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Gemeinsam einsam eins

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17.06.2004
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Gemeinsam einsam eins

Er war nicht dick und auch nicht dünn. Sein Gesicht hatte die richtigen Proportionen und wurde den neuesten Erkenntnissen der Schönheitsforschung gerecht. Eine imaginäre Linie von Auge zu Auge stand in angenehmer Parallelität zu der Linie, die seine Mundwinkel verband. Auch stand der Abstand dieser beider Linien im richtigen Verhältnis zum Radius des imaginären Kreises auf seiner Stirn. Er war das, was man allgemein als attraktiv bezeichnet.
Er genoss sein Aussehen und den damit verbundenen Stolz der, ähnlich dem Stolz auf Eltern und Vaterland, zu den Einfältigkeiten des homo sapiens gehört.
Er genoss es, stolz über seine Mitmenschen hinwegzuschweben, sie je nach Laune mal kurz zu mustern um dann, immer in gelassener Eile, seines Weges zu gehen.

Vor kurzem sah ich ihn in der U-Bahn. Er saß mir gegenüber. Er trug Kopfhörer, die Hände waren leger über seinem Schoß zusammengeschlagen und er blickte gelassen aus dem Fenster. Raus ins Dunkel. Ab und zu wendete er den Kopf und blickte sich im Radius des Möglichen, dass heißt ohne große Verrenkungen, um. Dabei fokussierte er die einzelnen Menschen nicht. Es war ihm egal wer da um ihn rum nach Hause fährt. Es war auch kein wirkliches Umschauen im eigenen Sinne. Die kurze Bewegung seines Kopfes erinnerte mich eher an einen Menschen, der aus tiefem Schlaf erwacht, ohne zu wissen wo er sich befindet. Ein kurzes Orientieren, Herr werden über die Lage, sich im monotonen Einerlei der U-Bahn bemerkbar machen. Das war sein Motiv.
In diesem Moment wusste ich, dass er mich erkannt hatte, genauso wie ich ihn erkannte, als wir zuvor beide am Gleis warteten.

An der nächsten Haltestelle stieg eine junge Frau mit ihrer kleinen Tochter ein. Während die Frau es aufgrund von Platzmangel vorzog im Mittelteil zu stehen, watschelte das kleine Mädchen Richtung letztem freien Platz. Dem Platz neben ihm. Im Zuge ihrer kindlichen Bemühungen den Sitz zu erklimmen, stieß das Mädchen mit einem Fuß gegen ihren zukünftigen Sitznachbarn. Es entschuldigte sich sofort mit einer süßen Piepsstimme und schaute dabei ihre Mama mit leicht ängstlichem Blick an. Aber ja, sie hatte soweit alles richtig gemacht. Das Okay der Mama kam prompt im Zuge eines strengen Lächelns. Die geistig anwesenden Menschen im hinteren Teil des Wagens warteten gleichgültig auf eine Reaktion. Wäre keine gekommen hätte das auch niemanden geniert, aber in dieser Sekunde warteten wir trotzdem.
Die Reaktion des jungen Mannes rührte und faszinierte mich zugleich. Akustisch durch die Kopfhörer gestört, aus tiefen seichten Gedanken erwachend, bewegte er seinen Kopf in Richtung des Mädchens, um auf meiner Höhe ein „is nix passiert“ zu murmeln. Dann drehte er, ohne das Mädchen auch nur einmal gesehen zu haben, seinen Kopf wieder weg und starrte weiter aus dem Fenster. Er war erschrocken und verstört, das merkte man.
Innerlich lachte ich. Mich belustigte die Gewissheit, wie leicht seine Fassade zerschlagen werden konnte, wie leicht man diesen perfekten Menschen aus seiner perfekt einstudierten Rolle hinauskatapultieren konnte.
Ich schaute mich um in der Erwartung, ähnliche Gedanken in den Gesichtern der restlichen Insassen zu finden. Doch ich blickte in gelassenes U-Bahn Einerlei. Selbst den Blick der jungen Mami konnte ich nicht erhaschen, da sie verträumt aus dem Fenster sah.
In diesem Moment wurde mir undeutlich bewusst, dass jeder jüngere Mensch, unter normalen Umständen, nicht besser reagiert hätte als mein Gegenüber. Falls es überhaupt ein besser gab, denn eine Antwort übertrifft schon einiges. Aus meiner vorherigen Schadenfreude wurde so schlichte Dankbarkeit. Dankbarkeit dafür, dass der Platz neben mir schon seit einiger Zeit von einer jungen Frau mit Bayernschal besetzt wurde.
Gerne hätte ich dem Mann gegenüber auf die Schulter geklopft und ihm gesagt, dass ich es nicht besser hätte machen können. Ihm die Hand gereicht. Ihm einfach das Gefühl vermittelt das es okay ist. Aber wir erreichten meine Haltestelle.
Ich stieg aus, nahm die Kopfhörer aus dem Ohr und ging nach Hause. Dabei genoss ich es, stolz über meine Mitmenschen hinwegzuschweben, sie je nach Laune mal kurz zu mustern um dann, immer in gelassener Eile, meines Weges zu gehen.

