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Geplatzt
"Einen exorbitant schönen Tag wünsche ich Ihnen. Wirklich ein ausgezeichnet aussehender Fisch, den sie da haben."
"Ja, ich hab grade Rollmöpse gemacht, als… egal, was gibt’s denn?"
"Bitte glauben Sie mir, wie Leid es mir tut, Sie in ihrer Nachmittagsruhe zu stören, aber dürfte ich Ihre geschätzte Aufmerksamkeit wohl auf einen Umstand lenken, dessen nähere Umstände ihrer vollsten Aufmerksamkeit bedürfen?"
"Eigentlich wollte ich diesem kleinen Freund hier gerade die Kiemen rausreißen. Aber bitte, jetzt bin ich eh schon mal hier." Notiz an mich: niemals, wiederhole, niemals an die Tür gehen, wenn ich eigentlich am Kochen bin. Nein, am besten überhaupt nie an die Tür gehen.
"Ich bin Ihnen zutiefst zu Dank verpflichtet. Und zwar dürfte es ihnen vielleicht schon aufgefallen sein, dass die Welt zunehmend in Staub versinkt."
"Naja, wenn man das so ausdrücken will… nein. Nein, eigentlich nicht. Noch nie aufgefallen."
"Auch in Ihrer Wohnung dürfte sich mit zunehmender Sicherheit die eine oder andere Akkumulation des gemeinen Hausstaubes befinden."
"Bei allem Respekt, das geht Sie nichts an."
"Da haben Sie Recht, Entschuldigung. Aber vielleicht dürfte Sie mein Angebot dennoch interessieren."
"Also, wenns hier um Staubsauger geht, brauchen wir gar nicht weiterreden."
"Mein Angebot…"
"Geht es um Staubsauger?"
"Ja."
"Dann nehmen Sie mal Ihren Fuß aus der Tür, damit ich sie zuschlagen kann." Ich griff mit meiner unbefischten Hand nach der Tür, um meinen Teil des Abkommens zu erfüllen.
"Oh, Sie verstehen nicht. Es liegt mir fern, Ihnen etwas zu verkaufen. Vielmehr möchte ich Sie darum ersuchen, ob Sie mir nicht ihren Staubsauger übermachen könnten. Ich empfinde das Aufsaugen von Staub als barbarisch. Sie müssen wissen, ich bin der Gott des Staubes."
Ja, und so hat der ganze Mist angefangen.
…
"Hier, so langsam gehen mir diese Typen echt auf den Sack."
"Jepp."
"Ich meine, ist ja nett, wenn die Leute anfangen, sich mehr füreinander zu interessieren und so, ne, aber das... echt jetzt."
"Jepp."
"Geht zu weit, ne?"
"Jepp."
"Letztens hat mich einer im Bus angelabert, weil ich Kaugummi gekaut hab. Ich meine, hey, nen verschissenen Kaugummi. Dieses neue Kirschzeug, weißt schon."
"Jepp."
"Also, der hat mich jedenfalls angelabert, von wegen, ich soll das doch lassen und so. Weil er wäre der Gott des Kaugummi. Mal im Ernst, wie bescheuert ist das denn bitte?"
"Jepp." Es war nicht etwa so, dass Schmuddel von Ingos Erzählung nicht beeindruckt gewesen wäre. Ganz im Gegenteil, normalerweise zeigt Schmuddel die Reaktion eines blinden Taubstummen, wenn man versucht, sich mit ihm zu unterhalten, während er dabei ist, seine Bauchnabelfussel zu katalogisieren. Ein bis sieben Jepp aus seinem Mund bedeuteten also eine ganze Menge.
"Will wer nen Rollmops?", fragte ich und lümmelte mich aus meinem Wohlfühlsessel. "Hab ich frisch gemacht."
"Wann?"
"Letzte Woche."
