit deinen Eltern und wie du dich eingeigelt hast.« Er nimmt meine Hand, rutscht zurück auf den Sitz und sieht mich von der Seite an.
Ich beiße mir von innen auf die Backen, kneife die Augen zusammen und reiße sie wieder auf. Nur nicht heulen. Bitte, nicht heulen.
»Ich hab … mir oft gewünscht, … dass sich … meine Lunge verschlechtert«, sage ich leise. »Mich … nach Ruhe gesehnt … und dass es vorbeigeht.«
Jayden lehnt sich zurück. Sein Gesicht ist starr und ausdruckslos wie eine Maske. Er hat sich meine Hand auf den Schenkel gelegt und seine Finger darum geschlossen. Es sieht aus, als hüte er einen wertvollen Schatz. Es schmerzt, ihn so zu sehen und an das Alleinsein denken zu müssen.
Tränen laufen mir übers Gesicht. Mit der freien Hand taste ich zum Seitenfach und fische ein Taschentuch heraus. Vorsichtig, ohne den anderen Arm zu bewegen. Ich will Jayden nicht meine Hand entziehen. Es scheint, als bräuchte auch er etwas, woran er sich festhalten kann. Ich trockne mein Gesicht, schnäuze die Nase. Atme durch.
»Seit zwei Jahren geht’s mir wieder besser.«
»Hab gehört, du hast ´ne Therapie gemacht.«
»Ja. Ich hab aber auch einen Jungen kennengelernt«, sage ich und lächle ihn an.
Jayden runzelt die Stirn und schiebt den Unterkiefer vor. Er streichelt meine Hand und starrt in die Nacht. »Davon hat mir keiner was gesagt«, murmelt er.
»Ich hab mich wochenlang nicht bei Carmen gemeldet. Dann kam sie zu mir, hat mir ihr Baby an die Brust gedrückt und gesagt: Ich will, dass du seine Patin wirst.« Ich räuspere mich, bevor ich fortfahre: »Auf einmal … da war wieder wer, der mich brauchte … und den ich liebhaben konnte.«
Er sieht mich irgendwie erleichtert an und ich lasse mich in den Sitz fallen. Denke an meine Verwunderung, weil ein Neugeborenes so schwer sein konnte. Und an die Wärme, die sich in mir breit gemacht hat. Von der Körpermitte aus, als hätte mir jemand heißes Blut injiziert. Ich habe nicht mal gewusst, wie ausgekühlt ich war.
Jayden starrt nach unten und spielt mit meinen Fingern. »Was geschehen ist, kann ich nicht rückgängig machen«, sagt er leise. »Aber wenn du mich lässt, dann mach ich´s wieder gut.«
Wir schweigen und hören von Bon, dass der Lover sich schwer damit tut, jemanden zu finden, der ihm das gibt, was er braucht.
...

»Es hat … es hat nie aufgehört weh zu tun«, sage ich leise und reibe mir den Unterarm. Die Narbe ist klein, sie hat keinen stutzig werden lassen.

Nice. Die kleine Narbe versteckt sich richtig im Text, ich mag das. Umso wichtiger aber das Loch, über das Du schweigst.

Ja richtig. Ich hoffe, das ist jetzt alles runder geworden.

So viel von mir. Ich habe die Geschichte wirklich gern gelesen. Die beiden sind einfach ein schönes Paar, dem man gern zuschaut und zuhört. Ich jedenfalls. Danke für den Abend :).

Ich danke dir, Fliege. Fürs Lesen, deine Gedanken, den Tritt in den Hintern (das Tse, tse, tse empfand ich als solchen :-)) die lobend hervorgehobenen Stellen und überhaupt. Es freut mich sehr, dass dir meine Geschichte einen schönen Abend bereitet hat.
Ach ja, das Komma habe ich eingefügt und Danke für den Hinweis mit den Sternchen. Die waren natürlich fehl am Platz.

Liebe Grüße
Tintenfass

Nachtrag 27.09.2017:

Habe die zentrierten *** nach jedem 'Ortswechsel' eingefügt und Flieges Hauptkritikpunkt nochmals überarbeitet. Jetzt steht da:

...
»Von mir aus hätt das ewig mit uns weitergehen können«, sage ich und als er seine Hand wegnehmen will, halte ich sie fest. »Es war ja nicht so, dass mich keiner gewarnt hätte. Sogar Carmen hat gefrotzelt und von Ami-Mädels geredet, die dir schöne Augen machen. Aber«, ich kralle meine Nägel in sein Handgelenk, »ich hab nur darüber gelacht. Nie Jay, nie, nie, nie hab ich geglaubt, dass das passiert.« Ich schließe kurz die Augen und flüstere: »Es hat sich angefühlt, als wärst du tot.«
In meinem Hals bildet sich ein Kloß und Kälte macht sich breit – wie immer, wenn ich es nicht schaffe, die Leere in mir auszublenden. »Nachdem du … ich wusste nichts mit mir anzufangen. Da war nichts, was mich angetrieben hätte«, sage ich. »Ich war … einsam, ohne dich … und verlassen.«
Jaydens Stimme klingt rau. »Ich weiß, Valle. Konnt mir ja denken, wie du …«
Kopfschüttelnd studiert er mein Gesicht, als sähe er es zum ersten Mal, und ich bekomme eine Ahnung davon, wie sehr auch er gelitten hat. »Bernd hat mir viel erzählt. Von Atemnot und Panikattacken. Dem Zoff mit deinen Eltern und wie du dich eingeigelt hast.« Er nimmt meine Hand, rutscht zurück auf den Sitz und sieht mich von der Seite an.
Ich beiße mir innen auf die Backen, kneife die Augen zusammen und reiße sie wieder auf. Nur nicht heulen. Bitte, nicht heulen.
»Ich hab … mir oft gewünscht, … dass sich … meine Lunge verschlechtert«, sage ich leise. »Mich … nach Ruhe gesehnt … und dass … es vorbeigeht.«
Jayden lehnt sich zurück. Sein Gesicht ist starr und ausdruckslos wie eine Maske. Er hat meine Hand auf seinen Schenkel gelegt und die Finger darum geschlossen, als wolle er sie beschützen.
Tränen laufen mir übers Gesicht. Einfach so. Ich kann nichts dagegen tun. Als flöge etwas durch die Luft, das in den Augen reizt. Mit der freien Hand taste ich zum Seitenfach und fische ein Taschentuch heraus. Vorsichtig, ohne den anderen Arm zu bewegen. Ich will Jayden nicht meine Hand entziehen. Es scheint, als bräuchte auch er etwas, woran er sich festhalten kann. Ich trockne mein Gesicht, schnäuze die Nase. Atme durch.
Jayden streichelt meine Hand und starrt in die Nacht. »Was geschehen ist, kann ich nicht rückgängig machen«, sagt er leise. »Aber wenn du mich lässt, dann mach ich´s wieder gut.«
Wir schweigen und hören von Bon, dass der Lover sich schwer damit tut, jemanden zu finden, der ihm das gibt, was er braucht.
...

 
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Hallo Tintenfass!

Nachträglich habe ich deine Geschichte jetzt noch gelesen und gebe dir kurz Feedback. Ich finde, du hast wirklich einen Sprung nach vorne gemacht und man merkt, dass du da sehr viel Zeit und Energie reingesteckt hast. In dem Sinne: Sehr gut. Die Story wirkt auch rund auf mich und authentisch, dass die Krankheit drinnen steckt in der Geschichte und immer mitschwingt finde ich auch einen schönen Konflikt, gerade, weil das alles sehr authentisch und klischeefrei/originell im Bezug auf die Krankheit wirkt. Ich finde, sie ist auch ein sehr schönes Symbol für den Gemütszustand deiner Prot, dieses Verletzte und sie weiß nie, wie lange ihr Körper noch mitspielt, dieses Ungewisse und Verletzte ist ja auf einer Art ein Äquivalent zur Liebesbeziehung mit Jayden. Also wirklich toll, dass du da so reingepowert hast und man merkt es.

