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03.09.2024
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Gesichter

Die meisten, die hier auftauchen, sind der letzte Dreck. Das erste Mal schämte ich mich, aber man gewöhnt sich daran. Kleingeld ist wichtig. Die nehmen auch Karten, aber wenn das Konto gesperrt ist, helfen Münzen. Man muss ein bisschen Zeit mitbringen. Weggehen ist nicht gut, gar nicht gut. Ich war nur kurz draußen, fünf Minuten vielleicht. Es hat zu schneien angefangen, nur ganz leicht, das erste Mal dieses Jahr. Als ich wiederkomme, ist alles geklaut. Die ganzen Klamotten weg. Ich fasse es nicht. Was für Drecksäcke klauen einem die letzten Sachen? Stehe da vor den Maschinen, die sich drehen. Räume dann eine andere aus, ist sonst keiner da, außer dem Penner, der immer auf der Bank schläft. Liegt da, als wäre er tot, mit einer echt fiesen Stelle am Oberschenkel, wo es durchsuppt in seiner Jeans. Wenigstens hat er es warm hier drin und schnarcht nicht. Aber der sollte mal zum Arzt.
Die Sachen sind ein bisschen zu groß, aber es geht. Ein Barcelona-Trikot mit der Nummer 10 ist dabei. Das ziehe ich gleich an, ich liebe Messi. Als ich mit vollgepackter Tasche und offenem Parka rausgehe, rempelt mich ein Typ an, etwas größer als ich, geschniegelt, gehört hier nicht her. Er entschuldigt sich und zeigt auf das Messi-Trikot. „Hab´ ich auch“, sagt er und grinst. Ich sehe zu, dass ich durch die Tür komme, draußen laufe ich los. Gar nicht so einfach mit der Tasche. Ich nehme einen offenen Hauseingang und verschwinde in Richtung Keller. Ich hab´ keine Eile, hier ist es nicht so kalt wie auf der Straße, ist richtig Winter geworden, ewig wird der mich nicht suchen. In zwanzig Minuten ist die Luft rein, spätestens. Die Kellertür ist nicht verschlossen, manche Leute sind so dämlich, man fasst es nicht. Ich schalte das Licht an. Sieben, acht Kellerverschläge in dem Gang rechts, die meisten mit Zahlenschlössern davor. Links stehen jede Menge Fahrräder, dahinter ist eine Stahltür. Ich gehe an den Rädern vorbei, zwei E-Bikes sind darunter. Es gab schon Freitage, die schlechter waren. Ich stelle die Tasche vor der Tür ab und drücke die Klinke. Offen. Die Bewohner dieses Hauses sind dermaßen sorglos, dass mich brennend interessiert, was sich hinter der Stahltür verbirgt, auch wenn sie keiner abschließt. Außen Ist kein Lichtschalter, ich taste die Wand drinnen ab, finde aber keinen. Irgendwo muss einer sein. Ich versuche es auf der anderen Seite, auch nichts, die Tür fällt hinter mir zu, es ist dunkel. Als ich sie aufdrücken will, bewegt sie sich nicht. Ich taste nach einer Klinke. Da ist keine. Nur Stahl, an manchen Stellen rissig, vermutlich blättert Farbe ab. Das Smartphone hat kein Netz, immerhin funktioniert die Taschenlampe. Der Lichtkegel zeigt einen grauen Betonboden, der Raum ist leer, Steinmauern an den Seiten, fleckig, die Oberfläche zum Teil abgebröckelt, es riecht leicht modrig. Die gegenüberliegende Seite ist begrenzt durch Stahlstreben, mit einer Tür aus demselben Material. Es hallt leicht, als ich darauf zugehe und daran rüttele. Verschlossen. Ein weiterer Raum hinter der Vergitterung scheint ebenfalls leer zu sein, bis auf zwei billige Plastikstühle, die im fahlen Licht der Taschenlampe schmutzig wirken. Nicht gut. Was ist das für eine Scheiße? Selbst an die Tasche mit den ganzen Klamotten komme ich nicht ran, die steht hinter der Stahltür ohne Griff. Ich ärgere mich, dass ich sie nicht aufgehalten habe, aber wer kann ahnen, dass da kein Griff auf der anderen Seite ist. Der Freitag fing gut an, jetzt ist nicht so gut. Ich leuchte den Raum ab, komplett leer, an der Decke sind Neonröhren angebracht. Kein Schalter, der muss irgendwo anders sein. Ich versuche, mit den Fingern in den Spalt der Stahltür zu kommen, sinnlos. Ich sinke an der Wand zu Boden, die Knie angewinkelt, viel Saft hat das Handy nicht mehr. Ich schalte es aus. Stockdunkel. Jede kleinste Bewegung erzeugt ein Geräusch, das Schaben der Schuhe, das Reiben des Parkas an der Wand, sogar mein Atmen höre ich. Ich gehe aus der Hocke und setze mich auf den kalten Boden. Ruhig bleiben, Geduld haben, irgendwann wird jemand kommen.
Ich weiß nicht, wie lange ich dagesessen habe, vielleicht war ich kurz weggenickt. Ich höre Stimmen, hell und aufgeregt, Kinderstimmen, nicht weit entfernt. Ich rappel mich hoch und rufe: „Hallo!“
