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Generationen

Beitritt
01.11.2001
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Generationen

Großmutter.,
Du sagst wir sind uns ähnlich – doch wir sind es nicht.

Vielleicht liegt es daran, dass deine Jugend über ein halbes Jahrhundert zurückliegt, ich dagegen bin jetzt jung – in einer anderen Welt in einer anderen Zeit.
Vielleicht liegt es an deinem Charakter, dann zweifellos warst du ganz anders ans ich jemals sein werde.
Vielleicht liegt es aber auch an deiner damaligen Umwelt, an deinen Mitmenschen und dem System das dich gefangen hielt und dem du nicht entkommen konntest, weil du es für eine Tatsache und nicht für Willkür, eine fixe Idee hieltest.
Du mußt daher unter einem unvorstellbare Druck gelitten haben, dich anzupassen, ganz anders als ich.

Dennoch:
Ich versuche diesen Gedanken normalerweise nicht einmal zu denken, doch heute will ich offen sprechen: Ich verurteile dich zutiefst.

Vor sechzig Jahren ging dein Krieg zuende, ja, dein Krieg.
Wenn ich Bilder der jubelnden Menge sehe, sehe ich dich, denn du hast gejubelt.
Wenn ich Berichte der geschändeten „Aussenseiter“ lese, sehe ich dich, denn du hast geschwiegen.
Wenn ich über die Gräber der gefallenen Soldaten laufe, sehe ich dich, denn du hast sie ziehen lassen.
Auch die Zeugnisse der Hilflosigkeit erinnern mich an dich, denn du hast resigniert.
Du hast die, die sich gegen das Unrecht gewandt haben getötet, weil du dich nicht hinter sie gestellt hast.
Du hast das Unrecht gekannt und bist sitzengeblieben, weil es bequem ist sitzenzubleiben und weil es in Ordnung ist sitzenzubleiben, wenn es die Anderen auch tun.
Wenn ich an dich denke, erscheint vor meinem geistigen Auge das Bild von der gesichtslosen Menschenmasse:
Das Bild, an dem die vielen tausend Menschen Schulter an Schulter stehend die Augen verdrehen, stöhnen und denken:
„Was kann ich armer, einzelner Mensch schon tun?!“
Dieses Bild begegnete mir in meinem Schulbuch, und ich habe es nie vergessen.

Kind,
Du sagst wir sind uns nicht ähnlich, doch du hast Unrecht.

Vielleicht liegt es daran, dass du jung bist, zwar in einer anderen Wett und in einer anderen Zeit, doch auch ich war jung, auch wenn meine Jugend über ein halbes Jahrhundert zurückliegt.
Vielleicht liegt es an unserem Charakter, denn zweifellos bist du ganz anders als ich es jemals gewesen bin und dennoch finden wir unzählige Parallelen, wenn wir genau hinsehen.
Vielleicht liegt es aber auch an deiner Umwelt, an deinen Mitmenschen und an dem System das dich gefangen hält und dem du nicht entkommen kannst, weil du es für eine Tatsache häls und nicht für Willkür, eine fixe Idee.
Du mußt unter einem unvorstellbare Druck leiden, dich anzupassen, genau wie ich damals.

Jeden Tag, wenn ich vor die Haustüre gehe, und keine Vögel mehr singen höre, weil die Gemeinde dort alle Bäume fällte, die ihnen als Kinderstube dienten, denke ich an dich, denn du hast noch nicht einmal versucht, sie davon abzuhalten, obwohl du wußtest, dass es unrecht ist.
Wenn ich Zeitung aufschlage und lese, dass die Ozeane verpestet, die Wälder krank sind und die Ozonschicht voller Löcher ist, denke an dich, die du dazu schweigst, obwohl du weißt, dass die Umwelt keine eigene Stimme hat.
Wenn ich Nahrungsmittel esse, die genetisch manipuliert und voller Giftstoffe sind, frage ich mich, wie du das zulassen kannst, denn sogar ich alte Frau habe ein Recht auf unverpestete Nahrung.
Jedesmal, wenn Frau Müller von nebenan mir von der abgestumpften und tatenlosen Jugend erzählt, muß ich an dich denken, die du ebenfalls resignierst.