Das einzige, was mir persönlich etwas "kritisch" aufgefallen ist, ist, dass die Story schon SEHR süß ist :D Also im Sinne von "schmalzig", wobei das mir zu negativ behaftet klingt. Das geht aber mir persönlich bloß so. Ich glaube, da gibt es eine breite Leserschaft von Leuten, die sehr sehr gerne solche Liebesbeziehungen lesen, und die auch Szenen sehr gerne mögen, wo Fackeln aufgestellt werden und Jayden ist einfach der perfekte Romantiker und dann malt er ihr die Namen auf den Rücken und sowas. Ich komme da schnell zu einem Punkt, wo ich irgendwo hinter all der Romantik den Autor lauern sehe, der hier einen gewissen Effekt damit erzielen will - oder anders gesagt: Sobald mir etwas in einer Story als etwas "übertrieben" im Vergleich zur Wirklichkeit vorkommt, bröckelt der Traum, in dem ich mich beim Lesen befinde, so ein wenig, weil ich mir eben denke: Ja, das ist doch ausgedacht, so süß und romantisch und perfekt kann doch kein Kerl und keine Beziehung sein. Das ist aber ähnlich bei zu viel Gewalt oder z.B. Düsternis in einer Story. Wenn das stark abweicht zum eigenen, persönlichen Erfahren der Wirklichkeit, kommt man als Leser/Rezipient schnell zu einem Punkt wo man denkt: Das ist doch ausgedacht! Für Leser, die ein besonders düsteres Weltbild haben, sage ich mal beispielsweise, klappt dann aber auch ein sehr düsterer Text, weil das eben nicht besonders von der Alltagserfahrung abweicht. Genauso bei sehr romantischen Texten, finde ich: Wenn deine Leser die Vorstellung oder Hoffnung haben, dass so etwas existiert, und wenn sie sich das auf eine Art wünschen und die Welt gerne so sehen (würden), dann klappt auch ein sehr romantischer Text bei diesen Leuten. Das ist so meine Theorie - ohne Gewähr! :D

Ich hatte mich beim Lesen noch gefragt: Komisch, dass Jayden und die Prot sich in zehn Jahren überhaupt nicht verändert haben. Als sie dann wieder zum See fahren kam es mir vor, als ob sie die gleichen Teenager wie damals sind, als ob da zehn Jahre Leben keine Spuren in ihnen hinterlassen hätten - Spuren im Sinne von Spuren in ihrem Charakter, Wesen. Ich dachte mir, der Prot müsste doch irgendwas an ihm auffallen: Dass er einen kleinen Bauch hat oder der Haaransatz nach oben gerutscht ist oder er mit der Hand gestikuliert, wie er es früher nicht gemacht hat, oder mehr oder weniger Selbstvertrauen hat. Aber nur so ein Randgedanke. Vielleicht sind sie ja wirklich zusammen noch fast genauso wie früher.

Was mir noch auffiel: Gelegentlich kommt mir deine Erzählerin aus der Sprache. So, als ob da eine zweite Erzählerin plötzlich reinrutschen würde:

Ich nutzte die Gelegenheit, mit der Zunge durch seinen Mund zu fahren. Hoffte, etwas Hasch abzubekommen und wühlte in einer Pfefferminz-Alkohol-Höhle herum.
Er kniete sich vor mich und sank auf die Fersen.
Junge, Junge, Junge. Ich leckte meine Lippen und konnte nicht aufhören, ihm zwischen die Beine zu starren.

Wieso diese Stellen? Sie ist die ganze Zeit so romantisch und süß, und ganz plötzlich und ganz kurz wird sie irgendwie total anders und wie ein notgeiler männlicher Teenager, sage ich mal. Aber du bist näher dran an weiblichen Figuren in dem Alter, wenn das tatsächlich so ist, dann lass es drinnen. Sticht bloß zwischen all der Romantik hervor, als ob das nicht da rein gehören würde.


Ja, gut gemacht, Tintenfass, bleib am Ball, du machst dein Ding. Ich habs gerne gelesen, auch wenn es für mich persönlich schon bisschen zu romantisch war, aber das heißt nicht, dass du irgendwas ändern sollst. Wirkt wirklich sehr rund, auch auf die Länge - das muss man erst mal schaffen.


Gruß
zigga

 

Hallo @zigga

endlich bin ich wieder fit und kann mich deinem tollen Kommentar widmen.

Die Story wirkt auch rund auf mich und authentisch, dass die Krankheit drinnen steckt in der Geschichte und immer mitschwingt finde ich auch einen schönen Konflikt, gerade, weil das alles sehr authentisch und klischeefrei/originell im Bezug auf die Krankheit wirkt. Ich finde, sie ist auch ein sehr schönes Symbol für den Gemütszustand deiner Prot, dieses Verletzte und sie weiß nie, wie lange ihr Körper noch mitspielt, dieses Ungewisse und Verletzte ist ja auf einer Art ein Äquivalent zur Liebesbeziehung mit Jayden. Also wirklich toll, dass du da so reingepowert hast und man merkt es.

Danke zigga. Es freut mich, wenn das bei dir gut angekommen ist und dass du diese Gleichartigkeit zwischen Krankheit und Liebesbeziehung herausgelesen hast. Mir war wichtig, die Protagonistin an beidem, in einem einigermaßen ausgewogenem Verhältnis leiden zu lassen. Ich wollte auch nicht zu viel von der Erkrankung schreiben, weil ich die nicht immer als zentralen Punkt im Leben der Figur sehe. Ja, das sollte einfach mitschwingen, toll, wenn das bei dir auch so angekommen ist.

Das einzige, was mir persönlich etwas "kritisch" aufgefallen ist, ist, dass die Story schon SEHR süß ist :D Also im Sinne von "schmalzig", wobei das mir zu negativ behaftet klingt. Das geht aber mir persönlich bloß so. Ich glaube, da gibt es eine breite Leserschaft von Leuten, die sehr sehr gerne solche Liebesbeziehungen lesen, und die auch Szenen sehr gerne mögen, wo Fackeln aufgestellt werden und Jayden ist einfach der perfekte Romantiker und dann malt er ihr die Namen auf den Rücken und sowas.

Mir ist klar, dass die Geschichte nichts für ein Massenpublikum ist. Ich war aber sehr überrascht, wie viele, die sie zwar als 'schmalzig' empfanden, mir dann hinterher sagten. »Hey, ich hab das aber trotzdem echt gerne gelesen.« Keine Ahnung, vielleicht hat doch jeder unbewusst so ein gewisse Sehnsucht in sich …? :Pfeif:
Und und das mit Fackeln aufstellen und die Namen auf den Rücken schreiben, das war Real Live ;)

Ich komme da schnell zu einem Punkt, wo ich irgendwo hinter all der Romantik den Autor lauern sehe, der hier einen gewissen Effekt damit erzielen will - oder anders gesagt: Sobald mir etwas in einer Story als etwas "übertrieben" im Vergleich zur Wirklichkeit vorkommt, bröckelt der Traum, in dem ich mich beim Lesen befinde, so ein wenig, weil ich mir eben denke: Ja, das ist doch ausgedacht, so süß und romantisch und perfekt kann doch kein Kerl und keine Beziehung sein. Das ist aber ähnlich bei zu viel Gewalt oder z.B. Düsternis in einer Story. Wenn das stark abweicht zum eigenen, persönlichen Erfahren der Wirklichkeit, kommt man als Leser/Rezipient schnell zu einem Punkt wo man denkt: Das ist doch ausgedacht!

Ich verstehe dich sehr gut. Mir geht das so oft bei Action-Filmen. Wenn da zu viel geballert, getötet und geschrien wird, um hervorzuheben, was für ein toller Kerl der Prot ist, habe ich schnell die Schnauze voll und schalte ab.
Bei Romantik sind meine Nerven aber strapazierfähiger. Ich lass mich da gerne in eine Welt entführen, von der ich denke, dass es sie in diesem Ausmaß nicht oder nur sehr selten gibt. Das ist dann auch immer eine Frage des Geschmacks oder der Geduld.
In meiner Geschichte habe ich mich von Verschiedenem treiben/leiten/inspirieren lassen, dabei aber immer versucht, das, was als Idee in meinem Kopf entstand, den Charakteren von Valle, Jay und Carmen anzupassen, so dass die drei als stimmige, durchaus echte Personen durchgehen könnten.
Ja und wenn du beim Lesen denkst: 'das ist doch ausgedacht, so süß und romantisch und perfekt kann doch kein Kerl und keine Beziehung sein', will ich zu bedenken geben, dass die Geschichte zwar von zehn Jahren erzählt, Valle und Jay sich aber in dieser Zeit gar nicht gesehen haben. Insofern kann man das vielleicht etwas relativieren, weil das Süße, Romantische, Perfekte sich nur auf einen kurzen Abschnitt beschränkt und ansonsten im Herzen der Prot, ich nenne es mal 'warmgehalten' wird.

Für Leser, die ein besonders düsteres Weltbild haben, sage ich mal beispielsweise, klappt dann aber auch ein sehr düsterer Text, weil das eben nicht besonders von der Alltagserfahrung abweicht. Genauso bei sehr romantischen Texten, finde ich: Wenn deine Leser die Vorstellung oder Hoffnung haben, dass so etwas existiert, und wenn sie sich das auf eine Art wünschen und die Welt gerne so sehen (würden), dann klappt auch ein sehr romantischer Text bei diesen Leuten. Das ist so meine Theorie - ohne Gewähr! :D

Und ich unterstütze deine Theorie :).