Die Stimmen werden lauter.
„Hallo, ich bin hier! Hilfe!“
Eine Tür wird aufgeschlossen, ein lautes Knallen folgt, als sie wieder zufällt. Das Licht geht an in meinem Stahlgefängnis, eine Neonröhre flackert surrend, die anderen scheinen defekt zu sein. Das spärliche Licht erhellt den Raum nur schwach. Die Geräusche kommen von der gegenüberliegenden Seite, wo die Tür mit den Gitterstäben ist. Der Raum dahinter bleibt im Halbdunkel, aber ich kann zwei kleine Gestalten ausmachen, die sich nähern. Kinderstimmen, sie scheinen zu streiten. Ich renne zum Gitter, halte das Handy hoch, die Taschenlampe eingeschaltet. Sie kommen zielstrebig auf mich zu, ein Junge und ein kleineres Mädchen, er vielleicht elf, zwölf Jahre, sie jünger. Beide halten etwas in ihren Händen, hoffentlich haben sie Schlüssel für die Tür.
„Ich bin so froh, euch zu sehen!“, sage ich, ihre Konturen werden deutlicher, sie tragen Umhänge mit Kapuzen hintendran, sieht aus, als kämen sie von einem Mittelalterfest. Vielleicht tragen die beiden deshalb Armbrüste. Der Junge schubst das Mädchen, es fällt hin, die Armbrust scheppert auf den Betonboden.
„Könntet ihr bitte … “, fange ich an, aber sie hören mir nicht zu. Das Mädchen hat sich wieder aufgerappelt und schlägt nach dem Jungen.
„Ich darf erst!“, schreit sie.
Sie sind jetzt so nah, dass ich ihre Gesichter erkennen müsste. Ihre Augen, Nasen, Münder. Das Licht ist spärlich, aber eigentlich, nur eine Neonröhre, zuckendes Licht, ich gehe einen Schritt zurück, dann noch einen, sie kommen näher, ihre Gesichter, das Mädchen spannt die Sehne und legt einen Pfeil ein, der Junge tut es auch, sein Gesicht, was zum Teufel, ich weiche weiter zurück, er hat kein Gesicht. Kein Gesicht. Da ist nichts, nur ein milchiger Fleck. Auch ihr Gesicht ist unkenntlich. Vielleicht haben sie Masken auf.
„Passt auf!“, sage ich, während ich weiter nach hinten gehe. „Es ist alles nicht schlimm, wirklich nicht schlimm, aber …“
Das Mädchen feuert den Bolzen ab, er zischt knapp an mir vorbei und kracht an die Stahltür hinter mir, vor der er klappernd auf den Boden fällt.
„Seid ihr verrückt geworden?“, brülle ich.
„Du kannst es nicht!“, sagt der Junge, schiebt sie beiseite und zielt seinerseits. Ich mache eine schnelle Ausweichbewegung, auch der zweite Pfeil verfehlt mich um Haaresbreite.
„Hört auf!“, schreie ich. Die beiden legen neue Pfeile ein.
„Ich treffe jetzt!“, sagt das Mädchen, der Junge lacht hämisch.
Die sind komplett wahnsinnig, das Mädchen nimmt die Armbrust hoch. Ich greife einen der Bolzen auf dem Boden, springe nach vorn und stoße damit auf die Neonröhre an der Decke. Einmal, zweimal. Es gibt ein splitterndes Geräusch, dann ist es dunkel. Schwarz. Ich bewege mich leise nach links, gehe in die Hocke.
„Das ist unfair“, höre ich das Mädchen sagen.
„Ich kann ihn riechen“, sagt der Junge.
Etwas scheppert gegen die Mauer, der Bolzen hat mich verfehlt, das Mädchen flucht.
„Jetzt pass auf!“, flüstert der Junge.
Ich lege mich flach auf den Boden, halte den Atem an und robbe weiter nach links. Langsam, leise.
„Hörst du ihn?“, fragt er sie.
„Nein“, antwortet sie.
„Ich schon“, sagt er und dann gibt es einen entsetzlichen Schmerz in meinem Oberschenkel. Ich schreie und fasse an mein Bein, ich fühle den Pfeil, aber noch mehr den Schmerz, es tut so weh, so wahnsinnig weh, ich brülle.
„Jetzt bin ich dran!“, sagt das Mädchen.
Ich umklammere mein Bein, kann mich nicht wegbewegen.
„Bitte!“, schreie ich. Ich kann nicht aufstehen, ich kann nicht.
„Du musst weiter rechts zielen!“, höre ich den Jungen sagen.
„Lass mich!“, kreischt das Mädchen.
Ich falle. Durch ein Loch. Da, wo eben noch der Boden war. Es raubt mir den Atem. Kein Halt, so rasend, immer weiter. Ich will schreien, es geht nicht, ich werde aufschlagen, ich weiß es, ich weiß das doch alles!
Als das Licht angeht, sagt jemand: „Sie müssen jetzt gehen, bitte!“
Ich versuche, den Sprechenden anzusehen.
„Wir schließen jetzt!“, sagt die Stimme.
Ich sehe Neonlichter über mir. Waschtrommeln neben mir. Einen Mann, der sich über mich beugt und mich anfasst.
„Sie sollten zum Arzt gehen!“, sagt er und zeigt auf meinen blutenden Oberschenkel.
Ich sehe zu ihm auf. Er hat kein Gesicht.
„Schneit es noch?“, frage ich flüsternd, um Zeit zu gewinnen.
„Ganz leicht“, sagt er und zerrt mich hoch.