 
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Hallo Warumnicht?,

Er war nicht dick und auch nicht dünn. Sein Gesicht hatte die richtigen Proportionen und wurde den neuesten Erkenntnissen der Schönheitsforschung gerecht. Eine imaginäre Linie von Auge zu Auge stand in angenehmer Parallelität zu der Linie, die seine Mundwinkel verband. Auch stand der Abstand dieser beider Linien im richtigen Verhältnis zum Radius des imaginären Kreises auf seiner Stirn. Er war das, was man allgemein als attraktiv bezeichnet.
Ich betrachte also ein Gesicht, kalkuliere es mathematisch nach dem goldenen Schnitt durch und aktiviere daraufhin meine Paarungsbereitschaft.
immer in gelassener Eile, seines Weges zu gehen
hoffentlich stolpert er bei diesem Widerspruch nicht.
Vor kurzem sah ich ihn in der U-Bahn. Er saß mir gegenüber.
und ging dabei, wie immer, in gelassener Eile seines Weges?
Hände waren leger über seinem Schoß zusammengeschlagen
er saß also leger in verklemmter Haltung da? Über dem Schoß zusammengeschlagene Hände bedeuten Abwehr.
Es war ihm egal wer da um ihn rum nach Hause fährt.
erstens, um ihn herum, zweitens müsste er sich dazu im Auto im fließenden Verkehr befinden. Die Leute sitzen mit ihm in der Bahn. Und ob sie wirklich alle nach Hause fahren, wage ich dezent zu bezweifeln. Die Ziele, die man mit der Bahn ansteuern kann, sind mannigfaltig.
In diesem Moment wusste ich, dass er mich erkannt hatte
Man kannte sich also, deshalb konnte man sich erkennen? "Hey, lange nicht gesehen, wer bist du noch mal?" Du meinst, das Erkennen der Seele, ich weiß, aber das bleibt bei der Zugfahrt reine Spekulation, selbst wenn man das Gefühl hat, in jemandem hinein zu schauen.
Wäre keine gekommen hätte das auch niemanden geniert
nee, warum auch? genieren steht schließlich für "schämen" und weshalb sollten sie sich dafür schämen, dass ein Mann, der leicht angerempelt wurde, nicht reagiert?
Akustisch durch die Kopfhörer gestört, aus tiefen seichten Gedanken erwachend, bewegte er seinen Kopf in Richtung des Mädchens, um auf meiner Höhe ein „is nix passiert“ zu murmeln.
Wobei gestört? Die Entschuldigung des Mädchens hat er doch seiner Äußerung nach eindeutig mitbekommen. Und wenn ihn die Musik stören sollte, gibt es an seinem Diskman oder MP3 Player bestimmt einen Knopf zum Ausschalten.
seinen Kopf wieder weg und starrte weiter aus dem Fenster.
Weshalb weiter? Vorher hat er doch gelassen aus dem Fenster gesehen, jetzt starrt er.
Er war erschrocken und verstört, das merkte man.
Woran? Daran, dass er jetzt starrt?
Mich belustigte die Gewissheit, wie leicht seine Fassade zerschlagen werden konnte, wie leicht man diesen perfekten Menschen aus seiner perfekt einstudierten Rolle hinauskatapultieren konnte.
Die Prot ist ganz schön anmaßend, ihre Interpretation als Gewissheit zu behaupten. Eigentlich weiß sie noch nicht einmal, ob es sich vorher um eine perfekt einstudierte Rolle gehandelt hat.
Selbst den Blick der jungen Mami konnte ich nicht erhaschen, da sie verträumt aus dem Fenster sah.
Dann vergisst sie die Tochter hoffentlich nicht, wenn sie verträumt aus dem Zug steigt.
Gerne hätte ich dem Mann gegenüber auf die Schulter geklopft und ihm gesagt, dass ich es nicht besser hätte machen können. Ihm die Hand gereicht. Ihm einfach das Gefühl vermittelt das es okay ist. Aber wir erreichten meine Haltestelle.
Ja, das ist bestimmt nötig, sonst wird der arme Mensch bestimmt grübelnd in Depressionen verfallen, weil er die Entschuldigung eines kleinen Mädchens akzeptiert hat. Wie konnte er das bloß tun. Die Schuld muss schwer wiegen.
Ich stieg aus, nahm die Kopfhörer aus dem Ohr und ging nach Hause. Dabei genoss ich es, stolz über meine Mitmenschen hinwegzuschweben, sie je nach Laune mal kurz zu mustern um dann, immer in gelassener Eile, meines Weges zu gehen.
Ah, da hat jemand am Anfang nur sein eigenes Spiegelbild mathematisch vermessen. Der junge Nann gegenüber war gar nicht der Schönling? Oder hat die Einigkeit über die natürlichste und häufigste Reaktion bei der Entschuldigung eines kleinen Mädchens soviel empathische Verbindung geschaffen, dass die Seelen gewandert sind?