Ich hatte mich beim Lesen noch gefragt: Komisch, dass Jayden und die Prot sich in zehn Jahren überhaupt nicht verändert haben. Als sie dann wieder zum See fahren kam es mir vor, als ob sie die gleichen Teenager wie damals sind, als ob da zehn Jahre Leben keine Spuren in ihnen hinterlassen hätten - Spuren im Sinne von Spuren in ihrem Charakter, Wesen. Ich dachte mir, der Prot müsste doch irgendwas an ihm auffallen: Dass er einen kleinen Bauch hat oder der Haaransatz nach oben gerutscht ist oder er mit der Hand gestikuliert, wie er es früher nicht gemacht hat, oder mehr oder weniger Selbstvertrauen hat. Aber nur so ein Randgedanke. Vielleicht sind sie ja wirklich zusammen noch fast genauso wie früher.

Das ist ein interessanter Gedanke von dir, der mich beim ersten Lesen etwas stutzig gemacht hat. Aber er zeigt vielleicht unsere unterschiedlichen Herangehensweisen oder Erwartungen an die Geschichte. Ich sehe die Protagonistin als jemanden, der sich schwer mit Veränderungen tut. Sie sagt das auch mal: 'Nichts bleibt, wie es war. Nicht mal ein blöder Bootssteg.' Und diese Einstellung von ihr hatte ich beim Schreiben im Kopf. Ich habe immer versucht, ihr zu geben, was sie braucht, um im Leben zurechtzukommen. Daher auch die Gerüche an Jayden oder seine Art, wie er dasteht oder ihr übers Haar streicht. Sein 'sch, sch', wenn er sie beruhigt. Ich finde das aber vertretbar, denn es gibt Menschen, die ihre Angewohnheiten einfach nicht ändern.
Möglich wäre aber auch, dass er es für sie macht. Vielleicht hat er in den letzten zehn Jahren nicht ein Mal seinen Daumen in die Gürtelschlaufe gehängt, doch kaum ist er wieder bei ihr, tut er es, weil es für ihn auch irgendwie zusammengehört. Man weiß es nicht :hmm:
Ein paar äußerliche Veränderungen gibt es aber schon. Valle beschreibt zum Beispiel sein Gesicht mit: 'da sind feine, fächerförmige Linien um seine Augenwinkeln und dunkle Stoppeln an Wangen, Kinn und über der Oberlippe.' Und auch über den Größenunterschied der beiden, von früher und heute, erfährt man etwas. Und das mit dem beginnenden Bauch und dem Haaransatz, der verrutscht … ja, ich weiß, das haben auch schon Menschen, die Ende zwanzig sind. Aber Jayden ist Sportler, er wird in diesem Alter bestimmt noch keine kleine Wampe haben und seine vollen Locken – da hat er eben eine gute Veranlagung mitbekommen.
Zehn Jahre haben mit Sicherheit Spuren hinterlassen, auch in ihrem Charakter, da stimme ich dir zu. Aber an diesem Abend, da sehe ich die beiden so, wie sie als Teenager waren.

Was mir noch auffiel: Gelegentlich kommt mir deine Erzählerin aus der Sprache. So, als ob da eine zweite Erzählerin plötzlich reinrutschen würde:

Ich nutzte die Gelegenheit, mit der Zunge durch seinen Mund zu fahren. Hoffte, etwas Hasch abzubekommen und wühlte in einer Pfefferminz-Alkohol-Höhle herum.

Er kniete sich vor mich und sank auf die Fersen.
Junge, Junge, Junge. Ich leckte meine Lippen und konnte nicht aufhören, ihm zwischen die Beine zu starren.
Wieso diese Stellen? Sie ist die ganze Zeit so romantisch und süß, und ganz plötzlich und ganz kurz wird sie irgendwie total anders und wie ein notgeiler männlicher Teenager, sage ich mal.

Danke für diesen Hinweis.
Zu deinem ersten Zitat: In einer früheren Version war diese Szene etwas anders. Da hieß es in etwa: 'Ich nutzte die Gelegenheit, mit der Zunge durch seinen Mund zu fahren. Hoffte, etwas Hasch abzubekommen. Mir gab ja keiner was, obwohl ich es wirklich nötig hätte. Doch ich wühlte nur in einer Pfefferminz-Alkohol-Höhle herum.'
Aber dieser Einschub 'mir gab ja keiner was …' war mir zu erklärend. Ich habe daher Jayden drauf reagieren lassen, um dem Leser zu zeigen, was Valle mit dieser Aktion bezweckt. Ich sehe hier, ganz kurz nur, eine kleine Hinterlist. Die darf sie mMn aber ruhig haben.
Mir war es wichtig, die Prot trotz ihrer Krankheit ein 'normales' Mädchen sein zu lassen. Jemand der liebt und begehrt. Darum habe ich auch eine winzige, erotische Szene geschrieben. Und auch die zweite von dir zitierte Stelle, sollte das zeigen.
Ich war in keiner meiner anderen Geschichten, so dicht an der Figur wie in GZ. Mir hat das unheimlich Spaß gemacht, mit ihr zu riechen, hören, fühlen und schmecken. Und ich habe mich ständig gefragt, was sieht Valle jetzt in diesem Moment und habe das aufgeschrieben. Ja und was sieht sie, wenn sich ihr nackter Freund vor sie kniet? Was denkt sie dabei? Wie reagiert sie?
Aber gut, vielleicht muss man auch nicht immer alles beschreiben.

Aber du bist näher dran an weiblichen Figuren in dem Alter, wenn das tatsächlich so ist, dann lass es drinnen. Sticht bloß zwischen all der Romantik hervor, als ob das nicht da rein gehören würde.

Ja, wir können romantisch sein und gucken trotzdem nicht weg, wenn es was Schönes zu sehen gibt :D.
Es ist aber schade, wenn das für dich unangenehm herausgeragt hat und für mich eine Kritik, die ich noch überdenken werde.

Ja, gut gemacht, Tintenfass, bleib am Ball, du machst dein Ding. Ich habs gerne gelesen, auch wenn es für mich persönlich schon bisschen zu romantisch war, aber das heißt nicht, dass du irgendwas ändern sollst. Wirkt wirklich sehr rund, auch auf die Länge - das muss man erst mal schaffen.

Ich danke dir herzlich für dein Lob, das sich durch den gesamten Kommentar zieht; und das Mut machen. Und wenn du mir schreibst, du hättest es gerne gelesen, auch wenn es dir ein bisschen viel Romantik war, dann sehe ich das als ein großes Kompliment. Danke auch dafür.

Lieber Gruß
Tintenfass

 

Hallo Tintenfass,

deine Geschichte ist ja schon ein bißchen älter, wie schön, dass sie heute wieder in den Empfehlungen aufgetaucht ist.
Ich habe sie verschlungen. Und: ich glaub ich bin jetzt auch ziemlich verliebt in Jayden:)
Supertoll!

 

Hey @Lotterlieschen

das freut mich, wenn dich die Geschichte mitgerissen hat.

ich glaub ich bin jetzt auch ziemlich verliebt in Jayden

hehe :D


Vielen Dank für Deinen schönen Kommentar.

Lieber Gruß
Tintenfass

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Tintenfass,
da muss man sich ja ordentlich Zeit nehmen für deine Geschichte, oder sollte man sie lieber Novelle nennen? Obwohl ich wirklich nicht der Liebesgeschichten-Fan bin, muss ich dir ein großes Kompliment machen, ich habe mich nicht einmal beim lesen unterbrechen lassen. So etwas liest man hier nicht häufig. Eine Handvoll Fehler sind noch drin, da hab ich aber jetzt keine Lust zu. Gut gefallen mir besonders die Beschreibungen der Krankheit mit allen körperlichen und psychischen Folgen, die Art, wie Jayden seine Honey stärkt und gleichzeitig beschützt, die vielen vagen und doch aufschlussreichen Andeutungen...
Hab das Lesen sehr genossen.

Viele Grüße,
Jonathan

Edit: Und der Titel passt auch gut! Das Wort geil ist zwar irgendwie langsam ausgelutscht, aber du holst wirklich alles aus ihm raus. :)

 

Hey Rappi,

es freut mich zu hören, wenn ein Nicht-Lovestory-Fan die Geschichte in einem Rutsch gelesen und dazu noch genossen hat. Das ist wirklich ein sehr schönes Kompliment. Danke dafür.
Na, ich dachte eher, dass es eine Erzählung ist und habe hier mal nachgefragt. Aber die Geschichte ist schon eine Kurzgeschichte.
Ich stehe auf Texte in denen angedeutet wird und übe mich im Schreiben darin. Ist eine spannende Aufgabe.
Ach ja, die Fehler. Ich mach mich gleich an die Arbeit und lese Korrektur. Danke für den Schubs.

Ist immer schön, wenn ein Leser den Text so versteht, wie man es als Autor haben möchte :) Das gilt auch für den Titel.

Danke Jonathan, für Deine Zeit und den Kommentar. Habe mich sehr darüber gefreut.

Lieber Gruß
Tintenfass

P.S. Habe gesehen, Du bist noch nicht lange im Forum, darum ein herzliches Willkommen!