 

Hallo @Jaylow,

Die meisten, die hier auftauchen, sind der letzte Dreck.

Ich finde, der "geheimnisvolle" Einstieg müsste nicht sein. Ja, es wird recht schnell klar, wo man sich dort befindet, aber trotzdem hat sich der gesamte erste Absatz ein wenig wie eine Spurensuche angefühlt, aha, Kleingeld, sich drehende Maschinen, jetzt versteh ich's, aber das lenkt im Grunde nur vom eigentlichen Inhalt ab, fühlt sich bloß an wie ein unnötiges Versteckspiel.
Und es wird so fast unfreiwillig komisch, wenn dann im Zuge dessen von "Maschinen, die sich drehen" gesprochen wird statt von Waschmaschinen. Würde ja keiner sagen: Maschinen, die sich drehen.

Sonst mag ich den abgehakten Sound und dass man sich direkt in der Action befindet, gleich was auf dem Spiel steht, der Ton ist gesetzt. Auch der Erzähler kriegt gleich viele Facetten: Wenn er so abschätzig über andere spricht und dann keinen Deut besser ist, selbst die Wäsche klaut.

Und dann immer so weiter, Schlag auf Schlag, alles sehr stimmig, mir gefällt, wie du das "Verlies" beschreibst. Stelle ich mir nicht einfach vor, aus so wenig doch so viel zu machen. Sprachlich bin ich dann nur zwei mal gestolpert:

Das Licht ist spärlich, aber eigentlich, nur eine Neonröhre,

Da stimmt was nicht, ein Komma zu viel

dann gibt es einen entsetzlichen Schmerz in meinem Oberschenkel.

"es gibt einen Schmerz" klingt ein bisschen hölzern, da hätte ich mir etwas bildlicheres gewünscht, dann durchfährt mich ein Schmerz oder so was in die Richtung

Inhaltlich habe ich quasi nichts zu beanstanden, außer vielleicht das Ende. Auch das ist stimmig, ich mag den Kreis, den du da zeichnest, wenn es um den "Penner" geht. Aber es ist halt eine Aufwach-Story: Etwas passiert, einer wacht auf, war wohl doch bloß ein Traum. Das sollte verboten werden, wenn man mich fragt. Aber mich fragt ja keiner :shy: Vielleicht fällt dir ja aber doch noch was anderes ein, Möglichkeiten gäbe es.

So oder so - hab ich sehr gerne gelesen, danke fürs Teilen!

