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Gespenster
Es war ein kleiner Raum ohne Möbel. Als man mich hineinführte, war ich ein kleiner Mann ohne Kleidung.
Sie spuckten mir ins Gesicht, brachen mir beide Arme, und gingen dann.
Unbeholfen stolperte ich hinter ihnen her, stürzte, weinte. Auch dann noch, als sie längst verschwunden waren.
Irgendwann verließ ich den Raum und zurück blieb das Gespenst, das sie mir ausgetrieben hatten.
Warum ich froh bin, in diesem Land zu leben?
Es gibt hier keine Geister, und wenn, dann schluchzen sie einsam in kleinen Räumen ohne Möbel.
***
Jenseits der Bars, Diskotheken, der Restaurants und Kinos, jenseits der Menschen.
Enge Gassen, aufgereihte Orte. Wer mittendrin ist kann durch die Fenster hören, was unter der Oberfläche der Leute ist.
Ein Mann brüllt. Ein Kind schreit. Eine Frau weint.
Hinter dem zweiten Fenster ist es still. Dort sitzt jemand auf seinem Sessel und tut nichts, außer atmen.
Ich beobachte ihn eine zeitlang. Es ist sinnlos. Er hat auch keine Arme. Vielmehr hatte er niemals einen Geist. Wie glücklich er sein muss, den kleinen Raum ohne Möbel nicht zu kennen.
Hinfortgetragen vom Walzer; jetzt die Silhouette der Stadt, dann von oben. Satellitenbilder mit eigenen, toten Augen photographiert für den Rest der Zeit; und ein unentwickelter, überbelichteter Film von Leere.
Und irgendwann kommt es zur Landung; selten auf den Füßen, aber irgendwie halt immer. Dann trinke ich von dem, was mir die Schaumkrone der Gesellschaft zu bieten hat. Dass ich auch das trübe Gebräu darunter kenne, das interessiert niemanden. Keiner sollte von engen Gassen aus durch Fenster starren. Das machen nur Spanner und Ausgegrenzte.
Meine Arme werde ich nicht wieder verwenden. Sie finden keinen Halt mehr, an den sich die morschen Finger klammern können.
Gebrochene Fingernägel wird es keine mehr geben, der Schmutz kann sich in den engen Hohlräumen ausbreiten.
Ob ich ein Aussteiger bin?
Nein. Ich bin froh, in diesem Land zu leben, obwohl manchmal ...
Manchmal wünsche ich mir, dass es spukt. Vielleicht würde ich dann mich selbst wiedertreffen.
So sitze ich bloß hier auf dem Bordstein und erinnere mich daran wie es war, als es Magie noch gab.
Der ganze Zauber, der in dem kleinen Raum ohne Möbel zurückbleibt.
Ich öffne meine Augen und erkenne ihn als mein Wohnzimmer, durch das Millionen Gespenster fliegen.
Wie schön.