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Tintenfass,

meine Güte, eine "Mordsgeschichte" hast Du da abgeliefert. Liebe, Leben, Krankheit, Sterben, doch nicht Sterben, Tod im Nacken, Trennungsschmerz, Eifersucht, Versöhnung und Happy_End (wobei ich an letzterem meine Zweifel habe, dazu später mehr).
Ja sie ist lang, sehr lang, und es gab Passagen, bei denen ich mich zwingen musste, aufmerksam weiterzulesen, anstatt Sätze zu überfliegen: Zu den Gründen komme ich im Folgenden noch, davor muss ich Dir aber sagen, wie sehr mich Deine Geschichte an anderen Stellen in ihren Bann gezogen hat. Du findest Metaphern, die sich einbrennen, wie glühendes Eisen;). Solche, die das Setting, den Charakter der Protas zeichnen und stärken, nicht solche, die auf "Biegen und Brechen" zeigen sollen, was der Autor kann. Das machst Du mit links. Du erzählst Schweres mit einer selbstverständlichen Leichtigkeit ohne viel Geschwurbel, wirfst mir Häppchen hin, dass ich die Umstände verstehen oder zumindest erahnen kann und ersparst mir den Holzhammer (meistens zumindest). Beispiel? Ich erfahre von Valentinas Leistungssport, ohne, dass Du es beim Namen nennst (ich glaube, die konkrete Nennung kommt nur einmal vor, weit hinten im Text). Ich weiß, dass es sich um ein Klassentreffen handelt, ohne wirklich zu wissen, woher ich das weiß. Du erschaffst es eben; mit Deiner Sprache und doch ohne Worte.


Ständig habe ich Angst. Eine Scheißangst vorm Sterben. Sie sitzt mir im Nacken. Tag und Nacht. Lässt mich kaum zur Ruhe kommen.
Ein Einstieg, der mich angezogen hat. Ich habe Deine Geschichten im Überblick betrachtet, wo ich, ähnlich der Vorschau einer whatsapp-Nachricht, nur die ersten Sätze sehen kann. Dann bin ich hier gelandet.

Die junge Frau, sie läuft um ihr Leben. Schwitzt, keucht, weiß, am Ende wird er sie kriegen.
Da bahnt sich schon an, dass "er" kein Mensch ist. Eher das, was ihr im Nacken sitzt. Gefällt mir, wie Du mit den Bilder jonglierst.

Doch es gab mal eine Zeit, da konnte ich die Pausetaste drücken und ein ganz normales Mädel sein. Dann stand ich in der Turnhalle. Verteilte Kreidestaub auf meinen Händen, und alles war ruhig. Nur Friede und Stille in meinem Kopf.
Alles klar, hier wäre der Beweis, dass "er" kein menschlicher Verfolger ist inkl. eleganter Charakterisierung.
Es liegt einiges im Argen; ich bin angefixt und gebannt.

Sie rennt und rennt und rennt, und er ist ihr dicht auf den Fersen
Das Anfangsbild erzeugt nicht nur Spannnung, es klärt sich auch am Ende der Geschichte. Der Verfolger mit dem stinkenden Atem ist der Tod.
Die junge Frau, sie läuft um ihr Leben. Schwitzt, keucht, weiß, am Ende wird er sie kriegen.

noch viel besser. Wie hunderttausend, ach was, eine Milliarde Sporthallen.
Was für eine schöne, auf Deine Prota maßgeschneiderte Art und Weise, ihre Liebe in Worte zu fassen. Zudem schlägst Du gleich zwei Fliegen mit einer Klatsche; Valentinas Zuneigung gigantischen Ausmaßes zu ihrem Sport und die noch viel, viel, viel, unendlich viel größere Zuneigung zu ihrem Jay.
Klasse, wie du mit Szenerien und Bildern spielst. Du "showst" viel. Auch später. Anstatt zu schreiben: Sie war Sportlerin xy, beschreibst Du, wie sie sich daran erinnert in der Turnhalle Kreidestaub auf ihren Händen zu verteilen. Das kurbelt sofort Bilder an. Ringerin? Stabhochsprung?


»Hey, ich bin Jay.«
Das werde ich nie vergessen. Ist in mir drin, wie Herzklopfen und Atemgeräusche. Hey, ich bin Jay.
:herz: So einfach und doch so stark.

Während Carmens Augen fast aus den Höhlen purzelten und sie ´n Ami, ´n richtiger Ami wisperte
Vielleicht liegt es daran, dass ich auch mal so eine blöde, tolle Freundin hatte: Für einen da sein, aber auch den Finger in die Wunde legen (nicht hier, aber an späterer Stelle). Jedenfalls kann ich ihr fiepsendes, beinahe vor Euphorie heiseres Wispern hören, ich kann Deine Carmen sogar sehen. Wenn auch als "meine" Carmen. Aber so darf es ja auch sein.

Ja, und dann begann das, was wir später geile Zeit genannt haben und weswegen ich jetzt heulend hier sitze
Ich mag solche Zwischensätze, die einen an der Hand nehmen und einen unmissverständlich durch die Geschichte leiten. Müsste ich mir mal abkupfern; neige noch dazu, den Leser einfach unvorbereitet in die nächste Szene zu schmeißen..

»Weil ich vielleicht tot bin, wenn du zurückkommst.«
Was für eine unerwartete, dramatische Wendung des Dialogs. Eben noch voller Leichtigkeit und dann das. Da bahnt sich was Fürchterliches an. Der Spannungsbogen steigt. Aber du haust es einem nicht um die Ohren, also das "das" schon, aber nicht das "wie" und "warum". Du führst mich Stück für Stück dahin:
Gab mir das Gefühl, seine Lebendigkeit würde auch für mich reichen.

Viel hatten wir nicht gewusst, über meine Krankheit.
[...]
Und dass die Kinder keine hohe Lebenserwartung hätten.
So langsam wüsste ich schon gerne, um welche Krankheit es sich handelt.

Ich fühlte mich gebrandmarkt wie ein Rind auf der Killinger-Ranch. Dachte, alle würden tuscheln, sagen: »He, da kommt die, die nicht lange leben wird.«
Zack, hier auch wieder :thumbsup:: eine klare, den Protas lebensnahe Metapher, die logisch ist und funktioniert. Eine, die sich einbrennt! ;)


»Du musst´s endlich zulassen, so zu denken«, sagte Jayden. »Was machst ´n in vier Jahren? Nimmst ´n Strick und hängst dich auf?«
An dieser Stelle wollte ich Jay küssen! Wirklich! Klar, dass ich das wollte, ist natürlich schon in den Passagen zuvor entstanden: er ist einfühlsam, witzig, hartnäckig/standhaft, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und sich nicht in seiner Liebe und Hoffnung erschüttern. Und hier bricht er scheinbar damit. Aber nur scheinbar, denn eigentlich macht er das Beste, was er machen kann: Er konfrontiert seine Liebste, hält ihr den Spiegel vor Augen, in der Hoffnung sie in ihrem hoffnungslosen Pessimismus zu brechen, um ihr Mut zu machen. Ist manchmal das Einzige, was in solchen Momenten hilft. Bemitleiden und im Schmerz suhlen - so verständlich es angesichts der Umstände auch wäre - ist es jedenfalls nicht.

»Also echt, Ki…«
Jayden drehte mich zu sich und legte die Hand auf meinen Mund. »Ich will dich nicht ärgern. Ich wünsch mir nur, dass du deine Einstellung überdenkst.
Eben!

An seinen Lippen hingen Speichelfäden, und ich spürte Spucke im Gesicht.
Hmm, ob ich das so lecker finde? Aber du zeigst eben sehr ehrlich die Anziehung und Intimität, die die beiden teilen.

Als es vorbei war, hätte ich auf der Stelle in einen Tiefschlaf fallen können, und lehnte mich gegen Jayden.
F**k! Was für eine beschissene Krankheit.

Spürte seine Hand, die mir durchs Haar fuhr, hörte auf das Rauschen in meinen Ohren und blies beim Ausatmen die Luft durch die Lippen, bis sich alles in mir entspannte. Dann schloss ich die Augen und dachte nach.
Und umso toller ihr Typ! Schöner Satz übrigens.

»Wir sollten mal los«, sagte er, doch als ich aufstehen wollte, hielt er mich fest. »So viel Zeit muss sein …«
Und dann knutschten wir noch eine Weile.
Man, man, man. Das grenzt ja schon an die Kategorie zu schön, um wahr zu sein. ABER :) du bringst mir die beiden und ihre Jugendliebe (die sich schon sehr nach einer Erwachsenen-Liebe anfühlt) so nah, dass ich keine Zweifel daran habe. Bin ja eh längst verknallt in Deinen Jay! :shy: Ein klein bisschen schnulzig ist die Szene schon, aber verdammt nochmal, wann wenn nicht hier sollte Schnulz klargehen?

Will wieder mal eine junge Frau und keine Kranke sein. Da ist mir jedes Mittel recht. Um Spätfolgen mache ich mir wenig Sorgen. Es hat alles seine Vorteile – sogar das Sterben.
Treffer, versenkt. Jedes Wort darin wuchtig, nachvollziehbar, spürbar. Traurig.