Bas

 
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Hallo @Jaylow ,

Obdachlosentexte stehen hier viele, da gab es immer mal Phasen im Forum, genau wie die Ich bin endlich frei, weil ich jetzt vom Dach springe oder die Ich wache im Dunklen gefesselt auf, was ist passiert? Mord-Texte. An einigen Punkten gefällt mir dein Text besser als die meisten anderen, weil nicht sofort die Moralkeule kommt, so Art: hier der Weihnachtsmarkt / die Shopping Mall mit den blinden Konsumschafen und dort eben die immer übersehenen Randständigen. Der Text beginnt erstmal also mit einer Prota (einem? wäre aber Latte), mit handfesten Szenen und Gedanken, eben nicht als Parabel mit den üblichen Bildern.

Du fängst mit einer realistisch erscheinenden Szene an (Klamottenklau), von da aus kann man sich selbst viele prekäre, bedrohliche Situationen denken, das finde ich gut. Mit dem Anfang hab ich - s.u. - allerdings stilistisch massive Probleme. Ist der Text vor dem Einstellen editiert worden? Das sieht mir nach zu viel als nur Wald/Bäume-Problem aus.
Im Detail:

Die meisten, die hier auftauchen, sind der letzte Dreck.
Das ist als Verortung / Einordnung maximal kontraproduktiv. An dieser Stelle ist noch unklar, dass die Erzählstimme sich quasi auch dazu zählt. Dann ist es eine extrem unsympathische Wertung, die ich nicht unterbringen kann, weil ich nicht weiß, wer 'die meisten' sind - Fußballfans, Nazis, oder der Gegenblick: Flüchtlinge?, Kriminelle, Konzernchefs, Politiker, Besoffene ...? Es klingt nicht nach Sarkasmus, sondern neutraler Aussage. Dann weiß ich noch nicht, dass es ein Icherzähler ist und frage mich schon im ersten Satz, ob ich Bock hab, einem solchen auktorialen, objektiven Erzähler zu folgen, denn hier könnte es ja auch 3. P. sein.

Die meisten, die hier auftauchen, sind der letzte Dreck. Das erste Mal schämte ich mich, aber man gewöhnt sich daran.
Hier? Wo?
Aha, ich. Weswegen schämt sich das Ich? Weil sie das aus dem ersten Satz dachte? Weil sie dazu gehört? Und woran gewöhnt 'man' sich? An das Schämen oder daran, der letzte Dreck zu sein? Warum sollte sie das so sehen? Schlechte Bezüge, unklare Semantik, unklare Verortung.

Kleingeld ist wichtig. Die nehmen auch Karten, aber wenn das Konto gesperrt ist, helfen Münzen.
Die (?) Wer? Der Erzähler macht sich die Mühe, eine Einführung zu bieten, aber weigert sich Infos preiszugeben, die in eine Einführung gehören.
Die Münzen helfen beim Kontoentsperren? Don't think so. (Semantik / Bezug)
Münzen helfen ja auch nicht beim Bezahlen, sie sind das Mittel dazu, genau wie Scheine, die man auch nehmen könnte, wenn man sie besäße, sie meint hier also gar nicht Münzen, sondern Bargeld. Ich verstehe nicht, warum die Erzählstimme klingt, als begreife sie simple Zusammenhänge nicht. Jetzt bin ich bei den ersten Sätzen und denke schon dran, rauszuclicken.
Und Vorsicht: Du hast echt viele bestimmte Artikel zu Dingen, die ungenannt blieben, das nervt. Es ist eine Geschichte, damit ein Erzähler und der sollte imA dann auch erzählen.

Okay, Leser sind nicht auf den Kopf gefallen, und man kann das auch zurechtrücken und das unsinnige "helfen" durch was anderes ersetzen, womit man schnallt, dass die Prota wenig Geld hat und irgendwas Kleines (Essen -> "Die" ... Bäckereiverkäufer ..?) von ihrem vermutlich erbettelten Kleingeld zahlt. Aber hey, vielleicht - wenn du schon ein Intro schreibst - magst du das auch zum eigentlich Zweck nutzen: den Leser reibungslos in die Geschichte leiten?

Weggehen ist nicht gut, gar nicht gut.
My name is Bond. James Bond.

Seltsam, oben sich weigern, eine Einführung zu bieten und hier dann rhetorische Stilmittel verwenden. Also offensichtlich doch an einen Zuhörer gerichtet, denn sowas sagt man sich ja nicht selbst. Das geht im ganzen Text so ungleichmässig weiter.
Wiederholungen können funzen, aber es kommt auf den Klang an. Wieso klingt die Prota so naiv-dumm? Das ist sie doch gar nicht, wenn ich den Stellen zu den geklauten Klamotten (schön gemacht mit dem Smiley-Shirt! Tolle Szene, mehr davon) ansehe.