Also sorry, Warumnicht?

das ist weder Philosophie, noch Psychologie. Merkst du, was es ist?

Lieben Gruß, sim

 

mmh, erstmal danke für die Kommentare.

@ Golio
1. Stimmt, Philosophie ist es vielleicht nicht aber ich habe es aufgegeben die Trennung von Alltag, Gesellschaft und Philosophie zu verstehen. Bei vielen Texten (nicht nur meinen) ist mir nicht klar, ob diese in Alltag, Gesellschaft, Philosophie oder Seltsam gehören.
Die Rubrik Psychologie gibt es (zum Glück) nicht.

2. Selbstverständlich sind es Kleinigkeiten. Aber was eine Kleinigkeit ist und was nicht hängt doch auch immer vom Standpunkt ab. Hier wird diese Lappalie hochgebauscht von einer Person die offensichtilch nichts besseres zu tun hat.

Das wird meinen Text jetzt nicht rausreißen aber ich wollte es mal sagen.

@ sim
Danke für den ausführlichen Kommentar. Dein origineller Humor ist mir dabei nicht entgangen.
Einige Sachen wurden von dir leider missverstanden. Da der Fehler hier sicher bei mir liegt, möchte ich jetzt nicht näher drauf eingehen.

Nein, ich merke nicht was es ist. Nobelpreiswürdig?

Danke nochmal
sers

 

Hallo,

diese Geschichte passt eher in die Rubrik "Alltag". Anders als die beiden Erstkritiker fand ich den Text gut (obwohl ich sonst meistens die Meinungen in sims Kritiken teile).
Die kleinen Ungereimtheiten und Dissonanzen haben mich nicht gestört.

An einigen Stellen verwendest Du unpassende Zeitformen des Verbs:

Es war ihm egal wer da um ihn rum nach Hause fährt
fuhr
In diesem Moment wusste ich, dass er mich erkannt hatte, genauso wie ich ihn erkannte, als wir zuvor beide am Gleis warteten.
gewartet hatten

Ich finde die Geschichte nett erzählt, und in keiner Weise banal. Die Frage, was Menschen tun, wenn etwas passiert, was in ihrer "Rolle" nicht vorgesehen ist, übertrifft an Tiefsinn vieles, was man sonst in dieser Rubrik findet.

Freundliche Grüße,

Fritz

 