Ich sehe ihn vor mir, seinen dunklen Wuschelkopf. Das grinsende Gesicht. Die verfluchten Grübchen.
Die verfluchten Grübchen sind stark. Da steckt Liebe und Verzweiflung, Sehnsucht und Wunsch nach Loslassen drin. So viel Inhalt in zwei kleine Worte verpackt.

Dito:

Jahrelang hat mich sein Lächeln verfolgt; in der Nacht gewärmt und am Tag in die Verzweiflung getrieben.
Zwar weiß ich das an der Stelle schon, aber es stört auch nicht, im Gegenteil, es ist so schön geschrieben.

Sie neigten ihre Köpfe, und Jayden hörte nicht auf zu quatschen.
Du hast immer wieder Kommas im Text, die nicht falsch sind, aber auch nicht zwingend notwendig. Hier verbindest du zwei Hauptsätze durch ein "und" miteinander. Früher war ein Komma Pflicht, trotz "und", heute ist es optional. Wie es Dir beliebt. Ich versuche, alle Kommas nach Hause zu schicken, die es nicht unbedingt braucht. Liegt wohl auch daran, dass ich früher an Kommaritis gelitten habe. Das, war, echt, nervig.

»Seit wir ihn kennen, wissen wir, dass er nach der Schule abhauen wird«, sagte Carmen, die mit mir am Lagerfeuer saß. »Tja, morgen isser weg. Wirst ganz schön einsam sein, ohne deinen Killinger.«
Die miese Zimtzickenziege. :lol: Bis dahin konnte ich sie schon nicht als beste Freundin erkennen, aber hier schießt sie den Vogel ab. Immer schön rein in die offene Wunde. Auch später "tellst" du zwar, dass sie es ist (ließ Valentina bei sich wohnen), aber so wirklich warm werde ich mit der nicht. Vermutlich nehme ich ihr diesen Spruch so übel, dass ich sie später in keinem guten Licht mehr sehen will. Ist also meine Schwäche.

Der nächste Husten, das nächste pfeifende Geräusch beim Atmen ließ diesen Traum immer platzen, als wäre er ein verdammtes Lungenbläschen.
So stark! Traurig, lebensnah, schlicht, genial. (Das Komma zwischen schlicht und genial ist optional.)

Jayden schob mich zurück. »Vergiss es«, sagte er, und im Schein der Flammen glitzerten seine Augen. »Wenn du dir was einpfeifen willst, inhalier Kochsalz. Machst das eh zu wenig.«
:herz: Was für ein Typ!

»Ins Separee.«
:lol: Und hier plötzlich ganz der feine Kerl. Da bin ich gestolpert. Ich sehe ihn so lässig und cool vor mir, und dann spricht er plötzlich wie ein feiner Pinkel.

Die Grübchen so tief, dass man in ihnen einen Puck hätte versenken können – aber er strich mir sanft übers Haar.
Ja und nein. Es wird schon klar, dass Du einmal mehr seine wunderbaren, fantastischen, zauberhaften Grübchen darstellst, aber ein Puck ist doch groß und hart. Bei "The Walking Dead" sieht man "Grübchen", in denen man einen Puck versenken kann. Aber auch hier wäre das kein ansehnliches Bild.

Dieser Blick, das waren wir. Jayden und Valentina. Ich weiß nicht, wie ich es anders beschreiben könnte. Aber auf einmal hatte ich den Durchblick.
Wahre Liebe kann Berge versetzen.

Wir grinsten bis hinter die Ohren, weil es sofort anfing zu schmatzen.
Da ist mMn der Absatz verrutscht, der Satz würde sich doch ganz gut hinter den vorangegangenen einreihen? Es sei denn, du beabsichtigst das so.

Er grinste, und ich grinste zurück.
Er grinste und ich grinste zurück. Nur als Beispiel. Die anderen nicht zwingenden Kommas markiere ich nicht, weil Dein versierter Schreibstil mich glauben lässt, dass Du dich ganz bewusst dafür entschieden hast.

Carmen fächelt sich mit der
Carmen fächert sich
(wobei: eben "fächeln" im Duden nachgeschlagen, das gibt es ja wirklich! Wieder was gelernt, danke!)

»Was dann? Sandy-Wendy?«
Ich nicke, verknote meine Finger und murmle: »Wir müssen aufpassen, Jay soll nicht mitkriegen, dass wir uns nie ihren Namen merken wollten.«
»Er ist alleine da. Trägt auch keinen Ring.«
:sconf: Bisher war ich ja selbst ein bisschen verliebt in Jay und auf einmal trägt der Mistkerl (k)einen Ring? Ehrlich gesagt bricht hier mein Weltbild zusammen, das du zuvor so sorgsam und liebevoll detailiert in mir aufgebaut hast. Wo wohnt der? Gib mir die Adresse! :susp: --> :aua:
Aber wieder beeindruckend, wie subtil du diesen Schock einflechtest. Hättest ja auch schreiben können: Carmen sagt, er habe ne Neue. Machste natürlich nicht, viel zu plump. Stattdessen spielst Du geschickt mit Valentinas Wissensvorsprung: Das arme Ding weiß ja längst, dass Sandy-Wendy-Cindy existiert. Durch die Art, wie du den Leser an diese Wendung ranführst, erlebe ich einen Schlag ins Gesicht, nachdem Valentina den Schlag ins Gesicht ertragen musste.

»Weißt du noch, der Killinger?« Carmen stützt sich auf den Fensterrahmen und scheint auf einmal alle Zeit der Welt zu haben.
Das fällt irgendwie aus dem Rahmen. Klar weiß sie, der Killinger. Beide sprechen ja gerade über ihn, denken an ihn. Sie plaudern ja nicht über Kuchen, um dann daran zu erinnern "Weißt du noch, der Killinger, wie der mit Torte geworfen hat?"
Sie sind ja bereits am Ziel, da fände ich, wenn schon, ein "Weißt du noch, WIE der Killinger ..." irgendwie passender.

Die Gaststätte ist ein Eckhaus, drei Stufen führen zum Eingang. Beim Betreten halte ich gewohnheitsmäßig die Luft an, aber da ist nichts, was mir den Atem nehmen könnte.
Wirklich nicht? Vielleicht nicht auf die hoffnungsvoll romantische Art und Weise, mit der Jay seine Valentina damals bezirzt und bezaubert hat. Aber nach meinem Empfinden ist da eben doch was, was ihr den Atem nehmen könnte. Etwas schmerzhaftes, trauriges: das unweigerliche, unausweichliche und nicht mehr verdrängbare Gegenüberstehen ihrer zerplatzten Träume. Und das wiegt, würde ich behaupten, für einen schwerkranken Menschen vllt noch mehr, als für einen gesunden. Er hat ihr so viel Hoffnung gemacht, Liebe geschenkt (auch für sich selbst), Mut verliehen ... er war einfach fantastisch! Die beiden zusammen waren es. Und dann verlässt er sie und heiratet CINDY!? :heul::crying:Tut mir Leid, ich bin fassungslos!

»Ich sag´s nicht zweimal.« Jaydens Ton spart ihm die Drohung, sein Blick ist eine Liebkosung.
Spart ihm die Drohung? Aber "Ich sag's nicht zweimal" ist doch eine Drohung.

Ich hatte ja erwähnt, dass es Passagen gibt, die mir im gesamten Kontext zu langatmig erschienen. Eine davon ist die mit Silke (obwohl die ja recht kurz ist). Ist sie eine von den Schlittschuh-Tussis? Du schriebst in einem der Kommentare, dass Jay und Valle sich davor drücken in diesem schweren Gespräch auf den Punkt zu kommen. Das kann ich verstehen. Er will sie zurück, weiß aber, dass er sie im Stich gelassen hat. Sie wünscht sich das damals zurück, weiß aber, dass er eine andere geheiratet hat. Die Fallhöhe für beide ist enorm, beide wissen, dass Vergangenes sich nicht umkehren lässt und keiner weiß, ob Zukünftiges vor der Erwartungshaltung der Vergangenheit Bestand haben könnte. Dass sie sich drücken, kann ich nachvollziehen. Finde ich auch nicht verkehrt, könnte man aber kürzer darstellen (beispeilsweise in dem er etwas Banales bemerkt, was sie dann wiederholt und er wieder wiederholt usw).

Du uferst aus, weil Dir die Szene am Ufer ebenso wichtig erscheint, wie sie für Valentina ist.

Zu unserer Anlegestelle bin ich nie wieder gegangen.
[...]
Nichts bleibt, wie es war, denke ich. Nicht mal ein blöder Bootssteg.
Da steckt so viel Schmerz in ihr. Schmerz, den ihre Lebensumstände, ihr selbst auferlegtes, aufgezwungenes Verständnis für Jayden ihr bereiten. Schmerz, den Jay ihr bereitet hat.

Das mit den Kassetten finde ich nett. Sie verbinden und charakterisieren die beiden. Frage mich aber, ob es nicht einen Moment gegeben hat, in dem Valle so wütend ob Cindy-Sandy war, dass sie die Kassetten weggeschmissen hat.

