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Gemischtes Doppel
Als freiberuflicher Mitarbeiter im Außendienst eines wissenschaftlichen Beratungsunternehmens führe ich in meinen mittleren Jahren ein Dasein in Zufriedenheit - eigentlich. Der berufliche Erfolg verschafft mir materielle Sicherheit, die Anforderungen des Familienlebens lebe ich flexibel aus, alles ist bestens organisiert. Gleichwohl, irgendetwas irritiert mich seit geraumer Zeit in meinem Wohlbefinden; ein diffuses Gefühl, etwas Unbehagliches steigt zeitweilig in mir auf. Ich grüble, versuche eine plausible Erklärung dafür zu finden, und bei ehrlicher Einschätzung komme ich zu dem Schluss, diese Irritation ist vermutlich der Tatsache geschuldet, dass ich seit mehreren Jahren ein Doppelleben führe. Auf der einen Seite lebe ich in einer offiziellen Familie mit meiner Ehefrau Clara und unseren zwei gemeinsamen Kindern; andererseits gibt es eine zweite, eheähnliche Beziehung mit Sophie - keine der beiden Familien weiß von der Existenz der jeweils anderen.
Seit mehreren Jahren führe ich dieses Doppelleben schon, habe es dabei geschafft, beide familiären Belange gekonnt voneinander zu trennen, ich jonglierte perfekt mit gut durchorganisierten Täuschungsmanövern. So pendelte ich geschmeidig zwischen den Ansprüchen meiner zwei Familien, indem ich die geografischen Distanzen der Berufstätigkeit im Außendienst als Erklärung für meine zeitweilige Abwesenheit benutzte. Beide Familien gingen davon aus, dass ich während dieser Zeit berufsbedingt unerreichbar wäre - weder Clara noch Sophie ahnten etwas von diesem doppelten Spiel. Meine Unzufriedenheit steigert sich im Laufe der Zeit, mündet in essentielle Zweifel, ich stelle mein Leben neuerdings grundsätzlich infrage, was bis dahin für mich unvorstellbar war. In dieser Zwickmühle fühle ich mich zunehmend von der permanenten Lüge belastet. Der moralische Druck wird immer stärker, und die Tatsache, zwei Leben parallel zu führen, hinterlässt Spuren in mir, zermürbt meine innere Struktur. In einem Moment der vermeintlichen Klarheit über meine Gefühle komme ich zu einem für mich vorher nicht denkbaren Entschluss: Ich entscheide mich, die außereheliche Beziehung zu beenden, um mich ausschließlich auf meine offizielle Familie zu konzentrieren. Ich bin in dieser Phase von der Idee getrieben, dass dies der erste Schritt sein könnte, meine Integrität wieder herzustellen, und das Gefühlschaos, das ich verursacht habe, zu beseitigen. Ich möchte endlich wieder in einem unbelasteten Seelenzustand leben. Aufkeimende Zweifel an diesem Vorhaben lassen mich nur kurz innehalten - diese könnten ja eventuell Folgen einer bislang von mir stets ausgeschlossenen Midlifecrisis sein. Doch diesen Gedanken verwerfe ich schnell wieder. Um völlige Gewissheit zu erlangen, wie mein Gefühlsstatus tatsächlich tatsächlich ist, gönne ich mir einige Tage Auszeit von Job und beiden Familien. Um Abstand zu gewinnen, und mich auf ein verändertes Leben zu fokussieren, lasse ich mein lange zurückliegendes Singledasein wieder aufleben. Es sind die vergnüglichen Momente voller Genuss, zu denen ich mich in dieser Phase immer stärker zurücksehne – einen bessere Option, eventuell vorhandene Restzweifel zu nivellieren, kommt mir nicht in den Sinn.
Was daraufhin stattfindet, ist ein Eintauchen in das hedonistische Verhaltensmuster eines lebenshungrigen Junggesellen. Ich starte noch einmal voller Erwartung durch und stürze mich in die aufregende Szene des Nachtlebens in Berlin. Wie in früheren Jahren als Single, ziehe ich an mehreren aufeinanderfolgenden Abenden und Nächten durch unzählige Bars und Clubs, bis ich irgendwann, zwischen Nacht und frühem Morgen, völlig mitgenommen in mein Hotelbett falle. Auf diese exzessiven Nächte folgt eine Zeit der Reflexion, in deren Folge ich meinen Wendepunkt unwiderruflich festzurre. Ich weiß nun genau, was ich will, und ich bin dabei stolz auf meine Entscheidungskraft. Nun kann alles nicht mehr schnell genug gehen. Direkt im Anschluss an diese Auszeit fahre ich voller Tatkraft in Richtung Sophies Wohnsitz, um ihr meine Entscheidung mitzuteilen, immer noch euphorisiert von der Wucht meines Entschlusses; etwas aufgeregt zwar, aber gestärkt durch einen festen Willen. Die Chausseebäume fliegen während dieser Fahrt nur so an mir vorüber, Richtgeschwindigkeit existiert für mich nicht mehr. Mit jedem Kilometer wächst das Gefühl, ein neuer Mensch werden zu können. Dann sind es nur noch wenige Minuten auf der Stadtautobahn, und ich bin am Ziel.
Die Szenerie dort ist mir vertraut, sie war lange Zeit ein wesentlicher Teil in meinem Lebens. Doch als ich jetzt dort ankomme, werde ich Zeuge einer Szene, die mich erstarren lässt: Ich sehe meine Ehefrau Clara zusammen mit Sophie vor dem Haus stehen, in dem diese lebt. Die beiden scheinen mehr als nur vertraut miteinander zu sein, eher innig verbandelt. Sie lachen und sie umarmen sich zärtlich. Dann betreten sie gemeinsam Sophies Wohnung - die Tür schließt sich hinter ihnen. Ich verharre wie angewurzelt auf meinem Sitz im Auto, fassungslos, und nicht in der Lage zu begreifen, was ich gerade gesehen habe. An die Möglichkeit, dass meine Frau und meine Geliebte sich kennen könnten, habe ich nie im Leben gedacht; und schon gar nicht, dass zwischen ihnen ein intimes Verhältnis bestehen könnte. Völlig konsterniert komme ich zu der Erkenntnis, dass Clara von meiner Affäre gewusst haben muss, und darüber hinaus ihr eigenes Geheimnis ausgelebt hat. Die Gedanken überschlagen sich in meinem Kopf: Haben die Zwei mich die ganze Zeit verarscht? Ich fühle mich betrogen, ich bin verwirrt, und: ich bin zutiefst verletzt.