"Nee, du, lass mal stecken." Schmuddel hingegen nickte und so machte ich mich auf den Weg in die Küche, den Kühlschrank suchen. Draußen vor dem Fenster war ein netter junger Mann gerade dabei, einer alten Frau über die Straße zu helfen - vermutlich der Gott des Zebrastreifens. Ein anderer sprühte einen schweinischen Schriftzug an die gegenüberliegende Hauswand, bei dem es im weitesten Sinne um Liebe und deren Spielarten ging. Ich tippte auf den Gott des öffentlichen Ärgernisses. Noch einer, eventuell einer der unwichtigen Götter kleiner Tiere, fing eine Spinne vom Bürgersteig und setzte sie in ein Gebüsch.
Seit ein paar Tagen waren sie überall, predigten ihre Sache, ließen uns an ihrem Glauben teilhaben und gingen dabei so unaufdringlich vor, wie man es sonst nur von Zeugen Jehovas gewohnt war. Sie alle waren sehr gepflegt, äußerst freundlich und sie alle sahen vollkommen gleich aus. Gleicher Anzug, gleicher Haarschnitt, gleiche Brille. Auch die Aktentasche war bei ihnen allen vollkommen identisch.
Eigentlich gab es nur eine Sache, die mich noch mehr beunruhigte, als ihre Anwesenheit - und das war die Tatsache, dass es ständig mehr wurden.
"Hier, Schmuddel. Aber langsam essen, wegen der Gräten."
"Alter, ich sag dir, das is ne Invasion." Ingo sprach jetzt sehr leise, als hätte er Angst, dass ihn irgendjemand, eingeschlossen Schmuddel und meine Wenigkeit, hören könnte.
"Lass die Russen aus dem Spiel. Ich hab dir schon mal gesagt, dass die Zeiten vorbei sind."
"Scheiß auf die Russen! Mann, das hier ist ne große Sache. Diese Dreckskerle sind überall..."
"Okay, also was denkst du?"
"Ich denke, dass das hier eine groß angelegte Invasion ist. Sie unterwandern uns, mischen sich unter uns, bis wir nicht mal mehr merken, dass sie da sind."
"Sorry, das ist albern. Die Typen sehen alle gleich aus, schon vergessen? Das fällt auf."
"Nee, eben nicht. Das ist ja das Paradoxe daran. Sie verstellen sich nicht, weil sie wissen, dass sie so am wenigstens auffallen."
"Versteh ich nicht."
"Eben! Wenn du es verstehen würdest, würden sie es nicht mehr machen müssen. Es wäre einfach nicht mehr paradox."
"Sag mal, Schmuddel, hat der Ingo wieder heimlich von dem Klebstoff genascht, als ich weg war?"
"Jepp."
...
ist es weiterhin ein Rätsel, woher diese Männer kommen, wer sie sind oder was sie von uns wollen. Wir haben umfassende Untersuchungen gestartet und sie eingehend befragt, allerdings weitgehend ergebnislos."
"Sie wollen also sagen, dass sie nicht wissen, wer diese Leute sind?"
"Genau das wollte ich sag... ich meine, natürlich ist es nicht so einfach. Meine Kollegen und ich sind uns sehr wohl im Klaren, welch weitschweifenden Umstände
Ja, alles klar. Seit Tagen konnte man den Fernseher einschalten, wann immer man wollte - irgendwo wurde gerade ganz bestimmt irgendein Wissenschaftler zur aktuellen Lage befragt. Und sie alle wussten natürlich nichts. Niemand wusste irgendwas. Klar war nur, dass diese Kerle langsam aber sicher zu einer echten Bedrohung wurden. Nicht, weil sie uns angegriffen hätten, das ganz gewiss nicht, sondern weil sie schlicht und ergreifend da waren.
Ganz einfache Rechnung, ich hab sie Schmuddel mal vorgerechnet, als er gestern wieder bei mir war - man nehme die Anzahl x der Quadratmeter einer Stadt und teile die durch die Anzahl y der Leute, die sich in der Stadt aufhalten. Wenn man jetzt y immer weiter vergrößert, ohne dabei x zu verändern, wird z irgendwann unweigerlich im Chaos versinken. Und z, naja, das waren wir.