Die Frage, was Menschen tun, wenn etwas passiert, was in ihrer "Rolle" nicht vorgesehen ist, übertrifft an Tiefsinn vieles, was man sonst in dieser Rubrik findet.
Das sicherlich, das ist es ja auch nicht, was ich an der Geschichte kritisiere.
Aber die Geschichte greift dieses Thema über einen Icherzähler auf, der mir, nur auf Indizien basierend, weis machen möchte, sein unbekanntes Gegenüber würde gerade durch einen völlig banalen Vorfall aus einer von ihr in ihn hineinfantasierten Rolle gestoßen werden. So ist nichts echt in dieser Geschichte. Ich bin auf die subjektive Wertung eines Prots durch einen anderen angewiesen. Darüber hinaus ist das Ereignis, welches aus der Rolle stößt so banal, dass man schon sehr labil sein muss, um sich dadurch aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen. Und die Reaktion darauf ist so natürlich, dass von einem Gleichgewichts- oder Rollenverlust keine Rede sein kann. Der Erzähler meint, dies daran festmachen zu können, dass der andere das tut, was er vorher gemacht hat, nämlich aus dem Fenster zu schauen. Selbst das Starren, was die Veränderung andeuten könnte, unterliegt der Interpretation, da der Erzähler bei dem abgewandten Gesicht ja nicht mal die Augen sehen könnte.

Mir ist also der Aufhänger für die Frage zu schwammig, zu sehr durch die Wertung des Erzählers beeinflusst. Und dadurch wird es für mich unglaubwürdig. Ich lese nur von einem Icherzähler, der seine empathische Sichtweise für die Realität hält, ohne sie zu validieren.
Ich verwende gern die Ichperspektive, bei dieser Geschichte wäre aber mE ein allwissender Erzähler besser gewesen. Und das Ereignis, das aus der Rolle katapultiert, hätte ruhig etwas heftiger sein dürfen.

Lieben Gruß, sim

 

@sim: "allwissender Erzähler" ist eine schöne Umschreibung für Gott :)

Das Hineinphantasieren von Rollen in Andere und das daraus resultierende Bewerten von Kleinigkeiten ist doch genau das, was Leute in der Regel tun, oder?

Herzlichen Gruß,

Fritz

 

Ganz sicher tun sie das Fritz, ich hatte aber nicht das Gefühl, dass die aberwitzigen Interpretationen des Erzählers Thema der Geschichte sind, sondern schon das Gegenüber Thema der Geschichte sein sollte.
Mich konnte diese Protagonistin (oder der Protagonist?) halt leider überhaupt nicht mit auf die Reise seiner Fantasien nehmen, weil ich sie dem Anlass entsprechend viel zu überzogen fand. Etwa, als bliese ich jemandem Zigarettenrauch ins Gesicht und dichte ihm dann eine Depression an, weil er sich eine Träne aus dem brennenden Auge wischt.

Lieben Gruß, sim

 

- man erkläre mir zitieren! -

@ Fritz

Dankeschön. Freut mich.

@ sim

Ich glaube ich verstehe dein Problem aber irgendwie verstehe ich es auch nicht.
Vielleicht setzt du den Schwerpunkt falsch oder du versuchst in der Geschichte mehr zu lesen als überhaupt da ist.

Die eigentliche Handlung umfasst einen Zeitraum von ca. einer Minute. Selbstverständlich kann in einer Minute die Welt untergehen aber hier tut sie das eben nicht. Es passiert eigentlich gar nichts.
Der Fremde wird auch nicht in den Selbstmord getrieben aber in diesem Moment bricht das gesamt Schauspiel zusammen. Der Fremde hätte auch auf der Stelle sterben können. Der Unterschied ist eher unwichtig.

 

Warumnicht? schrieb:
- man erkläre mir zitieren! -
Philo erklärt dir das Zitieren! Und das geht so:

[quote ] Ich bin ein Zitat! [/quote ]

oder

[quote =philo] Noch ein Zitat! [/quote ]


Sobald du die Leerzeichen in den Befehlsklammern wegnimmst wird daraus das:

Ich bin ein Zitat!
oder
philo schrieb:
Noch ein Zitat!

 