Die Sache mit Silke ist dramatisch und zeigt, dass es eben auch den erwischen kann, der scheinbar immer gesund war. Aber irgendwie bringt sie mich nicht weiter. Ich weiß bereits, dass Valle sich mitunter (völlig zurecht) leidtut. Jayden kommentiert mMn mit einem genervten "Pfff", weil Valle sich nur für die olle Silke interessiert, weil sie tot ist. Bei Silke tritt die Geschichte, nach meinem Empfinden, auf der Stelle.

»Silke ist gestorben. Schon gehört?«, frage ich, als wir am Friedhof vorbeikommen. »Vor ´nem Vierteljahr oder so. Hatte Brustkrebs.«
»Silke?«
»Die Blonde aus ´m Eisstadion.«
»Ach die. Nee, wir kannten die ja kaum.«
»Ich war auf der Beerdigung.«
Er knetet seine Finger und sagt: »Du hast sie nie gemocht.«
Ich starre auf die beiden Lichtkegel vor mir. Sie fressen die Dunkelheit auf wie Keime meine Lunge.
»Die war doch immer gesund – immer gesund war die.«
Von Jayden kommt ein leises »Pfff.«

Obwohl ich nachvollziehen kann, warum der Bootsteg eine Art Rahmen gibt (82' & '92) , finde ich das Ende, verzeih mir bitte, ermüdend. Es zieht sich. Das mag daran liegen, dass ich den Protas unterwegs abhanden gekommen bin, bzw andersherum, sie mir.
Ich bin irgendwie sauer auf Deinen Jay und auch, wenn etwas in mir Valentinas hoffnungsvolles Verständnis nachempfinden kann, so bin ich doch auch wütend auf sie, weil sie es sich nicht wert ist, "auf den Tisch zu hauen", weil sie alles einfach so hinnimmt. Sandy-Cindy-Wendy bekommt ihre Wut ab (auch wenn sie davon nichts erfährt), nicht aber ihr Held, Jaydi. Zu keinem Zeitpunkt ist sie wütend auf ihn. Fast so, als könne das arme, kranke Mädchen von Glück reden, dass einer wie er, sich ihrer annimmt. Und das kann sie vielleicht auch. Aber der Blödmann, verzeih mir bitte, umgekehrt doch auch! Er kann von Glück reden, dass sie wahrhaft lieben kann. Und, dass sie ihn liebt, obwohl sich manche seiner verheißungsvollen Worte als Luftschloss entpuppen. Ich würde Valentina für ihr Verständnis bewundern (in der Jugend ist man so, er ist halt auch weit weg, ja da verliebt man sich schon mal neu und heiratet eben auch mal geschwind), wenn es mich nicht so säuerlich und empört zurücklassen würde, dass sie es ihm so einfach macht. Sie schreibt doch immerhin, dass er ihre einzige Liebe war, sie also all die Jahre auf ihn gewartet hat.

Wir sitzen eng beieinander, und ich wünsche mir, die Nacht möge nie zu Ende gehen. Morgen wird wieder alles beim Alten und doch ganz neu sein.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann küssen sie sich noch heute und die Hochzeit mit der anderen wird einfach Men-In-Black-mäßig-weggeblitzdingst.

»Es hat … es hat nie aufgehört weh zu tun«, sage ich leise und reibe mir den Unterarm. Die Narbe ist klein, sie hat keinen stutzig werden lassen.
Eben! Zeig's ihm, lass ihn nicht einfach so davonkommen!

Er vergräbt das Gesicht in meinem Haar. »Ich weiß. Aber jetzt ist´s vorbei, das garantiere ich dir.«
Dieses Haar! Es ist ein alles um den Finger wickelndes Totschlagargument. Ich hatte da auch mal so einen, der musste nur lächeln und schon war jeder noch so große Scheiß verziehen. Darin liegt sicher der Haken begraben, dass ich mir, als Stellvertreterin für mein lange ertragene Schmach, eine Valentina wünschen würde, die es ihm nicht so einfach macht. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert und was Du mir so nett geschrieben hast, gebe ich gerne an Dich zurück: Du bist der Boss!

Okay. Bevor ich mich jetzt noch weiter in meine Gefühle hineinsteigere als ohnehin schon, fahr ich erstmal wieder runter. Deine Geschichte lebt in mir, ich schätze, das darfst Du liebend gerne als großes Kompliment verbuchen. Ich hätte mir so gewünscht, dass er zurückkehrt ohne geheiratet zu haben. Aber das Leben läuft eben immer anders ... wenigstens darauf ist Verlass.

Andererseits, und um mich ganz schnell von meiner wieder zu Deiner Geschichte hinzubewegen, finde ich es grundsätzlich toll von Valentina, dass sie verzeiht und ihrer ersten großen Liebe eine zweite Chance einräumt. Immerhin hat er ihr sehr viel gegeben (Beistand, Liebe, Mut, Akzeptanz ggü ihrer Erkrankung, all das ist viel wert).

Der Mond spiegelt sich im See und erhellt die Nacht. Hand in Hand stehen wir am Ufer. Jayden redet über seine Ehe. Erzählt von Schmetterlingen im Bauch und Glückseligkeit. Aber auch von Enttäuschung, Streit und Resignation. Mein Herz fängt an zu rasen, als er sagt, er habe mich vermisst.
So so :susp: - besonders dann, als er Cindy geheiratet hat. (:D Na gut, der musste noch sein.)

Was mich fragend zurücklässt (und mir wiederum gefällt) ist aber, dass ich nicht erfahre, ob sein letztes Versprechen wirklich hält. Denn bevor sie in die Rückblenden eintaucht, schreibt Valentina ja diesen Satz:

Ja, und dann begann das, was wir später geile Zeit genannt haben und weswegen ich jetzt heulend hier sitze und nicht anders kann, als an jenen Tag zu denken. Meinen letzten Tag mit Jayden …

Daher (und weil ich Jayden nicht mehr so leicht glauben kann) verbuche ich das "Happy-End" eher als offenes Ende. Das macht es wieder spannend!

Ich hoffe, dass Valentina ihre Operation gut überstanden hat und, dass sie die Liebe wiedergefunden hat (ob in Jayden oder jemandem, der sie in der Zukunft erwartet).

Deine Geschichte hat mich, wie Du unschwer erkennen kannst, sehr bewegt.
Vielen Dank dafür! Mir gefällt übrigens auch die Verknüpfung zwischen Text und Musik. Denn sie ist wohlüberlegt ausgewählt. Natürlich, weil sie deine Protas verbindet, aber auch, weil da, sicher nicht ganz zufällig, Parallelen zwischen einzelnen Szenen und den jeweiligen Songtexten existieren.

Ganz liebe Grüße
Frieda Kartell

 

Hallo @Frieda Kartell,

meine Güte, eine "Mordsgeschichte" hast Du da abgeliefert.

Das kann ich nur zurückgeben: Was für ein Mordskommentar! Mir scheint, Du hast jeden Absatz markiert und mich an Deinen Gedanken dazu teilhaben lassen. Das brachte mich nicht selten ins Grübeln. Ich danke Dir, für all die wunderbaren Dinge, die Du mir geschrieben hast und ja, ich gebe es zu, das erfüllte mich mit Stolz. Deinem kritischen Blick auf Inhalt und Figuren habe ich mich besonders gewidmet. Nun aber der Reihe nach:

Ein Einstieg, der mich angezogen hat. Ich habe Deine Geschichten im Überblick betrachtet, wo ich, ähnlich der Vorschau einer whatsapp-Nachricht, nur die ersten Sätze sehen kann. Dann bin ich hier gelandet.

… und das freut mich riesig. Als ich mich ans Überarbeiten der ersten Version machte, dachte ich lange über einen anderen Einstieg nach. Da hatte ich schon eine Weile dieses Bild im Kopf, diese Frau, die von ihrer Angst verfolgt wird; und den Vergleich mit der flüchtenden Frau. Ich habe es geschrieben und nicht mehr verändert. Manchmal kann es so einfach sein. :Pfeif:
Es ist schön, wie intensiv Du die ersten Abschnitte wahrgenommen, nein, gefühlt hast. Genau so sollten sie interpretiert werden.

Das Anfangsbild erzeugt nicht nur Spannnung, es klärt sich auch am Ende der Geschichte. Der Verfolger mit dem stinkenden Atem ist der Tod.

Ganz genau!


Das kurbelt sofort Bilder an. Ringerin? Stabhochsprung?

Man erfährt es gleich.

Vielleicht liegt es daran, dass ich auch mal so eine blöde, tolle Freundin hatte: Für einen da sein, aber auch den Finger in die Wunde legen (nicht hier, aber an späterer Stelle). Jedenfalls kann ich ihr fiepsendes, beinahe vor Euphorie heiseres Wispern hören, ich kann Deine Carmen sogar sehen. Wenn auch als "meine" Carmen. Aber so darf es ja auch sein.