Ich hatte inzwischen zwei von ihnen aufgenommen - den Gott der Klarheit und den Gott der rauchfreien Zone. Zwar musste ich jetzt auf dem Sofa schlafen, hatte dafür aber immer saubere Fenster und leere Aschenbecher. Eine Zeitlang überlegte ich deshalb, den Gott des Schichtschlafens zu suchen, aber das wäre echt albern gewesen.
Auf dem Weg zur Tanke war ich heute morgen nacheinander dem Gott des Mundgeruches, dem der verlorenen Weihnacht, den Göttern der halbleeren Schnapsflaschen, des Unkrautjätens, der muffigen Adventsschokolade, der halbvollen Schnapsflaschen, des viel zu lauten Türenknallens und dem Gott der Thüringer mit Senf und Pommes begegnet. Ja, gab es alles.
Ich machte dem Gott der Klarheit mit einer Geste deutlich, wie wenig ich im Moment von einer Reinigung meines Fernsehers hielt und widmete mich wieder der Debatte.
jedoch eine private Theorie, die ich an dieser Stelle gerne äußern würde."
"Nur zu, tun Sie sich keinen Zwang an, Doktor Heisinger."
"Zunächst sollten wir uns die Frage stellen, was eigentlich Gott ist."
"Ich bin sicher, Sie werden es uns gleich sagen."
"Wir alle wissen, dass Gott nur eine Inkarnation des Glaubens ist. Was wir glauben, wird automatisch zu Gott. Jetzt stelle ich mir die Frage, was wohl passiert, wenn dieser eine Gott nicht mehr da ist? Was, wenn sich die einzelnen Bestandteile des Glaubens selbständig machen?"
"Sie glauben also..."
"Ja. Ich glaube, Gott ist geplatzt."
...
"Kann ich dich mal was Privates fragen?"
"Nee, echt nicht."
"Okay, dann nicht. Aber wie viele, denkst du, werden noch kommen?"
"Keine Ahnung." Ingo zuckte mit den Schultern. Wir saßen auf dem Dach von Schmuddels Garage und beobachteten das dichte Gedränge unter uns auf den Straßen. Nicht, dass Schmuddel die Garage gebraucht hätte, um darin sein Auto unterzustellen. Eigentlich hatte er gar kein Auto, was, zusammen mit der Tatsache, dass er auch kein Haus hatte, einen Hinweis darauf gab, wofür er die Garage brauchte. In meiner Wohnung konnten wir uns nicht mehr treffen, seit sich die Götter der Flatulenz und des hemmungslosen gegenseitigen Anschreiens ohne jeglichen Grund bei mir einquartiert hatten.
"Ja, aber das kann doch so nicht weitergehen. Ich meine..."
"Wenn das so weitergeht, müssen wir wohl auswandern."
"Ja, aber es wird doch vermutlich überall so aussehen wie hier, oder?" Beinahe so, als wolle er meine Worte bestätigen, stand auf einmal einer von ihnen hinter uns.
"Gestatten, dass ich mich vorstelle? Ich bin der Gott der verlorenen Hoffnung und würde ihnen gerne mitteilen, dass es überall so aussieht wie hier. Kann ich Ihnen sonst irgendwie helfen, Bedenken säen oder Sie in eine Sinnkrise stürzen? Ich würde das wirklich gern für Sie tun."
"Hier, ich hab ne Idee", flüsterte Ingo. Dann steckte er sich die Zeigefinger in die Ohren, rollte wild mit den Augen und sagte irgendwas in Richtung "du kannst mir gar nichts, komischer Gott. Ich glaube nicht an dich und weil ich nicht an dich glaube, existierst du nicht. Ergo und unwiderruflich." Wirklich ein hervorragender Plan, auf den eigentlich schon mal eher jemand hätte kommen können. Angespannt hielt ich den Atem an und wartete, dass sich der Gott auflösen würde, oder zumindest wild heulend wegrennen. Aber nichts dergleichen geschah.
"Das ist bedauerlich, aber vielleicht könnte ich Ihnen trotzdem irgendwie die Hoffnung nehmen", sagte er einfach und lächelte freundlich.
"Danke, aber das hast du schon", sagte Ingo resignierend. "Das hast du schon."