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Gespenster der Nacht
Eine sanfte Brise strich durch die Büsche des angrenzenden Parks, als Sara und ihr Freund Frank im Dunkel der Nacht Hand in Hand die baumgesäumte Allee entlang schlenderten. Es war bereits nach Mitternacht, als sie die Disco verlassen und sich auf den Heimweg gemacht hatten. Da sie nicht weit von der Disco entfernt wohnten, hatten sie sich entschlossen, in dieser lauen Nacht nach Hause zu laufen. Außerdem wäre der letzte Bus sowieso schon weg gewesen.
Wäre Sara allein unterwegs gewesen, hätte sie mit Sicherheit einen anderen, besser beleuchteten und belebteren Weg gewählt. Die Strassenlaternen warfen nur diffuses Licht durch das dichte Blätterdach der Bäume, und Sara war auch schon zu Ohren gekommen, dass bereits einige Personen überfallen worden waren, da es hier vor Gesindel und Spannern nur so zu wimmeln schien. Aber mit Frank an ihrer Seite fühlte sie sich sicher. Er war Soldat und schien vor nichts Angst zu haben.
Sie waren gerade am Ende der Allee angekommen, an dem sich ein großer verwaister Parkplatz befand, als Frank plötzlich stehen blieb und sich umdrehte. Verdutzt sah Sara ihren Freund an.
"Was ist los?", fragte sie ihn. "Warum bleibst du stehen?"
"Wir werden verfolgt", antwortete Frank ruhig, als sei es das normalste auf der Welt. "Da ist einer im Gebüsch."
Sara spähte die Allee hinab, die sie eben entlang gelaufen waren, doch sie konnte nichts entdecken. Kein Laut, keine Bewegung, außer dem leichten Wind, der die Zweige bewegte. Vielleicht nahm Frank sie ja auch nur auf den Arm.
"Quatsch", sagte sie dann. "Da ist niemand."
Frank ignorierte sie, den Blick fest auf die dunkle Allee gerichtet, und rief: "He, du Idiot, du kannst rauskommen! Ich weiß, dass du da bist!"
Sara hielt vor Schreck die Luft an und warf erneut einen nervösen Blick zurück, doch es tat sich nichts. Sollte ihr das wirklich nur einen Schrecken einjagen, oder war da wirklich was ...?
Frank griff nach einem Dohlengitter, das halb zerbrochen war und nahm es in die Hand.
"Was hast du vor?", fragte Sara entsetzt. "Komm, lass uns gehen, da ist bestimmt niemand."
"He!", rief Frank wieder, Sara ignorierend. "Komm endlich raus! Oder soll ich dich holen kommen?"
Sara wollte ihn gerade erneut davon überzeugen, dass er sich irren müsse, als sich plötzlich raschelnd die Büsche teilten und eine Gestalt in heller Kleidung schemenhaft erschien. Sara blieben die Worte im Hals stecken und ein Schreck durchfuhr ihre Glieder. Frank hatte sich wahrhaftig nicht getäuscht. Ihnen war tatsächlich jemand gefolgt und sie hatte rein gar nichts davon bemerkt. Wie gut, dass Frank da war.
"Also, wenn du was willst, dann komm her!" Franks Stimme klang kalt und hart wie Stahl, als er drohend das Dohlengitter hob. "Ich verpasse dir eine Abreibung, die du nie mehr vergißt!"
"Hör auf und lass uns gehen", stieß Sara panikerfüllt hervor und packte ihn am Arm. Was, wenn von dieser Sorte noch mehrere dort im Gebüsch standen? Was, wenn sie von ihnen angegriffen wurden?
"Na, komm schon!" Frank stand immer noch kampfbereit da und starrte die Gestalt an.
Nur einen Moment später war die Gestalt wieder in den Büschen verschwunden.
"Feigling", grollte Frank.
Sara atmete hingegen erleichtert auf. Was für ein Glück, dass es so ausgegangen war. Nun waren es noch etwa einhundertfünfzig Meter bis zur Wohnung, wo sie in Sicherheit sein würden. Dann würde dieser Alptraum zuende sein.
"Nun lass uns ganz schnell nach Hause gehen", bat sie leise und drehte sein Gesicht in ihre Richtung. "Bitte"
Zögernd ließ Frank das Gitter fallen und legte den Arm um sie. "Ok, aber du hast gesehen, dass ich nicht übertrieben habe, als ich dir sagte, dass uns jemand gefolgt ist"
Sie verließen den Parkplatz, während Frank mehrmals einen Blick über die Schulter zurück warf, um sicher zu gehen, dass niemand hinter ihnen her kam.