»Blöde« ist Carmen kein bisschen und sie legt auch keinen Finger in die Wunde. Jedenfalls wollte ich das nicht vermitteln. Klartext redet sie, den Kopf rückt sie zurecht. Das ist der Job einer besten Freundin.
Es ist natürlich schön, wenn Du Carmen in der Gestalt Deiner Freundin siehst und hörst, nur sehe ich diese Freundin jetzt auch und sie scheint mir ganz anders als Carmen (gewesen) zu sein. :)

So langsam wüsste ich schon gerne, um welche Krankheit es sich handelt.

Hm. Ja. Kann ich verstehen, es war mir aber zu banal, den Namen zu nennen. Ich überlege, ob ich dazu was in die Info-Box schreibe …

eine klare, den Protas lebensnahe Metapher, die logisch ist und funktioniert. Eine, die sich einbrennt!

Jep, hier im Forum gelernt, nachdem ich zahlreiche Kurzgeschichten gelesen und absatzweise analysiert habe.

Ein klein bisschen schnulzig ist die Szene schon, aber verdammt nochmal, wann wenn nicht hier sollte Schnulz klargehen?

Danke!


Sie neigten ihre Köpfe, und Jayden hörte nicht auf zu quatschen.
Du hast immer wieder Kommas im Text, die nicht falsch sind, aber auch nicht zwingend notwendig. Hier verbindest du zwei Hauptsätze durch ein "und" miteinander. Früher war ein Komma Pflicht, trotz "und", heute ist es optional. Wie es Dir beliebt. Ich versuche, alle Kommas nach Hause zu schicken, die es nicht unbedingt braucht. Liegt wohl auch daran, dass ich früher an Kommaritis gelitten habe. Das, war, echt, nervig.

Puh, da sagste was. Diese Kommas vor »und«, die zwei Hauptsätze verbinden, mag ich nicht immer. Manchmal sind sie gut, um das Tempo zu bestimmen, hier und an anderen Stellen bremsen sie aber den Lesefluss, finde ich. Ich dachte allerdings, inzwischen wären sie Pflicht. Sie fallen mir in letzter Zeit vermehrt auf und meine Lektorin fügt sie an solchen Stellen auch immer ein. Duden schreibt aber wie Du, sie seien optional. Danke für den Hinweis. Ich knöpf mir die Dinger bei Gelegenheit mal vor.

Kommaritis? Gibts da was von Ratiopharm oder wie wurdest Du davon geheilt?

Die miese Zimtzickenziege. :lol: Bis dahin konnte ich sie schon nicht als beste Freundin erkennen, aber hier schießt sie den Vogel ab. Immer schön rein in die offene Wunde. Auch später "tellst" du zwar, dass sie es ist (ließ Valentina bei sich wohnen), aber so wirklich warm werde ich mit der nicht. Vermutlich nehme ich ihr diesen Spruch so übel, dass ich sie später in keinem guten Licht mehr sehen will. Ist also meine Schwäche.

UM GOTTESWILLEN!!! Was habe ich nur gemacht, dass sie SO bei Dir ankommt? Sie sollte hier ihre Anteilnahme zeigen. Sie sagt auf Carmen-Art, dass sie weiß, wie Valle sich fühlt bzw. fühlen wird. Es ist hier ihr erster Auftritt und Du nennst sie gleich Zimtzicke?
Mich wunderts, dass Du durch diese Stelle so Anti Carmen bist und warum Dir die nachfolgenden Stellen Carmen nicht sympahatisch machen.

Aber gut, es ist die wichtige Meinung einer Leserin und nach tagelangem Grübeln habe ich mich dazu entschieden, den Satz 'Wirst ganz schön einsam sein, ohne deinen Killinger' zu löschen.
Der Übergang von»Tja, morgen isser weg« zu »Tataa! Good News«, passt trotzdem noch.


»Ins Separee.«
Und hier plötzlich ganz der feine Kerl. Da bin ich gestolpert. Ich sehe ihn so lässig und cool vor mir, und dann spricht er plötzlich wie ein feiner Pinkel.

Wird dieser Ausdruck nur von feinen Pinkel benutzt?
Für mich ist das umgangssprachlich sich in die Zweisamkeit zurückzuziehen.
Ich habe nun ein »Überraschung« daraus gemacht, denn stolpern geht gar nicht.

ein Puck ist doch groß und hart. Bei "The Walking Dead" sieht man "Grübchen", in denen man einen Puck versenken kann. Aber auch hier wäre das kein ansehnliches Bild.

Die Serie kenne ich nicht, daher ist mir das mit den Grübchen nicht klar. Schätze mal Horror. Hier spricht aber ein verliebtes und romantisches Mädchen. Schade, dass das bei Dir nicht so angekommen ist.

Da ist mMn der Absatz verrutscht, der Satz würde sich doch ganz gut hinter den vorangegangenen einreihen? Es sei denn, du beabsichtigst das so.

Hey, super, dass Dir das aufgefallen ist. Der Satz stand nämlich zuerst oben. @Isegrims fand aber, dass er 'die gelungen beschriebene Erotik zerstört', daher habe ich einen Umbruch gemacht. Jetzt ist es ein kurzes Innehalten, wie es die Protas auch tun, was mir sogar besser gefällt.

Er grinste und ich grinste zurück. Nur als Beispiel. Die anderen nicht zwingenden Kommas markiere ich nicht, weil Dein versierter Schreibstil mich glauben lässt, dass Du dich ganz bewusst dafür entschieden hast.

Danke Dir. Ich schaue mir das noch mal in Ruhe an.

Durch die Art, wie du den Leser an diese Wendung ranführst, erlebe ich einen Schlag ins Gesicht, nachdem Valentina den Schlag ins Gesicht ertragen musste.

Das fasse ich als Kompliment auf. Dankeschön!

Das fällt irgendwie aus dem Rahmen. Klar weiß sie, der Killinger.

Oh ja, da hast Du recht. Danke für den Hinweis. Habe den Killinger gekillt. Gefällt mir jetzt besser.


Die Gaststätte ist ein Eckhaus, drei Stufen führen zum Eingang. Beim Betreten halte ich gewohnheitsmäßig die Luft an, aber da ist nichts, was mir den Atem nehmen könnte.
Aber nach meinem Empfinden ist da eben doch was, was ihr den Atem nehmen könnte. Etwas schmerzhaftes, trauriges: das unweigerliche, unausweichliche und nicht mehr verdrängbare Gegenüberstehen ihrer zerplatzten Träume.

In diesem Moment denkt sie nicht an ihre zerplatzten Träume. In diesem Moment betritt sie ein Lokal und hält automatisch die Luft an, da sie mit Zigarettenqualm rechnet. Das ist ein Reflex, obwohl sie weiß, Carmen hat dafür gesorgt, dass nicht geraucht wird.
(btw. wieder ein Pluspunkt für Carmen, oder? :D)

Er hat ihr so viel Hoffnung gemacht, Liebe geschenkt (auch für sich selbst), Mut verliehen ... er war einfach fantastisch! Die beiden zusammen waren es. Und dann verlässt er sie und heiratet CINDY!?

Ja, es ist schlimm. Sehr sogar. Aber leider passiert so was. Ich sage, die Distanz war schuld.

Spart ihm die Drohung? Aber "Ich sag's nicht zweimal" ist doch eine Drohung.

Für mich ist das erst mal eine Aufforderung.

Ist sie eine von den Schlittschuh-Tussis?

Ja. Miss Schlittschuh.

Du schriebst in einem der Kommentare, dass Jay und Valle sich davor drücken in diesem schweren Gespräch auf den Punkt zu kommen.

Da ging es aber noch um Version 1, in der auch Silke öfters vorkam. Ich habe das erkannt und drastisch gekürzt. Die Szene am Baggersee ist jetzt eine andere. Kürzer. Knapper.

Dass sie sich drücken, kann ich nachvollziehen.

Das verstehe ich nicht. Sie finde, sie tasten sich zügig heran. Jay legt gleich los, dass er die nächste Maschine hätte nehmen können. Da erfährt der Leser schon was. Und so geht es Schritt für Schritt weiter. Respektvoll. Verständnisvoll.

Finde ich auch nicht verkehrt, könnte man aber kürzer darstellen (beispeilsweise in dem er etwas Banales bemerkt, was sie dann wiederholt und er wieder wiederholt usw).

Hast Du da vielleicht ein Beispiel, weil, ich stehe auf dem Schlauch.

Du uferst aus, weil Dir die Szene am Ufer ebenso wichtig erscheint, wie sie für Valentina ist.

Eben weil sie für Valentina wichtig ist, gehört die Szene rein, finde ich. Nur, ausufern sollte es nicht.

Frage mich aber, ob es nicht einen Moment gegeben hat, in dem Valle so wütend ob Cindy-Sandy war, dass sie die Kassetten weggeschmissen hat.

Never! Die Bänder haben ihr Trost gespendet. Sie hat sie wie einen Schatz gehütet.