Der Fremde wird auch nicht in den Selbstmord getrieben aber in diesem Moment bricht das gesamt Schauspiel zusammen.
Wodurch, denn
Es passiert eigentlich gar nichts.
Mein Problem ist, dass du (oder deine Prot) zwar behauptest, das Schauspiel bräche zusammen, aber genau das ist es, was ich der Geschichte nicht abnehme. Es bricht nichts zusammen, das Gegenüber verändert sich noch nicht einmal. Es akzeptiert die Entschuldigung des kleinen Mädchens und schaut weiterhin aus dem Fenster, wie er es vorher getan hat. Ist die Akzeptanz der Entschuldigung selber das "aus der Rollen fallen"? Aber warum sollte soetwas nicht in die Rolle eines coolen Schönlings passen? Dass er tatsächlich aus der Rolle fällt passiert nur im Kopf der Erzählerin, eigentlich passiert sogar seine Rolle nur in ihrem Kopf. In der Geschichte selber passiert das nicht. Da gibt es kein Schausspiel. Also kann auch keines zusammenbrechen.
Der Fremde hätte auch auf der Stelle sterben können. Der Unterschied ist eher unwichtig
Nein, eben nicht. Ich gehe mal ins Extrem. Nicht der Fremde bricht tot zusammen, sonder das Kind schürft sich an irgendetwas das Knie auf, blutet. Und der Fremde, der kein Blut sehen kann, muss sich daraufhin vor allen übergeben. Dann wäre eine Fassade zusammengebrochen, ein Schauspiel. Da wäre etwas passiert, was außer für deine erzählende Protagonistin für jeden sichtbar gewesen wäre. Es wäre ein zuvor beschriebenes unnahbares Verhalten gekippt. Und das nicht nur in der Fantasie der Erzählerin, sondern auch für mich als Leser nachvollziehbar, denn das Verhalten des Fremden hätte sich real geändert. Hier hat es sich nicht geändert. Die Erzählerin behauptet nur, dass es sich geändert hätte, in dem sie aus gelassenem Hinausschauen Starren gemacht hat, ohne zu erklären, worin der Unterschied liegt. Da bin ich als Leser schlicht auf ihre Interpretation angewiesen, die sie als Wahrheit behauptet. Und auf diesem Weg mag ich ihr nicht folgen. Du als Autorin schreibst mir vor, wie ich etwas zu bewerten habe ohne mir das Rüstzeug zu geben, mich auf diese Bewertung einzulassen.

Ich hoffe, ich war jetzt verständlich.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo,

ich finde die Geschichte zwar auch nicht wirklich spannend/fesselnd, aber das war doch auch noch nie die Aufgabe einer philosophischen Überlegung.(Wobei sich hier natürlich wieder die Frage stellt: Ist es wirklich Philosophie)

@ Warumnicht: Du beginnst die Geschichte an einem anderem Ort als der U-Bahn, immerhin beschreibst du wie der "Perfekte" dahinschwebt, am Ende hörst du aber mit dem Verlassen des Prots der U-Bahn auf. Dadurch stellt sich beim Lesen eine leichte Verwirrung ein (schweben und sitzen gleichzeitig?), ein anderes Ende würde aber möglicherweise die Gleichartigkeit der beiden Charaktere zerstören.

@ Sim: Deine extreme Version würde den Text aber möglicherweise ins absurde ziehen (was den Text wahrscheinlich auch endgültig aus der Philosophie-Rubrik kicken würde), ich finde das es sehr wohl möglich ist jemanden durch eine Kleinigkeit zu verunsichern (Vor allem während man Musik hört, dabei hebt man ja teilweise auch von der reelen Welt ab.), möglicherweise wirkte das Ganze, durch Zentrierung auf diesen Augenblick, aber etwas unglaubwürdig.

Was mir noch aufgefallen ist, ist dass niemand erwähnte, dass die Gleichförmigkeit eines Gesichtes nur den männlichen Vorstellungen entspricht, wobei Frauen eher die offensichtliche Abweichung von der Regel bevorzugen.

Greez, Agron

 

Hallo Warumnicht,

Anders als die beiden Erstkritiker fand ich den Text gut (obwohl ich sonst meistens die Meinungen in sims Kritiken teile).
Hier kann ich Fritz nur zustimmen. Ich fand die Geschichte nicht schlecht und habe sie ganz anders verstanden als sim.
Ich betrachte also ein Gesicht, kalkuliere es mathematisch nach dem goldenen Schnitt durch und aktiviere daraufhin meine Paarungsbereitschaft.
Ja, so argumentieren die Verhaltensforscher und Biopsychologen. Aber ob der Prot männl.oder weibl. ist, ist doch nicht klar, oder?
immer in gelassener Eile, seines Weges zu gehen - Hände waren leger über seinem Schoß zusammengeschlagen
Gerade diese Wendungen zeigen den Zwiespalt des Gegenübers, scheinbar lässig, aber doch verspannt; haben mir gut gefallen.
Du meinst, das Erkennen der Seele, ich weiß, aber das bleibt bei der Zugfahrt reine Spekulation
hab ich ganz anders verstanden; ich kenne viele Menschen vom Sehen, flüchtig, grüße manche davon
Dabei genoss ich es, stolz über meine Mitmenschen hinwegzuschweben, sie je nach Laune mal kurz zu mustern um dann, immer in gelassener Eile, meines Weges zu gehen.
Das finde ich das Schöne an der Geschichte; der oder die Prot findet über das Gegenüber etwas in sich selbst; wieweit es ihm/ihr bewusst ist, weiß ich nicht. Auf jeden Fall greifst du eine gesellschaftliche Strömung (andere gar nicht als Person wahrzunehmen) auf und beschreibst sie minimalistisch.

