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Generationskonflikt

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08.05.2006
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Generationskonflikt

„Heute gehen wir in den Park, Frau Sonntag, frische Luft, die wird uns gut tun!“
Frau Sonntag saß auf dem alten Sofa wo sie immer saß, wenn der Zivi kam. Er war ein so netter junger Mann. Wie hieß er noch gleich? Sie vergaß ständig seinen Namen, aber sie war ja auch schon sechsundachtzig Jahre alt, und da ließ einen das Gedächtnis schon mal im Stich.

Auf dem Tisch stand das „Essen auf Rädern“, was die alte Frau nicht angerührt hatte. Alex öffnete die hygienisch verpackten Aluschalen und verzog das Gesicht.
„Und zur Feier des Tages machen wir ein Picknick.“ Ein Picknick, ach Gott war das lange her, dass sie ein Picknick gemacht hatte! Der Zivi half ihr in die Schuhe und den Mantel.
Unterwegs zum Park kamen sie bei McDonald`s vorbei und Alex kaufte eine große Tüte mit Hamburgern, Pommes Frites und zwei Becher Cola. Wo war nur ihr roter Weidenkorb, den sie früher für ein Picknick benutzte, dachte Frau Sonntag, der wäre um vieles schöner gewesen als diese braune Papiertüte. Hätte Alex ihr nur vorher was gesagt, dann hätte sie danach suchen können.
Im Park setzten sie sich auf eine Bank und begannen zu essen. „Na, Frau Sonntag, lange nicht mehr so was Leckeres gegessen, hm?“ Er beobachtete wie die alte Frau die Hamburger und Pommes hungrig verschlang. Hoffentlich würde er nicht irgendeinen Cholesterin- oder Zuckerspiegel in Unordnung bringen. Durch den Strohhalm schlürfte sie die Cola, die wie Schaumwein auf ihrer Zunge perlte und sie leise rülpsen ließ.
„Zeit für nach Hause zu gehen,“ sagte Alex nach einer Weile. War die Zeit schon wieder vorbei? Sie lebte für diese zwei Stunden am Tag, wenn der Zivi bei ihr war. Er hatte immer so kurzweilige Ideen. Jeden Tag setzte sie sich, nachdem sie ihr Frühstück beendet hatte, auf das Sofa und wartete geduldig bis zum Nachmittag. Manchmal fühlte sie sich dabei an früher erinnert. An die Zeit als sie mit Hans, ihrem späteren Mann, verlobt war und sie als ungestümer Backfisch den Abend herbeisehnte, dass Hans sie endlich zum tanzen abholte. Es war kurz vor dem Krieg und eine schlechte Zeit für die Menschen. Aber sie war jung und verliebt, da sieht die Welt rosarot aus und die Gefahr, die drohte, nahm sie damals nicht wahr. Als Hans eingezogen wurde, lernte sie warten, langes, sehnsuchtsvolles und vor allem ängstliches warten. Da hatte sie es jetzt besser.
An den Wochenenden kam Alex nicht. Ihre Tochter besuchte sie auch nur alle vierzehn Tage und begrüßte sie jedes mal mit den Worten, dass sie nicht viel Zeit hätte und nicht lange bleiben könnte. Aber Frau Sonntag wollte nicht undankbar sein, Angelika war schließlich verheiratet und hatte Haushalt und Beruf.
Am nächsten Tag zeigte Alex ihr wie ein Handy funktionierte. Sie war ganz aufgeregt, als sie ihre Schwester in Frankfurt anrief, die ihr gar nicht glauben wollte, dass sie vom Balkon aus telefonierte. Durch ihn hatte sie auch das erste Mal Musik über Kopfhörer gehört und war erstaunt, dass aus so einem kleinen Ding, das sich MP3-Player statt Radio nannte, Musik kommen konnte. Heutzutage war alles so anders. Wo früher Bahnschaffner einem den Fahrschein verkauften und Kassierer das Geld auszahlten, gab es heute nur noch Automaten. Wie sollte sich ein alter Mensch da zu Recht finden. Der Zivi ließ ihren Einwand, dass sie für irgendetwas zu alt sei nie stehen. Sein Wahlspruch war: „Wirst alt wie ne Kuh, lernst immer noch dazu!“ Sie lachte dann jedes Mal und war gespannt, was er ihr diesmal zeigen wollte.
So kam er eines Tages mit der Idee: „Wohin möchten Sie heute verreisen?“
„Verreisen? In zwei Stunden kann man nirgendwohin verreisen!“ schüttelte sie den Kopf. „Kann man doch! Also wohin?“ Er sagte das so überzeugend, dass ihr nur noch Paris übrig blieb zu antworteten. An diesem Tag besuchten Sie ein Internetcafe und Frau Sonntag zehrte noch lange von der wunderschönen Reise.
Manchmal wünschte sie sich, der Zivi wäre ihr Enkel. Angelika hatte keine Kinder und ihr Sohn Thomas lebte mit Frau und Tochter im fünfhundert Kilometer entfernten Berlin, so dass sie ihn und seine Familie selten sah. Einmal wollte sie Alex Geld zustecken, da sie dachte, er könne eine neue Hose gebrauchen und als Zivi verdiente man ja nicht viel. „Was haben Sie an meiner Hose auszusetzen,“ fragte er mit gespielter Entrüstung und Frau Sonntag war es schon fast peinlich, dass sie es angesprochen hatte: „ Na, ja, sie sieht aus, als sei sie dir viel zu groß, sie sitzt so komisch.“ Alex lachte laut: „Dafür hab` ich ne Schweinekohle ausgegeben, das trägt man als Freund des Raps, das ist ne Baggy.“ Frau Sonntag verstand zwar nicht ganz was er meinte, aber sie ließ es dabei bewenden.