Was für Drecksäcke klauen einem die letzten Sachen?
Was macht das 'einem' dort? Ja klar, grad ihr, aber ... Das ist ja nicht gegen sie gerichtet, sondern die Leute klauen genrell. Lieber: Wer klaut Leuten denn die letzten Sachen? (oder so).

Die ganzen Klamotten weg. Ich fasse es nicht. Was für Drecksäcke klauen einem die letzten Sachen? Stehe da vor den Maschinen, die sich drehen.
Abgesehen von dem 'einem' finde ich das aber sehr gut. Hier kommt das Dissoziative gut durch.

Das Aufgreifen der Wunde beim Mann so als Rundschluss finde ich sehr gut - also wenn man sich erst eine Erklärung denkt (eben eine reguläre Verletzung, die wegen Nichtkümmern / unsteriler Umgebung suppt) und dann etwas kommt, das absolut nicht abzusehen war.

Allerdings: Der ganze Mittelteil wirkt sehr schlecht vorbereitet (also vom Timing, der Erzählstruktur / Plazierung) und ich musste dann leider lachen, weil ich die Bedrohung eher albern als verstörend fand - was sie bei etwas besserer Einbindung hätte werden können. Da gibt es ja ne Reihe aktuellerer Filme zu, die jenseits vom Exorzisten genau das Unheimlich-Grausame in Kindern / Familien ausspielen, sei es The Innocence (NOR 2021), Pahanhautoja / Hatching, Dogtooth und irgendein deutscher Film mit zwei Jungs, die Masken aufsetzen und ihre Eltern zerlegen (oder so). Und eben deswegen reicht es imA nicht mehr, einfach gestörte Horrorkinder fiese Sachen machen zu lassen, egal aus welchen Gründen und in welchen Settings.
Ab davon: Wie verstört man damit vor dem Hintergrund realer Taten?: Der Fall Bulger oder 3 Men and a Hammer, was auch Teens/Twens waren. Das hat mich echt voll rausgekegelt und da denke ich, dass die beiden Themen / Ebenen einfach viel stärker durchdacht und aufeinander abgestimmt bzw. verzahnt werden müssten, damit dieser Plan aufgeht. Im Sinne von suspension of disbelief, aber auch schlichtweg im Sinne von Plotstruktur.

Im Hinblick auf den Hauptteil bekommt der eigentlich recht realistisch wirkende Anfang etwas Redundantes - willst du, dass man mit der Prota mitfühlt? Dass es kein gesichtsloses, anonymes Opfer ist? Dann darfst du sie im Hauptteil aber nicht als solche zeigen. Dann müsstest du die Sicht auf sie durchziehen, und nicht so ein - sorry - 0815 Szenario aufziehen. Ich kriegs auch nicht in den Kopf, wie die Kids das so Saw-generalstabsmässig durchziehen mit Entführungen und allem, selbst einen spekulativen Text und dichterischer Freiheit. (Und ja, es mag ein Traum sein, aber imA stützt die Gesamtstruktur, der Aufbau die Traumvariante nicht - ich lese es also als paranormal, aber textimmanent 'wahr'.)
Im Nachhinein erscheint mir das Intro als etwas, das sonst als Backstory irgendwo mittig reingegrätscht wird, damit man auch ja nicht den Bezug zum Prota verliert. Auch das mag ich nicht, aber da ist man immerhin schon im Flow der Geschichte.

Ich bin jetzt die letzte, die hier mit pc:ness kommt (das nervt mich massiv), aber :DObdachlose als Opfer von spekulativen Sadisten hat nun auch ein Geschmäckle, weil viele ja Opfer von Grausamkeiten und Gewalt (durch Nichtobdachlose, oft Teens/Kids) werden. Man sieht dann alles ja gar nicht mehr durch ihre Augen, die Obdachlosigkeit ist egal und damit nimmst du das, was vllt. betroffen machen sollte, dann als billigen Backdrop für irgendwas, das auch Schwangere, Sportler oder Bänker hätte treffen können.