An der nächsten Straßenecke blieb er stehen und nahm sie in den Arm. Sanft küsste er Sara, was sie genoss und leidenschaftlich erwiderte.
"Komm, lass uns die letzten Meter nach Hause gehen, da ist es bequemer", raunte sie ihm ins Ohr.
"Nein, das geht noch nicht", sagte er leise und spähte über ihre Schulter in die Richtung, aus der sie gekommen waren. "Könnte sein, dass uns immer noch jemand folgt."
"Wer soll uns denn folgen?", fragte sie ungeduldig. "Dem Typ vorhin hast du doch ordentlich Bescheid gesagt. Der hat sicher die Nase voll."
"Na, vielleicht hat er noch einen Freund, dem diese Nachricht nicht passt", erwiderte Frank ruhig. "Ein Typ kommt jedenfalls aus Richtung des Parks auf uns zu. Es ist nicht der aus dem Gebüsch, soviel ist sicher. Warten wir erst einmal ab, wo er hingeht."
Saras Magen krampfte sich zusammen. Eine Mischung aus Angst, Erregung und Abenteuerlust bemächtigte sich ihrer. Auf einer Seite wäre sie gern weggerannt, nach Hause, in Sicherheit. Aber auf der anderen Seite konnte sie nur schwer glauben, dass ausgerechnet ihr so etwas passieren sollte. Aber die vermeindlich drohende Gefahr übte doch auch eine gewisse Anziehung auf sie aus.
"Wenn er uns in Ruhe läßt, habe ich mich getäuscht", raunte Frank zwischen zwei Küssen, ohne den Verdächtigen aus den Augen zu lassen. "Wenn nicht, dann müssen wir vorsichtig sein."
"Mir wäre es lieber, ich läge jetzt mit dir in unserem warmen Bett", flüsterte sie. "In Sicherheit. Es sind doch nur noch ein paar Meter bis nach Hause. Ich kann das Haus von hier aus sehen, und wenn wir uns beeilen, ..."
"Wir sind aber im Moment hier", unterbrach Frank sie nüchtern. "Und solange wir nicht wissen, was dieser Typ im Schilde führt, gehen wir nirgends hin. Die Sicherheit, von der du sprichst, gibt es nur, wenn uns niemand nach Hause folgt. Hast du dein Springmesser dabei, das ich dir geschenkt habe?"
"Nein!" Sara drückte ihn von sich weg und sah ihn mit großen Augen an. "Warum? Was hast du vor?"
"Es war nur eine Frage, falls wir uns verteidigen müssen". Frank zog sie wieder an sich.
"Aber ..."
"Scht" Frank küsste sie und sah an ihr vorbei. "Der Typ hat sich dort drüben auf die Mauer gesetzt"
Sara wandte unauffällig den Kopf, bis sie einen Blick auf die Gestalt erhaschen konnte. Der Typ hatte helle Haare und war ganz in Jeans gekleidet, wie sie im Licht der Straßenlampe erkennen konnte. "Vielleicht wartet er auf ein Taxi."
"Ja klar", sagte Frank sarkastisch und schüttelte den Kopf. "Wenn er dort am Park, wo ich keine Telefonzelle gesehen habe, ein Taxi gerufen hätte, warum würde er dann hier darauf warten und nicht dort? Nein, Süße, der ist garantiert wegen uns hier."
Sara war verwirrt. Hatte Frank recht oder wurde er langsam paranoid? Sie beschloss, sich auf sein Urteil zu verlassen. Er hatte sicherlich mehr Erfahrung mit solchen Situationen, als sie in ihrem bisher recht behütetem 19jährigen Leben je sammeln konnte. Schließlich hatte er als Mann, der zudem noch 4 Jahre älter war als sie, bestimmt schon einige Prügeleien hinter sich, während sie noch nicht einmal ansatzweise in eine hineingeraten war. Im Gegenteil, sie hatte immer versucht, diesen Situationen auszuweichen. Also war es besser, Frank machen zu lassen.
Nach ein paar Minuten hatte der Mann immer noch keine Anstalten gemacht, weiterzugehen.
"Hör zu, wir gehen jetzt los, aber nicht geradewegs zu unserer Wohnung, sondern einen Umweg", erklärte Frank leise. "Wir laufen ein U. Solange wir noch in Sichtweite dieses Typs sind, schendern wir gemütlich.Sobald wir an der nächsten Straße rechts um die Ecke sind, dann renne, wie du noch nie zuvor gerannt bist. An der nächsten Ecke rennen wir dann zur Wohnung und verschwinden im Haus. Hast du verstanden?"
