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Geschichte einer Konfrontation
Da fahre ich also mit meinem nagelneuen Auto durch die Stadt, um ein bisschen anzugeben. Opel Astra. Kann sich ja nicht jeder leisten.
Als ich an einer roten Ampel gepflegt das Tempo verlangsame, passiert es: Der rote Golf, der mir die ganze Zeit so dicht gefolgt ist, als wollte er mich anschieben wie eine lahme Ente, versucht sich doch tatsächlich noch neben mich zu quetschen. Plötzlich ein hässliches Quietschen. Ein eisiger Schock durchfährt mich. Eine Schramme! Er hat mir eine Schramme gemacht!
Ich reiße die Tür auf und stoße dabei an den anderen Wagen. Zwänge mich hinaus und renne zum Heck, um den Schaden zu begutachten.
Meine Hände zittern, als ich die einen halben Meter lange Schramme sehe. Heiße Wogen gerechten Zorns lassen meinen Körper erbeben. Na warte! Wenn ich etwas hasse, sind es gedankenlose Rowdies, die ohne Sinn und Verstand in der Gegend herumbrettern und anderen Schaden zufügen. Gehört so etwas denn auf die Straße? Einsperren sollte man das Gesindel. Einsperren und dann täglich eine Lektion mit dem Stock! Am Besten einen Sack über den Kopf und immer mit dem Knüppel drauf. Ja, das wäre eine Sprache, die dieses Pack versteht! Damit werde ich jetzt gleich anfangen.
Dieser Dreckskerl ist ja immer noch nicht ausgestiegen! Dem werde ich Beine machen. Ich werde ihm einheizen, dass ihm Hören und Sehen vergeht…
Jetzt öffnet sich doch die Fahrertür. Im allerletzten Moment, Bürschchen. Aber jetzt kannst du trotzdem was erleben. Das wirst du so schnell nicht vergessen…
Ein martialisch tätowierter Hinterkopf und ein riesiger Stiernacken in grünem Unterhemd schälen sich mühsam aus dem Wagen. Ein wahrer Musterrowdy. Aber ich lasse mich nicht einschüchtern. Wollen doch mal sehen, ob sich der Kerl entschuldigt…
Der Stiernacken stampft mit seiner gewaltigen, bebenden Körpermasse in meine Richtung. Bundeswehrhosen, Tätowierungen auf den speckigen Oberarmen, kleine Augen in tiefen, wulstigen Höhlen, Boxernase. Man soll nicht zu voreilig über einen Menschen urteilen. Viele, die auf den ersten Blick wie die Rüpelhaftigkeit in Person erscheinen, sind in Wirklichkeit nette Leute. Die Boxernase könnte das Resultat eines Unfalls sein. Da ist schon ein bisschen Verständnis angebracht. Unerbittlich muss ich natürlich trotzdem bleiben…
„Eh, Mann, dat is’n Scheiß, wa?“ Sein breites Kumpelgrinsen entblößt zwei Reihen schmutziggelber grabsteinförmiger Zähne. „Mensch, das wollt’ ich echt nicht, du. Ich hab’ gedacht, dass da noch genug Platz is’, ne. Na, sieht ja auch halb so schlimm aus, eh? Hab’ ich auch mal gehabt. Ein kleiner Anstrich, und dat Ding is’ wieder wie neu.“
Er wälzt sich ganz an mich heran und klopft mir kameradschaftlich auf den Rücken. Der Geruch von Schweiß, Bier und Zigarettenqualm drängt in meine Nase, und das nasse Unterhemd befeuchtet mein Gesicht. Na bitte, er hat sich doch entschuldigt – auf seine Art. Im Grunde ist er doch kein schlechter Kerl. Ich spüre, wie ich vor Befangenheit und Verlegenheit rot werde.
Das Kumpelgrinsen strahlt weiter aus schwindelerregender Höhe auf mich herab, ich muss mir fast den Hals verrenken, um es zu erwidern. „Brauchst ja nich’ gleich rot zu werden. Bin auch nur’n Mensch, auch wenn ich nich’ so aussehe. Willst ne Zigarette?“
„Danke, nein, ich rauche nicht.“ Es ist mir richtig peinlich, sein freundliches Angebot abzulehnen.
Er zuckt nur mit den Schultern. Das Vibrieren der Muskeln muss noch zwei Straßen weiter zu hören sein. „Na ja, dann wollen wir mal wieder. Is’ ja auch schon wieder grün. Man sieht sich, ne.“
Sprach’s und braust wieder davon. Nicht mal seine Versicherungskarte hat er mir gegeben. Elender Drecksack! Meint wohl, er kann sich alles erlauben. Ja, wenn es nach mir ginge, da würden wir in diesem Land ganz andere Saiten aufziehen. Dann hätte ich es ihm aber richtig gezeigt!