ein Fehler:

das es okay ist
dass

Also diese Geschichte scheint Geschmacksache zu sein. Lass dich nicht verunsichern.

Gruß, Elisha

 

Hallo

@ philo

dankeee

@ sim

Danke für deine ausführliche Erklärung.

Die Rolle des Fremden wird ihm natürlich vom Prot gegeben aber er bewegt sich auch in ihr. Er bekommt ja nicht die Rolle eines Skinheads, Säufers oder Idioten.
Die Rolle wird von beiden gleichermaßen getragen. Man kann ja auch den Terminator lustig und Rambo schwul finden.

Der Vorfall soll so minimal wie möglich sein. Es geht hier um Feinheiten. Sowohl was den Vorfall, als auch die Reaktion des Fremden betrifft. Niemand soll bluten, umfallen oder ähnliches.

Die Störung sieht der Prot in der Reaktion des Fremden, ja. Jedoch in der Entschuldigung. Er murmelt was vor sich hin, schaut das Mädchen nicht an. Ein richtig "cooler" Typ müsste anders reagieren. Offener. Einfach locker.
Durch das Starren aus dem Fenster versucht der Fremde der Situation zu entfliehen. Er kann die anderen Insassen nicht mehr sehen und sich somit wieder sammeln bzw. in seine Rolle begeben.

Naja, Erklärungen/Interpretationen liegen mir nicht. Bei eigenen Sachen finde ich es noch problematischer.

@ Agron

Du hast recht, spannend ist sie nicht.

Das Ende ist verwirrend aber das soll so sein. Den Grund hast du erkannt.

@ Golio

Das sehe ich anders. Bei einem "göttlichen" Erzähler würde der Vorfall noch unbedeutender erscheinen. Desweiteren wäre die Rollengebung problematisch, da eine Rolle meiner Meinung nach immer aus zwei Teilen besteht. In diesem Fall aus dem, was der fremde vorgibt zu sein und dem, was der Prot in ihm sieht.
Bei einem allwissenden Erzähler wäre die Rolle einseitig und somit niemals real.

@ Elisha

Schön, dass dir ein paar Sachen gefallen.

Das mit der Seele ist richtig. So war das nicht gemeint. Er erkennt ihn einfach so. Damit wollte ich ausdrücken, dass die Rolle des Fremden aus früheren Treffen mit dem Prot bereits gefestigt ist.


Danke euch allen

 
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Anscheinend bekomme ich es nicht hin, zu erklären, was mich stört.