Jayden kommentiert mMn mit einem genervten "Pfff", weil Valle sich nur für die olle Silke interessiert, weil sie tot ist.

Ich fand es schwer, seinen Laut in Schrift umzusetzen. Er sollte nicht genervt rüberkommen, eher ein verzweifeltes Seufzen, da er erkennt, wie wuchtig das Thema Tod für Valle immer noch ist.
Aber gut, ich denke auf diese Reaktion kann der Text verzichten. Ich habe sie gelöscht.

Bei Silke tritt die Geschichte, nach meinem Empfinden, auf der Stelle.

Über diesen Punkt grüble ich noch. »Geile Zeit« ist ein Ausschnitt aus dem Leben der Figuren. Es gibt ein Davor und Danach. Im Davor gibt es Schlittschuh-Silke schon, daher gehört sie für mich auch in diese Story rein. Sie hat ja eine Aufgabe zu erfüllen, scheint aber, als käme das nicht deutlich genug rüber. Es wird mir zwar schwerfallen, aber möglicherweise streiche ich in meinem Manuskript die Szenen mit Silke heraus und lass das mal wirken.

Obwohl ich nachvollziehen kann, warum der Bootsteg eine Art Rahmen gibt (82' & '92) ,

Du hast Dich nicht nur mit dem Inhalt auseinandergesetzt, sondern auch die Kommentare gelesen. ('82 stand nur in der alten Version). Das ist ganz große Klasse.

finde ich das Ende, verzeih mir bitte, ermüdend. Es zieht sich. Das mag daran liegen, dass ich den Protas unterwegs abhanden gekommen bin, bzw andersherum, sie mir.
Ich bin irgendwie sauer auf Deinen Jay und auch, wenn etwas in mir Valentinas hoffnungsvolles Verständnis nachempfinden kann, so bin ich doch auch wütend auf sie, weil sie es sich nicht wert ist, "auf den Tisch zu hauen", weil sie alles einfach so hinnimmt. Sandy-Cindy-Wendy bekommt ihre Wut ab (auch wenn sie davon nichts erfährt), nicht aber ihr Held, Jaydi. Zu keinem Zeitpunkt ist sie wütend auf ihn. Fast so, als könne das arme, kranke Mädchen von Glück reden, dass einer wie er, sich ihrer annimmt. Und das kann sie vielleicht auch. Aber der Blödmann, verzeih mir bitte, umgekehrt doch auch! Er kann von Glück reden, dass sie wahrhaft lieben kann. Und, dass sie ihn liebt, obwohl sich manche seiner verheißungsvollen Worte als Luftschloss entpuppen. Ich würde Valentina für ihr Verständnis bewundern (in der Jugend ist man so, er ist halt auch weit weg, ja da verliebt man sich schon mal neu und heiratet eben auch mal geschwind), wenn es mich nicht so säuerlich und empört zurücklassen würde, dass sie es ihm so einfach macht. Sie schreibt doch immerhin, dass er ihre einzige Liebe war, sie also all die Jahre auf ihn gewartet hat.

Oh Mann, das sind Worte. Liebe Frieda, Du hast mir so ausführlich Feedback gegeben, dass ich Deine Empörung über das Ende und das Verhalten der Figuren gut verstehen kann. Eine Lösung, wie ich Dir die Figuren wieder näherbringen kann, habe ich nicht gefunden.
Es ist schlimm, von jemandem verlassen zu werden, den man liebt. Ich habe versucht, in beide hineinzuschlüpfen. Jayden, der in Amerika eine Liebe auf den ersten Blick kennenlernt (nach deinem Kommentar wird mir klar, dass ich diese Stelle aus der ersten Version wohl besser nicht gelöscht hätte). Und Valles Leid … ja, auch da hätte ich näher rangehen können. Doch das wollte ich nicht. Es sollte eben auch authentisch sein. Ich denke nicht, dass man sich beim ersten Wiedersehen nach langer Zeit, gleich alles bis ins Detail erzählt. Da fasst man sich kurz, deutet an, wartet, wie sich alles entwickelt. In die Tiefe geht man erst später. Die Basis der beiden stimmt ja. Da ist wieder was, auf das sie aufbauen können.
Zu Valles Wut: Sie war enttäuscht aber nicht wütend und schon gar nicht devot. Sie hat alles in sich hineingefressen und – sie kann ihm verzeihen. Ich habe gehofft, das würde man dem Text entnehmen können.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann küssen sie sich noch heute und die Hochzeit mit der anderen wird einfach Men-In-Black-mäßig-weggeblitzdingst.

Ja, in dieser Nacht tun sie das.

Eben! Zeig's ihm, lass ihn nicht einfach so davonkommen!

Aber doch nicht heute. Jetzt ist sie erst mal glücklich, dass sie ihn wieder bei sich hat.

Darin liegt sicher der Haken begraben, dass ich mir, als Stellvertreterin für mein lange ertragene Schmach, eine Valentina wünschen würde, die es ihm nicht so einfach macht.

Das tut mir leid zu lesen.
Jayden bekommt noch sein Fett ab. Aber, wie Du lesen konntest, hat sie im Moment keine Kraft dafür.

gebe ich gerne an Dich zurück: Du bist der Boss!

Danke! Auch wenn ich nicht alles nach Deinem Gefallen ändern kann oder möchte, so ist Deine Kritik für mich sehr bereichernd – auch für künftige Texte.

Deine Geschichte lebt in mir,

Das ist mir nicht entgangen.

ich schätze, das darfst Du liebend gerne als großes Kompliment verbuchen.

Habe ich und ich bedanke mich dafür.

Ich hätte mir so gewünscht, dass er zurückkehrt ohne geheiratet zu haben.

Mich würde interessieren, was Du als Konflikt erwartet hast, bzw. was Dir besser gefallen hätte.

Andererseits, und um mich ganz schnell von meiner wieder zu Deiner Geschichte hinzubewegen, finde ich es grundsätzlich toll von Valentina, dass sie verzeiht und ihrer ersten großen Liebe eine zweite Chance einräumt. Immerhin hat er ihr sehr viel gegeben (Beistand, Liebe, Mut, Akzeptanz ggü ihrer Erkrankung, all das ist viel wert).

Du glaubst nicht, wie sehr mich das erleichtert zu lesen.

Mein Herz fängt an zu rasen, als er sagt, er habe mich vermisst
So so :susp: - besonders dann, als er Cindy geheiratet hat. (:D Na gut, der musste noch sein.)

Es hat gedauert, aber immerhin hat er es erkannt.

Was mich fragend zurücklässt (und mir wiederum gefällt) ist aber, dass ich nicht erfahre, ob sein letztes Versprechen wirklich hält. Denn bevor sie in die Rückblenden eintaucht, schreibt Valentina ja diesen Satz:

Ja, und dann begann das, was wir später geile Zeit genannt haben und weswegen ich jetzt heulend hier sitze und nicht anders kann, als an jenen Tag zu denken. Meinen letzten Tag mit Jayden …

Daher (und weil ich Jayden nicht mehr so leicht glauben kann) verbuche ich das "Happy-End" eher als offenes Ende. Das macht es wieder spannend!

Das freut mich und ich versichere Dir, Jayden hat sich mächtig ins Zeug gelegt, sein Versprechen einzuhalten.

Ich hoffe, dass Valentina ihre Operation gut überstanden hat und, dass sie die Liebe wiedergefunden hat (ob in Jayden oder jemandem, der sie in der Zukunft erwartet).

Das hat sie.
Wie oben schon erwähnt, gibt es ein Danach zu dieser Geschichte. Mein Plan war, die Fortsetzung aus Jaydens Sicht zu schreiben. Da hätte man hautnah über seine Zeit mit der Amerikanerin erfahren (was ihn Dir vielleicht wieder nähergebracht hätte) und natürlich auch, wie es mit Valle, der OP und ihrem gemeinsamen Leben weitergeht. Aber wie es manchmal ist mit Plänen …

Deine Geschichte hat mich, wie Du unschwer erkennen kannst, sehr bewegt.

Oh ja, das ist mir nicht entgangen. Danke, dass Du so offen über all Deine Gedanken und Emotionen geschrieben hast.

Mir gefällt übrigens auch die Verknüpfung zwischen Text und Musik. Denn sie ist wohlüberlegt ausgewählt. Natürlich, weil sie deine Protas verbindet, aber auch, weil da, sicher nicht ganz zufällig, Parallelen zwischen einzelnen Szenen und den jeweiligen Songtexten existieren.

:bounce:

Liebe Frieda, ich habe mich riesig gefreut! Nochmals vielen Dank für Dein ausführliches Feedback und entschuldige bitte die lange Wartezeit. Du hast den Text ordentlich beackert, da gab es viel zum Nachdenken und Abwägen. Ich trage so was erst tagelang mit mir herum, bevor ich an den Text gehe. Das dauert seine Zeit.

Alles Gute für Dich und liebe Grüße,
Tintenfass

 

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