Mir erscheint es auch, als begänne die Geschichte mit dem letzten Satz erst - nicht als open end, sondern als eine Implikation, die eigentlich mehr Plot nach sich ziehen sollte. Vllt. poetic justice (was bei der Obdachlosigkeit naheläge), vielleicht aber auch etwas, das diese Welt etwas mehr verankert, auserzählt. Ja, die Wunde im Bein des Mannes kommt wohl auch da von den Kids. So what? Ist das die Enthüllung, Erkenntnis, die ich mitnehmen soll oder hab ich ganz massiv was übersehen?
Ja, es mag ein Traum / Rausch sein, die Verletzung kommt von etwas anderem und die Figur ist eigentlich auch der Mann, den sie vorher sah wie eine zweite Person? (Letzteres glaube ich nicht, weil es dazwischen die Klau/T-Shirtszene gab, die sonst nicht passiert sein kann.) Auch unter dem Gesichtspunkt, dass nichts von dem Kellerteil tatsächlich passierte, ergibt die Mitte imA keinen Sinn.

Will man das als Parabel im Horror verarbeiten, sollte es imA zumindest eine nachvollziehbare (paranormale oder realistische) Bedrohung geben, die nicht den Fokus auf die Täter verschiebt.
Denn du endest ja nach dem persönlichen Intro mit einem massiv von der Prota entfernten Blick, ganz von außen, neutraler, empathiegestörter Erzähler - warum hat der - und das noch in der 1. Person! - seine Haltung im Laufe des Textes so geändert? Ist imA nicht nachvollziehbar. Also, ich denke die Ichperspektive ist nicht so zielführend für die Geschichte, die du ab dem Intro erzählst.

Sorry, das funzt imA null. Weder auf Plotebene, noch auf sprachlicher, da fehlt noch reichlich Editing.

Nix für Ungut, herzlichst,
Katla

 

Hey @Jaylow,
ich glaube, wir zwei hatten noch nicht das Vergnügen, obwohl du ja schon eine Weile aktiv bist und einige Texte eingestellt hast, habe ich - glaube ich - noch keinen kommentiert, auch weil ich selbst einige Zeit nicht sehr aktiv war, aber die Challenge lockt dann doch ein paar alte und neue Hasen hervor, sehr schön.

Was ich von deinem Text verstanden habe, ist nicht viel: Einer ist im Waschsalon, offenbar mit bestimmten Klientel ("Dreck" und er schämt sich, weil er selbst dazugehört?). Ein Obdachloser mit einer Wunde im Oberschenkel schläft dort. Ihm werden die Klamotten geklaut, er klaut daraufhin selbst Klamotten, damit er etwas zum Anziehen hat. Er sucht Schutz in einem Keller, wird von zwei gesichtslosen, mit Armbrüsten bewaffneten Kindern angegriffen, zieht sich eine Wunde im Oberschenkel zu, wacht im Waschsalon auf, ein gesichtsloser Mann sagt ihm, dass er gehen müsse, weil der Waschsalon schließt und empfiehlt ihm zum Arzt zu gehen.

Jetzt komm ich mal zu meinen Fragen ja? Also, der, der am Anfang den Obdachlosen mit der Wunde im Oberschenkel sieht und der Obdachlose selbst, sind das die gleichen Personen? Warum haben die Kinder und der Mann am Ende keine Gesichter? Wacht der Prota im Waschsalon gar nicht auf, sondern ist immer noch im Traum? Träumt er von dem Obdachlosen, den er dort hat liegen sehen, träumt er, dass er das sei? Bedeuten die sich drehenden Maschinen vielleicht gar nicht Waschmaschinen, sondern irgendetwas anderes? Ist der Prota vielleicht gar nicht in einem Waschsalon, sondern in der Psychiatrie (wofür es absolut keine Hinweise gibt, aber der Text ergibt für mich halt irgendwie keinen Sinn, darum kann es wohl alles sein, ich nutze einfach meine eigenen Assoziationen zum entschlüsseln). Wenn ich jetzt so drüber nachdenke, wäre meine Vermutung: Der Typ ist nicht in einem Waschsalon, sondern irgendwo anders (sonst würde er es wohl einfach Waschsalon nennen und Waschmaschine) und er ist arg psychotisch und/oder träumt.
Falls ja, ist mir das ein bisschen zu wenig. Falls nein, auch, denn dann weiß ich ja noch weniger, als ich vermutet habe. In Anbetracht des realistisch erzählten Settings und des Tags Alltag (hab extra noch mal geschaut) fehlt mir hier wirklich die Orientierung, um dem Text überhaupt Sinn entnehmen zu können. Auch in Anbetracht des Themas hast du dir ja sicher was gedacht mit dem Ort, aber ich komm halt nicht drauf, was.

Viele Grüße mit vielen Fragezeichen
von Katta

 

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