Es war Montag. Frau Sonntag hatte ein langes, einsames Wochenende hinter sich und saß nun erwartungsvoll auf dem Sofa als es endlich klingelte. Aber statt Alex, stand ihre Tochter mit einem Polizeibeamten vor der Tür. Sie schaute die beiden erstaunt an. Wo war Alex?
Angelika und der Beamte versuchten ihr irgendetwas von EC-Karten Betrug zu erklären. Immer mal wieder wären kleinere Beträge am Geldautomaten von ihrem Konto verfügt worden wie man aus den Kontoauszügen ersehen konnte. Sie würde doch Bargeld von ihrer Tochter mitgebracht bekommen und den Automaten gar nicht nutzen. Der Betrüger musste die Geheimzahl kennen und das könnte ja nur jemand aus ihrem Umfeld sein. Als Frau Sonntag die EC-Karte zeigen sollte, konnte sie diese nicht finden, aber sie verlegte in letzter Zeit öfter Dinge, und konnte sich nicht mehr erinnern, wo sie sie hingetan hatte. Auf ihre Frage, wann denn nun endlich der Zivi käme, bekam sie nur die kurze Antwort, dass in Zukunft statt Alex eine Frau vom mobilen Pflegedienst kommen würde. Der Polizeibeamte kramte ein bereits ausgefülltes Formular aus seiner Tasche, dass Frau Sonntag unterschreiben sollte. Sie verstand nicht, was ihre Tochter und der Beamte von ihr wollten. Als sie „Anzeige gegen Unbekannt“ las, verweigerte sie ihre Unterschrift. Wen sollte sie denn für was anzeigen? Ihre Tochter schimpfte etwas von „uneinsichtig“ und „Altersstarrsinn“, aber Frau Sonntag blieb stur. Diesmal war sie froh als Angelika endlich fort war.
Hatte sie richtig gehört, Alex würde nicht mehr kommen? Ihr Herz krampfte sich zusammen und es tat weh wie Liebeskummer.
Frau Sonntag musste über das gerade Geschehene nachdenken. Plötzlich begriff sie und Wut stieg in ihr hoch. Was sollten diese Verdächtigungen? Was bildete ihre Tochter sich eigentlich ein, ihre eigene Mutter zu behandeln wie ein kleines Kind, die zwar alt, aber schließlich nicht unmündig war.
Sie dachte, sie hätte ein gutes Verhältnis zu ihrer Tochter. Das erste Mal seit langer Zeit war sie richtig böse auf Angelika.
Frau Sonntag beschloss umgehend Alex anzurufen. Den Zettel mit seiner Handynummer hatte sie in eine alte Keksdose in den Küchenschrank getan und das hätte sie nie vergessen.
Der Zivi teilte ihr mit, man hätte ihm gesagt, es wäre nicht mehr gewünscht, dass er zu ihr käme und so sei er nun für eine andere alte Dame eingeteilt worden.
Frau Sonntag musste schlucken: „Alex, du hast mir doch gezeigt, wie man Geld am Automaten verfügt. Wieviel Geld haben wir diesen Monat insgesamt abgehoben?“
Der Zivi registrierte, dass sie seinen Namen auf Anhieb wusste. Die alte Frau wirkte sehr aufgebracht aber auch irgendwie resolut. „Hunderfünfzig Euro,“ antwortete er. „Und letzten Monat?“ „Fünfzig Euro weniger, das habe ich Ihnen doch aufgeschrieben.“
„Kann ich mir das leisten, Alex?“ Der Zivi musste grinsen, er mochte die alten Menschen. Er fragte sich oft, ist es Senilität oder Weisheit, dass sie viele Dinge des Lebens wie zum Beispiel Geld nicht mehr für so wichtig erachteten. „Aber klar, sie sind sehr sparsam. Außerdem haben wir doch alle Ausgaben in ihr altes Haushaltsbuch geschrieben. Das habe ich mir übrigens für meine Finanzen abgeguckt.“ Frau Sonntag atmete erleichtert auf, man konnte sich eben auf den jungen Mann verlassen: „Sag mir nur noch, wo ich meine EC-Karte hingetan habe!“ Auch das konnte der Zivi ihr beantworten. „Was ist denn los, Frau Sonntag? Gibt’s Probleme?“ „Weißt du Alex, ich bin jetzt schon so alt, und ich dachte, ich kenne die Menschen, aber wirst alt wie ne Kuh, lernst immer noch dazu!“
Am nächsten Tag saß sie auf dem Sofa und überlegte, was sie alles mit Alex erledigen wollte.
Erst fahren wir zur Bank Geld holen und die Vollmacht für ihre Tochter streichen lassen, dann zum Friseur. Sie war lange nicht mehr dort gewesen und vielleicht würde der Friseur Alex von einer ordentlichen Frisur überzeugen können. Die Dreadlocks fand sie wirklich nicht schön, aber sagen würde sie das nie.

