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Gespräch zwischen Eis und Sonne
Gespräch zwischen Eis und Sonne
In das Eis grub sich ein Plastiklöffel und schälte ein Stück Vanille heraus. Er ließ es in einen weit geöffneten Mund gleiten und schaute kurz zu, mit welcher Begierde es die Zunge aufnahm. Dann schloss sich der Mund und der Löffel ließ sich wieder in der Vanille-Schoko-Landschaft nieder.
Babette blickte mürrisch in die Walnusslandschaft ihr gegenüber, derer sich Berthold bemächtigte.
„Ich habe das Fahrrad an den Nachbarsjungen verschenkt. Es stand nur bei uns herum und wäre sonst verrostet.“
Berthold nickte, während ein kaum wahrnehmbarer Windhauch seine Haare kitzelte. Er stutzte, die Zunge schob eine Walnuss beiseite.
„Olaf hat es letztens gesagt. Er hat vor unsrer Haustür mit Mirko geredet. Wir Alten wären zu nichts mehr zu gebrauchen. Körperlich und geistig missratene Unglückfälle, deren Sinn darin besteht, auf den Tod zu warten. Ich habe es vom Fenster aus beobachtet. “
„Du ignorierst doch normalerweise alles, was mehr als zwei Meter vom Fernseher entfernt ist.“
Berthold überging diese Bemerkung, sei es wegen seines schlechten Gehörs oder anderer Ursachen.
„Das Fenster war gekippt und ich hörte Olaf laut lachen. Du kennst ja sein Lachen.“
Babette musste unvermittelt grinsen.
„Sie haben über uns alte Leute geflachst. Greise sollten sterben. Es wäre für sie besser.“
„Haben die das so gesagt?“
„Nicht direkt.“ Er fuhr fort: „Wir wären nicht mehr in der Lage die Informationsflut zu bewältigen und körperlich hielten wir keiner starken Böe stand, geschweige denn äußerster Hitzeeinwirkung!“
Berthold biss auf die Walnuss und schluckte sie herunter. Derweil umschmeichelte die Schokolade die Vanille und versuchte sie zu überdecken.
„So haben es die beiden bestimmt nicht gemeint.“ Babette wirkte beruhigend, wenn auch nicht überzeugend.
„Du kannst es mir glauben. Die beiden haben sich über unser Gedächtnis lustig gemacht. Mirko meinte, er hätte bei der letzten Untersuchung Alzheimer festgestellt. Mir persönlich hat er es nicht erzählt, aber Olaf schon. Du kannst dir ja vorstellen wie er sich wieder darüber amüsiert hat.“
„Alzheimer sagst du?“
„Du hast richtig gehört. Er prangerte mein schlechtes Gedächtnis an und machte darüber Witze. Ich habe sie nicht verstanden. Ich war zu weit weg. Und es muss um das wenige Leben, das uns noch bevorsteht, hämisch gelacht worden sein.“
Berthold kniff die Augen zusammen und als er das Eis klar erkannte, schürfte er drei Löffel davon ab und führte diese entschlossen in den Mund ein, als wollte er damit seinen Gedanken noch mehr Gewicht verleihen.
Der Löffel ließ sich in der Mitte von Schokolade und Vanille nieder, entschied sich aber schnell. Eine Zunge stieß dann die weiche Vanille zur Seite.
„Bert, du musst dir alles nicht so zu Herzen nehmen. Genieß einfach die letzten Jahre deines Lebens.“
"Ich kann nicht. Ich habe Alzheimer. Es ist zu spät."
Dann hielt er an. Babette blickte ihm sanftmütig in die Augen. Sie wusste bereits, dass es einfach schön werden wollte.
Die Vanille und die Schokolade schienen sich zu verbünden, die Walnuss ließ sich fallen. Die Eisreste wurden verzehrt, die Rechnung beglichen und die warme Sonne zog alle negativen Aspekte hinfort.