Ich weiß wie bequem es ist zu schweigen.
Ich weiß wie bequem es ist sitzenzubleiben.
Ich weiß wie bequem es ist, zu resignieren, die Augen zu verdrehen und zu stöhnen:
„Was kann ich armer, einzelner Mensch schon tun?!“

Am besten aber weiß ich, dass es bequem ist mitzumachen. Du selbst erinnerst mich jeden Tag daran, wenn du morgens in dein Auto steigst, den Zündschlüssel im Schloß drehst und ich kurze Zeit später vom Kampfgeschrei des aufheulenden Motors geweckt werde.

 

Hi Claudia,

ich hatte die Messer schon gewetzt und im Gedanken schon formuliert, wie anmaßend ich den Brief der Enkelin finde. Aber dann drehst du ja den Spieß um. Im Kontrast der Gegensätze wird klar, dass es leichter ist, sich gegenseitig etwas vorzuwerfen als sich zu verstehen und die Einigkeit liegt in der Schwäche.
Ich habe die Messer also wieder eingepackt. Die Beispiele sid natürlich die 0815 Beispiele in seinem solchen Fall aber das macht sie ja nicht ungültig.

Ein Detail muss ich aber anmerken.

Wenn ich Zeitung aufschlage und lese, dass die Ozeane verpestet, die Wälder krank und die Ozonschicht voller Löcher ist
So gut der Satz gemeint ist, so geht er nicht. Denn du hast eine Aufzählung so ausstaffiert, dass zum Ende ein Singular kommen muss. Die Ozonschicht ist nun einmal nicht mehrfach. Trotzdem musst du grammatisch einen Plural nehmen. Ich schlage vor, die Löcher in der Ozonschicht an die erste Stelle zu setzen, dann kann es klappen.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim,
du hast Recht, der Satz hinkt irgendwie. Werd ihn verbessern - danke!
Mit der Interpretation bin ich mir nicht sicher, vielleicht sollte ich erzählen wie die "Geschichte" entstanden ist: Ich habe an einem Projekt in Riga teilgenommen, bei dem es um die Opfer des Nationalsozialismus ging. Jeden Tag stand ich fassungslos an den Massengräbern und dachte mir: "Wie konntet ihr das zulassen?" Am letzten Tag saßen wir zusammen und jemand zeigte einen Film mit der - zugegebenermaßen umstrittenen- Rede des Häuptling Seattle und auf einmal hatte ich so ein flaues Gefühl im Magen, dass unsere Situation in gewisser Weise ähnlich ist, dass auch in unserer Gegenwart unglaubliche Verbrechen geschehen, die wir nicht verhindern und womöglich unterstützen. Was werden unsere Nachfahren uns vorwerfen?
Es ging mir weniger um gegenseitige Vorwürfe bzw. Verständnis oder die "Beispiele" als solche. Ich weiß nicht, ob das so rüberkam.
Hat sonst noch irgenwer eine Meinung?
Danke im voraus, Gruß von Claudia

 

Hallo Claudia,

mir ging es in sofern wie sim, dass auch für mich die Geschichte durch den Perspektivenwechsel gewonnen hat. Allerdings hätte sich die Botschaft glaube ich besser verpacken lassen, wenn du sie in eine Geschichte und nicht in eine direkte Ansprache gepackt hättest. Einen möglichen Rahmen erwähnst du ja in deinem Kommentar. Denn so, in ihrer reinen Form, sehe ich zu sehr den erhobenen Zeigefinger, das ist mir zu direkt, mal ganz unabhängig von den Klischees. Die Idee hat mir gefallen, dass wir Menschen uns nicht groß geändert haben, sondern nur die Verhältnisse.

Du hast noch einige Flüchtigkeitsfehler in deiner Geschichte, vielleicht liest du nochmal drüber, dann findest du sie glaube ich selbst.

Liebe Grüße
Juschi

 

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