 

Hallo KatinkaH
sehr sentimental, deine Story. Weiche, zärtliche Wortwahl und auch als brisantes Thema gelungen umgesetzt. Einige Komma- oder Rechtschreibfehler, aber die kannst Du bei genauer Betrachtung selbst finden - jedenfalls störten sie meinen Lesefluss nicht. Es wird einer lesen, der die Grammatik besser beherrscht und der wird es schon korrigieren.
Schön finde ich, dass Du die Geschichte in einer gewissen 'Naivität' schreibst - so wie Maler ja auch die naive Malerei benutzen, um gewisse Themen unbedarft darzustellen.
Zum Thema - ich absolvierte selbst den Zivildienst: jeder junge Mensch sollte ein Jahr zum Sozial- oder Pflegedienst herangezogen werden - Mann UND Frau; vielleicht ist so Verantwortung erlernbar. Ein Versuch wäre es wert.
Liebe Grüße
Detlev

 

Hallo Detlev,

danke für dein Lob und ich freue mich, dass die Geschichte nicht kitschig rüberkommt. Ich bin ganz deiner Meinung, was Sozialdienst in unserer Gesellschaft anbetrifft, der allzugern an Staat und Institutionen delegiert wird.
Was meine Grammatik betrifft bin ich zugegeben keine Korinthe solange es dem Verständnis meiner Geschichte nicht schadet.

LG
Katinka

 

Hallo Katinka,

den Titel finde ich irgendwie irreführend, im Grunde genommen bietest du ja inhaltlich ein Zusammenspiel zweier Generationen an, das sehr gut funktioniert.

Eine im besten Sinne herzerwärmende Geschichte, die natürlich auch zum Nachdenken anregt. Flüssig und unterhaltsam geschrieben. Ein paar Fehler stecken noch drin, da müsstest du noch einmal konzentriert auf die Suche gehen, ich habe mich dann doch inhaltlich mitreißen lassen und die Fehler Fehler sein lassen.

Mit hat es jedenfalls gefallen, ich nehme davon jetzt noch ein paar Gedanken mit in den restlichen Sonntag.

Grüße von Rick

 

In der Geschichte sind Fehler drin?
Nanu?
Es können aber nicht viele und keine gravierenden gewesen sein, denn sie haben mich nicht gestört. Die Geschichte war so fesselnd, dass ich nicht dazu kam, auf so etwas zu achten.
Kitschig? Nö, finde ich nicht. Du übertreibst ja nicht.