Sara nickte zögernd. Es wäre so viel einfacher, wenn sie nun einfach nur die paar Meter die Straße hochlaufen müssten, anstatt den Umweg zu machen.
Frank legte den Arm um sie und zog sie mit sich. Nach ein paar Metern warf Sara unauffällig einen Blick zurück.
"Der Typ läuft hinter uns her", sagte sie bestürzt.
"Nicht nur das", antwortete Frank leise. "Auf der anderen Straßenseite kommt uns noch einer entgegen. Scheint unser Freund aus dem Park zu sein."
Sara begann zu zittern, als sie die andere Gestalt in heller Kleidung sah. "Meinst du wirklich, die gehören zusammen?"
"Warum sollten sie uns sonst in die Zange nehmen?" Frank warf ihr einen beruhigenden Blick zu. "Aber ich bin bei dir. Dir wird nichts passieren, solange du tust, was ich sage."
"Ja, aber was machen wir jetzt?" Panik stieg in ihr auf.
"Lauf ganz normal weiter, und wenn wir um die Ecke sind, dann renne, was das Zeug hält."
Nur wenige Augenblicke später setzte sie diesen Rat in die Tat um. Kaum waren sie um die Ecke gebogen, legten sie ein Tempo vor, das einem Sprinter zur Ehre gereicht hätte. Kaum an der nächsten Ecke angekommen, wechselten sie die Straßenseite und liefen im diffusen Licht unter den Bäumen, die die Straße säumten in Richtung ihrer Wohnung.
"Shit", murmelte Frank nur einen Moment später.
"Was?", schreckte Sara auf, die gerade erst zurück geschaut hatte, ob sie verfolgt wurden.
"Der Typ in Jeanskleidung kommt uns auf unserer Seite entgegen."
"Oh nein", flüsterte Sara schockiert und fühlte, wie ihr alle Farbe aus dem Gesicht wich. "Was sollen wir nur tun?"
"Geh ganz normal weiter und lass dir nichts anmerken."
Zitternd vor Angst krallte sie sich in Franks Hand, während sie hocherhobenen Hauptes vorgab, selbstsicher und unerschrocken zu sein, als der Typ immer näher kam.
Zeig ihm deine Angst nicht und schau ihm direkt in die Augen, suggerierte sie sich immer wieder.
Dennoch war sie nicht darauf vorbereitet, als sein Blick sich in ihren bohrte. Noch nie hatte sie in solch grausame und kalte blaue Augen geschaut. Der Blick traf sie bis ins Mark und sie hatte das Gefühl, Eis statt Blut in ihren Adern zu haben. Sie schauderte, als er vorbei war.
"Hast du seine Augen gesehen?", fragte sie Frank mit zitternder Stimme.
"Ja. Wo hast du den Schlüssel?"
Sie zog ihn mit klammen Fingern aus der Hosentasche und gab in Frank.
"Jetzt müssen wir uns beeilen", sagte er, kurz bevor sie auf Höhe der Haustüre waren. Nach einem kurzen Blick in die Runde, schob er sie zur Tür hinein und schloss sie leise hinter ihnen. "Mach ja kein Licht an."
Sie schlichen im Dunkeln nach oben und gingen in die Wohnung.
"Mach ja kein Licht an", warnte er sie erneut.
"Warum nicht? Wir sind doch jetzt in Sicherheit", fragte Sara verständnislos.
"In Sicherheit sind wir erst, wenn die Typen nicht wissen, wo wir wohnen", entgegnete Frank eindringlich und packte sie am Arm. "Im Moment beobachten sie wahrscheinlich das Gebäude und warten darauf, wo das Licht angeht, um zu sehen, wo wir sind. Die sind auch nicht blöd. Hol jetzt dein Springmesser, ich hole meins und dann gehen wir wieder runter"
"Bist du wahnsinnig?", entfuhr es ihr. "Ich gehe da nicht mehr runter. Außerdem habe ich von einem Messerkampf oder anderen Kämpfen absolut keine Ahnung. Ich ..."
Frank drückte sie auf die Couch und setzte sich zu ihr. "Hör zu. Diese Typen sind gefährlich. Hier ziehen nachts ganze Banden umher, die Leute überfallen oder auskundschaften, wo jemand wohnt, um irgendwann einzubrechen und die Wohnung auszuräumen. Ich möchte sicher sein, dass in unsere Wohnung niemand einbricht und dir womöglich auch noch Schaden zufügt, wenn ich nicht da bin. Oder, was glaubst du, würden sie mit dir tun, wenn sie dich allein in die Finger bekämen?"