Warumnicht? schrieb:
Die Rolle des Fremden wird ihm natürlich vom Prot gegeben aber er bewegt sich auch in ihr. Er bekommt ja nicht die Rolle eines Skinheads, Säufers oder Idioten.
Die Rolle wird von beiden gleichermaßen getragen. Man kann ja auch den Terminator lustig und Rambo schwul finden.
Natürlich kann man den Terminator lustig und Rambo schwul finden. Und trotzdem bewegen sich die beiden dann nicht in dieser Rolle. Das ist es doch, was mir Schwierigkeiten macht. Die Rolle des Gegenübers wird ihm eben nur durch den Prot zugewiesen. Das wäre auch nicht weiter schlimm, wenn er sie nicht nur behaupten, sondern erzählerisch belegen würde. Aber dieser erzählerische Beleg ist mir zu dünn.
Der Vorfall soll so minimal wie möglich sein. Es geht hier um Feinheiten.
Auch dagegen habe ich nichts. Meine drastischere Ausführung sollte nur veranschaulichen, worauf es mir ankommt. Beispiel:
Im Zuge ihrer kindlichen Bemühungen den Sitz zu erklimmen, stieß das Mädchen mit einem Fuß gegen ihren zukünftigen Sitznachbarn. Es entschuldigte sich sofort mit einer süßen Piepsstimme und schaute dabei ihre Mama mit leicht ängstlichem Blick an.
Das sind Handlungen, die jeder im Zug nicht gerade mit dem Rücken zur Szene sitzt sehen kann, die ich als Leser erleben kann. Ich kann sie glauben.
Die geistig anwesenden Menschen im hinteren Teil des Wagens warteten gleichgültig auf eine Reaktion.
Das ist nur eine Behauptung. Woran sieht der Erzähler das, woher weiß er das? Da diese Behauptung nicht durch Handlungen belegt ist, nimmt mich der Erzähler nicht mit auf seine Gedankenreise.
Akustisch durch die Kopfhörer gestört, aus tiefen seichten Gedanken erwachend, bewegte er seinen Kopf in Richtung des Mädchens, um auf meiner Höhe ein „is nix passiert“ zu murmeln.
Hier mischt du die Rolle des Icherzählers mit dem göttlichen Erzähler. Ein Icherzähler kann sehen, wie der Fremde bei dem Stoß durch das Mädchen leicht zusammenfährt, er kann die Drehung sehen und er kann sehen, dass die Drehung nicht zu Ende ausgeführt wird. Er kann nichts über die Beschaffenheit der Gedanken wissen, die in dem Fremden gerade vorgehen. Er kann die Kopfhörer sehen, nicht aber, ob der Mann gerade durch sie gestört wurde (die Formulierung ist überdies unklar, weil sie bedeuten kann, dass er durch die Schallmauer der Kopfhörer hindurch gestört wurde, aber auch, dass die Kopfhörer selber die Störquelle sind).
Zur Verdeutlichung gebe ich dir mal andere Interpretationsmöglichkeiten, die aus der Handlung "Mann mit Kopfhörern dreht Kopf und murmelt Entschuldigung" möglich sind.
  • In Gedanken versunken hat er gar nicht bemerkt, wer ihn angestoßen hat, hat auch die Entschuldigung nicht gehört, geschweige denn, aus wessen Mund sie kam. Er schaut also das Mädchen nur deshalb nicht an, weil er davon ausging, der Erzähler hätte ihn gestoßen.
  • Mann hat rheumatischen Schiefhals, kann den Kopf nicht weiterdrehen und schämt sich deshalb, weil er das Mädchen gerne angelächelt hätte.
  • Mann hat gerade heute seinen Job verloren und nimmt die Welt deshalb in Gedanken nur schemenhaft war. Dass er reagiert ist nur ein Höflichkeitsreflex
  • Frau des Mannes hatte gerade eine Fehlgeburt, das kleine Mädchen erinnert ihn daran.
Allen diesen Möglichkeiten ist gemeinsam, dass ein ihm unbekannter Icherzähler sie genauso wenig wissen kann, wie die, die du ausgewählt hast. Sie sind schlichte Interpretationen dessen, was passiert ist, genau wie die Behauptung, eine Rolle wäre in sich zusammengebrochen.
Dann drehte er, ohne das Mädchen auch nur einmal gesehen zu haben, seinen Kopf wieder weg und starrte weiter aus dem Fenster.
Ein Icherzähler kann nur die Kopfbewegung sehen, nicht aber, was der Fremde gesehen hat. Es müsste also auf alle Fälle zu angesehen erweitert werden. Das wäre etwas. das ein Icherzähler behaupten kann. Das Starren, was du ihm ab da unterstellst, müsstest du wenigstens durch eine veränderte Kopfhaltung belegen oder vielleicht durch einen deutlicher zu sehenden Nackenmuskel, der die verkrampftere Haltung anzeigt.
Du verleihst deinem Icherzähler das Wissen eines allwissenden Erzählers. Daran scheitert es bei mir, ihm überhaupt zu glauben. Deshalb sage ich, das Gegenüber füllt die ihm vom Erzähler zugedachte Rolle nicht aus.

Die, die es sich mit Floskeln einfacher machen, müssten hier sofort "Show, don´t tell" rufen.

Ich will deine Geschichte nicht schlecht reden, ich will hier auch nicht unbedingt recht behalten. Es ist schön, wenn deine Geschichte hier vielen gefällt. Aber ich habe das Gefühl, du hast bisher nicht verstanden, warum ich dieser Geschichte nicht folgen kann.

Lieben Gruß, sim

 

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