 

Hi Rick, Hi Schusterjunge,

danke für euer Lob und das euch die Geschichte gefällt. Das ermutigt mich weiter zu schreiben.Freu!
Den Titel habe ich mit Absicht (irreführend) gewählt, da man ja meistens darunter den Konflikt der Eltern mit ihren pupertierenden Kindern versteht.
Der Konflikt besteht zwischen Mutter und Tochter, während sich sehr alt und sehr jung gut verstehen.
Euch einen schönen Sonntag.
LG
Katinka

 

Hi KatinkaH,

auch mir hat Deine Geschichte sehr gut gefallen, nicht nur wegen der mitreissenden Sprache. Etwas Kitschiges kann ich darin nicht erkennen. Ausgezeichnet finde ich, wie Du das Verhältnis zwischen Frau Sonntag und Alex beschreibst. Habe es schon oft erlebt, dass sich Menschen, die altersmässig bereits sehr weit auseinanderliegen, wieder besser verstehen, als zwei unmittelbar aufeinander folgende Generationen, was auch psychologisch interessant ist. Während dem Lesen ist mir im Übrigen das Buch von "Joachim Kuhn - Seniorentrost" in den Sinn gekommen, welches ich kürzlich verschlungen habe. Darin wird der Generationenkonflikt - wie ich meine - sehr schön ausgeleuchtet (sorry für die Schweizer Schleichwerbung ;)).

chapeau! :wein:

Wünsch Dir noch einen erholsamen Sonntag
palerider

 

Hallo palerider,

auch dir lieben Dank für die gute Kritik.
Schleichwerbung ist was für die Volkswirtschaft, von der wir uns als lesende und schreibende Zunft distanzieren, insofern nehme ich es als Buchempfehlung:)

wünsche einen guten Sonntag, der in eurer schönen Schweiz hoffentlich was sonniger ist.

Katinka

 

Erst wollte ich deine Geschichte, Katinka, nicht lesen – des nüchtern und gar nicht literarischen Titels wegen. Aber wie du siehst, habe ich es doch getan, und finde deine Geschichte gut gelungen, trotz des etwas zähen Anfangs, wo ich schon dachte, es würde eine rührselige Geschichte draus, und trotz einer kleinen Schwäche in der Logik bzw. in der Aussage, die im Titel steckt.

Du hast glaubwürdig den Alltag einer alten Frau beschrieben – ich jedenfalls glaubte dir jedes Wort -, und fast wäre ich dir deswegen auf den Leim gegangen, weil ich glaubte, dieser Schlawiner von einem Zivi würde sich von ihrem Geld ein bißchen was für sich abzweigen. Daß dem letzlich nicht so war, fand ich okay, doch die Szene mit dem Polizeibeamten fand ich weniger glaubhaft, es schien alles schon perfekt geregelt zu sein („Auf ihre Frage, wann denn nun endlich der Zivi käme, bekam sie nur die kurze Antwort, dass in Zukunft statt Alex eine Frau vom mobilen Pflegedienst kommen würde.“), das heißt der Schuldige schon gefunden, und man brauchte nur noch die Unterschrift. Das wirkt ein wenig konstruiert, auch wenn die Tochter aus Sorge um ihre Mutter so gehandelt haben könnte – daraus gleich einen Generationskonflikt zu konstruieren, finden ich jedoch überzogen.

Schön fand ich die Stellen wie „Durch den Strohhalm schlürfte sie die Cola, die wie Schaumwein auf ihrer Zunge perlte und sie leise rülpsen ließ.“, es gibt aber auch ein paar kleinere Schreibfehler, zwei davon sind mir besonders aufgefallen:

Gefahr, die drohte nahm sie damals nicht wahr.
Da fehlt ein Komma.

jedes mal
Entweder zusammen oder Mal groß schreiben.

Dion

 

Lieber Dion,

danke, dass du meine Geschichte gelesen und kritisiert hast, denn nur so hat der Schreiber eine Chance zu lernen. Was den Titel anbetrifft, gebe ich dir recht, dass er nicht unbedingt dazu verführt die Geschichte lesen zu wollen, was aber die Intention eines Titels ist. Werde mich beim nächsten Titel mehr anstrengen!
Was den eigentlichen Konflikt anbetrifft, finde ich schon das dieser vorhanden ist. Die Tochter ist selten bei ihrer Mutter und anstatt erst mal nachzufragen, was es mit den Verfügungen auf sich hat, geht sie gleich zur Polizei, spricht ihren Verdacht zwar nicht aus, hat für sich aber den Schuldigen schon gefunden. Die Tochter weiß ja noch nicht mal was von der guten Beziehung ihrer Mutter zum Zivi. Leider muß ich aus meiner Erfahrung als Bankangestellte bestätigen, dass Kinder ihre alten Eltern sehr schnell entmündigen, wenn es um Geld geht. Aus Angst ums Erbe! Traurig aber oft wahr.

Den Komma u. Rechtschreibfehler habe ich korrigiert.

Liebe Grüße
Katinka

 

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