Sara zitterte wie Espenlaub, während sie seiner eindringlichen Stimme lauschte. Sie hatte definitiv genug Abenteuer in dieser Nacht gehabt und wollte da nicht mehr raus. Aber was, wenn er recht hatte? Was, wenn sie wirklich hier allein war und dieser Typ mit den kalten, blauen Augen ...?
"Ich würde dich keiner Gefahr aussetzen, wenn es nicht nötig wäre, Schatz", bekräftigte er und sah sie im Mondlicht fest an. "Aber du musst mit nach unten kommen, sonst wissen die Typen definitiv, dass wir hier wohnen. Ich zeige dir, wie du das Messer am effektivsten einsetzen kannst. Natürlich werde ich darauf achten, dass dir nichts passiert, aber ich muss auch sicher sein, dass du einen Moment auf dich selbst achten kannst."
"Ok, aber was willst du nun tun?"
"Wir gehen auf die Fußgängerbrücke, die ein paar Meter die Strasse runter ist", erwiderte Frank prompt. "Dort warten wir ganz einfach ab, bis es denen zu blöd wird und sie verschwinden."
"Und, wenn sie das nicht tun?", fragte Sara, verblüfft über seine offensichtliche Naivität.
"Falls sie sich auf die Brücke trauen, werden wir sie in jedem Fall sehen und wir können Rücken an Rücken kämpfen", sagte Frank trocken. "Wir decken uns gegenseitig und kämpfen nach vorne. Ich glaube allerdings nicht, dass sie sich überhaupt auf die Brücke trauen. Aber wir müssen jetzt raus, bevor sie Verdacht schöpfen."
Hoffentlich behielt Frank recht. Sara war zwar nicht überzeugt davon, dass sie das Richtige taten, aber es hatte auch etwas Plausibles, wie er ihr die Zusammenhänge erklärt hatte.
Sie verbannte die aufsteigende Panik in die hinterste Ecke ihres Verstandes und folgte Frank im Dunkeln die Treppe hinab. Sie schlossen leise die Tür und gingen zur Brücke, wo sie genau in der Mitte über der Straße stehen blieben.
"So, jetzt könnt ihr Hundesöhne kommen", murmelte Frank, während er die Straße und den Fuß der Brücke im Auge behielt, an dem sich dichtes Buschwerk befand.
"Wie lange willst du hier oben bleiben?", fragte Sara ihn nach einer ereignislosen Weile, die ihr ewig vorkam. "Vielleicht sind sie ja auch schon weg und wir stehen hier umsonst."
"Sind sie nicht", raunte Frank, während er wie gebannt auf die Straße starrte. "Schau mal zu den parkenden Autos unter den Bäumen und achte mal auf die Schatten, die sie werfen. Da pirscht sich soeben jemand an."
Nur den Bruchteil einer Sekunde später konnte sich Sara selbst davon überzeugen, dass Frank die Wahrheit sagte. Sie sah den gebückten Schatten einer Person von Wagen zu Wagen auf sie zu huschen. Glücklicherweise hörte die Wagenschlange etwa dreißig Meter vor der Fußgängerbrücke auf und dazwischen gab es keine weiteren Versteckmöglichkeiten.
So angespannt Sara auch war, sie bemerkte just in diesem Augenblick, wie clever Frank ihre Position gewählt hatte. Es konnte sich wirklich niemand anschleichen, ohne dass sie ihn bemerkten. Plötzlich verspürte sie Hochachtung vor Franks Verstand. Sie selbst hätte nie derlei Gedankengänge angestellt. Nun fühlte sie sich auch relativ sicher und wurde ruhiger, weil auch sie mittlerweile davon überzeugt war, dass sie nur ein komplett bescheuertes Idividuum auf dieser Brücke angreifen würde.
In diesem Moment raschelte es auch im Gebüsch am Fuß der Brücke. Doch dabei blieb es. Keine Menschenseele ließ sich blicken.
Irgendwann raschelte es auch dort nicht mehr. Es gab keine huschenden Schatten zwischen den Autos mehr und die Anspannung fiel von ihnen ab.
Als Frank sicher war, dass sie nicht mehr beobachtet wurden und keine Gefahr mehr drohte, gingen sie Arm in Arm zurück in die dunkle Wohnung, wo sie sich ziemlich müde ins Bett fallen ließen. Schließlich hatten sie beinahe zwei Stunden auf der Brücke verbracht.
Bevor Sara jedoch einschlief, machte sich ein Gefühl von Stolz in ihr breit. Zumindest in dieser Nacht hatte sie sich ihrer Angst gestellt und, für den Moment, besiegt ...